Landgericht Hannover
Urt. v. 20.08.2008, Az.: 6 OH 11/07

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
20.08.2008
Aktenzeichen
6 OH 11/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 43758
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2008:0820.6OH11.07.0A

Fundstelle

  • BauR 2009, 687-690 (Volltext mit red. LS)

In dem selbständigen Beweisverfahren

...

wegen Zwischenstreit gem. § 71 ZPO

hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juli 2008 durch die Richterin

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Der Erklärung der Streitverkündeten zu 1), dem Verfahren auf Seiten des Antragstellers beizutreten, wird als unzulässig zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Zwischenstreits trägt die Streitverkündete zu 1).

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Zulässigkeit einer Erklärung der Streitverkündeten zu 1), mit der diese infolge Streitverkündung durch die Antragsgegnerin dem selbständigen Beweisverfahren auf Seiten des Antragstellers beigetreten ist.

2

Auf Antrag des Antragstellers wurde wegen angeblicher Mängel und Schäden an der durch ihn von der Antragsgegnerin erworbenen Eigentumswohnung in der ... ein selbständiges Beweisverfahren mit dem Ziel der Erstellung eines Sachverständigengutachtens eingeleitet. Die vom Antragsteller behaupteten Mängel betrafen zum einen die Heizungs- und Sanitäranlagen innerhalb der Wohnung und zum anderen Fehler des Parkettbelages sowie von dessen Untergrund.

3

Für den Fall, dass das Sachverständigengutachten im Sinne des Antragstellers ausfallen sollte, verkündete die Antragsgegnerin wegen etwaiger Rückgriffsansprüche hinsichtlich der behaupteten Mängel im Bereich Heizung/Sanitär der Streitverkündeten zu 1) den Streit sowie hinsichtlich der Rügen am Parkettbelag der Streitverkündeten zu 2). Hierbei handelt es sich um die Unternehmen, die im Rahmen der Gesamtsanierung der Wohnung Arbeiten an den streitbetroffenen Gewerken ausgeführt hatten. Die Streitverkündung erfolgte jeweils mit der Aufforderung, dem selbständigen Beweisverfahren auf Seiten der Antragsgegnerin beizutreten.

4

Die Streitverkündete zu 2) erklärte einen solchen Beitritt und verkündete ihrerseits der Streitverkündeten zu 3) als der ausführenden Firma den Streit. Letztere trat dem selbständigen Beweisverfahren ebenfalls auf Seiten der Antragsgegnerin bei.

5

Die Streitverkündete zu 1) erklärte mit Schriftsatz vom 23.04.2008, dem Verfahren auf Seiten des Antragstellers beizutreten. Mit Schriftsatz vom 20.05.2008 widersprach die Antragsgegnerin der Beitrittserklärung und beantragte, die Nebenintervention im Zwischenstreitverfahren zurückzuweisen. Die Streitverkündete zu 1) nahm die Beitrittserklärung mit Schriftsatz vom 21.07.2008 zurück.

6

Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, dass die Streitverkündete zu 1) kein rechtliches Interesse an einem Beitritt auf Seiten des Antragstellers habe.

7

Die Antragsgegnerin beantragt,

  1. die mit Schriftsatz vom 23.04.2008 erklärte Nebenintervention der Streitverkündeten zu 1) zurückzuweisen.

8

Die Streitverkündete zu 1) beantragt,

  1. den mit Schriftsatz vom 23.04.2008 erklärten Beitritt auf Seiten des Antragstellers für zulässig zu erklären.

9

Der Antragsteller beantragt,

  1. den Beitritt der Streitverkündeten zu 1) zurückzuweisen.

10

Die Streitverkündete zu 1) vertritt die Auffassung, durch ihren Beitritt auf Seiten des Antragstellers einen späteren Rechtsstreit der Parteien verhindern zu können. Die vom Antragsteller hinsichtlich der Arbeiten an den Heizungs- und Sanitäranlagen aufgestellten Behauptungen träfen zu. Bereits bei Ausführung der Sanierungsarbeiten habe sie die Antragsgegnerin auf die Notwendigkeit des Einbaus einer Druckerhöhungsanlage hingewiesen, was jedoch vom Bauherrn zumindest vorläufig abgelehnt worden sei.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien und Beteiligten nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.07.2008 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Das Zwischenstreitverfahren ist zulässig gem. § 71 Abs. 1 ZPO. Der von Seiten der Antragsgegnerin erklärte Zwischenstreit ist auch begründet. Ein rechtliches Interesse der Streitverkündeten zu 1), dem selbständigen Beweisverfahren auf Seiten des Antragstellers beizutreten, besteht nicht.

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1. Die Vorschriften der ZPO über die Streitverkündung und damit gem. § 74 Abs. 1 ZPO die Möglichkeit eines Zwischenstreitverfahrens i.S.d. § 71 ZPO finden auch im selbständigen Beweisverfahren Anwendung. Eine Streitverkündung ist nicht nur im streitigen Verfahren zulässig. §§ 72 ff. ZPO gelten im selbständigen Beweisverfahren entsprechend ( BGH, Urteil vom 05.12.1996, VII ZR 108/95 ).

14

Zwar erschöpft sich das selbständige Beweisverfahren in einer bloßen Beweiserhebung; ein "Rechtsstreit" i.S.d. § 72 Abs. 1 ZPO liegt nicht vor. Dennoch trägt das selbständige Beweisverfahren Züge eines kontradiktorischen Verfahrens zwischen Antragsteller und Antragsgegner, die bezüglich der dem Beweisthema zugrundeliegenden Tatsachen unterschiedliche Ansichten vertreten.

15

Ziel des selbständigen Beweisverfahrens ist es, Prozesse oder zumindest mehrfache Beweisaufnahmen wegen des gleichen Gegenstandes mit der Gefahr einander widersprechender Ergebnisse zu vermeiden. Dasselbe Ziel verfolgen die Regelungen der §§ 66 ff. ZPO über die Nebenintervention und die Streitverkündung. Über die sog. Interventionswirkung kann ein Verfahren Bindungswirkungen gegenüber einem hieran nicht als Partei beteiligten Dritten entfalten. Es sind keine Bedenken ersichtlich, diese sich gleichsam in zwei Richtungen erstreckenden Bindungsmöglichkeiten zu kombinieren und über die entsprechende Anwendung der §§ 66 ff. ZPO im selbständigen Beweisverfahren zu konzentrieren.

16

Dementsprechend kann im Wege des Zwischenstreits gem. §§ 74 Abs. 1, 71 Abs. 1 ZPO bereits im selbständigen Beweisverfahren die Zulässigkeit eines erklärten Streitbeitritts überprüft werden. Im Hinblick auf die Folgen, die aus der Kombination des selbständigen Beweisverfahrens mit der Streitverkündung für einen etwaigen gegen den Streitverkündeten angestrengten Folgeprozess entstehen können, besteht ein Interesse daran, Fälle zweifelhafter Zulässigkeit so früh wie möglich klären zu lassen. Die Tatsache, dass der Zwischenstreit mittels Zwischenurteils i.S.d. § 303 ZPO zu entscheiden ist, wohingegen die Entscheidungsform des Urteils dem selbständigen Beweisverfahren im Übrigen fremd ist, steht dem nicht entgegen. Es handelt sich hierbei um ein sog. unechtes Zwischenurteil, das nicht zwischen den Parteien des selbständigen Beweisverfahrens unmittelbar, sondern zwischen einer Partei und einem Dritten ergeht und mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde angreifbar ist gem. § 71 Abs. 2 ZPO. Da mittels Zwischenurteil nur die rechtliche Frage der Zulässigkeit des Streitbeitritts zwischen der Partei und dem Dritten verbindlich geklärt wird, setzt sich das Zwischenstreitverfahren zu den Verfahrensgrundsätzen des selbständigen Beweisverfahrens nicht in Widerspruch.

17

Die Erklärung des Zwischenstreits wurde nicht durch die zwischenzeitliche Rücknahme der Beitrittserklärung der Streitverkündeten zu 1) gegenstandslos. Diese entfaltet keine Rückwirkung, sondern wirkt nur ex nunc. Eine im Falle der Zulässigkeit der Beitrittserklärung eingetretene Interventionswirkung wird durch die Rücknahme nicht berührt (Zöller/Vollkommer, § 70 RN 1, § 68 RN 3, § 66 RN 18). Insoweit hat die Antragsgegnerin ein fortbestehendes Interesse, die Zulässigkeit der Beitrittserklärung rechtlich überprüfen zu lassen.

18

2. Die Erklärung der Streitverkündeten zu 1), dem selbständigen Beweisverfahren entgegen der Aufforderung der Antragsgegnerin auf Seiten des Antragstellers beizutreten, ist unzulässig. Ein rechtliches Interesse an diesem Beitritt i.S.d. § 66 Abs. 1 ZPO hat die Streitverkündeten zu 1) nicht dargetan.

19

Der Begriff des rechtlichen Interesses ist weit zu fassen. Es ist zu bejahen, wenn die Entscheidung des Verfahrens - durch Inhalt oder Vollstreckung - mittelbar oder unmittelbar auf die privaten oder öffentlich rechtlichen Verhältnisse des Nebenintervenienten bzw. Streitverkündeten rechtlich günstig oder ungünstig einwirken kann (Zöller/Vollkommer, 26. A. 2007, § 66 RN 8). Grundsätzlich genügt die Tatsache der Streitverkündung, ein rechtliches Interesse des Streitverkündeten im vorgenannten Sinne zu begründen. Dieser muss mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme in einem Folgeverfahren rechnen. Den hierdurch zu erwartenden Auswirkungen auf seine privatrechtlichen Beziehungen zu der den Streit verkündenden Partei kann er durch seine Teilnahme am Verfahren begegnen, wobei es ihm freisteht, auch dem Gegner des den Streit Verkündenden beizutreten. Ein darüber hinausgehendes rechtliches Interesse muss er, unabhängig davon, auf wessen Seite er dem Verfahren beitritt, grundsätzlich nicht darlegen.

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Anders liegt es jedoch, worauf das Gericht mit Verfügung vom 23.06.2008 hingewiesen hat, wenn der Streitverkündete dem Gegner des Verkündenden beitritt und der Verkündende diesem Beitritt sodann widerspricht. In diesen Fällen genügt der bloße Verweis des Beitretenden auf die Tatsache der Streitverkündung nicht, um ein ausreichendes rechtliches Interesse an dem von ihm gewählten Beitritt darzutun (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 74 RN 1). Hierzu führt die Streitverkündete zu 1) aus, mittels ihrer Unterstützung des Antragstellers und dem gesetzlich durch § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO verankerten Bestreben der Vermeidung eines Folgeprozesses entsprechend darlegen zu können, dass die unter Beweis gestellten Behauptungen des Antragstellers zur Mangelhaftigkeit der Heizungs- und Sanitäranlagen zutreffend seien und dass dies der Antragsgegnerin mit der Folge ihrer materiell-rechtlichen Einstandspflicht auch bekannt gewesen sei. Die hiermit vorgetragenen materiell-rechtlichen Erwägungen begründen kein rechtliches Interesse der Streitverkündeten zu 1), den Antragsteller im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens zu unterstützen.

21

Zum einen handelt es sich hierbei um materiell-rechtliche Aspekte, die für die Entscheidung eines Rechtsstreits zwischen den Parteien relevant sein mögen, im selbständigen Beweisverfahren jedoch keine Beachtung finden können. Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens ist ausschließlich eine Begutachtung durch einen Sachverständigen zu einem der in § 485 Abs. 2 S. 1 ZPO abschließend genannten Themen. Die Frage, ob die Antragsgegnerin von der möglichen Ursache eines durch Sachverständigengutachten festzustellenden Zustandes einer Sache nebst der ggf. zu seiner Behebung erforderlichen Kosten Kenntnis hatte, beeinflusst Inhalt, Verlauf und Ausgang des selbständigen Beweisverfahrens nicht. Ebenso ist es für die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens ohne Belang, ob sich der Antragsteller von den Ausführungen der Streitverkündeten zu 1) bei seiner Entscheidung beeinflussen lassen kann, Klage gegen die Antragsgegnerin zu erheben, oder ob die Antragsgegnerin sich veranlasst sehen kann, etwaige Mängel anzuerkennen und auf diese Weise eine streitige Auseinandersetzung zu vermeiden. Die hypothetischen Möglichkeiten der Entwicklung des Verhältnisses zwischen den Parteien haben auf die zu bejahende Frage, ob angesichts der außergerichtlich geäußerten ablehnenden Haltung der Antragsgegnerin ein rechtliches Interesse des Antragstellers an einem selbständigen Beweisverfahren im Sinne des § 485 Abs. 2 S. 2 ZPO besteht, keinen Einfluss. Das gem. § 486 ZPO zuständige Gericht tritt insoweit nicht in eine Erheblichkeitsprüfung ein, die dem durch § 485 Abs. 2 S. 1 ZPO gezogenen engen inhaltlichen Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens widersprechen würde.

22

Zum anderen handelt die Streitverkündete zu 1) durch den Beitritt ihren eigenen Interessen zuwider. Die Antragsgegnerin hat ihr den Streit verkündet wegen etwaiger Rückgriffsansprüche für den Fall, dass sich die Mängel an den Heizungs- und Sanitäranlagen bestätigen sollten. Indem die Streitverkündete zu 1) dem Antragsteller, zu dessen Vorbringen sie sich gem. § 67, 2. Halbs.a.E. ZPO nicht in Widerspruch setzen darf, beitritt, unterstützt sie seine Behauptung der Mangelhaftigkeit eines von ihr erstellten Werkes. Hierdurch förderte sie zugleich die Gefahr, von der Antragsgegnerin im Regresswege zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch genommen zu werden. Ein Interesse hieran ist nicht ersichtlich.

23

Zwar bestünde eine solche Gefahr in geringem Umfang auch im Falle eines Beitritts auf Seiten der Antragsgegnerin. Gemäß Ziffer I. 6. des Beweisbeschlusses vom 07.08.2008 soll auf Antrag der Antragsgegnerin der Sachverständige feststellen, ob etwaige Mängel auf Planungs- oder Ausführungsfehlern beruhen und damit aus dem Verantwortungsbereich der Streitverkündeten zu 1) stammen. Doch betrifft dieser Aspekt nur eine Teilfrage des Gesamtkomplexes der behaupteten Mängel. Demgegenüber würde sich die Streitverkündete zu 1) bei einem Beitritt auf Seiten des Antragstellers hinsichtlich des Bestehens der Mängel vollständig in Widerspruch zu ihren eigenen Interessen setzen.

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3. Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

25

Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit gründet sich auf § 708 Nr. 11 ZPO.

Munk