Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.11.2023, Az.: 13 ME 177/23

Ausländerbehörde; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge; Existenzsicherung; materielles Asylbegehren; Rechtsschutzbedürfnis; Verfahrensduldung; zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot; Zuständigkeit; Zur Abgrenzung der Zuständigkeiten für die Prüfung nationalrechtlicher zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote von Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und Ausländerbehörde

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.11.2023
Aktenzeichen
13 ME 177/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 42469
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:1114.13ME177.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 05.09.2023 - AZ: 11 B 1499/23

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 11. Kammer - vom 5. September 2023 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 11. Kammer - vom 5. September 2023 bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den mit der Beschwerde allein weiter verfolgten Antrag des Antragstellers, den Antragsgegner einstweilig zu verpflichten, von Abschiebemaßnahmen gegen ihn bis zur Entscheidung in der Hauptsache abzusehen (Beschwerdebegründungsschriftsatz v. 5.10.2023, S. 1 = Blatt 64 der Gerichtsakte), im Ergebnis zutreffend abgelehnt (vgl. zum Maßstab der Ergebnisrichtigkeit: Senatsbeschl. v. 25.7.2014 - 13 ME 97/14 -, NordÖR 2014, 502 f. - juris Rn. 4). Die hiergegen mit der Beschwerde geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, gebieten eine Änderung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung nicht.

Der Antragsteller macht mit der Beschwerde geltend, dass er ausweislich einer "Guarantee of University Placement" vom 14. August 2023 (Blatt 68 der Gerichtsakte) mittlerweile als Studierender an der "E. " in B-Stadt angenommen worden sei. Er erfülle deshalb die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16b Abs. 1 AufenthG, deren Erteilung er mit Schreiben vom 5. Oktober 2023 beim Antragsgegner beantragt habe (Blatt 68R f. der Gerichtsakte). Da sein Antrag auf Erteilung dieser Aufenthaltserlaubnis im Zeitpunkt der Verhandlung zur Hauptsache positiv zu bescheiden sein werde, sei ihm zur Abwendung drohender drastischer Nachteile bis dahin einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren. Er dürfe auch deshalb nicht in den Libanon abgeschoben werden, da sich die Umstände dort derart verschlechtert hätten, dass eine Rückkehr dorthin für ihn unzumutbar sei und seine Existenz ernsthaft gefährde. Wie sich aus dem "Medical Report" vom 7. September 2023 der "American University of Beirut, Medical Center" (Blatt 65 f. der Gerichtsakte), dem Behindertenausweis seines Vaters vom 11. September 2023 (Blatt 66 f. der Gerichtsakte) und einer Erklärung des Bürgermeisters der Stadt "F. " im Libanon vom 12. September 2023 (Blatt 67 f. der Gerichtsakte) ergebe, seien seine Eltern erkrankt und damit finanziell und gesundheitlich nicht mehr in der Lage ihn, den Antragsteller, zu unterstützen. Er, der Antragsteller, sei im Falle einer Rückkehr in den Libanon, der immer noch an den Folgen der Hafenexplosion in Beirut, einem völlig überlasteten Arbeitsmarkt sowie schweren Unruhen leide, nicht in der Lage, sich ein Leben über dem Existenzminimum aufzubauen, sodass einer Abschiebung Art. 3 EMRK entgegenstehe.

Auch unter Berücksichtigung dieses Beschwerdevorbringens kann der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen (Regelungs-)Anordnung im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, mit welcher der Antragsgegner - der Sache nach - verpflichtet werden soll, die Abschiebung des Antragstellers aus dem Bundesgebiet vorläufig auszusetzen, nicht beanspruchen.

1. Dem steht zwar nicht entgegen, dass der Antragsteller im Beschwerdeverfahren den Erlass einer einstweiligen Anordnung "bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache", also einer Entscheidung in dem beim Verwaltungsgericht Oldenburg unter dem Az. 11 A 1498/23 anhängigen Klageverfahren gegen den Ablehnungsbescheid des Antragsgegners vom 19. April 2023 (Blatt 4R ff. der Gerichtsakte) beantragt hat, der nach gegenwärtig zu erkennender Sachlage aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen (vgl. S. 3 f. des angefochtenen Beschlusses) bereits in Bestandskraft erwachsen sein dürfte. Einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung fehlt es unter diesem Blickwinkel nur dann am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, wenn über das - auch den Gegenstand der einstweiligen Anordnung bildende - Begehren in der Hauptsache schon bestandskräftig oder rechtskräftig entschieden wurde (vgl. Kuhla, in: BeckOK, VwGO, § 123 Rn. 40 (Stand: 1.7.2023)). Daran fehlt es hier, da es in dem Hauptsacheverfahren bei verständiger Würdigung des dort gestellten Antrags (Blatt 1 der Gerichtsakte) lediglich um die Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 19. April 2023 sowie die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erteilung einer der darin abgelehnten Aufenthaltserlaubnisse geht, nicht jedoch um die Aussetzung der Abschiebung des Antragstellers aus den im Beschwerdeverfahren geltend gemachten Gründen.

2. Der Erlass der begehrten einstweiligen (Regelungs-)Anordnung im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO scheidet aber aus, weil der Antragsteller schon - dem Grunde nach - einen im Verfahren nach § 123 VwGOsicherungsfähigen Anordnungsanspruchauf Aussetzung der Abschiebungnicht in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht hat. Vor diesem Hintergrund kann der Senat dahinstehen lassen, ob der Antragsgegner - etwa im Hinblick auf räumliche Beschränkungen des Aufenthalts des Antragstellers auf den Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 5.12.2017 - 13 ME 181/17 -, juris Rn. 28 ff.) - die für die Aussetzung der Abschiebung örtlich zuständige und mithin passivlegitimierte Ausländerbehörde ist, obwohl der Antragsteller nach eigenen Angaben überwiegend in B-Stadt lebt (Blatt 3, 3R, 23 ff. und 69 der Gerichtsakte).

a. Ein sicherungsfähiger Anordnungsanspruch auf Aussetzung der Abschiebung folgt nicht aus dem von dem Antragsteller geltend gemachten Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes im Zusammenhang mit der begehrten Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16b Abs. 1 AufenthG (sog. Verfahrensduldung).

Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und eine Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt wird. Eine rechtliche Unmöglichkeit im Sinne dieser Bestimmung liegt unter anderem dann vor, wenn sich aus unmittelbar anwendbarem Unionsrecht, innerstaatlichem Verfassungsrecht oder einfachem Gesetzesrecht sowie in innerstaatliches Recht inkorporiertem Völker- und Völkervertragsrecht ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis ergibt (vgl. Niedersächsisches OVG, Urt. v. 19.3.2012 - 8 LB 5/11 -, juris Rn. 41; GK-AufenthG, § 60a Rn. 168 (Stand: März 2021) m.w.N.). Allein daraus, dass der Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis geltend macht und diesen im Bundesgebiet durchsetzen will, folgt hiernach grundsätzlich kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, dem durch Aussetzung der Abschiebung für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens Rechnung zu tragen ist (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 11.1.2016 - 17 B 890/15 -, juris Rn. 6; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 24.2.2010 - 2 M 2/10 -, juris Rn. 7; OVG Bremen, Beschl. v. 27.10.2009 - 1 B 224/09 -, juris Rn. 16; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 1241). Ein verfahrensbezogenes Bleiberecht in Form einer Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion hat der Bundesgesetzgeber vielmehr nur für die in § 81 Abs. 3 und 4 AufenthG genannten Fälle bestimmt. Dem in diesen Regelungen zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Anliegen und auch der Gesetzessystematik widerspräche es, wenn ein Ausländer für die Dauer eines jeden (anderen) Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens die Aussetzung der Abschiebung beanspruchen könnte. Eine Ausnahme kann zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG aber etwa dann geboten sein, wenn eine Aussetzung der Abschiebung notwendig ist, um die für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erforderlichen und tatsächlich gegebenen tatbestandlichen Voraussetzungen für die Dauer des Aufenthaltserlaubniserteilungsverfahrens aufrecht zu erhalten und so sicherzustellen, dass eine aufenthaltsrechtliche Regelung einem möglicherweise Begünstigten zu Gute kommen kann (vgl. dies bejahend etwa für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG: Senatsbeschl. v. 21.8.2018 - 13 ME 56/18 -, juris Rn. 4; für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1 AufenthG: OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 14.10.2009 - 2 M 142/09 -, juris Rn. 8; Senatsbeschl. v. 11.8.2008 - 13 ME 128/08 -, juris Rn. 4; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 12.2.2008 - 18 B 230/08 -, juris Rn. 3; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 16.4.2008 - 11 S 100/08 -, juris Rn. 2 und weitergehend für alle Aufenthaltserlaubnisse, die vom Inland eingeholt werden können: Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 2.8.2018 - 8 ME 42/18 -, juris Rn. 28).

aa. Zu den Titelansprüchen, die (tatbestandlich) notwendigerweise einen (fortdauernden) Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet voraussetzen, gehört ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken nach § 16b Abs. 1 AufenthG, deren erstmalige Erteilung grundsätzlich vom Ausland aus zu beantragen ist (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 16b AufenthG Rn. 8, 10 f. (Stand: Oktober 2019); Samel, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 16b AufenthG Rn. 5), von vorneherein nicht (vgl. Senatsbeschl. v. 25.4.2019 - 13 ME 86/19 -, juris Rn. 5).

bb. Unabhängig davon liegen aber auch die Voraussetzungen für die Erteilung der vom Antragsteller begehrten Aufenthaltserlaubnis nach § 16b Abs. 1 AufenthG nicht vor.

Nach § 16b Abs. 1 Satz 1 AufenthG wird einem Ausländer zum Zweck des Vollzeitstudiums an einer staatlichen Hochschule, an einer staatlich anerkannten Hochschule oder an einer vergleichbaren Bildungseinrichtung eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn er von der Bildungseinrichtung zugelassen worden ist.

(1) Erforderlich für den Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis ist demnach - neben den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen aus § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG - unter anderem die bereits erfolgte Zulassung des Ausländers zu einer entsprechenden Bildungseinrichtung (vgl. Samel, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 16b AufenthG Rn. 7). Der Nachweis der Zulassung zu einer Bildungseinrichtung im Sinne des § 16b Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann nicht nur durch Vorlage einer Immatrikulationsbescheinigung oder des Zulassungsbescheides der Bildungseinrichtung, sondern z.B. auch durch eine Studienplatzvormerkung o.ä. geführt werden (vgl. Fleuß, in: BeckOK, Ausländerrecht, § 16b AufenthG Rn. 19 (Stand: 1.7.2023)). Um eine solche Studienplatzvormerkung dürfte es sich bei der vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2023 vorgelegten "Guarantee of University Placement" vom 14. August 2023 (Blatt 68 der Gerichtsakte) zwar grundsätzlich handeln, sofern, was im Beschwerdeverfahren unterstellt werden kann, die "E. " in B-Stadt eine Bildungseinrichtung im Sinne des § 16b Abs. 1 Satz 1 AufenthG darstellt und das dort vom Antragsteller angestrebte Studium den Anforderungen des § 16b Abs. 1 Satz 1 AufenthG entspricht. Der Antragsgegner hat im Rahmen seiner Beschwerdeerwiderung vom 11. Oktober 2023, ohne dass der Antragsteller sich hierzu nachfolgend noch einmal geäußert hat, allerdings zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Studienplatzvormerkung bis zum 15. August 2023 befristet war und der Antragsteller weder dargelegt noch glaubhaft gemacht hat, dass die Vormerkung nicht inzwischen mangels Annahme des Studienplatzes erloschen ist.

(2) Vor diesem Hintergrund kann der Senat offen lassen, ob der Antragsteller die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen aus § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG erfüllt.

b. Weiterhin wird mit dem Beschwerdevorbringen nicht dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass ein sicherungsfähiger Anordnungsanspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus dem Vorliegen eines - hier der Sache nach geltend gemachten - nationalrechtlichen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK folgt.

aa. Dabei ist zunächst zutreffend, dass eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen Gründen im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG grundsätzlich auch dann in Betracht kommen kann, wenn einer Abschiebung ein nationalrechtliches zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG entgegensteht (vgl. GK-AufenthG, § 60a Rn. 170 (Stand: März 2021); Kluth/Breidenbach, in: BeckOK, Ausländerrecht, § 60a AufenthG Rn. 12 (Stand: 1.1.2023)).

bb. Der Berücksichtigung eines nationalrechtlichen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots im Sinne des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG im Rahmen der Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG durch die Ausländerbehörde steht, anders als der Antragsgegner geltend macht, auch nicht von vorneherein entgegen, dass die Feststellung eines solchen in die ausschließliche Entscheidungskompetenz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) fiele, sodass daneben für eine Entscheidungsbefugnis der Ausländerbehörde im Rahmen der Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG kein Raum mehr sei. Insoweit ist vielmehr wie folgt zu differenzieren:

(1)Nach Stellung eines förmlichen Asylantrags im Sinne des § 14 AsylG ist gemäß §§ 24 Abs. 2, 13 Abs. 2 Satz 4, 5 Abs. 1 AsylGausschließlich das Bundesamt für eine Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen nationalrechtlicher zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zuständig. Hat das Bundesamt im Rahmen seiner Entscheidungskompetenz das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG verneint, ist die Ausländerbehörde hieran nach § 42 Satz 1 AsylG gebunden (vgl. Senatsbeschl. v. 26.2.2018 - 13 ME 438/17 -, juris Rn. 14; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 42 AsylG Rn. 6). Für die Ausländerbehörde besteht dann im Rahmen der Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG kein Raum mehr, eine hiervon abweichende Entscheidung zu treffen (vgl. GK-AufenthG, § 60a Rn. 171 (Stand: März 2021)). Liegt eine die Ausländerbehörde bindende Entscheidung des Bundesamts zu nationalrechtlichen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vor, kann diese vielmehr nur durch einen Asylfolgeantrag (§ 71 AsylG) oder durch einen auf derartige Abschiebungsverbote beschränkten Wiederaufgreifensantrag nach § 51 Abs. 1 oder 5 VwVfG (sog. "isoliertes Folgeschutzgesuch") geändert werden (vgl. Senatsbeschl. v. 7.6.2017 - 13 ME 107/17 -, juris Rn. 17).

(2) Aber auch dann, wenn ein Ausländer noch keinen förmlichen Asylantrag im Sinne des § 14 AsylG gestellt hat, kann es der Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Entscheidung über die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthGverwehrt sein, über das Vorliegen eines nationalrechtlichen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots im Sinne des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden. Das ist der Fall, wenn sich ein Ausländer - im Gewand nationalrechtlicher zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG - ausschließlich oder zumindest auch auf materielle Asylgründe beruft, also auf Gründe, die der Sache nach auf die Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG, auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG oder auf die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG gerichtet sind. Dasselbe gilt, wenn das Vorbringen des Ausländers untrennbar mit einem solchen materiellen Asylbegehren verknüpft ist, was insbesondere bei einem nationalrechtlichen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot aus Krankheitsgründen im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG in Betracht kommen kann. Macht ein Ausländer materielle Asylgründe geltend, ist er auf die Durchführung eines Asyl- oder Asylfolgeverfahrens verwiesen, wo das Bundesamt - neben der Asylberechtigung und dem internationalen Schutz - auch über das Vorliegen nationalrechtlicher zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG entscheidet. Der Ausländer hat kein Wahlrecht zwischen asyl- und ausländerrechtlichem Schutzbegehren und es steht weder der Ausländerbehörde noch den Verwaltungsgerichten in aufenthaltsrechtlichen Verfahren zu, ohne eine positive Entscheidung des Bundesamts von einem nationalrechtlichen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG auszugehen (vgl. Senatsbeschl. v. 4.4.2023 - 13 PA 53/23 -, V.n.b. Umdruck S. 3; v. 17.2.2023 - 13 ME 7/23 -, V.n.b. Umdruck S. 3 f. und v. 30.3.2022 - 13 LA 56/22 -, juris Rn. 7; Senatsurt. v. 18.2.2021 - 13 LB 269/19 -, juris Rn. 75 und vom 3.5.2018 - 13 LB 223/17 -, juris Rn. 32; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 29.3.2011 - 8 LB 121/08 -, juris Rn. 40 ff.).

(3) Gemessen daran ist der Antragsgegner hier nicht von vorneherein gehindert, im Rahmen der Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG das vom Antragsteller geltend gemachte nationalrechtliche zielstaatsbezogene Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK zu berücksichtigen; eine ausschließliche Zuständigkeit des Bundesamts besteht insoweit nicht. Denn es ist weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich, dass der Antragsteller einen förmlichen Asylantrag im Sinne des § 14 AsylG gestellt hat. Auch beruft sich der Antragsteller zur Begründung des von ihm angenommenen nationalrechtlichen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK nicht auf materielle Asylgründe im vorstehend bezeichneten Sinne. Er macht mit der fehlenden Möglichkeit zur Sicherung seines existentiellen Lebensunterhalts im Libanon vielmehr rein humanitäre Gründe geltend, bei denen es an einem "verfolgungsmächtigen" Akteur im Sinne des (§ 4 Abs. 3 AsylG in Verbindung mit) § 3c AsylG (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - BVerwG 1 C 45.18 -, juris Rn. 12) bzw. einer zielgerichteten Herbeiführung der schwierigen humanitären Situation durch einen solchen Akteur gerade fehlt (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.5.2020 - BVerwG 1 C 11.19 -, juris Rn. 9 ff.), sodass die Anerkennung als Asylberechtigter und die Gewährung internationalen Schutzes - augenscheinlich - ausscheiden.

cc. Die Beschwerde legt allerdings weder dar, noch macht sie glaubhaft, dass aus den genannten Umständen für den Antragsteller ein nationalrechtliches zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK im Hinblick auf den Libanon folgt, dem der Antragsgegner im Rahmen der Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG Rechnung zu tragen hat.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat (vgl. Senatsbeschl. v. 30.3.2022- 13 LA 56/22 -, juris Rn. 6 m.w.N.), in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht. Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei "nichtstaatlichen" Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein "verfolgungsmächtiger Akteur" (§ 3c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung. Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein "Mindestmaß an Schwere" aufweisen; es kann erreicht sein, wenn er seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.7.2019 - BVerwG 1 C 45.18 -, juris Rn. 11 f. m.w.N.).

Soweit die Beschwerde - ohne nähere Substantiierung - geltend macht, dass sich die Umstände im Libanon wegen einer Krebserkrankung der Mutter des Antragstellers und einem Behindertenstatus seines Vaters derart geändert hätten, dass der Antragsteller im Falle einer Rückkehr in den Libanon auf sich allein gestellt und seine Existenz ernsthaft gefährdet wäre, wird schon nicht nachvollziehbar aufgezeigt, welche für die Sicherung des existentiellen Lebensunterhalts und die übrige Versorgungslage des Antragstellers konkret maßgeblichen Umstände sich, wann, wodurch und in welchem Maße geändert haben, dass dem Antragsteller nunmehr im Falle einer Rückkehr in den Libanon eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung droht, obwohl (zumindest) die Krebserkrankung der Mutter des Antragstellers ausweislich des hierzu vorgelegten (englischsprachigen) Dokuments (Blatt 65 f. der Gerichtsakte) offenbar bereits im Jahr 2017 aufgetreten ist, zudem in dem Dokument im Hinblick auf eine Untersuchung der Mutter des Antragstellers im November 2022 "Doing well" festgehalten wurde und der Antragsteller darüber hinaus im Laufe des Verwaltungsverfahrens und des gerichtlichen Verfahrens selbst noch angegeben hatte, sich aus Geldern von Verwandten (nicht nur seiner Eltern) aus dem Libanon zu finanzieren und in der Lage zu sein, das Saldo in Höhe von 11.208 EUR auf einem zu Studienzwecken eingerichteten Sperrkonto auszugleichen sowie erhebliche finanzielle Mittel für Sprachkurse aufzubringen (Blatt 3, 12 der Gerichtsakte sowie Blatt 17 ff., 25, 35 ff., 47 ff., 64 f. und 88 der Beiakte 1).

Im Übrigen lässt die Beschwerde aber auch substantiiertes Vorbringen dazu vermissen, weshalb der Antragsteller als junger, gesunder und alleinstehender Mann, der im Libanon nach eigenen Angaben eine Hochschulzugangsberechtigung (Blatt 88 der Beiakte 1) und damit eine überdurchschnittliche Bildung erworben hat, unter Berücksichtigung eigener finanzieller Mittel, etwa aus dem nach eigenen Angaben seit April 2023 erwirtschafteten Arbeitseinkommen (Blatt 3R, 23 ff. der Gerichtsakte), sowie von Rückkehrhilfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.4.2022 - BVerwG 1 C 10.21 -, juris Rn. 25; s. zu Rückkehr- und Reintegrationsprogrammen für den Libanon die öffentlich zugänglichen Angaben unter https://www.returningfromgermany.de/de/countries/lebanon) nicht selbst in der Lage ist, seinen existentiellen Lebensunterhalt zu sichern und Zugang zu Wohnraum und Gesundheitsversorgung zu finden.

c. Sonstige Gründe, die einen sicherungsfähigen Anordnungsanspruch des Antragstellers auf Aussetzung der Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG begründen, lassen sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

III. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 8.3 und 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).