Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.11.2023, Az.: 2 OA 92/23
Beschwerdeausschluss; Reichweite des Beschwerdeausschlusses nach § 80 AsylG
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 06.11.2023
- Aktenzeichen
- 2 OA 92/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 40304
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2023:1106.2OA92.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 19.09.2023 - AZ: 7 A 241/16
Rechtsgrundlagen
- AsylG § 80
- RVG § 1 Abs. 3
- RVG § 55 Abs. 1 S. 1
- RVG § 56 Abs. 1 S. 1
Fundstellen
- AGS 2024, 26-28
- AUAS 2023, 272-274
- DÖV 2024, 208
- NordÖR 2024, 96
Amtlicher Leitsatz
Die Entscheidung über eine Erinnerung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG gegen die Festsetzung der aufgrund der Beiordnung in einem Asylrechtsstreit aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG ist eine von § 80 AsylG erfasste Nebenentscheidung (wie OVG Bremen, Beschl. v. 25.11.2020 - 1 F 295/20 -, juris).
Tenor:
Die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Kläger gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 19. September 2023 - Einzelrichterin der 7. Kammer - wird verworfen.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Der Prozessbevollmächtigte der Kläger streitet mit der Q. über die Höhe der ihm aufgrund seiner Beiordnung in einem Asylrechtsstreit zustehenden Vergütung.
Die Kläger - eine achtköpfige Familie syrischer Staatsangehörigkeit, der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 21. Juni 2016 zwar den subsidiären Schutzstatus zuerkannt, ihre Asylanträge im Übrigen aber abgelehnt hatte - erhoben durch ihren Prozessbevollmächtigten (Aufstockungs-)Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Mit Beschluss vom 1. November 2016 bewilligte das Verwaltungsgericht den Klägern für das Verfahren im ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe und ordnete ihnen ihren Prozessbevollmächtigten bei. Am 9. Oktober 2018 wurde die Klage vor dem Einzelrichter, auf den der Rechtsstreit übertragen worden war, mündlich verhandelt. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger nahm an der mündlichen Verhandlung nicht teil. Nach Aktenlage war er aufgrund eines Versehens der Geschäftsstelle nicht ordnungsgemäß geladen worden; der (u.a.) persönlich erschienene Kläger zu 1. gab allerdings zu Protokoll, seinen Prozessbevollmächtigten am 20. September 2018 über den Termin unterrichtet zu haben. Der Einzelrichter wies die Aufstockungsklage am selben Tage als unbegründet ab und legte den Klägern die Kosten des Verfahrens auf. Das Urteil vom 9. Oktober 2018 wurde dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 14. November 2018 zusammen mit der Sitzungsniederschrift zugestellt und mangels Einlegung eines Rechtsmittels am 15. Dezember 2018 rechtskräftig.
Bereits mit Schriftsatz vom 15. November 2018 hatte der Kläger die Festsetzung der ihm aufgrund seiner Beiordnung aus der Q. zu gewährenden Vergütung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG beantragt, wobei er u.a. 1,2 Terminsgebühr in Höhe von 385,20 EUR zzgl. MwSt. geltend machte. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts setzte die Vergütung am 12. April 2019 zunächst wie beantragt fest. Auf die von der Q. am 7. Oktober 2020 nach § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG erhobene Erinnerung änderte sie die Festsetzung allerdings unter dem 30. November 2020 durch Absetzung der Terminsgebühr zzgl. MwSt. ab und forderte von dem Prozessbevollmächtigten der Kläger die überzahlten 458,38 EUR zurück.
Daraufhin legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger am 3. Dezember 2020 nach § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG Erinnerung ein. Er vertrat die Ansicht, dass die von der Q. am 7. Oktober 2020 erhobene Erinnerung aufgrund des großen zeitlichen Abstandes zur Vergütungsfestsetzung vom 12. April 2019 nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist erfolgt sein könne. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle half der Erinnerung am 5. März 2021 nicht ab und legte sie dem (damals) zuständigen Einzelrichter vor.
Ende August 2023 wurde aufgrund einer Nachfrage der Q. festgestellt, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Erinnerung noch ausstand. Daraufhin wies die (nunmehr) zuständige Einzelrichterin mit Beschluss vom 19. September 2023 die Erinnerung des Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen die Entscheidung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 30. November 2020 zurück. Die zulässige Erinnerung sei unbegründet. Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten der Kläger sei die Erinnerung der Q. vom 7. Oktober 2020 nicht verfristet gewesen. Die Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzung sei unbefristet möglich; dies folge bereits aus § 56 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 RVG, der für die Erinnerung nur auf § 33 Abs. 4 (und Abs. 7 und 8) RVG, nicht jedoch auf § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG mit der dort geregelten Beschwerdefrist verweise. Selbst wenn man mit einem Teil der Literatur annehme, dass das Erinnerungsrecht verwirken könne, sei jedenfalls vorliegend eine Verwirkung nicht eingetreten.
Gegen den Beschluss, dem eine Rechtsmittelbelehrung nach § 33 Abs. 3 (i.V.m. § 56 Abs. 2 Satz 1) RVG beigegeben war, hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger am 25. September 2023 Beschwerde eingelegt. Das Verwaltungsgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass die Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzung nicht fristgebunden sei. Die Q. ist der Beschwerde entgegengetreten.
II.
Über die Beschwerde entscheidet der Senat gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 Halbs. 2 RVG durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter. Berufene Einzelrichterin ist nach der senatsinternen Geschäftsverteilung (§ 4 Satz 1 VwGO i.V.m. § 21g GVG) die Berichterstatterin. Eine Verpflichtung, das Beschwerdeverfahren dem Senat zu übertragen, besteht mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG nicht.
Die Beschwerde ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie bereits nicht statthaft ist. Da der streitgegenständlichen Vergütungsfestsetzung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG ein Asylrechtsstreit zugrunde liegt, ist die Beschwerde nach § 80 AsylG ausgeschlossen. Dies ergibt sich im Einzelnen wie folgt:
Nach § 80 AsylG können Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach dem Asylgesetz vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 VwGO nicht mit der Beschwerde angefochten werden. Der Beschwerdeausschluss nach § 80 AsylG erfasst nicht nur das Hauptsacheverfahren, sondern auch alle gerichtlichen Entscheidungen in selbständigen und unselbständigen Nebenverfahren im Zusammenhang mit dem Asylgerichtsverfahren, wie etwa die Verfahrenseinstellung, Kostenentscheidung, Gegenstandswertfestsetzung, (Teil-)Versagung von Prozesskostenhilfe, Aussetzung und Ruhensanordnung, Richterablehnung, Zeugen- und Sachverständigenentschädigung sowie die Zurückweisung der Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung, selbst wenn diese Entscheidungen - in Ergänzung des Asylgesetzes - ihre Rechtsgrundlage in anderen Gesetzen (z.B. VwGO, GKG, ZPO) haben (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 4.2.2022 - 10 ME 8/22 -, juris Rn. 15; Beschl. v. 19.6.2018 - 10 OA 176/18 -, juris Leitsatz und Rn. 8 m.w.N.; siehe auch HessVGH, Beschl. v. 19.5.2022 - 4 E 819/22.A -, juris Rn. 5; OVG Saarl., Beschl. v. 6.5.2020 - 2 E 124/20 -, juris Leitsatz 1 und Rn. 2; BremOVG, Beschl. v. 27.4.2020 - 1 S 102/20 -, juris Rn. 3; OVG NRW, Beschl. v. 1.7.2019 - 13 E 441/19.A -, juris Rn. 4). Dies gilt auch für das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Der Auffassung, dass der Beschwerdeausschluss nach § 80 AsylG durch die Regelung des § 1 Abs. 3 RVG verdrängt werde (vgl. OVG Berl.-Bbg., Beschl. v. 19.9.2019 - OVG 3 L 112.19 -, juris Leitsatz 2 und Rn. 5 ff.), ist nicht zu folgen. Mit der Einführung der Regelung des § 80 AsylG war ein umfassender Rechtsmittelausschluss bezweckt und es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des § 1 Abs. 3 RVG hieran etwas ändern wollte (so bereits NdsOVG, Beschl. v. 19.6.2018 - 10 OA 176/18 -, juris Rn. 9; vgl. mit ausführlicher Begründung VGH BW, Beschl. v. 16.12.2021 - A 9 S 3141/20 -, juris Leitsatz und Rn. 4 ff.; BremOVG, Beschl. v. 27.4.2020 - 1 S 102/20 -, juris Rn. 4; OVG NRW, Beschl. v. 9.3.2020 - 19 E 1077/18.A -, juris Leitsatz 3 und Rn. 8 ff.).
Hiernach ist auch die Entscheidung über eine Erinnerung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG gegen die Festsetzung der aus der Q. zu gewährenden Vergütung nach § 55 Abs. 1 Satz 1 RVG eine von § 80 AsylG erfasste Nebenentscheidung (vgl. BremOVG, Beschl. v. 25.11.2020 - 1 F 295/20 -, juris Leitsatz und Rn. 7). Der mit der vorliegenden Beschwerde angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 19. September 2023 ist daher unanfechtbar. An der daraus folgenden Unstatthaftigkeit der Beschwerde ändert der Umstand, dass die dem Beschluss beigegebene Rechtsmittelbelehrung von einer Beschwerdemöglichkeit ausgeht, nichts. Ein durch Gesetz nicht vorgesehenes Rechtsmittel kann auch durch richterliche Entscheidung nicht zugelassen werden (vgl. BayVGH, Beschl. v. 10.6.2016 - 20 C 16.30082 -, juris Rn. 2 unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 28.2.1985 - 2 C 14.84 -, juris Rn. 15).
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).