Landgericht Hannover
Urt. v. 27.05.2008, Az.: 18 O 159/06
All-inclusive-Paket; Anlagestelle; Boot; Bootsausflug; Einstiegshilfe; Einstiegsmöglichkeit; Geschehensablauf; Höhenunterschied; Kenntnis; Mitverschulden; Mängelbeschreibung; Mängelrüge; Nichtanbieten; Ort; Passagiere; Quadrizepssehnenriss; Reisemangel; Reisender; Reiseveranstalter; Sachverhaltsaufklärung; Schaden; Schiffsmannschaft; Schmerzensgeld; Sprung; Unkenntnis; Verletzung
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 27.05.2008
- Aktenzeichen
- 18 O 159/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 55000
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 253 Abs 2 BGB
- § 254 Abs 1 BGB
- § 651f Abs 1 BGB
- § 651g BGB
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.000,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 11. März 2006 sowie weitere 126,68 € zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 80 %, die Beklagte zu 20 %.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Kläger buchte bei der Beklagten, einem Reiseveranstalter, für die Zeit vom 07. bis 22.11.2005 eine Flugreise zu den Malediven, Rasdu-Atoll, Hotelanlage Coconut Village für sich und seine Lebensgefährtin, die Zeugin …. Laut dem Prospekt der Beklagten gehörte zu dem All-inclusive-Paket ein Bootsausflug mit der Bezeichnung Rasdhoo-Shopping. Insoweit wird auf den Prospekt Bl. 10 d. A. verwiesen.
Am 14.11.2005 beabsichtigte der Kläger zusammen mit seiner Lebensgefährtin und den Zeugen eine entsprechende Bootsfahrt vorzunehmen. Das zur Verfügung gestellte Boot verfügte im Bereich des Einstiegs über keine Treppe oder Leiter, um den Höhenunterschied, der zwischen den Parteien streitig ist, zu überwinden. Der Kläger entschloss sich daher, wie zuvor seine Lebensgefährtin, in das Boot zu springen, wobei schon ca. 20 Fahrgäste im Boot anwesend waren. Nach dem Sprung in das Boot klagte der Kläger über erhebliche Schmerzen im rechten Knie. Er konnte das Boot nicht mehr ohne fremde Hilfe verlassen. Laut Bericht des örtlichen Krankenhauses war die Quadrizepssehne im rechten Knie abgerissen. Am nächsten Tag trat der Kläger seinen Rückflug nach Hause an und wurde operiert, wobei die genauen Verletzungsfolgen zwischen den Parteien ebenfalls streitig sind.
Mit Schreiben vom 29.11.2005 schickte der Kläger an die Beklagte einen sog. „Unfallbericht“ der mit folgendem Satz endete:
„Zu diesem geschilderten Sachverhalt erwarte ich von Ihnen eine für beide Seiten zufriedenstellende Stellungnahme“ (Bl. 13 d. A.).
Die Beklagte ihrerseits lehnte mangels schuldhafter Unfallverursachung eine Haftung ab und erstattete dem Beklagten wegen nicht in Anspruch genommener Leistung 900,00 € für zwei Personen, wobei aus Kulanzgründen auf eine Bearbeitungsgebühr verzichtet wurde.
Der Kläger behauptet, sich bei dem Sprung in das Boot einen Quadrizepssehnenriss rechts zugezogen zu haben, wobei der Höhenunterschied zwischen Boot und Anlegerstelle ca. 1,50 m betragen habe. Er sei verletzungsbedingt stationär vom 15. bis 26.11.2005 behandelt worden und darüber hinaus vom 28.11.2005 bis 10.04.2006 in ambulanter fachärztlicher chirurgischer Behandlung gewesen. Er habe bis zum 23.12.2005 einen Verband tragen und bis zum 20.01.2006 Unterarmgehstützen benutzen müssen. Auch heute noch sei er körperlich nicht vollständig wiederhergestellt, sondern leide noch unter den Folgen der Verletzungen. Aufgrund der Verletzungen ist der Kläger der Ansicht, dass ihm ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 10.000,00 € zustehe. Darüber hinaus wird die Hälfte der außergerichtlichen Geschäftsgebühr bei einem Streitwert von 10.000 € geltend gemacht.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn wegen des Unfallereignisses vom 14.11.2005 ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.11.2005 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Verzugsschaden in Höhe von 389,65 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, dass zwei Bootsjungen den Reisenden jeweils eine Hilfe beim Einstieg angeboten hätten. Dies habe der Kläger jedoch abgelehnt und sei eigenverantwortlich gesprungen. Darüber hinaus habe der Höhenunterschied nur maximal 80 cm betragen. Sie ist der Ansicht, dass vorliegend die Monatsfrist zur Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Beklagte gem. § 651 e BGB nicht eingehalten worden sei. Aus der vom Kläger gewählten Formulierung ergebe sich gerade nicht, dass der Kläger tatsächlich finanzielle Ansprüche gegen die Beklagte stellen wolle.
Außerdem scheitere ein vertraglicher Schmerzensgeldanspruch an der bloßen Vermittlungsleistung des Ausfluges durch die Beklagte, die ordnungsgemäß erbracht worden sei.
Jedenfalls müsse sich der Kläger jedoch ein erhebliches Mitverschulden an seiner Verletzung zurechnen lassen, das vorliegend zu einem vollständigen Haftungsausschluss der Beklagten führe. Der Kläger sei, obwohl ihm der Höhenunterschied unstreitig bekannt gewesen sei, eigenverantwortlich gesprungen, ohne von Dritten Hilfe zu erbitten.
Das Gericht hat über die Frage, ob dem Kläger von Seiten des Bootspersonals Hilfe angeboten wurde und wie hoch der Höhenunterschied tatsächlich gewesen ist, Beweis erhoben. Insoweit wird auf die schriftlichen Aussagen des Zeugen … sowie die im Wege der Rechtshilfe vorgenommene Vernehmung der Zeugen … verwiesen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist teilweise begründet.
1. Dem Kläger steht gem. § 651 f Abs. 1 BGB i. V. m. § 253 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 2.000,00 € zu.
a) Der Kläger hat sich vorliegend aufgrund eines Mangels der Reise verletzt. Wie die Beweisaufnahme ergeben hat, war bei dem Boot für die von der Beklagten angebotene Rasdhoo-Shopping-Tour keine ausreichende Einstiegsmöglichkeit gegeben, was einen Mangel der Reise darstellt. Die Zeugen … sowie … haben übereinstimmend ausgesagt, dass der Höhenunterschied, der beim Einstieg zu bewältigen war, mehr als 1 m betrug. Dies hätte es erforderlich gemacht, dass bei dem vorhandenen Boot eine Treppe bzw. eine Leiter den Einstieg ermöglicht. Anhaltspunkte dafür, dass die Aussagen der Zeugen hinsichtlich der Höhenangaben unzutreffend sind, vermag die Kammer nicht zu erkennen, auch wenn ein Näheverhältnis zwischen den Zeugen und dem Kläger vorhanden ist. Die von der Beklagten benannten Zeugen konnten zu dem hier vorliegenden Vorfall aus eigener Sachkenntnis keine Angaben machen, sondern den Vorfall jeweils nur aus allgemeiner Erfahrung schildern. Aus diesen Aussagen ergibt sich zwar, dass grundsätzlich den Gästen Hilfe bei dem Einstieg durch Mitarbeiter der Schiffsmannschaft angeboten wird. Die von dem Kläger benannten Zeugen haben aber anschaulich und detailreich geschildert, dass dies im vorliegenden Fall gerade nicht geschehen war.
Soweit sich die Beklagte in der mündlichen Verhandlung auf eine Einstiegsmöglichkeit durch Herunterklettern beruft, hat dies ebenfalls keinen Erfolg. Insoweit verkennt sie, dass die von den Zeugen geschilderte Möglichkeit das Boot zu verlassen zum einen beim Einstieg selbst nicht erkennbar war sondern erst beim Aussteigen und dies zum anderen auch keine adäquate Einstiegsmöglichkeit darstellte.
Die Aussagen der von dem Kläger benannten Zeugen sowie die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung haben eindeutig ergeben, dass der Kläger sich durch den Sprung einen Quadrizepssehnenriss rechts zugezogen hat, 11 Tage im Krankenhaus stationär verbrachte und auch heute noch teilweise Beschwerden hat, wie sich aus dem Bericht des … (Bl. 55 d. A.) ergibt.
b) Ein Anspruch ist auch nicht gem. § 651 g Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Der Kläger hat die Schadensersatzansprüche gem. § 651 f BGB binnen einen Monats nach der vertraglich vorgesehenen Beendigung der Reise gegenüber dem Reiseveranstalter geltend gemacht. Zwar hat der Kläger in seinem Schreiben vom 29.11.2005 nicht die Zahlung einer Geldsumme verlangt. Ausreichend für eine Mängelrüge gem. § 651 g BGB ist es jedoch, wenn der Reisende erklärt, den Vorfall nicht auf sich beruhen lassen zu wollen und dabei die Mängel nach Ort, Zeit, Geschehensablauf und Schaden so konkret beschreibt, dass der Reiseveranstalter die zur Aufklärung des Sachverhalts gebotenen Maßnahmen zur Wahrung seiner Interessen ergreifen kann (BGH, Urteil vom 11.01.2005, NJW 2005, 1420). Dies wird vorliegend zur Überzeugung des Gerichts durch die vom Kläger gewählte Formulierung „zu diesem geschilderten Sachverhalt erwarte ich von Ihnen eine für beide Seiten zufriedenstellende Stellungnahme“ gerecht. Dass einer für beide Seiten befriedigende Stellungnahme nicht in Form einer Entschuldigung der Beklagten und dem Hinweis darauf, zukünftig eine Leiter im Boot aufzustellen Genüge getan wird, ergibt sich insoweit ohne weiteres. Hiervon ist darüber hinaus auch ersichtlich die Beklagte selbst ausgegangen, da sie dem Kläger für nicht in Anspruch genommene Leistung aufgrund der vorzeitigen Rückreise 900,00 € zahlte und ausführte, dass eine Haftung für den Unfall aufgrund eines Verschuldens des Klägers abgelehnt werde.
c) Dem Kläger steht jedoch im Rahmen der nach § 253 BGB nach billigem Ermessen zu bestimmenden Höhe des Schmerzensgeldes zur Überzeugung der Kammer nur ein Anspruch in Höhe von 2.000,00 € zu. Bei der Bestimmung des Schmerzensgeldes ist zum einen die nicht unerhebliche Verletzung bei dem Kläger zu berücksichtigen, die auch heute noch, wenn auch nicht in einem starkem Umfang, nachwirkt. Andererseits ergibt sich aus den einschlägigen Schmerzensgeldtabellen, dass ohne die Berücksichtigung eines Mitverschuldens ein Betrag in der Größenordnung von 10.000 € nicht gerechtfertigt gewesen wäre.
Bei Berücksichtigung eines erheblichen Mitverschulden bei der Verursachung der Verletzung erachtet die Kammer daher ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 € für angemessen. Der Kläger hat sich, trotz Kenntnis des Höhenunterschiedes sowie der Gefahr, die ein solcher Sprung mit sich bringt, freiwillig entschlossen, sich der Gefahr auszusetzen. Dieser Umstand führt jedoch nicht, wie die Beklagte meint, zu einem völligen Ausschluss eines Schmerzensgeldanspruchs. Vielmehr haben die Mitarbeiter der Schiffsmannschaft die Passagiere durch das Nichtanbieten der Einstiegshilfe erst in diese auch für sie offensichtlich gefährliche Situation gebracht, die sich mit der Verletzung des Klägers auch letztlich realisierte, so dass ein völliger Ausschluss im Rahmen des Mitverschuldens nicht gerechtfertigt ist. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall auch von denen auf die sich die Beklagte beruft, da z.B. die Einstiegsmöglichkeit in den Katamaran in der dortigen Entscheidung (Landgericht Hannover 6 S 51/07) schon keinen Mangel darstellte.
Die Beklagte befindet sich erst aufgrund des Schreibens des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 27.02.2006 (Bl. 19 d.A.) seit dem 11. März 2006 in Verzug, so dass Verzugszinsen erst ab diesem Datum zuzusprechen waren.
Soweit es die Höhe der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten betrifft, waren diese entsprechend dem geringeren Streitwert zu kürzen.
II. Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 709 ZPO.