Landgericht Hannover
Urt. v. 18.12.2008, Az.: 8 S 59/08
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 18.12.2008
- Aktenzeichen
- 8 S 59/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 43757
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHANNO:2008:1218.8S59.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - 15.07.2008 - AZ: 543 C 5020/08
- nachfolgend
- BGH - 19.03.2009 - AZ: IX ZA 2/09
In dem Rechtsstreit
...
wegen Bereicherung
hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts Hannover auf die mündliche Verhandlung vom 28.11.2008 durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...., den Richter ... und den Richter am Landgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 15.07.2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hannover - Az. 543 C 5020/08 - abgeändert und der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 2 398,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.11.2007 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 229,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.05.2008 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
(Gemäß § 540 ZPO)
I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten aus ungerechtfertigter Bereicherung in Anspruch.
Die Insolvenzschuldnerin beauftragte die Klägerin im Juli 2007 mit der Beerdigung ihres verstorbenen Vaters. Hinsichtlich der Vergütung (2 398,10 €) bevollmächtigte sie die Klägerin, die Leistungen aus zwei Lebensversicherungen in Empfang zu nehmen, die der Vater abgeschlossen und bei denen er jeweils die Insolvenzschuldnerin als Bezugsberechtigte bestimmt hatte. Der Lebensversicherer zahlte die Versicherungssummen (1 040,35 € und 1 686,05 €) an den beklagten Insolvenzverwalter aus.
Der Beklagte lehnte eine Auszahlung an die Klägerin mit der Begründung ab, die Klägerin habe - infolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens - nicht über die Versicherungssummen verfügen können.
Die Klägerin meint demgegenüber, die der Masse zugeflossenen Beträge seien gemäß § 805b Abs. 1 Nr. 4 ZPO unpfändbar, so dass die Insolvenzschuldnerin über diese Gelder habe verfügen können.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beträge seien nicht pfändungsfrei, denn der Pfändungsschutz des § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO betreffe nur den Versicherungsnehmer, nicht den Bezugsberechtigten.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie beanstandet die Rechtsanwendung unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die Vorschrift des § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO diene der Vermeidung öffentlicher Lasten (Bestattung durch den Fiskus). Ohne die Bezugsberechtigungen hätte die Insolvenzschuldnerin die Bestattung nicht bei der Beklagten in Auftrag gegeben. Alle Erben hätten die Erbschaft ausgeschlagen.
Die Klägerin beantragt
das am 15.07.2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hannover - Az. 543 C 5020/08 - abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 2 398,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.11.2007 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 229,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Eine Privilegierung der Bestattungsinstitute sei nicht gewollt. Vielmehr sei die Erbengemeinschaft in Anspruch zu nehmen, ggfs. der Fiskus.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet.
1. Die Kammer vermag der Rechtsansicht des Amtsgerichts nicht zu folgen. Vielmehr ist ein Anspruch der Klägerin auf Auskehr der vereinnahmten Versicherungssummen aus den beiden Lebensversicherungsverträgen aus § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO in Verbindung mit § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BGB begründet.
Die Insolvenzmasse ist ungerechtfertigt bereichert, denn die ausgezahlten Summen sind gemäß § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO unpfändbar, so dass die Insolvenzschuldnerin darüber zugunsten der Klägerin verfügen durfte.
Eine Beschränkung des Regelungsgehalts auf den Pfändungsschutz des Versicherungsnehmers (und seinen Nachlass) ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. Nach dem Wortlaut werden nicht bestimmte Personen einem Pfändungsschutz unterstellt. Vielmehr regelt § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO die Pfändungsfreiheit von "Ansprüchen", ohne dabei hinsichtlich der Person des Anspruchsinhabers zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Bezugsberechtigten zu differenzieren.
Auch der Schutzzweck der Norm steht dem geltend gemachten Bereicherungsanspruch nicht entgegen, denn die seitens des Lebensversicherers ausgezahlten Gelder waren zur Tilgung der Beerdigungskosten bestimmt. § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO dient dem Zweck, die Kosten des Todesfalls zu decken und weder die Angehörigen noch den Staat mit diesen Kosten zu belasten (vgl. BT-Drucksache 8/693, S. 47; BGH - Beschluss vom 12.12.2007 - VII ZB 47/07 ). Diesem Schutzzweck entsprechend sind Lebensversicherungen nicht nur in den Händen des Versicherungsnehmers, sondern auch des im Vertrag Begünstigten unpfändbar (so Schuschke, Bd. I, § 850b ZPO, Rz. 17; a.A. wohl Haase, VersR 2006, 145,148). Dies trifft jedenfalls dann zu, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Bezugsberechtigte als nahestehende Person mit der sog. Totenfürsorge beauftragt ist und die aus der Bezugsberechtigung erwachsenden Ansprüche zur Erfüllung dieser Aufgabe einsetzt. Die von dem Beklagten beanstandete Privilegierung der Bestattungsunternehmen ist dabei nur ein Reflex des bezweckten Pfändungsschutzes bezüglich der Bestattungskosten.
Nach alldem hat der Beklagte die vereinnahmten Lebensversicherungssummen an die Klägerin auszukehren.
2. Der Zinsanspruch bezüglich der Hauptforderung sowie der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten ergibt sich aus Verzug gemäß den §§ 286,288 BGB, denn der Beklagte geriet durch seine Ablehnung vom 26.10.2007, die Lebensversicherungsbeträge auszukehren, in Zahlungsverzug. Hinsichtlich der außergerichtlichen Anwaltskosten folgt der Zinsanspruch aus den §§ 291,288 BGB.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
Die Kammer hat die Revision gemäß § 543 ZPO zugelassen, denn obergerichtliche Entscheidungen sind zu der Frage des Umfangs des Pfändungsschutzes nach § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO sind - soweit ersichtlich - bislang nicht ergangen.