Landgericht Hannover
Urt. v. 12.08.2008, Az.: 62 c 30/08
Aufdruck; Beförderungserschleichung; Beförderungsleistung; Erschleichen von Leistungen; Kundgabe; Leistungserschleichungswille; Schwarzfahren; Schwarzfahrer; Schwarzfahrt; T-Shirt; öffentliches Verkehrsmittel
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 12.08.2008
- Aktenzeichen
- 62 c 30/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 55022
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG - 11.01.2008 - AZ: 312 Ds 204/07
Rechtsgrundlagen
- § 265a Abs 1 StGB
Tenor:
Die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Hannover - Jugendrichter - vom 11.01.2008, Az.: 312 Ds 204/07, wird verworfen.
Gerichtsgebühren werden für das Berufungsverfahren nicht erhoben. Eine Auslagenerstattung findet nicht statt.
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Jugendrichter - in Hannover hat die Angeklagte am 11.01.2008 wegen Erschleichens von Leistungen in 3 Fällen verurteilt und unter Anwendung von Jugendrecht angewiesen, 5 Tage gemeinnützige Hilfsdienste nach näherer Weisung der Jugendgerichtshilfe abzuleisten. Dagegen richtet sich das mit Schriftsatz vom 14.01.2008 ihres Verteidigers Rechtsanwalt ... eingelegte Rechtsmittel, das dieser mit weiterem Schriftsatz vom 10.08.2008 als Berufung konkretisiert und auch zuvor nicht weiter begründet hat. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben.
II.
Die Angeklagte ist ledig und hat keine Kinder. Eine Berufsausbildung beginnt sie am 22.08.2008, nachdem sie inzwischen ihren Hauptschulabschluss erworben hat. Sie wurde in Osnabrück geboren. Ihre Eltern sind seit langem getrennt. Die Hauptschule in Osnabrück hatte die Angeklagte wegen Fehlzeiten abgebrochen. Sie lebte zwischendurch auch in der Türkei, nachdem sie von ihrem Vater, einem deutschen Sinti, zu ihrer Mutter, einer gebürtigen Türkin, geflohen war. Derzeit lebt sie noch bei ihrer Mutter, die mit ihr mehrfach umzog.
Sie war früher Leistungssportlerin und hatte 6 Jahre lang geboxt. Mit 17 Jahren war sie deutsche Jugendmeisterin im Boxen. Derzeit erhält sie ca. 200,00 € monatlich.
Die Angeklagte ist bisher 5-mal strafrechtlich in Erscheinung getreten:
1. …
2. …
3. …
4. …
5. ...
III.
1. Die Angeklagte fuhr am 12.02.2007 gegen 12.26 Uhr mit der Linie 11 in Fahrtrichtung Z., als sie im Bereich der Haltestelle K. von dem Fahrausweisprüfer ... kontrolliert wurde. Sie hatte zwar einen Fahrausweis, diesen bewusst jedoch nicht entwertet, um ihn bei späterer Gelegenheit noch einmal verwenden zu können. Gegenüber dem Fahrausweisprüfer gab sie wahrheitswidrig an, die Entwertung versehentlich vergessen zu haben.
2. Am 04.03.2007 befuhr sie gegen 7.21 Uhr die Stadtbahn der Linie 3 in Richtung A., als sie an der Haltestelle Hauptbahnhof von dem damaligen Fahrausweisprüfer ... kontrolliert wurde. Sie hatte, wie sie bereits bei Betreten der Stadtbahn wusste, keinen Fahrausweis bei sich.
3. Am 05.03.2007 befuhr sie gegen 13.57 Uhr die Stadtbahn der Linie 10 in nicht mehr aufklärbarer Fahrtrichtung, als sie im Bereich der Haltestelle C. von dem Fahrausweisprüfer ... kontrolliert und dabei ohne Fahrausweis angetroffen wurde.
Die Kammer kann nicht ausschließen, dass die Angeklagte bei sämtlichen dieser Fahrten jeweils deutlich erkennbar ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Rechtlicher Hinweis: Ich habe den Fahrpreis nicht bezahlt und bin deshalb Schwarzfahrer“ trug.
IV.
Der vorstehende Sachverhalt steht nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der geständigen Einlassung der Angeklagten fest. Diese hat sich dahingehend eingelassen, dass sie stets bei „Schwarzfahrten“ ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Rechtlicher Hinweis: Ich habe den Fahrpreis nicht bezahlt und bin deshalb Schwarzfahrer“ getragen habe und in allen 3 Fällen bewusst ohne gültigen Fahrschein bzw. ganz ohne Fahrschein gefahren sei.
An der Richtigkeit der Angaben der Angeklagten bestehen keinerlei Zweifel. Diese wurden hinsichtlich der einzelnen Fahrten von den als Zeugen gehörten Fahrausweisprüfern bestätigt.
Die Kammer ist auch hinsichtlich der ersten Fahrt trotz der Tatsache, dass die Angeklagte dabei einen Fahrausweis bei sich hatte, davon überzeugt, dass sie bewusst bereits bei Fahrtantritt den Fahrausweis nicht entwertet hat, um diesen später noch benutzten zu können und so wusste, dass sie ohne gültigen Fahrausweis fuhr und hierbei handelte, um das Beförderungsentgelt zu ersparen. Dies ergibt sich aus ihrer geständigen Einlassung, an deren Richtigkeit die Kammer nicht zweifelt.
Sämtliche der als Zeugen vernommenen Fahrausweisprüfer konnten sich nicht daran erinnern, dass die Angeklagte das T-Shirt mit dem Aufdruck trug, als sie die Angeklagte kontrollierten. Sie konnten dies jedoch auch nicht ausschließen. Sie haben insoweit übereinstimmend und glaubhaft angegeben, ihnen wäre dies auch nicht besonders aufgefallen. Sie hätten diesem keine besondere Bedeutung beigemessen, wenn sie nicht extra von der Angeklagten auf ein solches T-Shirt aufmerksam gemacht worden wären. Sie hätten sich jeweils darauf konzentriert, die Fahrausweise zu kontrollieren und bei deren Fehlen oder deren Ungültigkeit die Identität der Betroffenen festzustellen. Nur dieses würden sie üblicherweise auch in ihren Berichten vermerken.
Angesichts dessen kann die Kammer nicht ausschließen, dass die Einlassung der Angeklagten richtig ist, ein solches T-Shirt jeweils getragen zu haben.
V.
Die Angeklagte hat durch ihr Verhalten in 3 Fällen den Tatbestand der Leistungserschleichung i. S. d. § 265a Abs. 1 StGB verwirklicht. Sie hat sich mit einem öffentlichen Verkehrsmittel befördern lassen, ohne das Entgelt zu bezahlen. Sie handelte insoweit auch zweckgerichtet.
Es fehlt aber auch nicht an dem Tatbestandsmerkmal des Erschleichens i. S. d. § 265a Abs. 1 StGB.
Zwar besteht in der Rechtsprechung und in der Literatur Einigkeit, dass nicht schon jedes unentgeltliche Inanspruchnehmen trotz Zahlungspflichtigkeit einer Beförderung durch ein öffentliches Verkehrsmittel ein Erschleichen i. S. d. § 265 a Abs. 1 StGB darstellt. Anders als die herrschende Lehre ist jedoch die Kammer mit der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung der vom Bundesverfassungsgericht unbeanstandet gebliebenen Auffassung (vgl. BVerfG NJW 1998, 1135 [BVerfG 09.02.1998 - 2 BvR 1907/97], zitiert nach Juris), dass auch die Inanspruchnahme der Beförderungsleistung mit einem Anschein der Ordnungsgemäßheit für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des Erschleichens ausreicht. In weiterer Konkretisierung dieser Voraussetzung ist die Kammer der Auffassung, dass entscheidend der Anschein der Ordnungsgemäßheit nicht gegenüber den übrigen Mitfahrgästen ist. Käme es hierauf an, hätte die Angeklagte sicherlich die Beförderungsleistung nicht erschlichen.
Entscheidend ist jedoch, dass für die von dem Beförderungsunternehmen eingesetzten Personen, die über die Erbringung der Beförderungsleistung an die Angeklagte zu entscheiden hätten, der Anschein des ordnungsgemäßen Betriebes nicht seitens der Angeklagten erschüttert wurde. Gerade diesen Personen gegenüber, also einem etwaigen Kontrolleur oder den Stadtbahnfahrern hat sich die Angeklagte jedoch auch ihrer eigenen Einlassung zufolge gerade nicht bereits vor Fahrtantritt als „Schwarzfahrerin“ zu erkennen gegeben. Wäre dies geschehen, so wäre sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mit der Stadtbahn gefahren, sondern ihr die Fahrt gerade nicht gestattet worden seitens dieser Personen. Die spätere Offenbarung des „Schwarzfahrens“ ändert nichts an der Tatbestandserfüllung bis zu diesem Zeitpunkt.
Dem steht auch nicht entgegen, dass die Ü. als Verkehrsbetrieb, dessen Leistung die Angeklagte in Anspruch nahm, höchstwahrscheinlich generell davon ausgeht, dass nicht alle Fahrgäste den Fahrpreis entrichten. Entscheidend ist, ob sie konkrete Anhaltspunkte darauf hatten, dass gerade die Angeklagte ohne Entrichtung des Fahrpreises ihre Leistung in Anspruch nimmt.
Endlich ist es aber auch unschädlich, dass die Ü. keine Kontrollen eingerichtet hat, um „Schwarzfahrten“ zu verhindern. Dies nimmt dem Fahren ohne Entrichtung des Entgeltes bei gleichzeitiger Erweckung des Anscheins der Ordnungsgemäßheit gerade nicht den Charakter des Erschleichens. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Ü. dadurch gerade darauf verzichtet hat, dass das Entgelt entrichtet wird und mithin einen tatbestandsausschließendes Einverständnis erklärt hat. Auch wird dem Erschleichen im oben genannten Sinn nicht dadurch die Heimlichkeit genommen, dass die Ü. nicht ihrerseits selbst zur Aufdeckung des Erschleichens im Vorfeld beigetragen hat. Denn dies ändert nichts an dem Unwissen der Verantwortlichen der Ü. hinsichtlich des „Schwarzfahrens“ der Angeklagten.
Endlich kann gegen die Ansicht der Kammer bei ihrer Auslegung des Tatbestandsmerkmals des Erschleichens nicht vorgebracht werden, die Ü. bedürfe des Schutzes aufgrund der fehlenden Kontrollstellen nicht. Der strafrechtliche Schutz wird allgemein nicht nur demjenigen zuteil, der sich selbst nach Kräften gegen Straftaten schützt, sondern der Allgemeinheit unabhängig hiervon.
Es ist bei der Angeklagten auch nicht von einem unvermeidbaren Verbotsirrtum, der ihre Schuld entfallen lassen würde, auszugehen. Zwar hat sie insoweit glaubhaft angegeben, ihr sei zuvor gesagt worden, wenn sie dieses T-Shirt trage, könne ihr in strafrechtlicher Hinsicht nichts passieren. Diese Ansicht hat sie jedoch nicht durch Einholung kompetenten Rechtsrates absichern lassen.
VI.
Die zur Tatzeit 19 Jahre und 3 bzw. 4 Monate alte Angeklagte war nach Jugendrecht zu sanktionieren. Wie schon das Amtsgericht Hannover zutreffend in dem angefochtenen Urteil ausgeführt hat, war der Werdegang der Angeklagten zur Tatzeit nicht unproblematisch. Sie hatte sich von ihrer Mutter überhaupt noch nicht abgenabelt. Eine Verselbständigung stand noch aus. Auch der schulische und berufliche Werdegang war zum damaligen Zeitpunkt alles andere als geordnet und noch nicht abgeschlossen. All dies lässt Reifeverzögerungen als nicht ausgeschlossen erscheinen. Daher war Jugendrecht anzuwenden.
Wie auch das Amtsgericht hatte die Kammer zu berücksichtigen, dass die Angeklagte sich auf der einen Seite zwar geständig eingelassen hat, auf der anderen Seite aber mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten war. Andererseits war zugunsten der Angeklagten zu berücksichtigen, dass die Einbeziehung der unter I. Nr. 5 genannten Vorstrafe wegen Verbüßung nicht einbezogen werden konnte. Des Weiteren war zu Gunsten der Angeklagten zu berücksichtigen, dass sie sich in ihrem letzten Wort auch reuig gezeigt und glaubhaft versichert hat, in Zukunft keine „Schwarzfahrten“ mehr begehen zu wollen.
Angesichts dessen war die Weisung, die das Amtsgericht verhängt hat, in Höhe von 5 Tagen gemeinnützige Hilfsdienste nach näherer Weisung der Jugendgerichtshilfe in keiner Weise zu beanstanden.
Soweit die Angeklagte möglicherweise einem vermeidbaren Verbotsirrtum erlegen ist, kam eine Milderung der Sanktion deshalb nicht in Betracht. Denn dieser Irrtum wäre allzu leicht vermeidbar gewesen.
VI.
Die Kammer hat davon abgesehen, der Angeklagten die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen nach § 74 JGG i. V. m. § 109 Abs. 2 JGG. Aufgrund der Tatsache, dass sie am 22.08.2008 eine Lehrstelle antritt und daher über beschränkte finanzielle Einnahmen verfügt, hat die Kammer es allerdings für angemessen gehalten, sie ihre eigenen Auslagen selbst tragen zu lassen.