Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.11.2023, Az.: 13 ME 170/23

Aufenthaltsdauer; Fortgeltungsfiktion; Gültigkeitsdauer; Höhere Gewalt; Humanitäre Gründe; örtliche Zuständigkeit; Passivlegitimation; Rechtsschutzbedürfnis; Schengen-Visum; schwerwiegende persönliche Gründe; Visakodex; Einstweiliger Rechtsschutz betreffend die Verlängerung der Gültigkeitsdauer eines Schengen-Visums

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.11.2023
Aktenzeichen
13 ME 170/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 41798
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:1109.13ME170.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 10.08.2023 - AZ: 4 B 90/23

Tenor:

  1. I.

    Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 4. Kammer - vom 10. August 2023 wird zurückgewiesen.

    Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren und Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.

    Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.

    Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

  2. II.

    Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 4. Kammer - vom 10. August 2023 wird zurückgewiesen.

    Der Antragsteller trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

I. 13 ME 170/23

1. Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnende Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 4. Kammer - vom 10. August 2023 bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den mit der Beschwerde unverändert weiter verfolgten Hauptantrag des Antragstellers, den Antragsgegner (im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung) zu verpflichten, das ihm von der Deutschen Botschaft Ankara erteilte Visum über den 20. Juli 2023 hinaus zu verlängern, ebenso wie den auf die Erteilung einer Fiktionsbescheinigung gerichteten Hilfsantrag (Beschwerdebegründungsschriftsatz v. 14.9.2023, S. 2 = Blatt 49R der Gerichtsakte), im Ergebnis zutreffend abgelehnt (vgl. zum Maßstab der Ergebnisrichtigkeit: Senatsbeschl. v. 25.7.2014 - 13 ME 97/14 -, NordÖR 2014, 502 f. [OVG Niedersachsen 25.07.2014 - 13 ME 97/14] - juris Rn. 4). Die hiergegen mit der Beschwerde geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, gebieten eine Änderung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung nicht.

Der Antragsteller beanstandet mit der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe fehlerhaft die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs gegenüber dem Antragsgegner verneint, als es davon ausgegangen sei, dass dieser für die Bearbeitung der Anträge nicht zuständig sei. Er, der Antragsteller, sei bei einem Verwandten in A-Stadt "untergekommen", da er im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners nicht über eine Wohnung verfüge. Die Zuständigkeit des Antragsgegners ergebe sich daraus, dass er, der Antragsteller, seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners gehabt habe. Der Antragsgegner sei es auch gewesen, der mit Bescheid vom 29. September 2004 die Einbürgerung des Antragstellers zurückgenommen habe, sodass der Anlass für die Amtshandlung in dessen Bezirk hervorgetreten sei. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsamtes ergebe sich nicht aus dessen Aktenanforderung vom 17. September 2009, denn im Jahre 2019 sei der Antrag auf Wiederaufgreifen des - auf die Rücknahme der Einbürgerung gerichteten - Verfahrens noch nicht anhängig gewesen. Ein Anspruch auf Verlängerung des Visums stehe ihm, dem Antragsteller, aus schwerwiegenden persönlichen Gründen zu, da die Rücknahme der Einbürgerung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nichtig, zumindest aber rechtswidrig sei. Es sei außerdem abzusehen, dass er als LKW-Fahrer mit europaweit gültigen Fahrerlaubnissen der öffentlichen Hand nicht zur Last fallen werde. Das Verwaltungsgericht sei auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass er, der Antragsteller, keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe. Dieser ergebe sich daraus, dass das Visum nicht mehr gültig sei und er, der Antragsteller, zum Nachweis seines straflosen Aufenthalts ein Dokument der Ausländerbehörde benötige.

a. Der Antragsteller kann den mit dem Hauptantrag verfolgten Erlass einer einstweiligen (Regelungs-)Anordnung im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, mit welcher der Antragsgegner zur Verlängerung der Gültigkeitsdauer des dem Antragsteller erteilten Schengen-Visums Typ C, gültig vom 21. Juli 2022 bis zum 20. Juli 2023 (Blatt 51 der Gerichtsakte), über den 20. Juli 2023 hinaus verpflichtet werden soll, nicht beanspruchen.

aa. Dabei kann der Senat dahinstehen lassen, ob das dem Antragsteller erteilte Schengen-Visum im Hinblick auf den beim Antragsgegner mit Schreiben vom 7. Mai 2023 allein gestellten Antrag auf Verlängerung - nicht von der darin vorgesehenen Aufenthaltsdauer, sondern nur - von dessen Gültigkeitsdauer (Blatt 7 der Gerichtsakte) überhaupt noch hinsichtlich der Gültigkeitsdauer verlängert werden kann bzw. ob hierfür ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, obwohl der Antragsteller zum einen die vorgesehene Aufenthaltsdauer von 90 Tagen inzwischen und möglicherweise auch schon im Zeitpunkt der Antragstellung überschritten haben dürfte und das Schengen-Visum zum anderen infolge des Ablaufs seiner Gültigkeitsdauer am 20. Juli 2023 (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) sowie mangels Eingreifens der - besitzstandswahrenden Wirkung der - Fortgeltungsfiktion des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG (vgl. § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG; BVerwG, Urt. v. 19.11.2019 - BVerwG 1 C 22.18 -, juris Rn. 17; Urt. v. 22.6.2011 - BVerwG 1 C 5.10 -, juris Rn. 16; Senatsbeschl. v. 18.11.2021 - 13 ME 426/21 -, juris Rn. 12) bereits erloschen ist.

bb. Selbst wenn hiervon ausgegangen und angenommen wird, dass der Antragsteller dem Grunde nach eine von ihm im Rahmen der Antragstellung nicht näher bestimmte (Blatt 49R der Gerichtsakte: "[...] erteilte Visum über den 20. Juli 2023 hinaus zu verlängern", mit Hervorh. durch den Senat) Verlängerung der Gültigkeitsdauer des Schengen-Visums in dieser Weise beantragen kann, legt die Beschwerde nicht dar und ist auch sonst für den Senat nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller gegen den Antragsgegner ein entsprechender Anordnungsanspruch zusteht und das Verwaltungsgericht (vgl. S. 2 des angefochtenen Beschlusses) demnach zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass der Antragsgegner nicht die für die Verlängerung der Gültigkeitsdauer des Schengen-Visums örtlich zuständige und folglich passivlegitimierte Ausländerbehörde ist.

Dabei ist das zunächst zutreffend, dass nach Art. 33 Abs. 4 VO (EG) 810/2009 - Visakodex - für die Verlängerung von Schengen-Visa, anders als für deren Erteilung, die nach Art. 4 Abs. 1 Visakodex in Verbindung mit § 71 Abs. 2 Satz 1 AufenthG den deutschen Auslandsvertretungen (vgl. § 3 Abs. 1 GAD) obliegt, die Behörden des Mitgliedstaats zuständig sind, in dessen Hoheitsgebiet sich der Drittstaatsangehörige zum Zeitpunkt der Beantragung der Verlängerung befindet. Das sind in der Bundesrepublik Deutschland mangels anderweitiger Aufgabenzuweisung gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG die Ausländerbehörden (so auch Kolber, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 6 AufenthG Rn. 45, der allerdings hinsichtlich der noch zu erörternden Frage der örtlichen Zuständigkeit - ohne nähere Erläuterung - davon ausgeht, dass örtlich zuständig die Ausländerbehörde ist, in deren Bezirk sich der Ausländer "aufhält").

Sowohl für die Bestimmung der Verbandskompetenz des jeweiligen Bundeslandes (Art. 83, 84 Abs. 1 Satz 1 GG) zur Sachentscheidung als auch der örtlichen Zuständigkeit der zur Entscheidung berufenen Behörde in dem betreffenden Bundesland kommt es nach dem auf natürliche Personen wie den Antragsteller anwendbaren § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG vorrangig auf den Ort an, an dem der Antragsteller seinen aktuellen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (1. HS.). Nur wenn ein solcher fehlt, ist auf den zuletzt im Inland innegehabten gewöhnlichen Aufenthalt abzustellen (2. HS.). Auf § 3 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG (Ausländerbehörde, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt) kann hingegen erst rekurriert werden, wenn der Ausländer über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland weder derzeit verfügt, noch in der Vergangenheit verfügt hat (vgl. Senatsbeschl. v. 5.12.2017 - 13 ME 181/17 -, juris Rn. 27 m.w.N.).

Gemessen daran ergeben sich aus dem - vage gebliebenen - Beschwerdevorbringen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller, worauf, wie gezeigt, vorrangig abzustellen ist, seinen aktuellen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) 1. HS VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners hat. Auch wird mit der Beschwerde nicht dargelegt, dass der Antragsteller nicht über einen aktuellen gewöhnlichen Aufenthalt im sonstigen Bundesgebiet (etwa in A-Stadt oder anderenorts) verfügt. Das aber wäre, wie ausgeführt, Voraussetzung dafür, um nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) 2. HS VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG auf den zuletzt im Inland innegehabten gewöhnlichen Aufenthalt abstellen zu können. Ungeachtet dessen wird das Bestehen eines solchen innegehabten gewöhnlichen Aufenthalts im Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners in der Beschwerdebegründung aber auch nicht in einer dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden Weise aufgezeigt. Vor diesem Hintergrund vermag sich die Beschwerde hinsichtlich der von ihr angenommenen Zuständigkeit des Antragsgegners auch nicht mit Erfolg auf die (Auffang-)Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 NVwVfG zu berufen.

cc. Im Übrigen wird mit der Beschwerde auch nicht dargelegt, dass der Antragsteller - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts (vgl. S. 2 des angefochtenen Beschlusses) - die Voraussetzungen für die begehrte Verlängerung der Gültigkeitsdauer des ihm erteilten Schengen-Visums erfüllt.

Ein Anspruch hierauf könnte sich - allenfalls - unmittelbar aus Art. 33 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 1 Visakodex, nicht jedoch aus § 6 Abs. 2 Satz 1 oder 2 AufenthG (in Verbindung mit Art. 33 oder anderen Vorschriften des Visakodex) ergeben, da der Antragsteller keine Verlängerung der Aufenthalts-, sondern nur der Gültigkeitsdauer des ihm erteilten Visums begehrt. Nach Art. 33 Abs. 1 Satz 1 Visakodex wird die Gültigkeitsdauer eines erteilten Visums verlängert, wenn die zuständige Behörde eines Mitgliedstaats der Ansicht ist, dass ein Visuminhaber das Vorliegen höherer Gewalt oder humanitärer Gründe belegt hat, aufgrund deren er daran gehindert ist, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Visums zu verlassen. Nach Art. 33 Abs. 2 Satz 1 Visakodex kann die Gültigkeitsdauer eines erteilten Visums verlängert werden, wenn der Visumsinhaber schwerwiegende persönliche Gründe, die eine Verlängerung der Gültigkeitsdauer rechtfertigen, belegt.

Wann ein Fall höherer Gewalt oder humanitäre oder schwerwiegenden Gründe im Sinne von Artikel 33 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 1 Visakodex anzunehmen ist, ist im Visakodex selbst nicht geregelt. Gemäß Art. 51 Visakodex in Verbindung mit Art. 52 Abs. 2 Visakodex ist die Europäischen Kommission jedoch befugt, durch Beschluss Hinweise und Beispiele zur Rechtsanwendung des Visakodex zu geben (vgl. dazu sowie zum Folgenden: VG Göttingen, Beschl. v. 5.3.2013 - 2 B 656/12 -, juris Rn. 28, 33, 36 ff.). Von dieser Befugnis hat die Europäische Kommission mit Beschluss vom 19. März 2010 über ein Handbuch für die Bearbeitung von Visumsanträgen und die Änderung von bereits erteilten Visa (im Folgenden: Visakodex-Handbuch I) Gebrauch gemacht. Als Beispiel für einen Fall höherer Gewalt erwähnt Teil V, Ziffer 1. des Visakodex-Handbuchs I die kurzfristige Änderung des Flugplans durch die Fluggesellschaft (z.B. wegen der Witterungsbedingungen oder wegen Streiks) und als Beispiele für humanitäre Gründe die plötzliche schwere Erkrankung des Visuminhabers oder die plötzliche schwere Erkrankung oder der Tod eines engen Verwandten, der in einem Mitgliedstaat lebt. Als Beispiele für schwerwiegende persönliche Gründe, die eine Verlängerung des Visums rechtfertigen, sind im Visakodex-Handbuch I aufgeführt: "Ein namibischer Staatsangehöriger ist nach Köln (Deutschland) gereist, um einen Familienangehörigen abzuholen, der sich dort einer Operation unterzogen hat. Am Vortag vor der geplanten Abreise erleidet der Patient einen Rückfall und darf das Krankenhaus erst zwei Wochen später verlassen." und "Ein angolanischer Geschäftsmann ist nach Italien gereist, um dort mit einem italienischen Unternehmen einen Vertrag auszuhandeln und mehrere Produktionsstätten zu besuchen. Die Verhandlungen dauern länger als erwartet, und der Geschäftsmann muss eine Woche länger bleiben als geplant."

Dies zugrunde gelegt zeigt das Beschwerdevorbringen nicht auf, dass der Antragsteller die Verlängerung der Gültigkeitsdauer des ihm erteilten Visums wegen höherer Gewalt, humanitärer oder schwerwiegender persönlicher Gründe im Sinne von Artikel 33 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2 Satz 1 Visakodex beanspruchen kann.

Soweit die Beschwerde geltend macht, dass ein Bescheid des Antragsgegners vom 29. September 2004, der die Rücknahme der Einbürgerung des Antragstellers in den deutschen Staatsverband zum Gegenstand gehabt habe, nichtig sei, kann der Antragsteller, auch wenn eine aufgrund der Nichtigkeit des Rücknahmebescheids nach wie vor wirksame Einbürgerung des Antragstellers in den deutschen Staatsverband als gegeben unterstellt wird, schon deshalb keine Verlängerung der Gültigkeitsdauer des ihm erteilten Visums beanspruchen, da er als dann weiterhin deutscher Staatsangehöriger schon nicht dem Anwendungsbereich des Visakodex unterfallen würde und sich im Schengen-Raum auch ohne entsprechendes Visum frei bewegen könnte. Was die vom Antragsteller daneben geltend gemachte Rechtswidrigkeit des in Rede stehenden Rücknahmebescheids angeht, bleibt festzustellen, dass dieser offenbar bereits in Bestandskraft erwachsen ist und der Antragsteller keine Gründe dargelegt hat, aus denen sich ergibt, dass er ein von ihm angestrebtes bzw. bereits eingeleitetes Wiederaufgreifensverfahren nicht auch aus seinem Herkunftsland betreiben kann. Umstände, die allein auf dem freien Willensentschluss des Visumsinhabers beruhen, wie z.B. die Entscheidung, im Bundesgebiet einen Daueraufenthalt anzustreben und zu diesem Zweck einen Verwaltungsrechtsstreit zu führen, sind für eine begehrte Visumsverlängerung nicht ausreichend (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, § 6 AufenthG Rn. 56 (Stand: Oktober 2019)).

dd. Soweit die Beschwerde sich weiter dagegen wendet, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes verneint habe, kommt es darauf mangels Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs nicht mehr an.

b. Der Antragsteller kann auch den mit dem Hilfsantrag verfolgten Erlass einer einstweiligen (Regelungs-)Anordnung im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, mit welcher der Antragsgegner zur Erteilung einer Fiktionsbescheinigung verpflichtet werden soll, nicht beanspruchen.

Der Antragsteller hat auch insoweit schon keinen Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Fiktionsbescheinigung im Sinne des § 81 Abs. 5 AufenthG glaubhaft gemacht, sodass es auf sein Beschwerdevorbringen zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes nicht ankommt.

Nach § 81 Abs. 5 hat ein Ausländer zwar grundsätzlich einen Anspruch auf Ausstellung einer Bescheinigung, mit der er seinen Status, der aus der jeweiligen Fiktion (gesetzliche Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortbestandsfiktion bzw. behördlich angeordnete Fortgeltungswirkung) folgt, dokumentieren kann (vgl. Kluth, in: BeckOK, Ausländerrecht, § 81 AufenthG Rn. 43 (Stand: 1.1.2023)). Das setzt aber voraus, dass den vom Ausländer gestellten Anträgen auf Verlängerung oder Erteilung eines Aufenthaltstitels eine solche Fiktionswirkung tatsächlich auch zukommt. Eine derartige Fiktionswirkung ist aufgrund der vom Antragsteller mit Schreiben vom 7. Mai 2023 (Blatt 7 der Gerichtsakte) gestellten Verlängerungs- und Erteilungsanträge jedoch nicht eingetreten. Stellt ein Ausländer einen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels gerichteten Antrag, während er sich, was im Falle des Antragstellers aus den unter I.a.aa. des Beschlusses genannten Gründen (etwaige Überschreitung der vorgesehenen Aufenthaltsdauer) bereits zweifelhaft erscheint, aber keiner abschließenden Klärung bedarf, im Bundesgebiet mit einem gültigen und einen Aufenthalt auch in zeitlicher Hinsicht zulassenden Schengen-Visum aufhält, so löst dieser Antrag keine der in § 81 Abs. 3 oder Abs. 4 AufenthG geregelten Fiktionen aus (vgl. Senatsbeschl. v. 18.11.2021 - 13 ME 426/21 -, juris Rn. 7 ff.).

Der Eintritt einer Fortbestandsfiktion im Sinne des § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist, wie unter I.a.aa. des Beschlusses bereits ausgeführt, bei dem hier in Rede stehenden Schengen-Visum Typ C im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG aufgrund der seit dem 6. September 2013 geltenden Sonderregelung in § 81 Abs. 4 Satz 2 AufenthG ausgeschlossen (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.11.2019 - BVerwG 1 C 22.18 -, BVerwGE 167,90, juris Rn. 17; Senatsbeschl. v. 12.11.2013 - 13 ME 190/13 -, juris Rn. 3 ff. m.w.N.).

Die behördliche Anordnung einer Fortgeltungswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG ist hier weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich und hätte im Übrigen auch nicht erfolgen können (vgl. Senatsbeschl. v. 18.11.2021 - 13 ME 426/21 -, juris Rn. 17).

Auch für die hme einer Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist hier kein Raum. Nach dieser Vorschrift gilt der Aufenthalt eines Ausländers, der die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt, während er sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Antragsteller mag sich zwar nach seiner letzten Einreise zunächst rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten haben. Dieser Zustand fand jedoch seine Grundlage gerade in dem von der Deutschen Botschaft Ankara erteilten Schengen-Visum und damit in einem Aufenthaltstitel im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG, wodurch der Rückgriff auf § 81 Abs. 3 AufenthG von vornherein gesperrt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.11.2019 - BVerwG 1 C 22.18 -, BVerwGE 167,90, juris Rn. 24 f.).

Schließlich scheidet eine Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aus. Nach dieser Vorschrift gilt, wenn der Antrag in den Fällen des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG verspätet gestellt wird, ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt, d.h. der Ausländer als geduldet (vgl. die Legaldefinition in der amtlichen Überschrift des § 60a AufenthG). Diese Situation ist hier nicht gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob der mit Schreiben vom 7. Mai 2023 gestellte Antrag des Antragstellers innerhalb eines rechtmäßigen Aufenthalts erfolgt ist, also bereits nicht verspätet war. Selbst wenn eine Verspätung bejaht würde, hätte die vorherige Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auf einem Schengen-Visum und daher auf einem Aufenthaltstitel beruht, so dass - wie oben ausgeführt - bereits dem Grunde nach kein Fall des § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vorgelegen hat (vgl. Senatsbeschl. v. 18.11.2021 - 13 ME 426/21 -, juris Rn. 21 f.).

2. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten ist abzulehnen.

Seiner Beschwerde kommt auch nach der im Prozesskostenhilfeverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.2007 - 1 BvR 474/05 -, NVwZ-RR 2007, 361, 362 [BVerfG 26.02.2007 - 1 BvR 474/05] - juris Rn. 11) unter Berücksichtigung des Zwecks der Prozesskostenhilfebewilligung die gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu (vgl. zu im Hauptsacheverfahren einerseits und im Prozesskostenhilfeverfahren andererseits anzulegenden unterschiedlichen Maßstäben: BVerfG, Beschl. v. 8.7.2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris Rn. 10 ff. m.w.N.). Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf seine Ausführungen zu I.1. in diesem Beschluss.

Mangels Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt auch eine Beiordnung der Prozessbevollmächtigten auf der Grundlage des § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens ergibt sich aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.

4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1 GKG, 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG sowie Nrn. 8.1 und 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).

II. 13 PA 171/23

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 4. Kammer - vom 10. August 2023 bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt. Denn dem erstinstanzlichen Rechtsschutzbegehren kommt auch nach der im Prozesskostenhilfeverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung des Zwecks der Prozesskostenhilfebewilligung die gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu (vgl. zu den insoweit anzulegenden rechtlichen Maßstäben oben I.2.). Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf die Ausführungen in diesem Beschluss zu I.1.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO. Ein Streitwert ist nicht festzusetzen. Für die Höhe der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens gilt der streitwertunabhängige Kostentatbestand in Nr. 5502 der Anlage 1 (Kostenverzeichnis) zum Gerichtskostengesetz (vgl. zur Entstehung von Gerichtskosten bei Zurückweisung einer PKH-Beschwerde: Senatsbeschl. v. 28.3.2019 - 13 PA 65/19 -, juris Rn. 3).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).