Landgericht Hannover
Urt. v. 12.06.2008, Az.: 25 O 46/08
Wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit der Bereitstellung von Papierabfalltonnen ohne Bestellung oder sonstige Anforderung auf Privatgrundstücken durch ein Abfallentsorgungsunternehmen; Geltendmachung von Verstößen gegen Bestimmungen des Straßenrechts durch einen Konkurrenten mittels einer einstweiligen Unterlassungsverfügung
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 12.06.2008
- Aktenzeichen
- 25 O 46/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 20230
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHANNO:2008:0612.25O46.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 UWG
- § 4 Nr. 11 UWG
- § 7 Abs. 1 UWG
- § 8 Abs. 1 UWG
Redaktioneller Leitsatz
Die Bereitstellung von blauen Tonnen auf Privatgrundstücken durch einen Altpapierentsorger ohne Bestellung oder sonstige Anforderung ist wettbewerbsrechtlich unzulässig.
In dem einstweiligen Verfügungsverfahren
...
hat die 25. Zivilkammer (5. Kammer für Handelssachen) des Landgerichts Hannover
auf die mündliche Verhandlung vom 12.06.2008
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ,
den Handelsrichter und
den Handelsrichter
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Der Antragsgegnerin wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, untersagt, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken im Zusammenhang mit dem Angebot gewerblicher Altpapiersammlung privaten Haushalten die "Blaue Tonne" ohne Bestellung oder sonstige Anforderung auf deren Privatgrundstück bereit zu stellen.
- 2.
Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
- 3.
Von den Kosten des Verfahrens hat die Verfügungsklägerin 3/4 und die Verfügungsbeklagte 1/4 zu tragen.
Tatbestand
Der Antragsteller und Verfügungskläger betreibt als öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger die Restabfallentsorgung in privaten Haushaltungen für die Region Hannover. Im Bereich der Wertstoffsammlung von Altpapier (sogenannte Papier-Pappe-Karton-Fraktion) konkurriert er seit April 2008 mit der Verfügungsbeklagten. In einem abfallrechtlichen Streitverfahren vor dem Verwaltungsgericht ist der Verfügungskläger mit seinem Begehren unterlegen, der Verfügungsbeklagten die Altpapierentsorgung im Wege einer für sofort vollziehbar erklärten Untersagungsverfügung zu untersagen. Seit April 2008 bewirbt die Verfügungsbeklagte private Haushalte zur gewerblichen Erfassung und Verwertung von Altpapier und teilte dem Verfügungskläger mit Schreiben vom 22. April 2008 (Anlage A1) ihre Absicht mit, auf Anfordern der privaten Haushalte "blaue Tonnen" für die Erfassung von Altpapier bereitzustellen. Außerdem heißt es in dieser Mitteilung, zusätzlich würden möglicherweise blaue Tonnen in der unmittelbaren Grundstücksnähe auf öffentlichen Gehwegen für die Bürger bereitgestellt und unverzüglich wieder entfernt, wenn diese nicht auf die privaten Grundstücke von den Grundstückseigentümern geholt werden würden. Am 23.04.2008 stellte die Verfügungsbeklagte flächendeckend in den Gebieten Garbsen-Mitte, Altgarbsen, Schloss Ricklingen, Frielingen, Mayenfeld und anderen Gebieten Papiertonnen auch ohne jegliche Anforderungen vor den jeweiligen Privatgrundstücken auf öffentlichem Grund und Boden, Gehwegen, ab und bereit und bewarb diese Aktion mit einer ganzseitigen Anzeige in der Regionalbeilage der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 28.05.2008 (Anlage A4). In dieser Anzeige heißt es u.a.:
"Die blaue Tonne kommt ganz automatisch. Sie müssen nichts bestellen und nichts unterschreiben."
"Falls Sie unser Service nicht überzeugt, holen wir sie sofort wieder ab."
Ende April holte die Verfügungsbeklagte tatsächlich zeitnah nach dem Ausbringen der Tonnen nicht hereingenommene Tonnen wieder ab. Kurz danach nahm sie jedoch ihre Akquisitionsaktivitäten wieder erneut auf, woraufhin die Verfügungsklägerin mit Schreiben vom 28.05.2008 eine Abmahnung aussprach, weil sie in dem Handeln der Verfügungsbeklagten einen Wettbewerbsverstoß sah. Mit Antwortschreiben vom 30.05.2008 ließ die Verfügungsbeklagte daraufhin mitteilen, sie halte die Aktion nach wie vor für zulässig und werde deshalb die geforderte Unterlassungserklärung nicht unterzeichnen, lediglich zur Klarstellung Verbesserung der Kundeninformation habe sie sich indes entschlossen, leichte Änderungen an den an den Tonnen befestigten werblichen Informationsschreiben vorzunehmen. In diesen Informationsschreiben werde es dann heißen:
"a)
Wenn Sie unsere blaue Tonne zukünftig nutzen wollen, ziehen Sie die Tonne einfach auf Ihr Grundstück. Anderenfalls holen wir die Tonne kurzfristig ohne weitere Aufforderung wieder hier ab.b)
Die blaue Tonne ist keine Pflicht - falls Sie unser Service in den nächsten Wochen nicht überzeugt, rufen Sie uns an und wir holen die Tonne wieder ab."
Die Verfügungsklägerin hält diese Erklärung nicht für ausreichend, um die Wiederholungsgefahr des ihrer Auffassung nach begangenen Wettbewerbsverstoßes zu beseitigen und nimmt die Verfügungsbeklagte mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung der Bereitstellung der blauen Tonne ohne Bestellung in Anspruch. Sie behauptet dazu unter Glaubhaftmachung, die Verfügungsbeklagte habe die Tonnen ohne Anforderung der privaten Haushalte nicht nur auf öffentlichen Grundstück vor den Grundstücken bereitgestellt, sondern sogar teilweise auch direkt auf Privatgrundstücke, z.B. am 27.05.2008 auf ein Grundstück in Laatzen, Karl-Marx-Platz 2, vor dem gar kein Gehweg vorhanden sei, auf den die Altpapiertonne im öffentlichen Verkehrsraum hätte abgestellt werden können. Die Verfügungsklägerin sieht in dem Wettbewerbsverhalten der Verfügungsbeklagten eine unzumutbare Belästigung der umworbenen Kunden, denen ohne ihren Willen die Beeinträchtigung durch die Bereitstellung der Tonnen aufgedrängt werde. Sie hat zudem in der mündlichen Verhandlung darauf verwiesen, dass es abfallrechtlich bedenklich sei, wenn die auf öffentlichem Grund bereitgestellten Tonnen möglicherweise nicht direkt zugeordnet werden könnten und von Beschickern anonym mit Abfall befüllt werden würden, für den die Verfügungsbeklagte gar keine Beseitigungsgenehmigung habe.
Die Verfügungsklägerin beantragt,
im Wege der einstweiligen Verfügung anzuordnen, dass der Antragsgegnerin bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, untersagt wird, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken im Zusammenhang mit dem Angebot gewerblicher Altpapiersammlung privaten Haushalten die "blaue Tonne" ohne Bestellung oder sonstige Anforderung bereitzustellen.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Sie meint, die Aktion verstoße nicht gegen Wettbewerbsrecht, weil die blauen Tonnen ausschließlich auf öffentlichem Raum bereitgestellt würden und es der freien Entscheidung der Anwohner obliege, ob sie sich näher mit dem Angebot überhaupt befassen oder die Werbung schlicht ignorieren würden.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen (§ 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
Die Verfügungsbeklagte hat es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken im Zusammenhang mit dem Angebot gewerblicher Altpapiersammlung bei privaten Haushalten, die "blaue Tonne" ohne Bestellung oder sonstige Anforderung auf Privatgrundstücken bereitzustellen (§ 8 Abs. 1 i.V.m. §§ 3, 7 Abs. 1 UWG ; §§ 935, 937 Abs. 2 ZPO).
Im übrigen, nämlich soweit der Antrag darüber hinausgeht und die Bereitstellung der blauen Tonne ohne Bestellung auch auf anderen Grundstücken außerhalb den Privatgrundstücken, nämlich auf öffentlichem Grund und Boden untersagen lassen möchte, ist der Antrag indes unbegründet und wird zurückgewiesen.
1.
Zwischen den Parteien besteht ein Wettbewerbsverhältnis. Beide Parteien stellen seit einiger Zeit im Bereich der Wertstoffsammlung von Altpapier (sogenannte PPK-Fraktion) zur Durchführung der gewerblichen Sammlung von Altpapier kostenlos Privathaushaltungen Abfalltonnen zur Verfügung zur Entsorgung von Altpapier. Die Verfügungsbeklagte handelt unlauter im Sinne von § 3 UWG, weil sie mit ihren Werbe- und Wettbewerbshandlungen den Wettbewerb zum Nachteil ihrer Mitbewerber nicht nur unerheblich beeinträchtigt, soweit sie ihre Tonnen ohne Anforderung auf Privatgrundstücken platziert und damit die Privateigentümer dieser Grundstücke oder Besitzberechtigten unzumutbar belästigt (§ 7 Abs. 1 UWG), um ihre eigene Wettbewerbshandlung zu fördern.
Die Verfügungsbeklagte handelt bewusst und gezielt im eigenen Absatzinteresse und dringt in den geschützten Bereich der privaten Sphäre der Grundstückseigentümer bzw. -besitzer ein, indem sie ohne Anforderung ihre Abfalltonnen auf deren Grundstücke platziert. Zwar hat die Verfügungsbeklagte dies in Abrede genommen und behauptet, ihre Tonnen würden ausschließlich auf öffentlichen Grundstücken, nämlich Gehwegen oder Straßenseiten bereitgestellt. Die Verteilerorganisation sei eigens angewiesen, die Tonnen gerade nicht auf Privatgrundstücken zu platzieren. Indes hat die Verfügungsklägerin durch eidesstattliche Versicherung des Grundstückseigentümers vom 09.06.2008 glaubhaft gemacht, dass jedenfalls am 27.05.2008 auf dessen Grundstück eine Tonne platziert worden sei, die ihn daran gehindert hat, die Garage zu benutzen, weil vor seinem Grundstück gar kein Gehweg vorhanden sei, auf dem die Altpapiertonne im öffentlichen Verkehrsraum hätte abgestellt werden können. Damit ist hinreichend glaubhaft gemacht, daß die Verfügungsbeklagte zumindest in diesem Fall ihre Tonne auf einem Privatgrundstück ohne Genehmigung bereitgestellt hat. Allein dieser einmalige Verstoß rechtfertigt die beantragte Unterlassungsverfügung, weil aus ihm - wie üblicherweise im Wettbewerbsrecht - die Wiederholungsgefahr abzuleiten ist. Ob es sich dabei um einen sogenannten "Ausreißer-Fall" handelt, kann dahinstehen. Jedenfalls hat die Verfügungsbeklagte im Eilverfahren nicht substantiiert dargetan und glaubhaft gemacht, die Verteiler der Tonnen ernstlich - unter Androhung von Sanktionen bis hin zur Entlassung - angewiesen habe, Verbote und Sperrvermerke zu beachten und nicht dargetan hat, welche Vorkehrungen sie getroffen hat, um die Einhaltung etwaiger Verbote und Anordnungen zu kontrollieren. Selbst unterstellt, dass bei bestimmten Werbemethoden und Wettbewerbshandlungen diese Ausreißer mit zumutbarem Aufwand nicht auszuschließen sind, ändert dies nichts am Charakter der unzumutbaren Belästigung im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG für den Betroffenen (vgl. Häfermehl/Köhler/Bornkamp, UWG, 26. Aufl., § 7 Rdnr. 24). Hier liegt deshalb auch eine unzumutbare Belästigung vor, weil die Wettbewerbshandlung dem Kunden aufgedrängt wird und damit ein gewisser psychischer Druck einhergeht, die angebotene Dienstleistung entgegenzunehmen. Der durchschnittlich empfindliche Durchschnittsverbraucher und Marktteilnehmer, zu dem auch die Mitglieder der Kammer gehören, empfindet diese Aufdrängung der Leistung als Belästigung, die in ihrer rechtlichen Würdigung auch unzumutbar ist, weil man zunächst der direkten Wirkung dieser Wettbewerbshandlung nicht entgehen kann, ohne selbst - ungewollt - aktiv zu werden. Zumindest müsste der Umworbene die Tonne von seinem Grundstück wieder entfernen, ggf. durch Hinausschieben auf öffentliches Grundstück, was wiederum straßenrechtlich nicht unbedenklich wäre ; oder durch ungewollte Kontaktaufnahme mit der Verfügungsbeklagten dafür Sorge tragen, dass die Tonne direkt von seinem Grundstück wieder abgeholt werden würde. Diese Belästigung durch eine Wettbewerbshandlung kommt in die Nähe der Fälle des unerbetenen persönlichen Kontaktes des Werbenden zum Adressaten, weil es hier wie dort einer persönlichen Anstrengung bedarf, um sich der Werbung zu entziehen (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG; Telefonwerbung) oder der sogenannten Scheibenwischerwerbung, bei der der Umworbene selbst wieder Initiativen ergreifen muss, um der Werbung zu entgehen bzw. sich der Werbung zu entledigen.
2.
Allerdings kann die Verfügungsklägerin keine Unterlassung verlangen, soweit die Tonnen auf öffentlichem Grund und Boden, namentlich Gehwegen oder Straßen, abgestellt werden., selbst wenn sich diese auch unmittelbar vor den jeweiligen Privatgrundstücken befinden und selbst optisch nicht Jedermanns Geschmack darstellen. Hier ist aber nach dem Regelungsgehalt des § 7 Abs. 1 UWG, der die Freiheit im Wettbewerb nicht unverhältnismäßig beschränken will, die Schwelle der unzumutbaren Belästigung noch nicht erreicht.
Das Maß an Belästigung und Beeinflussung durch Werbung oder Wettbewerbshandlung ist nämlich dann noch hinnehmbar, wenn der Umworbene ohne große eigene Initiative es in der Hand hält, sich der Wettbewerbshandlung zu entziehen, ohne größeren Aufwand betreiben zu müssen. Dass die Tonne in solchen Fällen etwa zugangshindernd vor Garageneinfahrten, Gartentoren oder gar Haustüren auf öffentlichem Grund abgestellt würden, wird von der Verfügungsklägerin nicht geltend gemacht. Deshalb kann der Umworbene es schlicht unbeachtet lassen, wenn auf öffentlichem Grund Tonnen abgestellt werden, selbst wenn diese Maßnahme möglicherweise gegen Straßenrecht verstößt. Zwar handelt im Wettbewerbsrecht ein Werbetreibender auch dann unlauter im Sinne von § 3, wenn er einer gesetzlichen Vorschrift zuwider handelt, die das Marktverhalten zu regeln bestimmt ist (§ 4 Nr. 11 UWG). Ein Werbetreibender soll durch Rechtsbruch keine Vorteile gegenüber redlichen Marktteilnehmern erlangen.
Zwar handelt ein Verkehrsteilnehmer möglicherweise rechtswidrig, der sich gegen Bestimmungen des Straßenrechtes verhält, also wie hier im öffentlichen Straßenbereich auf Straßen oder Gehwegen Gegenstände abstellt, ohne eine Sondernutzungserlaubnis zu besitzen. Verstöße gegen das Straßen- und Wegerecht, wie z.B. Sondernutzungen ohne Erlaubnis, stellen keine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 dar, weil sie weder dem Mitbewerber noch dem Verbraucherschutz dienen (Häfermehl-Köhler-Bornkamp, UWG, a.a.O., Rdnr. 1141). Über die rechtlichen Fragen des Straßen-oder Abfallrechts hatte die Kammer deshalb hier nicht zu befinden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. 3/4 der Kosten hat die Verfügungsklägerin zu tragen, weil ihr Antrag nur begrenzt, nämlich soweit Privatgrundstücke betroffen sind, Erfolg gehabt hat.