Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.11.2023, Az.: 1 KN 66/21

Belästigende Wirkung von Geruchsimmissionen im Plangebiet; Ausweisung von Außenbereichsflächen mit teilprivilegierter Wohnnutzung als Baugebiet als Nutzungsintensivierung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.11.2023
Aktenzeichen
1 KN 66/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 47965
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:1116.1KN66.21.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Für die Frage, wann Geruchsimmissionen, denen das Plangebiet ausgesetzt ist, so belästigend wirken, dass sie der Ausweisung von zum dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmten Gebieten entgegenstehen oder jedenfalls einer Überwindung durch gewichtigere Belange bedürfen, geben namentlich die Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) und die TA Luft 2021 Orientierungspunkte. Werden die dort für den geplanten Baugebietstyp genannten Immissionswerte eingehalten, so kann die planende Gemeinde in ihrer Abwägung regelmäßig ohne weitere Überlegungen davon ausgehen, dass sich das Plangebiet für die vorgesehene Nutzung in geruchstechnischer Hinsicht eignet.

  2. 2.

    Sind die Immissionswerte überschritten und intensiviert die planende Gemeinde bestehende oder ermöglicht sie neue Nutzungen, muss sie gewichtige städtebauliche Gründe anführen und sich um kompensatorische Maßnahmen bemühen, um den gebotenen Immissionsschutz anderweitig sicherzustellen.

  3. 3.

    Die Ausweisung von Außenbereichsflächen mit teilprivilegierter Wohnnutzung als Baugebiet ist in der Regel selbst dann eine Nutzungsintensivierung mit der Folge, dass etwaige Immissionskonflikte planerisch zu bewältigen sind, wenn eine räumliche Ausdehnung des Baubestands durch Festsetzungen unterbunden wird. Gleiches gilt, wenn vorhandene, im Außenbereich nicht entwicklungsfähige Gemeinbedarfsnutzungen planerisch festgesetzt werden.

Tenor:

Der vom Rat der Antragsgegnerin am 15. Juni 2015 beschlossene Bebauungsplan in der Gestalt des erneuten Satzungsbeschlusses vom 15. Dezember 2020 ist unwirksam.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Antragsteller wenden sich gegen den Bebauungsplan Nr. 6 "Dorfgebiet" der Antragsgegnerin in der Fassung, die er nach Unwirksamkeitserklärung des Ursprungsplans durch den Senat im ergänzenden Verfahren erhalten hat. Sie sehen weiterhin durch die im Plan ermöglichte Schaffung von Wohnbauflächen im festgesetzten Dorfgebiet Entwicklungsmöglichkeiten ihrer in dieses Dorfgebiet einbezogenen landwirtschaftlichen Hofstellen beschränkt.

Die Antragsgegnerin ist eine ländliche Gemeinde, die im Wesentlichen von Streubebauung im Außenbereich gekennzeichnet ist. Den gemeindenamensgebenden Siedlungsschwerpunkt bilden das Plangebiet und seine nähere Umgebung, in der die von West nach Ost führende Dorfstraße, die Mühlenstraße von Norden her, der Grenzweg von Südwesten und die von der Hofstelle des Antragstellers im Parallelverfahrens 1 KN 67/21 im Südosten kommende Straße Am Ultbach zusammentreffen. Auch dieser Bereich ist allerdings nur locker bebaut. Südlich der Dorfstraße, westlich des Grenzwegs liegen eine ursprünglich als Schule genehmigte Kindertagesstätte mit einer Wohnung im Obergeschoss und südlich davon ein ursprünglich als Löschwasserteich genehmigtes Schwimmbad, in dessen Umkleidegebäude zugleich der Dorftreff liegt. Ein südlich von diesem angelegtes Sportfeld wird mittlerweile nicht mehr genutzt. Südwestlich an das Sportfeld grenzt die Hofstelle der Antragsteller, die dort Rinder halten, an. Östlich der Hofstelle, südöstlich des Grenzwegs und westlich der Straße Am Ultbach stehen ein Wohngebäude (Grenzweg 11) und einige Nebengebäude. Ein weiteres Wohngebäude (Dorfstraße 13) befindet nordöstlich davon sich im Winkel östlich der Straße Am Ultbach und südlich der Dorfstraße. An dieses schließt sich in südlicher und östlicher Richtung eine Grünfläche an. Etwa 80 m östlich des Grundstücks Dorfstraße 13 beginnt nördlich der Dorfstraße das als Allgemeines Wohngebiet festgesetzte und durch Wohnbebauung ausgenutzte Plangebiet des Bebauungsplans Nr. 4 "Dorfmitte, Teil I" der Antragsgegnerin. Südlich der Dorfstraße mündet hier die Straße Hürbroeksdiek ein, östlich derer ebenfalls Wohnhäuser stehen. Am Südende der Straße Am Ultbach, etwa 180 m südlich der Dorfstraße liegt der Hofstelle des Antragstellers des Parallelverfahrens 1 KN 67/21 mit Schweinehaltung und Nebengebäuden für den Kartoffelanbau. Der beschriebene Bereich ist im näheren Umkreis von mehreren weiteren Hofstellen mit Tierhaltungsanlagen umgeben.

Nachdem Bestrebungen der Antragsgegnerin, auf der Grünfläche zwischen dem Grundstück Dorfstraße 13 und der Einmündung der Straße Hürbroeksdiek planerisch ein weiteres Allgemeines Wohngebiet zu schaffen, an der hohen Geruchsvorbelastung des Gebiets gescheitert waren, beschloss die Antragsgegnerin am 15. Juni 2015 für einen Bereich südlich der Dorfstraße, der neben der genannten Grünfläche auch die Hofstellen der Antragsteller und des Antragstellers im Parallelverfahren 1 KN 67/21, die Gemeinbedarfseinrichtungen und Wohngebäude um den Grenzweg und Am Ultbach herum und die dazwischenliegenden Grünflächen einschloss, den Bebauungsplan Nr. 6 "Dorfgebiet".

Der Plan setzte in seiner Ursprungsfassung neben öffentlichen und privaten Grünflächen, Ausgleichsflächen, Wald, Verkehrsflächen und einem Regenrückhaltebecken ein gegliedertes Dorfgebiet fest. Die Hofstellen der Antragsteller, des Antragstellers im Parallelverfahren 1 KN 67/21, die Gemeinbedarfseinrichtungen sowie die Grundstücke Grenzweg 11 und Dorfstraße 13 wurden als MD-1 festgesetzt. Dort wurden in Nr. 1.1 Buchst. a) der textlichen Festsetzungen auf der Grundlage von § 1 Abs. 5 BauNVO sonstige Wohngebäude nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO ausgeschlossen. Die Bestandsgebäude mit Ausnahme der beiden Hofstellen waren durch Baufenster, die nur vereinzelt geringfügige Erweiterungsmöglichkeiten zuließen, eingegrenzt. Die Grünfläche zwischen dem Grundstück Dorfstraße 13 und der Straße Hürbroeksdiek war überwiegend als unbeschränktes MD-2, in ihrem Südwesten als MD-3, in dem nach der textlichen Festsetzung Nr. 1.1 Buchst. b) Wohnbebauung erst zulässig sein sollte, sobald ein Geruchsimmissionswert von 15 % der Jahresstunden unterschritten würde, festgesetzt. MD-2 und MD-3 wurden intern durch eine von der Dorfstraße im Bereich der bisherigen Einmündung der Straße Hürbroeksdiek nach Süden abgehende und dann nach Westen zu einem Wendehammer abzweigende Planstraße A und drei Stichwege erschlossen.

Auf Normenkontrollanträge unter anderem der Antragsteller erklärte der Senat diesen Bebauungsplan mit Urteilen vom 10. April 2018 (- 1 KN 179/15, 1 KN 198/15 und 1 KN 67/16 -, n.v.) für unwirksam. Zur Begründung führte er aus, die Antragsgegnerin habe es versäumt, den abwägungserheblichen Sachverhalt vollständig aufzuklären; das der Planung zugrundeliegende Immissionsgutachten der Landwirtschaftskammer vom 27. Februar 2014 untersuche ausschließlich die Geruchsbelastung der als MD-2 und MD-3, nicht aber der als MD-1 festgesetzten Flächen, also von Schwimmbad, Gemeindetreff, Kita, den zwei Wohngebäuden und ihren Nebengebäuden. Die Festsetzung dieser Flächen als Dorfgebiet ohne Kenntnis der dortigen Geruchsbelastung sei abwägungsfehlerhaft gewesen. Eine dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesverwaltungsgericht blieb erfolglos (Beschl. v. 25.3.2019 - 4 BN 30.18 -, juris).

Die Antragsgegnerin führte daraufhin ein ergänzendes Verfahren nach § 214 Abs. 4 BauGB durch und ließ die auf das Plangebiet einwirkenden Geruchsimmissionen erneut und unter Berücksichtigung der Kritik des Senats durch eine Immissionsprognose der Landwirtschaftskammer vom 8. April 2019 untersuchen. Diese Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass auf das MD-2 östlich und südlich der Planstraße A Geruchsimmissionen zwischen 13 und 15 % der Jahresgeruchsstunden, auf das MD-2 und MD-3 westlich bzw. südwestlich der Planstraße A hingegen auch höhere Geruchsimmissionen einwirkten. Im Bereich der Grundstücke Dorfstraße 13 und Grenzweg 11 seien Geruchsstundenhäufigkeiten von 19 bis 21 % bzw. 25 bis 29 %, auf der für Schwimmbad und Kita genutzten Teilfläche von 24 bis 26 % der Jahresgeruchsstunden zu erwarten. Daraufhin änderte die Antragsgegnerin ihre Planung, strich das MD-3, reduzierte das MD-2 auf nach dem neuen Gutachten der Landwirtschaftskammer mit dorfgebietsverträglichen Geruchsstundenhäufigkeiten belegte Flächen und kürzte die Planstraße A entsprechend; die freiwerdenden Flächen setzte sie als Fläche für die Landwirtschaft fest. Den geänderten Planentwurf legte sie vom 21. Juni bis einschließlich 22. Juli 2019 öffentlich aus. Am 15. Dezember 2020 entschied der Rat der Antragsgegnerin über die eingegangenen Stellungnahmen und beschloss den Bebauungsplan erneut als Satzung. Nach Ausfertigung durch den Bürgermeister am 18. Dezember 2020 machte die Antragsgegnerin den Bebauungsplan in den Grafschafter Nachrichten vom 14. Januar 2021 öffentlich bekannt.

Die Antragsteller haben am 16. April 2021 erneut einen Normenkontrollantrag gestellt. Zur Begründung machen sie geltend, die Voraussetzungen für eine Heilung des Bebauungsplans im ergänzenden Verfahren lägen nicht vor, da die vom Senat festgestellten Fehler den Kern der Abwägungsentscheidung betroffen hätten. Der Plan sei nicht aus dem Flächennutzungsplan entwickelt. Die Auslegungsbekanntmachung lasse das Datum des Auslegungsbeschlusses offen und erfülle nicht die Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an die Angaben zu verfügbaren Umweltinformationen; zudem sei keine Veröffentlichungsanordnung des Bürgermeisters erkennbar. Die Auslegungsdauer sei unzureichend, da der Antragsteller zu 2. und sein Prozessbevollmächtigter am 24. Juni 2019 keinen Zugang zu den Auslegungsunterlagen im Rathaus erhalten hätten. Die Planunterlagen seien im Laufe der Auslegung geändert worden. Die ordnungsgemäße Ausfertigung sei zweifelhaft. Die Planung sei auch materiell rechtswidrig, denn sie leide unter Abwägungsmängeln. Ausweislich des neuen Geruchsgutachtens seien in Teilen des MD-1 Geruchsstundenhäufigkeiten weit über dem Dorfgebietswert von 15 % der Jahresgeruchsstunden zu erwarten, die überwiegend von Hofstellen außerhalb des Plangebiets verursacht würden. Gleichwohl begründe der Plan dort erstmals die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben; dass Wohnnutzung ausgeschlossen sei, ändere daran nichts, denn auch gewerbliche Nutzungen seien mit Blick auf die dort beschäftigten Arbeitnehmer schutzwürdig. Maßnahmen zur Konfliktminderung sehe der Plan nicht vor; auch bei einer Aufgabe der Landwirtschaft auf den Hofstellen im Plangebiet blieben unzumutbar hohe Geruchsimmissionen bestehen. Der Umweltbericht sei, von der aktualisierten Immissionsprognose abgesehen, veraltet und daher als Abwägungsgrundlage unbrauchbar. Die festgesetzten Gebäudehöhen schränkten die Antragsteller unzumutbar ein. Im Übrigen bezögen sie sich auf ihre Rügen im Vorgängerverfahren, insbesondere zu ihrer Eigentumsbetroffenheit durch Überplanung ihrer Hofstelle, zur Genehmigungslage der sog. Gemeinschaftseinrichtungen und zum Vorliegen eines Etikettenschwindels aufgrund der tatsächlich fehlenden Möglichkeit einer Ansiedelung von Gewerbebetrieben im Dorfgebiet, der nach Reduktion der Wohnbauflächen um mehr als die Hälfte noch deutlicher geworden sei. Mit Schriftsatz vom 10. November 2023 und ergänzend in der mündlichen Verhandlung haben die Antragsteller ferner vorgetragen, die der Planung zugrundeliegende Geruchsprognose sei unrealistisch, da sie erheblich von einem für ein von ihnen beantragtes Stallbauvorhaben erstellten Gutachten abweiche.

Die Antragsteller beantragen,

den Bebauungsplan der Antragsgegnerin Nr. 6 "Dorfgebiet", Satzungsbeschluss vom 15. Dezember 2020, bekanntgemacht am 14. Januar 2021, für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie meint, die Voraussetzungen für ein ergänzendes Verfahren lägen vor, da die vorgenommenen Änderungen die Grundzüge der Planung bzw. den Kern der Abwägungsentscheidung nicht berührten. Die Auslegungsbekanntmachung sei nicht zu beanstanden. Einer Veröffentlichungsanordnung bedürfe es nicht. Der in der vereitelten Einsicht in die Planunterlagen am 24. Juni 2019 liegende Verfahrensfehler sei nach § 214 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) BauGB unbeachtlich, da die Antragsteller Einwendungen erhoben hätten. Geändert worden sei im Laufe der Auslegung lediglich die Datierung eines Dokuments in der Internetbekanntmachung. Die Ausfertigung des Plans sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Festsetzung eines Dorfgebiets sei nicht zu beanstanden und genüge dem Konfliktbewältigungsgebot. Bei der Berücksichtigung der Geruchsvorbelastung sei die Antragsgegnerin nicht an die Geruchswerte der GIRL gebunden gewesen. Immissionen im Umfang der Vorbelastungen seien nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zumutbar. Dem trage im Übrigen auch die GIRL Rechnung. Im Rahmen der Planung sei die Beurteilung, welche Immissionen einem Baugebiet noch zugemutet werden könnten, Sache des Einzelfalls. Hier liege bereits bisher eine Gemengelage vor, die der Plan lediglich nicht verschlechtern dürfe. Der Gemengelage habe die Antragsgegnerin durch den Verweis auf eine Zwischenwertbildung Rechnung getragen. Einen konkreten Immissionswert habe sie nicht festgesetzt, aber legitimerweise darauf hingewiesen, dass im Sinne eines Ausgleichs zwischen den Interessen der Landwirtschaft und der schutzbedürftigen Nutzungen ein Zielimmissionswert von 20 % der Jahresgeruchsstunden angestrebt werde. Belange der Antragsteller seien ordnungsgemäß abgewogen worden. Deren Emissionsmöglichkeiten nach Norden seien bereits bislang eingeschränkt gewesen; im Süden verblieben ihnen Erweiterungsmöglichkeiten im Rahmen der Rechtsprechung zur Verbesserungsgenehmigung. Die Planung sei erforderlich. Gegen das Entwicklungsgebot werde nicht verstoßen; die Vorgaben des Raumordnungsrechts seien ordnungsgemäß abgewogen worden. Der Umweltbericht sei hinreichend aktuell, zumal dieser im Ausgangsverfahren nicht beanstandet worden sei, etwaige Fehler daher nicht zu heilen gewesen seien. Dafür, dass die festgesetzten Gebäudehöhen die Antragsteller in ihrem Betrieb beschränkten, sei nichts ersichtlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der zulässige Normenkontrollantrag ist begründet. Der angegriffene Bebauungsplan leidet auch in der Fassung, die er durch den Satzungsbeschluss vom 15. Dezember 2020 im ergänzenden Verfahren erhalten hat, an zu seiner Unwirksamkeit führenden Abwägungsfehlern.

Das in § 1 Abs. 7 BauGB verankerte Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung Belange nicht eingestellt werden, die nach Lage der Dinge hätten eingestellt werden müssen, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt wird oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 - IV C 105.66 -, BVerwGE 34, 301 = juris Rn. 29). Zur Unwirksamkeit des Plans führen Mängel im Abwägungsvorgang nur, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind (§ 214 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB). Solche Mängel liegen hier vor.

Zu den abwägungserheblichen Belangen zählt der angemessene Schutz der künftigen Wohn- und Arbeitsbevölkerung im Plangebiet vor Geruchsimmissionen. Der vom Vertreter der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung angeführte Umstand, dass § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB lediglich die Berücksichtigung der allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nennt, während Geruchsimmissionen in der Regel bloße Belästigungen, aber nicht gesundheitsgefährdend sind, steht dem schon deshalb nicht entgegen, weil § 1 Abs. 6 BauGB keinen abschließenden Katalog des Abwägungsmaterials enthält.

1.

Für die Frage, wann Geruchsimmissionen, denen das Plangebiet ausgesetzt ist, so belästigend wirken, dass sie der Ausweisung von zum dauernden Aufenthalt von Menschen bestimmten Gebieten entgegenstehen oder jedenfalls einer Überwindung durch gewichtigere Belange bedürfen, geben einschlägige dem Vorhabenzulassungsrecht entstammende Regelwerke, namentlich die Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) und die TA Luft 2021 Orientierungspunkte. Werden die dort für den geplanten Baugebietstyp genannten Immissionswerte eingehalten, so kann die planende Gemeinde in ihrer Abwägung regelmäßig ohne weitere Überlegungen davon ausgehen, dass sich das Plangebiet für die vorgesehene Nutzung in geruchstechnischer Hinsicht eignet.

Ein solcher Fall liegt hier jedenfalls hinsichtlich der als MD-1 festgesetzten Gebiete nicht vor. Selbst nach dem Gutachten der Landwirtschaftskammer vom 8. April 2019 sind im Bereich des Schwimmbads Geruchsstundenhäufigkeiten von 26 %, im Bereich der Kita von 25 %, im Bereich des Wohnhauses Grenzweg 11 von 29 % und im Bereich von dessen nördlichen Nebengebäuden von 28, 26 und 25 % der Jahresgeruchsstunden zu erwarten. Diese Werte überschreiten die Immissionswerte für Dorfgebiete nach der GIRL von 15 % der Jahresgeruchsstunden erheblich. Auch der Blick auf Nr. 3.1 des Anhangs 7 zur TA Luft 2021 führt zu keinem anderen Ergebnis. Diese differenziert zwar, wie der Vertreter der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung zu Recht hervorgehoben hat, für Gewerbe- und Industriegebiete abweichend von der GIRL zwischen den Geruchsstundenhäufigkeiten, die im Gebiet Wohnenden - etwa Betriebsinhabern und -leitern -, und denen, die der Arbeitsbevölkerung im Gebiet zumutbar sind; für letztere können, abhängig von ihrer täglichen Aufenthaltsdauer und Tätigkeitsart, auch höhere Geruchsstundenhäufigkeiten als 15 % hinzunehmen sein. Diese Bewertung, die entsprechend auf Teilflächen eines gegliederten Dorfgebiets, in denen wie hier das allgemeine Wohnen ausgeschlossen ist, übertragbar sein dürfte und die möglicherweise entgegen der bisherigen Senatsrechtsprechung (Urt. v. 16.11.2017 - 1 KN 54/16 -, BauR 2018, 476 = ZfBR 2018, 165 = juris Rn. 41) auch schon vor Inkrafttreten der TA Luft 2021 am 1. Dezember 2021 in eine Abwägung hätte eingestellt werden können, rechtfertigt indes nicht die Annahme, die vorliegend prognostizierten Immissionen seien zumutbar. Denn auch nach der TA Luft 2021 soll zulasten der Arbeitsbevölkerung in gewerblich genutzten Gebieten eine Geruchsstundenhäufigkeit von 25 % der Jahresgeruchsstunden nicht überschritten werden. Der Neuregelung der TA Luft 2021 lag mithin offenkundig nicht die arithmetische Vorstellung zugrunde, die gegenüber einer ganztägig ausgeübten Wohnnutzung in etwa gedrittelte Aufenthaltsdauer von Arbeitnehmern am Arbeitsplatz rechtfertige eine Verdreifachung der Geruchsstundenhäufigkeit, da der Arbeitnehmer ja zwei Drittel des Tages den Geruch nicht wahrnehme. Dies berücksichtigt bereits nicht, dass auch am Wohnort i.d.R. kein Daueraufenthalt stattfindet. Die ohnehin nicht zeitraumgenau berechnete Geruchsstundenhäufigkeit ist vielmehr ein Indiz für die Aufenthaltsqualität an jedem nicht nur selten oder vorübergehend aufgesuchten Ort. Abschläge für Beschäftigungsstätten mögen eher dadurch gerechtfertigt sein, dass an die Aufenthaltsqualität bei der Arbeit nicht dieselben Ansprüche gestellt werden und auch nicht gestellt werden können wie an die Aufenthaltsqualität im eigenen Heim; diese Abschläge haben aber Grenzen. Die Regelobergrenze von 25 % der Jahresgeruchsstunden in der TA Luft 2021 ist angesichts dessen ernst zu nehmen; hier ist sie - teils deutlich - überschritten. Hinzu kommt, dass der Bebauungsplan im MD-1 zwar das allgemeine Wohnen ausschließt, jedoch keine Vorkehrungen dagegen trifft, dass dort ein - auch nach der TA Luft 2021 "normal" schutzbedürftiges - betriebsbezogenes Wohnen stattfindet oder Tätigkeiten ausgeführt werden, die in ihrem Schutzanspruch dem Wohnen nahekommen; gerade für die Kita-Nutzung, deren Fortsetzung die Antragsgegnerin wünscht, sind nennenswerte Abstriche in der Schutzbedürftigkeit gegenüber dem Wohnen nicht gerechtfertigt.

2.

Eine Überschreitung der Richtwerte der GIRL bzw. des Anhangs 7 der TA Luft 2021 schließt eine abwägungsfehlerfreie Festsetzung von Baugebieten zwar nicht in jedem Fall aus.

a)

Namentlich muss die planende Gemeinde lediglich die durch ihre Planung neu geschaffenen Immissionskonflikte lösen, nicht aber anlässlich ihrer Planung im Plangebiet bereits bestehende Konflikte beseitigen. Angesichts dessen ist es nicht zu beanstanden, wenn die Gemeinde im unbeplanten Innenbereich eine bestehende Gemengelage wechselseitig unverträglicher Nutzungen durch Bauleitplanung nachvollzieht (BVerwG, Beschl. v. 20.1.1992 - 4 B 71.90 -, NVwZ 1992, 663 = juris Rn. 9), also "konfliktneutral" Regelungen für das Plangebiet trifft oder gar - überobligatorisch - die Konfliktlage abmildert. Wird demgegenüber durch die Planung die Intensivierung einer der konfligierenden Nutzungen ermöglicht, so muss dies planerisch bewältigt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.2019 - 4 CN 8.18 -, BVerwGE 166, 378 = NVwZ 2020, 399 = juris Rn. 25; Beschl. v. 8.3.2010 - 4 B 76.09 -, BRS 76 Nr. 23 = juris Rn. 7; Senatsurt. v. 9.9.2020 - 1 KN 71/18 - BauR 2021, 52 = UPR 2021, 194 = juris Rn. 31 ff.).

Das wäre auch hier erforderlich gewesen. Zwar sind in den als MD-1 festgesetzten Gebieten schon bisher schutzbedürftige Nutzungen vorhanden, die nach den oben dargelegten Maßstäben im Ausgangspunkt unzumutbaren Geruchsbelastungen ausgesetzt sind. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass jedenfalls Kindertagesstätte und Schwimmbad im Außenbereich als nicht privilegierte Nutzungen, die dort zumindest die Gefahr der Erweiterung bzw. Verfestigung einer Splittersiedlung begründen, materiell baurechtswidrig und daher - unabhängig von der zwischen den Beteiligten umstrittenen Frage, ob die gegenwärtigen Nutzungen vollumfänglich von Baugenehmigungen abgedeckt sind - nicht fortentwicklungsfähig sind. Die bestehenden Wohnnutzungen in den Häusern Grenzweg 11 und Dorfstraße 13 sind zwar mutmaßlich nach § 35 Abs. 4 BauGB teilprivilegiert und können nach Maßgabe dieser Vorschrift in gewissem Umfang auch weiterentwickelt werden. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass auch § 35 Abs. 4 BauGB letztlich lediglich Bestandsschutzerwägungen Rechnung trägt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.5.2007 - 4 B 14.07 -, ZfBR 2007, 582 = BRS 71 Nr. 111 = juris Rn. 9). Wird die teilprivilegierte Nutzung einmal - ohne konkrete Ersetzungsabsicht - aufgegeben, greift wieder der volle Außenbereichsschutz. Dementsprechend stellt auch insoweit die Überplanung einer teilprivilegierten Nutzung eine Konfliktverschärfung dar, indem sie die in einer eigentlich nicht zu ihr passenden Umgebung gleichsam geduldete zu einer erwünschten, wenngleich andersartigen Nutzung hochstuft. Die Aufwertung des grundsätzlich von Bebauung freizuhaltenden Außenbereich zum Baugebiet ändert seinen rechtlichen Charakter grundlegend, weil schon die allgemeine städtebauliche Zweckbestimmung eines Baugebiets auf eine Nutzungsintensivierung angelegt ist.

An diesen Umständen ändert auch die Tatsache nichts, dass der Bebauungsplan die Nutzung im Bereich der Wohnhäuser und Gemeinbedarfseinrichtungen im MD-1 durch Baugrenzen und die Zulassung maximal eines Vollgeschosses in rein räumlicher Hinsicht weitgehend (wenn auch nicht vollständig) auf das Ausmaß des vorhandenen Baubestandes begrenzt hat. Die Gemeinbedarfseinrichtungen erhalten durch den Plan erstmals eine Erweiterungsperspektive, namentlich im Falle der Veränderung ihres Nutzungsspektrums. Dies ist insbesondere für das mit Immissionen relativ hoch belastete Schwimmbad von Bedeutung, da dessen dauerhafte Fortexistenz in einer kleinen Gemeinde mit begrenzter Finanzkraft und einem begrenzten Personalpool für ehrenamtliche Mitarbeit keineswegs gesichert erscheint. Der Plan öffnet insoweit den Weg für nichtprivilegierte - ggf. auch gewerbliche - Nachfolgenutzungen. Für die Grundstücke Grenzweg 11 und Dorfstraße 13 ließe sich zwar zugunsten der Planungsentscheidung anführen, dass die Antragsgegnerin der im Ansatz konfliktverstetigenden Zulassung nicht privilegierter Nutzungen die konfliktmindernde Wirkung hätte entgegenhalten können, die durch den Ausschluss der bisher nach Maßgabe von § 35 Abs. 4 BauGB möglichen Wohnnutzung bewirkt wurde. Abgesehen davon, dass eine solche Erwägung in der aus der Planbegründung hervorgehenden Abwägung der Antragsgegnerin fehlt, würde dies aber allenfalls das jeweilige Hauptgebäude auf den genannten Grundstücken betreffen; in den Baufenstern der ebenfalls teils von Geruchsstundenhäufigkeiten über 25 % betroffenen Nebengebäude ermöglicht der Plan hingegen erstmals eine nichtprivilegierte Hauptnutzung. Hinzu kommt, dass das Bestreben nach Konfliktminderung den grundsätzlichen Unterschied zwischen Außenbereich und Baugebiet und die damit verbundenen Rechtsfolgen nicht unbedingt zu kompensieren vermag.

b)

Auch unabhängig vom Vorhandensein einer Gemengelage kann eine Gemeinde zwar Baugebiete in einer dafür im Grundsatz nicht geeigneten Umgebung planen. Intensiviert sie bestehende oder ermöglicht sie neue Nutzungen, muss sie aber gewichtige städtebauliche Gründe anführen und sich um kompensatorische Maßnahmen bemühen, um den gebotenen Immissionsschutz anderweitig sicherzustellen (Senatsurt. v. 16.11.2017 - 1 KN 54/16 -, BauR 2018, 476 = juris Rn. 44; v. 9.9.2020 - 1 KN 71/18 -, BauR 2021, 52 = UPR 2021, 194 = juris Rn. 34; v. 7.10.2021 - 1 KN 3/20 -, BauR 2022, 197 = juris Rn. 43 ff.; vgl. auch - zum Trennungsgebot - BVerwG, Urt. v. 19.4.2012 - 4 CN 3.11 -, BVerwGE 143, 24 = DVBl. 2012, 912 = juris Rn. 29). Das ist für die Festsetzung eines Dorfgebiets mit dem - auch nach Ausschluss allgemeinen Wohnens - verbleibenden Nutzungsspektrum im Bereich der Grundstücke Grenzweg 11 und Dorfstraße 13 sowie der Gemeinbedarfseinrichtungen nicht geschehen.

Es fehlt bereits an der Nennung gewichtiger städtebaulicher Gründe für die Festsetzung der als MD-1 bezeichneten Flächen als Dorfgebiet. Eine Standortalternativenbetrachtung wurde zwar für die zur Siedlungserweiterung vorgesehene Fläche des MD-2 angestellt. Diese erfasst aber nicht die Frage, ob man nicht mittelfristig zumindest Gemeinbedarfseinrichtungen günstiger an einen weniger geruchsbelasteten Standort hätte auslagern können, und namentlich nicht die Frage, ob den erheblich immissionsbelasteten Flächen westlich davon über den Bestandsschutz hinaus eine Entwicklungsperspektive gerade für gewerbliche und sonstige schutzbedürftige Nutzungen hätte gewährt werden müssen. Auch sonst ist ein dringender städtebaulicher Bedarf, die Flächen des MD-1 einer weitergehenden Nutzung zuzuführen, weder dargetan noch ersichtlich. Der Senat teilt zwar nicht die von den Antragstellern geäußerte Auffassung, die Festsetzung eines Dorfgebietes sei ein "Etikettenschwindel", weil sich (auch) im Bereich des MD-1 kein Gewerbe ansiedeln, sich mit anderen Worten die nach § 5 Abs. 1 BauNVO prägende Nutzungsmischung von vornherein nicht einstellen werde. Zutreffend bleibt aber, dass die Bauflächen insbesondere aufgrund der restriktiven Festsetzung von Baugrenzen gewerblich nur eingeschränkt nutzbar sind. Das relativiert die städtebauliche Bedeutung erheblich. Die Antragsgegnerin hat zudem darauf verzichtet, die hohe Geruchsbelastung durch kompensatorische Festsetzungen zu mildern und so für städtebaulich akzeptable Arbeitsverhältnisse zu sorgen. Das hätte beispielsweise gemäß § 1 Abs. 9 BauNVO durch eine Beschränkung der zulässigen Gewerbe- und Handwerksbetriebe auf solche, die in Innenräumen arbeiten, verbunden mit der Pflicht zur Installation einer Lüftungsanlage mit Filter (§ 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB) oder solche, die - wie beispielsweise viele Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien - ohne ständige Personalpräsenz vor Ort auskommen, geschehen können.

Das sinngemäße Argument der Antragsgegnerin in der Planbegründung, infolge der Pflicht benachbarter Landwirte, bei künftigen Stallbauvorhaben Verbesserungen ihrer Geruchsemissionssituation vorzunehmen, bis ein - verträglicher - Zielwert von 20 % im Bereich der in Rede stehenden Bestandsnutzungen erreicht sei, sei mittel- bis langfristig eine Entschärfung des Immissionskonflikts im Plangebiet zu erwarten, überzeugt nicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 27.6.2017 - 4 C 3.16 -, BVerwGE 159, 187 = NVwZ 2018, 509 = juris Rn. 13), der der Senat folgt (Urt. v. 11.2.2020 - 1 LC 63/18 -, BauR 2020, 1764 = BRS 88 Nr. 154 = juris Rn. 35) ist die Zulässigkeit neuer Stallbauvorhaben nicht von einer Verbesserung der Immissionssituation abhängig, solange der Vorhabenträger mit seinen vorhandenen Stallanlagen den Stand der Technik einhält.

3.

Angesichts des Vorstehenden kann dahinstehen, ob die Kritik der Antragsteller an der Verwertbarkeit des Immissionsgutachtens der Landwirtschaftskammer vom 8. April 2019 mit der Folge durchgreift, dass die Geruchsstundenhäufigkeiten im MD-1 die Immissionswerte der GIRL bzw. der TA Luft 2021 noch weiter als dort angenommen überschritten und auch im MD-2 eine Geruchsstundenhäufigkeit von 15 % überschritten würde. Auch zu den übrigen Rügen der Antragsteller, die voraussichtlich nicht durchgegriffen hätten, erübrigen sich weitere Ausführungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10 (analog), 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 50.000 EUR festgesetzt.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Prof. Dr. Lenz
Dr. Tepperwien
Glowienka