Landgericht Hannover
Beschl. v. 10.04.2008, Az.: 20 T 5/08

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
10.04.2008
Aktenzeichen
20 T 5/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 43744
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2008:0410.20T5.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover -12.12.2007 -AZ: 903 IE 5/07 -1
nachfolgend
BGH - 20.05.2010 - AZ: IX ZB 101/08

Fundstellen

  • NZI 2008, VIII Heft 9 (amtl. Leitsatz)
  • NZI 2008, 631-632 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
  • NZI (Beilage) 2009, 50-51 (red. Leitsatz)
  • ZIP 2008, 2375-2376 (Volltext mit red. LS)

In dem Sekundärinsolvenzverfahren

...

hat die 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover auf die sofortige Beschwerde des Schuldners vom 27. Dezember 2007 gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 12. Dezember 2007 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 4. Januar 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. ... als Einzelrichter am 10. April 2008 beschlossen:

Tenor:

  1. Die sofortige Beschwerde des Schuldners wird zurückgewiesen.

  2. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

  3. Beschwerdewert: 38 000,00 €

Gründe

1

I.

Am 26. Juli 2007 beantragte der Schuldner vor dem High Court of Justice in London - Aktenzeichen ... - ein Insolvenzverfahren über sein Vermögen.

2

Dieses Insolvenzverfahren wurde am 3. September 2007 eröffnet.

3

Am 19. November 2007 (Bl. 1 d.A.) beantragte die Sparkasse Hannover die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners gemäß Art. 3 Absatz 2, Art. 27 der Verordnung der Europäischen Union (EulnsVO) mit der Begründung, sie habe gegen den Schuldner Forderungen in einer Gesamthöhe von 3 594 492,77 € sowie aus einer Eventualverbindlichkeit aus einer übernommenen Bürgschaftsverpflichtung in Höhe von 235 194,00 €, aufgrund der Grundschuldbestellungsurkunden vom 15. Mai 1997 und 7. Juni 1998 sei sie Inhaberin von titulierten Forderungen in Höhe von 276 097,00 € und 2 495 104,00 €, die Zwangsversteigerungen und Zwangsverwaltungen der durch sie beliehenen Objekte seien anhängig (Amtsgericht Hannover ...), der Schuldner sei seit dem 1. Januar 2007 leitender Arzt und Facharzt für Ästhetisch-Plastische Chirurgie der ... GmbH in Hannover, Geschäftsführer sei der Sohn des Schuldners.

4

Durch Beschluss vom 12. Dezember 2007 (Bl. 40 d.A.) eröffnete das Amtsgericht Hannover das Sekundärinsolvenzverfahren gemäß Art. 27,28 der EulnsVO und bestellte der Rechtsanwalt ... zum Insolvenzverwalter. Das Amtsgericht begründete seine Anordnung damit, dass der Schuldner zahlungsunfähig sei, da am 3. September das Insolvenzverfahren durch den High Court of justice eröffnet worden sei, die Sparkasse antragsberechtigt sei und diese den erforderlichen Vorschuss gezahlt habe.

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Mit Schreiben vom 27. Dezember 2007 (Bl. 71 d.A.) legte der Schuldner gegen den Beschluss vom 12. Dezember 2007 sofortige Beschwerde mit der Begründung ein, die Voraussetzungen für die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens über sein in Deutschland belegenes Vermögen seien nicht gegeben, weil nach Art. 3 Absatz 2 EulnsVO ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates nur dann zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens befugt sei, wenn der Schuldner eine Niederlassung im Gebiet des anderen Mitgliedsstaates habe, was bei ihm, dem Schuldner, aber nicht der Fall sei, weil er nicht Gesellschafter der ... GmbH sei und auch in keinem sonstigen vertraglichen Verhältnis zur ... GmbH stehe, im Auftrag seines Arbeitgebers in London erbringe er tageweise ärztliche Leistungen in der ... GmbH in Hannover, über diesen Sachverhalt und die Höhe des an ihn in Großbritannien gezahlten Gehaltes habe der Public Receiver die Gläubiger bereits mit Schreiben vom 3. September 2007 in Kenntnis gesetzt.

6

Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 4. Januar 2008 (Bl. 73 d.A.) mit der Begründung nicht abgeholfen, unter einer Niederlassung nach Art. 2 lit. h, Art. 3 Absatz 2, Art. 27 ff EulnsVO sei keine Niederlassung im handelsrechtlichen Sinne, sondern lediglich eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit zu verstehen, unstreitig sei der Schuldner als Chefarzt der ... GmbH tätig, was nach außen so beworben werde, soweit Art. 2 lit h EulnsVO der Einsatz von personellen und finanziellen Mitteln voraussetze, seien diese in Form der Klinik gegeben, die Tätigkeit des Schuldners im Ausland setze mehr als ein Mindestmaß an Organisation voraus, selbst wenn der Schuldner nicht an der Klinik beteiligt sei, dürfte er dem Personal gegenüber direkt weisungsbefugt sein, so dass nicht von unabhängigen Personen auszugehen sei, es erscheine abwegig, wenn der Schuldner behaupte, er sei kostenlos als Chefarzt tätig und erhalte von seinem britischen Arbeitgeber lediglich umgerechnet 1 600,00 €, so dass auch von einer dauerhaften wirtschaftlichen Tätigkeit an der Klinik in Hannover auszugehen sei.

7

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 25. Januar 2008 (Bl. 84 d.A.) hat der Schuldner weiterhin vortragen lassen, die Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahrens in Hannover sei unzulässig, nachdem bereits der High Court of justice ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet habe, auch ein Sekundärinsolvenzverfahren, das zwar grundsätzlich auch über das Vermögen von natürlichen Personen zulässig sei, sei hier deswegen nicht zulässig, weil er, der Schuldner, keine nach Art. 27, Art. 3 Absatz 2 EulnsVO erforderliche Niederlassung in Deutschland habe. Er habe seinen Wohnsitz und ständigen Aufenthalt in England, wo er mit seiner Ehefrau lebe, er sei als Arzt bei der ... Ltd. angestellt, die ausschließlich in England tätig sei, ausschließlich dort beziehe er ein regelmäßiges Einkommen aus abhängiger Beschäftigung, die ... Ltd kooperiere mit der ... GmbH in Hannover, aus diesem Grund werde er im Auftrag seines Arbeitgebers für zwei Tage in der Woche nach Hannover entsandt, er sei weder Gesellschafter noch Director bzw. Geschäftsführer der ... Ltd. bzw. der ... GmbH. er habe keine wirtschaftliche Aktivität in Deutschland, er beschäftige kein Personal und sei auch gegenüber dem Personal nicht weisungsbefugt.

8

II.

Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist zulässig, sie ist aber unbegründet.

9

1. Die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners durch den High Court of Justice ist durch ein Gericht in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich nicht nachzuprüfen. Gemäß Art. 16 EulnsVO ist die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein nach Art. 3 EulnsVO zuständiges Gericht eines Mitgliedsstaates in allen übrigen Mitgliedsstaaten anzuerkennen, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist. Die Eröffnung eines Verfahrens nach Art. 3 Absatz 1 EulnsVO entfaltet in jedem anderen Staat, ohne dass es hierfür irgendwelcher Förmlichkeiten bedürfte, die Wirkungen, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt, sofern die EulnsVO nichts anderes bestimmt und solange in diesem anderen Mitgliedsstaat kein Verfahren nach Art. 3 Absatz 2 EulnsVO eröffnet ist (Art. 17 Absatz 1 EulnsVO).

10

Ordre publik-Verstöße gemäß Art. 26 EulnsVO werden nicht geltend gemacht und sind auch im übrigen nicht ersichtlich.

11

2. Aufgrund der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens durch den High Court of Justice ist für die Eröffnung eines weiteren Hauptinsolvenzverfahrens durch das Amtsgericht Hannover kein Raum, das nach Art. 3 Absatz 3 EulnsVO ohnehin nur ein Sekundärinsolvenzverfahren wäre. Dieses ist durch das Amtsgericht auch nicht beabsichtigt, vielmehr hat das Amtsgericht ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet.

12

3. Nach Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens durch den High Court of Justice ist die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens durch das Amtsgericht Hannover zulässig.

13

Nach Art. 27 EulnsVO kann ein nach Art. 3 Absatz 2 EulnsVO zuständiges Gericht eines anderen Mitgliedsstaates ein Sekundärinsolvenzverfahren eröffnen, ohne dass in diesem anderen verfahren die Insolvenz des Schuldners geprüft wird.

14

a) Voraussetzung für die Eröffnung eines inländischen Sekundärverfahrens ist, dass sich im Gebiet des Eröffnungsstaates eine Niederlassung des Schuldners befindet (Art 3 Absatz 2 ff EulnsVO; Eickmann/Stephan, Insolvenzordnung, Heidelberg 2006, Kapitel VIII EulnsVO Art. 27 Rdn. 5). Art. 2 lit h EulnsVO definiert als "Niederlassung" jeden Tätigkeitsort, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität nicht vorübergehender Art nachgeht, die den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt. Ein allenfalls im Inland bestehender Interessenmittelpunkt des Schuldners reicht hierfür ebenso wenig aus wie der bloße Umstand, dass sich allenfalls Vermögen des Schuldners im Zweitstaat befindet (Eickmann/Stephan, a.a.O.; Art. 2 EulnsVO Rdn. 10.) Bei der Frage der Niederlassung stellt die EulnsVO auf einen bestimmten Tätigkeitsort ab, an dem die wirtschaftliche Tätigkeit des Schuldners nach außen erkennbar wird. Dies setzt zunächst voraus, dass der Schuldner an diesem Ort eine wirtschaftliche Aktivität ausüben muss, wobei jedoch die bloße eigene Tätigkeit des Schuldners nicht ausreicht (OLG Wien, Beschluß vom 9.11.2004 - 28 R 225/04 -). Dieser Begriff der Aktivität ist im weitesten Sinn zu verstehen. Es ist mehr als die bloße Vermögensbelegenheit i.S.d. § 23 ZPO, aber weniger als ein Betrieb i.S. des § 613a BGB oder eine Niederlassung i.S.d. Art. 5 Nr. 5 EuGVÜ. Somit ist auch keine Weisungsgebundenheit erforderlich. Vielmehr genügt jede wirtschaftliche Tätigkeit, die nicht einmal auf Gewinnerzielung gerichtet sein muss, wenn sie nur auf einen kumulativen Einsatz von Personal und Vermögenswerten basiert. Ein Einsatz von Personal kann nur dann bejaht werden, wenn die Tätigkeit des Schuldners ein Mindestmaß an Organisation aufweist, in zeitlicher Hinsicht darf die wirtschaftliche Aktivität nicht nur vorübergehend sein (Eickmann/Stephan, a.a.O., Art. 2 EulnsVO, Rdn 10).

15

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zwar hat der Schuldner seinen Wohnsitz seit dem 14. September 2007 wieder in England, nachdem er zunächst vom 16. Mai 2007 bis zum 29. August 2007 an die englische Adresse abgemeldet und danach mit seiner vorherigen Anschrift ... vom 29. August 2007 bis 14. September 2007 gemeldet war. Seit Januar 2007 fungiert der Schuldner aber als leitender Arzt und Prokurist der ... GmbH Fachklinik für ästhetisch-plastische Chirurgie ohne bei dieser angestellt zu sein.

16

Durch seine Stellung als leitender Arzt und Prokorist und seine Tätigkeit als Chirurg bei der ... GmbH in Hannover übt der Schuldner eine nach außen hin wahrnehmbare Aktivität nicht nur vorübergehender Art aus, der Schuldner wird als behandelnder Arzt und Chirurg wahrgenommen, im Internet wird mit dem Namen des Schuldners als Chefarzt geworben. Die wirtschaftliche Tätigkeit des Schuldners als Chirurg basirt auch auf dem Einsatz von Personal, wobei die weit gefasste Legaldefinition des Begriffs der Niederlassung in Art. 2 lt. h EulnsVO keinen Hinweis darauf enthält, dass der Einsatz von Personal nur durch eigene Arbeitnehmer und nicht auch durch andere Personen etwa aufgrund von Aufträgen oder Geschäftsbesorgungsverträgen - erfolgen kann. Im Interesse des Gläubigerschutzes ist der Einsatz eigener Arbeitnehmer für die Begründung einer Niederlassung dann nicht erforderlich, wenn die eingesetzten Personen nach außen hin für den Schuldner aufgetreten sind. Das kann für die Tätigkeit eines Chirurgen sowohl im allgemeinen Praxisbereich als auch im Operationsbereich angenommen werden. Ohne Personal ist weder ein Praxisbetrieb noch ein Operationsbetrieb denkbar. Die dem Schuldner zuarbeitenden Mitarbeiter sind für einen Dritten nach außen erkennbar für den Schuldner tätig geworden. Die Tätigkeit des Schuldners setzt auch ein Mindestmass an Organisation auf, anders ist ein geordneter Praxis- und Operationsbetrieb nicht denkbar.

17

b) Die Zulässigkeit eines Sekundärinsolvenzverfahren ergibt sich nicht aus § 354 InsO. Art. 3 Absatz 2, Art. 2 lit. h EulnsVO. enthalten spezielle Regelungen für die Mitgliedsstaaten der EU (Eickmann/Stephan, a.a.O. § 354 Anm. 1).

18

Die Kostenentscheidung folgt aus § 4 InsO, § 97 ZPO.