Landgericht Hannover
Beschl. v. 15.09.2008, Az.: 2 S 50/08
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 15.09.2008
- Aktenzeichen
- 2 S 50/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 54988
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG - 04.06.2008 - AZ: 564 C 2202/08
Tenor:
Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das am 4.6.2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hannover wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird festgesetzt auf bis 900 EUR.
Gründe
Die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten bietet in der Sache keine Aussicht auf Erfolg. Die einstweilige Verfügung ist auch unter Berücksichtigung ihrer Einwendungen zu Recht ergangen. Unter den zum Zeitpunkt der Entscheidung gegebenen Umständen war die Unterbrechung der Versorgung unverhältnismäßig und nicht von dem Zweck des § 19 StromGVV gedeckt.
I.
Der Verfügungskläger hatte (mit seiner Ehrfrau) von April 2005 bis März 2007 eine Wohnung in der N-Straße bewohnt. Die Verbrauchsstelle der N-Straße wurde über die Ehefrau des Verfügungsklägers abgerechnet. Die Abrechnung der Beklagten per September 2006 wurde nicht anerkannt. Hinsichtlich dieses Anschlusses der früheren Wohnung waren die Zahlungen eingestellt worden. Zur Begründung hatte sie gegenüber der Verfügungsbeklagten vorgebracht, dass die von dieser für die 48 qm große Wohnung in der N-Straße (nunmehr) angegebenen Gasverbräuche nicht stimmen könnten und eine Überprüfung verlangt. Sie stellte die Abrechnungen per September 2005 und die seit September 2006 gegenüber mit ihrem monatlichen Durchschnittsverbrauch sowie die Erhöhung der Abschlagszahlung von 86,00 auf 194,00 €. Ihnen sei von einem Mitarbeiter der Verfügungsbeklagten entgegnet worden, sie sollten erst einmal die Rechnung bezahlen, vorher würde nichts überprüft werden; hierzu seien sie doch nicht in der Lage gewesen (eidesstattliche Versicherung vom 22.2.2008). Die Verfügungsbeklagte hält die Einwendungen für nicht substantiiert. Zum 31.1.2007 waren in der Wohnung N-Straße 22 die Strom- und Gaszufuhr abgestellt worden. Die endgültige Abrechnung hinsichtlich der N-Straße erfolgte schließlich am 3.8.2007. Der o.a. Einwand wurde bezüglich der Schlussrechnung nicht wiederholt.
Es kam zu einem Rechtsverhältnis der Parteien hinsichtlich der neuen von dem Verfügungskläger (und seiner Ehefrau) anschließend bewohnten Wohnung in der L-Straße. Ab April 2007 war dieser Anschluss genutzt worden; der Vertrag mit der Verfügungsbeklagten kam aufgrund der Entnahme von Energie zustande, mithin durch Realhandlungen. Dieses teilte die Wohnungsverwalterin der Verfügungsbeklagten Ende April 2007 mit. Anschließend (zu einem nicht bekannten Zeitpunkt) bestätigte die Verfügungsbeklagte dem Verfügungskläger den Versorgungsvertrag bezüglich der L-Straße; dieser wurde alleiniger Vertragspartner der Wohnung L-Straße.
Mit Schreiben vom 28.11.2007 teilte die Verfügungsbeklagten mit, dass das Kundenkonto bezüglich dieser aktuell bewohnten Wohnung einen Saldo von 81,99 € betrage, wies darauf hin, dass die Sperrung der vitalen Anlagen eingeleitet worden sei, und kündigte an, dass sie bei einer Nichtzahlung die Anlagen sperren würde. Mit einem weiteren Schreiben vom 28.11.2007 zeigte die Verfügungsbeklagte einen Saldo in Höhe von 1.901,35 € auf, welches sich auf den Anschluss N-Straße bezog, wies darauf hin, dass die Sperrung der vitalen Anlagen der aktuell bewohnten Wohnung L-Straße eingeleitet worden sei, und kündigte die Sperrung dieser Anlagen an, wenn der Rückstand nicht gezahlt werde. Mit Anschreiben des Abrechnungskassierers vom 15.2.2008 war abermals die Durchführung einer Sperre der Verbrauchsstelle L-Straße angekündigt und am 20.2.2008 die Strom- und Gaszufuhr gesperrt worden.
Dem Verfügungskläger bzw. seiner Ehefrau wurden weder seitens der Verfügungsbeklagten eine Ratenzahlung noch seitens des Job-Centers ein Darlehen zur (zumindest vorläufigen) Begleichung gewährt. Der Verfügungskläger und seine Ehefrau erhalten Arbeitslosengeld I und haben keine Rücklagen. Mit Beschluss vom 10.3.2008 (LG Hannover 2 T 13/08) erwirkte der Verfügungskläger eine einstweilige Verfügung, mit der der Verfügungsbeklagten aufgegeben wurde, die Versorgung der Wohnung in der L-Straße wieder aufzunehmen. Auf den hiergegen gerichteten Widerspruch der Verfügungsbeklagten wurde die einstweilige Verfügung mit Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 4.6.2008 (564 C 2202/08) aufrechterhalten. Hiergegen richtet sich die zulässige Berufung der Verfügungsbeklagten.
II.
Ein späteres Nachholen der Leistungen der Verfügungsbeklagten - etwa der Winterbeheizung im Sommer - scheidet aus, so dass der Verfügungskläger einen Anspruch auf Wiederherstellung lebenswichtiger Versorgungsleistungen im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen konnte. Unter Abwägung der schutzwürdigen Interessen beider Seiten konnte der Verfügungskläger nicht darauf verwiesen werden zuzuwarten, bis er einen Titel über die geschuldete Leistung im ordentlichen Verfahren erwirkt hat.
Die Verfügungsbeklagte hatte auch unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens der Verfügungsbeklagten in ihrem Schriftsatz vom 26.8.2008 kein Recht auf Einstellung der Versorgung der aktuell genutzten Wohnung aus § 19 StromGVV.
1. Der Verfügungskläger zeigte sich hinsichtlich seiner Vertragspflichten bei der laufenden Nutzung der aktuellen Wohnung - Anschluss L-Straße - nicht zahlungsunwillig. Soweit dort noch ein Rückstand offen war, bewegte er sich in einem so niedrigen Umfang, dass die Sperre als Reaktion hierauf gegen § 19 Abs. 2 StromGVV verstieß. Danach darf wegen Zahlungsverzuges der Grundversorger eine Unterbrechung unter den einzeln genannten Voraussetzungen nur durchführen lassen, wenn der Kunde nach Abzug etwaiger Anzahlungen mit Zahlungsverpflichtungen von mindestens 100,00 € in Verzug ist. Der offene Saldo bzgl. des Anschlusses L-Straße lag bereits seit Monaten unter 100,00 €.
2. Auch hinsichtlich des sich auf den früheren Anschluss in der N-Straße beziehenden Rückstandes bestand kein Recht zur Unterbrechung nach § 19 Abs. 2 StromGVV. Hiernach gilt - zwar - dass der Grundversorger bei Zuwiderhandlungen, insbesondere bei Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung, berechtigt ist, die Grundversorgung 4 Wochen nach Androhung unterbrechen zu lassen. Dieses gilt - jedoch - nicht, wenn die Folgen der Unterbrechung außer Verhältnis stehen zur Schwere der Zuwiderhandlung, hier der Nichtbezahlung eines Rückstandes aus einem nicht mehr bestehenden Versorgungsverhältnis.
Eine Verknüpfung mit Rückständen aus dem zwischen den Parteien bzw. hinsichtlich der N-Straße für den Verfügungskläger als Mitnutzer früher bestandenen Versorgungsverhältnis herzustellen stellt sich unter den gegebenen Umständen als Rechtsmissbrauch i.S. des § 242 BGB dar. Die Rückstände hinsichtlich der früheren Abnahmestelle bestanden bereits bei Abschluss des neuen Versorgungsvertrages. Es erscheint treuwidrig, wenn die Verfügungsbeklagte den Rückstand aus dem früheren Versorgungsverhältnis als Druckmittel benutzt, um die Bezahlung der Rückstände aus ihrem bisherigen Versorgungsvertrag zu erreichen, ohne dass nach Abschluss des neuen Vertrages eine Gefährdungslage für diesen besteht. Der wesentliche Zweck der Regelung des § 19 StromGVV besteht in der Möglichkeit für das vorleistungspflichtige Versorgungsunternehmen, sich vor einer drohenden Gefährdungslage zu schützen, dass sich ihre Forderung gegenüber dem Verfügungskläger aufgrund einer fehlenden Zahlungswilligkeit bzw. Zahlungsunfähigkeit mit einer voraussichtlichen Endgültigkeit unwiedereinbringlich erhöht.
a) Gegen eine Verknüpfung spräche noch nicht, wenn - wie hier - bei einer Gemeinschaft von Nutzern von Einrichtungen lediglich formal jeweils im Wechsel nur einer der Mitglieder der Gemeinschaft (hier zunächst die Ehefrau des Verfügungsklägers und sodann der Verfügungskläger) Vertragspartner des Versorgers ist.
b) Eine Liefersperre setzt voraus, dass den allgemeinen Anforderungen des § 320 BGB bzw. bei unterschiedlichen Verträgen des § 273 BGB genügt ist. Nach der (vom BGH in BGHZ 115, 99 105 zitierten) Rechtsprechung kann der für § 273 BGB erforderliche Zusammenhang für den Fall bejaht werden, dass ein Stromabnehmer in demselben Versorgungsgebiet in eine andere Wohnung verzieht und hinsichtlich der aufgegebenen Wohnung Zahlungsrückstände bestehen. Das wird damit begründet, dass es als treuwidrig erschiene, wenn der Tarifkunde auf der Energiebelieferung aus dem neuen Versorgungsverhältnis beharren könnte, ohne seine Rückstände aus dem früheren Versorgungsverhältnis zu bezahlen.
In dem von dem BGH entschiedenen Fall galt das indessen nicht mehr bei mehreren selbständigen Versorgungsverträgen, in denen die einander gegenüberstehenden Ansprüche des Kunden auf Lieferung und des Versorgungsunternehmens auf Bezahlung ihre Grundlage haben, die sich auf getrennte Anschlussobjekte beziehen und verschiedenen Zwecken dienen, wie das bei der Stromlieferung für eine Privatwohnung und die Versorgung einer gewerblichen Abnahmestelle der Fall ist. Diese Abgrenzung bildete den Schwerpunkt der zitierten Entscheidung des BGH.
Da bereits mit dieser Begründung das Fehlen einer Berechtigung zur Einstellung der Versorgung mit Strom festgestellt wurde, konnte der BGH eine Entscheidung zum Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauches dahinstehen lassen. Er hat jedoch erwähnt, es spreche einiges dafür, dass einer angedrohten Liefersperre in der Situation, dass dem Versorgungsunternehmen durch die Weiterversorgung mit „ privatem Strom“ kein Schaden entstehe, wenn diese bezahlt werde, der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden könnte, wenn die Versorgungseinstellung wegen der Stromschulden aus einem ehemaligen Versorgungsvertrag (dort aus einem ehemaligen gewerblichen Betrieb) erfolgt.
c) Nachdem der Verfügungskläger auf die -unbedingt vorgenommene- Vertragsbestätigung und insbesondere auf die monatelange Fortführung dieses Versorgungsverhältnisses vertrauen konnte, kann diese nicht sodann ohne besondere Gründe durch eine Sperre gem. § 19 StromGVV wieder beendet werden. Auf die innerhalb der Organisation der Verfügungsbeklagten bzgl. des Versorgungsverhältnisses L-Straße zunächst fehlende Informierung über das Bestehen der offenen Forderungen hinsichtlich des früheren Anschlusses N-Straße könnte sich die Verfügungsbeklagte ohnehin nicht berufen. Aus dem langen zeitlichen Ablauf -von Mai 2007 bis November 2007 bzw. schließlich Februar 2008- bis zu der Herstellung einer Verknüpfung zwischen dem früheren und dem neuen privaten Versorgungsverhältnis wird bereits ersichtlich, dass für sie keine Anhaltspunkte bestanden für eine konkret drohende Gefährdungslage dahin, dass es hinsichtlich der L-Straße zu Zahlungsverweigerungen in einem nennenswerten Umfang kommen würde.
Die Verfügungsbeklagte hat auch nicht von den Möglichkeiten einer Vorauszahlungsleistung gemäß § 14 StromGVV oder einer Sicherheitsleistung gemäß § 15 StromGVV Gebrauch gemacht. Aus ihrem eigenen Verhalten ist zu entnehmen, dass sie selbst trotz ihrer Erfahrung mit dem Anschluss N-Straße hinsichtlich der aktuellen Situation bei der Fortführung des neuen Versorgungsverhältnisses weder einen Anlass für eine Absicherung sah noch die Grundlagen für eine Kündigung gemäß § 20 StromGVV für gegeben erachtete.
Unter solchen Umständen war die Verfügungsbeklagte nicht berechtigt, von dem erleichterten Weg des § 19 StromGVV (der ökonomisch in seiner Wirkung einer Vollstreckungsmaßnahme entspricht) Gebrauch zu machen, um die Zahlung aus dem früheren Vertrag faktisch zu erzwingen, ohne zuvor (mit der bei ihr liegenden Darlegungs- und Beweislast) einen Titel erstritten zu haben.
III.
Da die Sache im übrigen keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung der Kammer erfordert, war die Berufung wie angekündigt gem. § 522 Abs. 2 ZPO mit der sich aus § 97 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen. Die Kammer folgt mit ihrer Entscheidung dem oben zitierten Hinweis des BGH zum Einwand des Rechtsmissbrauchs.