Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.11.2023, Az.: 1 ME 111/23

Beitreibung; Beseitigungsanordnung; Erledigung; Festsetzung; Fliegende Bauten; Unterlassung; Unterlassungsgebot; Verwaltungsvollstreckung; Wiedererrichtung; Wiederholungsgefahr; Zwangsgeld; Zwangsgeld: Beitreibung; Beitreibung eines Zwangsgeldes zur Durchsetzung einer bauaufsichtlichen Beseitigungsverfügung trotz Abbaus der baulichen Anlage

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
21.11.2023
Aktenzeichen
1 ME 111/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 45689
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:1121.1ME111.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 16.08.2023 - AZ: 12 B 3292/23

Fundstellen

  • BauR 2024, 493-495
  • DÖV 2024, 245
  • NordÖR 2024, 149
  • ZfBR 2024, 160-162

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Eine bauaufsichtliche Beseitigungsverfügung gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 NBauO enthält neben dem Gebot der Beseitigung der baulichen Anlage durch Abbruch oder Abbau konkludent das Verbot der Wiedererrichtung. Erledigung tritt erst dann ein, wenn die Wiedererrichtung hinreichend sicher ausgeschlossen ist.

  2. 2.

    § 70 NVwVG i.V.m. § 67 Abs. 2 Satz 2 NPOG hindert die Beitreibung eines zur Durchsetzung des Verbots der Wiedererrichtung festgesetzten Zwangsgeldes auch nach Abbau der baulichen Anlage jedenfalls dann nicht, wenn die konkrete Möglichkeit besteht, dass die bauliche Anlage erneut errichtet wird (im Anschluss an NdsOVG, Beschl. v. 23.4.2009 - 11 ME 478/08 -, NdsVBl 2009, 345 = juris Rn. 42 ff.).

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 12. Kammer - vom 16. August 2023 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.750 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Beitreibung eines bestandskräftig festgesetzten Zwangsgeldes.

Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks E. Straße F. in G.; er betreibt dort ein Restaurant mit Biergarten und Saal. Bürgerbeschwerden veranlassten den Antragsgegner im Jahr 2019 zu einem bauaufsichtlichen Einschreiten. Mit bestandskräftiger Bauaufsichtsanordnung vom 21. Juni 2019 untersagte er dem Antragsteller unter Zwangsgeldandrohung "die Nutzung des im Biergarten errichteten Pavillons" und forderte ihn auf "den Pavillon unverzüglich, spätestens bis zum 30. Juli 2019, zurückzubauen." Dieser Aufforderung kam der Antragsteller nach Fristverlängerung nach.

Bei einer Ortsbesichtigung am 9. März 2023 stellte der Antragsgegner fest, dass der Antragsteller den Pavillon erneut - nach dessen Vortrag bereits in der letzten Woche des Jahres 2022 - aufgebaut hatte. Daraufhin setzte er mit bestandskräftigem Bescheid vom 15. März 2023 das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 3.500 EUR fest und drohte eine erneute Festsetzung an, wenn der Pavillon nicht bis zum 14. April 2023 zurückgebaut werde. Der Antragsteller baute daraufhin den Pavillon ab. Ungeachtet dessen betreibt der Antragsgegner die Zwangsvollstreckung durch Beitreibung des Zwangsgeldes im Wege der Pfändung weiter.

Das auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung gerichtete Eilrechtsschutzbegehren des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht Hannover mit dem angegriffenen Beschluss vom 16. August 2023 abgelehnt. Die Beitreibung des Zwangsgeldes sei weiterhin zulässig. Weder habe sich der Grundverwaltungsakt in Gestalt der Bauaufsichtsanordnung erledigt, noch müsse die Beitreibung gemäß § 70 VwVG i.V.m. § 67 Abs. 2 Satz 2 NPOG unterbleiben. Es bestehe eine Wiederholungsgefahr, weil nach dem Gesamtbild des Verhaltens des Antragstellers mit weiteren Verstößen zu rechnen sei.

II.

Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung, der sich der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO anschließt, entschieden, dass kein Anlass zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung besteht. Der Antragsgegner treibt das Zwangsgeld zu Recht bei.

Ohne Erfolg wiederholt der Antragsteller seine Auffassung, die Bauaufsichtsanordnung vom 21. Juni 2019 habe sich mit dem bereits im Jahr 2019 erfolgten erstmaligen Abbau erledigt; das hindere die weitere Beitreibung. Dabei kann offenbleiben, ob die Erledigung der Grundverfügung die Beitreibung eines Zwangsgelds hindert. Denn erledigt hat sich die Bauaufsichtsanordnung nicht.

Erledigung auf andere Weise im Sinne von § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 43 Abs. 2 VwVfG tritt dann ein, wenn der Verwaltungsakt seine Regelungswirkung verliert. Diese Regelungswirkung besteht bei einer bauaufsichtlichen Beseitigungsverfügung gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 NBauO aus zwei Elementen. Erstens verlangt sie die Beseitigung der baulichen Anlage durch Abbruch oder Abbau. Zweitens enthält sie entgegen der Auffassung des Antragstellers konkludent das Verbot der Wiedererrichtung. Denn das Ziel der Beseitigungsverfügung ist nach § 79 Abs. 1 Satz 1 NBauO die Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände, die nur durch eine dauerhafte Entfernung der baurechtswidrigen Anlage erreicht werden kann (vgl. VGH BW, Beschl. v. 28.3.2007 - 8 S 159/07 -, BauR 2007, 1220 = BRS 71 Nr. 194 = juris Rn. 2; BayVGH, Urt. v. 25.11.2014 - 9 B 13.1401 -, BayVBl 2015, 382 = juris Rn. 34; OVG MV, Beschl. v. 19.10.2020 - 3 M 303/20 OVG -, NordÖR 2021, 178 = juris Rn. 11; VG Hannover, Beschl. v. 20.7.2022 - 4 B 3866/21 -, juris Rn. 50). Erledigung tritt deshalb erst dann ein, wenn die Wiedererrichtung hinreichend sicher ausgeschlossen ist. Davon kann und konnte hier offensichtlich keine Rede sein. Ob derselbe oder ein vergleichbarer Pavillon aufgestellt wird, ist mit Blick auf den Regelungsgehalt der Bauaufsichtsanordnung, die keineswegs nur einen ganz bestimmten Pavillon erfasst, ohne Belang.

Eine andere Betrachtung ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Antragsteller - wie er vorträgt - nunmehr beabsichtigt, den Pavillon nur noch "bei Bedarf" als Regenschutz zu errichten. Dabei kann offenbleiben, ob eine solche tatsächlich nur kurzzeitige Errichtung als fliegender Bau gemäß § 60 Abs. 1 NBauO i.V.m. Nr. 11.6 des Anhangs verfahrensfrei ist. Selbst wenn das der Fall wäre, wäre eine Wiedererrichtung als dauerhaftes Vorhaben - der konkrete Anlass für die Zwangsgeldfestsetzung, der kaum mehr den Anforderungen des § 75 Abs. 1 NBauO entsprechen dürfte, belegt das anschaulich - weiterhin möglich.

Zu Unrecht meint der Antragsteller weiter, § 70 NVwVG i.V.m. § 67 Abs. 2 Satz 2 NPOG hindere die weitere Beitreibung des Zwangsgeldes. Nach der letztgenannten Vorschrift unterbleibt diese, wenn die gebotene Handlung ausgeführt oder die zu duldende Maßnahme gestattet wird. Nach der Rechtsprechung des für das Polizei- und Ordnungsrecht zuständigen 11. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts ist diese Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus zwar auch auf Unterlassungsgebote anwendbar (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 23.4.2009 - 11 ME 478/08 -, NdsVBl 2009, 345 = juris Rn. 42 ff.; kritisch Mann, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 79 Rn. 137 m.w.N. und - für das dortige abweichend gefasste Landesrecht - OVG NRW, Urt. v. 9.2.2012 - 5 A 2152/10 -, juris Rn. 31 ff.). Insofern müsse die Betreibung unterbleiben, wenn die erstrebte Verhaltensänderung erreicht sei und ernsthafte Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr nicht mehr vorlägen. Dabei seien bei Unterlassungspflichten für die Annahme einer Wiederholungsgefahr allerdings keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. Zumindest ein mehrmaliger Verstoß gegen das Verbot könne in der Regel eine Wiederholungsgefahr indizieren, es sei denn, es lägen zureichende der Annahme einer Wiederholungsgefahr entgegenstehende Anhaltspunkte vor.

Nach diesen Maßgaben ist mit dem Antragsgegner und dem Verwaltungsgericht weiterhin von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Der wiederholte Verstoß gegen das öffentliche Baurecht in Bezug auf den Pavillon, der mit weiteren aktenkundigen Baurechtsverstößen bis in die jüngste Vergangenheit einhergeht, rechtfertigt die Annahme, es bedürfe weiterhin des von der Zwangsgeldfestsetzung und -beitreibung ausgehenden Vollstreckungsdrucks, um ein dauerhaft rechtmäßiges Verhalten herbeizuführen. Das gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller mit seiner Beschwerde ankündigt, den Pavillon weiterhin "nach Bedarf" aufstellen zu wollen. Das mag in den Grenzen der für den Restaurantbetrieb und insbesondere die Nutzung des Außengeländes erteilten Baugenehmigung - diese liegt dem Senat nicht vor - gemäß § 60 Abs. 1 NBauO i.V.m. Nr. 11.6 des Anhangs rechtlich zulässig sein. Die Möglichkeit, dass der Rahmen, den § 60 Abs. 1 NBauO i.V.m. Nr. 11.6 des Anhangs zieht, von dem nach Aktenlage nur begrenzt einsichtigen Antragsteller erneut überschritten wird, ist ungeachtet dessen konkret gegeben; eine solche konkrete Möglichkeit reicht für die Annahme von Wiederholungsgefahr im Sinne der Rechtsprechung des 11. Senats aus.

Von einer Erledigung der Zwangsgeldfestsetzung ist schließlich ebenfalls nicht auszugehen. § 67 Abs. 2 Satz 2 NPOG regelt für das niedersächsische Landesrecht, unter welchen Voraussetzungen die Beitreibung unterbleiben soll. Sind diese nicht erfüllt und besteht - wie dargelegt - Wiederholungsgefahr, scheidet die Annahme der Erledigung aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG und folgt den Überlegungen des Verwaltungsgerichts.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).