Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.05.2018, Az.: 13 LB 223/17
Asylantrag; Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen; zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot; Zurückverweisung; Zuständigkeit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 03.05.2018
- Aktenzeichen
- 13 LB 223/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2018, 74158
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 21.04.2017 - AZ: 4 A 407/16
Rechtsgrundlagen
- § 24 AsylVfG
- § 10 Abs 1 AufenthG
- § 25 Abs 3 AufenthG
- § 60 Abs 7 S 1 AufenthG
- § 130 Abs 2 Nr 2 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Begehrt der Ausländer die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG wegen eines nationalrechtlichen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, ohne dass er sich hierzu auf verfolgungsabhängige Gründe beruft und ohne dass er einen Asylantrag gestellt hat, ist die Ausländerbehörde - unter Beteiligung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nach § 72 Abs. 2 AufenthG - zur Entscheidung auch über das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG berufen.
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 21. April 2017 einschließlich des ihm vorangegangenen Verfahrens aufgehoben.
Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Braunschweig zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis wegen eines nationalrechtlichen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots.
Die 1978 geborene Klägerin ist kosovarische Staatsangehörige. Sie reiste zuletzt 1998 in das Bundesgebiet ein und lebt seitdem hier. Mit Bescheid vom 30. Juni 1999 forderte sie der Beklagte zur Ausreise auf und drohte ihr die Abschiebung an. Seitdem wird ihr Aufenthalt von dem Beklagten geduldet. Einen im Januar 2005 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22. April 2005 ab. Im Mai 2006 stellte die Klägerin einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes. Das von dem Beklagten beteiligte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) bejahte in seiner Stellungnahme vom 27. Juni 2006 das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots. Der Beklagte lehnte die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis gleichwohl mit Bescheid vom 13. November 2006 ab, da das Vorliegen der behaupteten posttraumatischen Belastungsstörung nicht nachgewiesen sei. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Braunschweig mit rechtskräftigem Urteil vom 28. August 2008 - 4 A 28/06 - ab.
Unter dem 10. März 2011 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten das Wiederaufgreifen des Verfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis wegen eines nationalrechtlichen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 25 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes. Zur Begründung machte sie geltend, der Beklagte habe über den Wiederaufgreifensantrag gemäß § 51 Abs. 5 des Verwaltungsverfahrensgesetzes unabhängig vom Vorliegen von Wiederaufgreifensgründen nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes von Amts wegen zu entscheiden. In ihrer Person lägen die Voraussetzungen für die Feststellung eines nationalrechtlichen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes vor. Ihr drohe bei einer Rückkehr nach Kosovo eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben. Ausweislich des ihr erteilten Schwerbehindertenausweises bestehe ein Grad der Behinderung von 80%. Der Schwerbehindertenausweis enthalte die Merkzeichen G, H und RF. Sie leide an verschiedenen schwerwiegenden Erkrankungen, unter anderem einer Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung, einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer schweren Depression, einer somatoformen Schmerzstörung sowie einem Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma und schweren Verbrennungen. Mit Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vom 30. November 2010 sei für sie eine Betreuung eingerichtet worden. Ihr Ehemann, Herr A., sei zum Betreuer bestellt worden. Ihr Ehemann sei durch die Tätigkeit im Rahmen der Betreuung in einem Maße gebunden, dass es ihm nicht möglich sei, eine Vollzeittätigkeit aufzunehmen. Er könne deshalb im Falle einer Rückkehr nach Kosovo für sich, die Klägerin und die minderjährigen vier Kinder kein auskömmliches Einkommen erzielen. Soweit im Kosovo überhaupt eine öffentliche Sozialhilfe gewährt werde, sei diese nicht ansatzweise geeignet, das Existenzminimum sicherzustellen.
Der Beklagte wies mit Schreiben vom 22. März 2011 darauf hin, dass es an der für die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis erforderlichen Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes fehle. Für diese Feststellung sei ausschließlich das Bundesamt zuständig. Auch wenn die Klägerin mit dem Wiederaufgreifensantrag nicht mehr die Gefahr einer Retraumatisierung in Kosovo aufgrund erlebter Übergriffe der albanischen Bevölkerung und des serbischen Militärs behaupte, sondern nur eine allgemeine Hilflosigkeit im Falle der Rückkehr, handele es sich um ein materielles Asylbegehren. Denn die geltend gemachten Erkrankungen beruhten auf dem in Kosovo erlebten Geschehen. Der Beklagte regte an, einen Asylantrag zu stellen, um eine Entscheidung des Bundesamts auch zu dem zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot herbeizuführen.
Unter dem 18. Mai 2011 beantragte die Klägerin bei dem Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes. Sie wies dabei ausdrücklich darauf hin, dass sie das Bundesamt für nicht zuständig halte und weder einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte noch einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft stellen wolle. Das Bundesamt wertete den Antrag der Klägerin mit Schreiben vom 31. Mai 2011 als Anfrage nach § 72 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes und verneinte mit weiterem Schreiben vom 10. August 2011 seine Zuständigkeit zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes.
Nachdem die Klägerin den Beklagten wiederholt erfolglos an die Entscheidung über ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erinnert und ihm weitere Unterlagen zu ihren Erkrankungen vorgelegt hatte, hat sie am 9. November 2016 vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig (Untätigkeits-)Klage erhoben. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, dass der Beklagte selbst zur Entscheidung über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes berufen sei. Sie verfolge kein materielles Asylbegehren. Nach den Attesten des Dr. E. aus F. vom 5. Juni 2015 (Blatt 53 der Gerichtsakte), der Fachärzte für Nuklearmedizin Dr. G. und Dr. H. aus F. vom 9. Juli 2015 (Blatt 55 der Gerichtsakte) und der Fachärzte für Allgemeinmedizin I. und Dr. J. aus A-Stadt vom 3. November 2015 (Blatt 51 der Gerichtsakte), vom 23. August 2016 (Blatt 84 der Gerichtsakte) sowie vom 16. März 2017 (Blatt 85 der Gerichtsakte) leide sie an einer anhaltenden Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung, einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer schweren Depression, einer somatoformen Schmerzstörung, einem Zustand nach Schädelhirntrauma und schweren Verbrennungen, einer Autoimmunthyreoiditis, einem arteriellen Hypertonus, einer Hypothyreose, einer Adipositas III. Grades und einem Diabetes mellitus Typ 2. Sie befinde sich seit 2008 in psychotherapeutischer Behandlung und sei ausweislich der Medikamentenpläne vom 3. November 2015 (Blatt 52 der Gerichtsakte) und vom 16. März 2017 (Blatt 86 der Gerichtsakte) auf zahlreiche Medikamente angewiesen. Bei einer Rückkehr nach Kosovo sei die erforderliche medizinische Behandlung ihrer Erkrankungen nicht hinreichend gewährleistet, jedenfalls aber für sie nicht verfügbar. Ihr drohe daher mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, ihr eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes zu erteilen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat er auf seine mangelnde Zuständigkeit zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes verwiesen.
Mit Urteil vom 21. April 2017 hat das Verwaltungsgericht Braunschweig - Einzelrichter der 4. Kammer - die Klage abgewiesen. Der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis stehe die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes entgegen. Die Klägerin habe mit ihrem Schreiben vom 18. Mai 2011 bei dem Bundesamt einen Asylantrag gestellt, über den noch nicht bestandskräftig entschieden worden sei. Ihr stehe auch kein "gesetzlicher Anspruch" im Sinne des § 10 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes zu, der die Titelerteilungssperre ausnahmsweise überwinden könne. Denn die Sollvorschrift in § 25 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes vermittele einen gesetzlichen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin, die der Senat mit Beschluss vom 22. August 2017 - 13 LA 158/17 - wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zugelassen hat.
Zur Begründung ihrer Berufung erneuert und vertieft die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie habe keinen förmlichen Asylantrag gestellt und auch kein materielles Asylbegehren geäußert, so dass die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht greife und der Beklagte für die Feststellung auch des begehrten nationalrechtlichen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots zuständig sei. Die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes und daran anknüpfend für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes seien gegeben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 21. April 2017 aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht Braunschweig zurückzuverweisen,
hilfsweise das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 21. April 2017 zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, ihr eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 21. April 2017 aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht Braunschweig zurückzuverweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 25. August 2017, dort S. 8, und vom 13. Dezember 2017 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet gemäß § 125 Abs. 1 in Verbindung mit § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten über die Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin führt gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils einschließlich des ihm vorangegangenen Verfahrens und zur Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht.
Nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO darf das Oberverwaltungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Verwaltungsgericht zurückverweisen, wenn das Verwaltungsgericht noch nicht in der Sache selbst entschieden hat und ein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt. Unmittelbar werden von dieser Bestimmung Fälle erfasst, in denen das Verwaltungsgericht keine Sachentscheidung über einen Streitgegenstandsteil getroffen hat, sei es, dass das Gericht ein Prozessurteil erlassen oder aus anderen Gründen (wie etwa einer Fehldeutung des Klageziels) das Klagebegehren nicht oder nur teilweise beschieden hat. Darüber hinaus ist eine sinngemäße Anwendung des § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO anerkannt, wenn das Verwaltungsgericht zum eigentlichen Gegenstand des Streites deshalb nicht vorgedrungen ist, weil es in einer rechtlichen Vorfrage die Weiche falsch gestellt und sich infolgedessen den Zugang zum Kern des Streites versperrt hat (vgl. BVerwG, Beschl. v. 4.9.2014 - BVerwG 4 B 30.14 -, juris Rn. 15; Urt. v. 26.1.2012 - BVerwG 3 C 8.11 -, Buchholz 442.16 § 29 StVZO Nr. 1; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 20.12.2010 - 4 LC 318/08 -, NordÖR 2011, 139, 140; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 130 Rn. 9 (Stand: Oktober 2015) jeweils m.w.N.).
1. Nach diesen Maßgaben hat das Verwaltungsgericht Braunschweig mit dem angefochtenen Urteil noch nicht in der Sache selbst entschieden. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - in der hier maßgeblichen, zuletzt durch Gesetz vom 8. März 2018 (BGBl. I S. 342) geänderten Fassung (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels: BVerwG, Beschl. v. 2.12.2014 - BVerwG 1 B 21.14 -, juris Rn. 6; Urt. v. 1.12.2009 - BVerwG 1 C 32.08 -, Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 5; Urt. v. 7.4.2009 - BVerwG 1 C 17.08 -, BVerwGE 133, 329, 332 und 346 - juris Rn. 10 und 37) bereits die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 1 AufenthG entgegen steht, und ist aufgrund dieser falschen Weichenstellung bei einer rechtlichen Vorfrage zum Kern des Streits, dem Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG in Verbindung mit § 60 Abs. 7 AufenthG, nicht mehr vorgedrungen.
Das Verwaltungsgericht ist zur Begründung seiner Annahme, der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG stehe die Titelerteilungssperre nach § 10 Abs. 1 AufenthG entgegen, davon ausgegangen, der von der Klägerin mit Schriftsatz vom 18. Mai 2011 (Blatt 438 ff. der Beiakte 1/II) beim Bundesamt gestellte Antrag auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG stelle einen Asylantrag im Sinne des § 10 Abs. 1 AufenthG dar, über den noch nicht entschieden sei, und Ausnahmen von der Titelerteilungssperre griffen nicht ein.
Bereits der Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts ist rechtlich nicht haltbar. Er missachtet, dass der Begriff des "Asylantrags" im Sinne dieser Vorschrift nach asylrechtlichen Normen zu bestimmen ist. Gemäß § 13 Abs. 1 Asyl(Vf)G liegt ein Asylantrag (nur) vor, wenn sich dem schriftlichen oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung (vgl. Art. 16a Abs. 1 GG) sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG (i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG) oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG (i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG) droht.
Zwar bestimmt § 24 Abs. 2 AsylG für den Erstantrag (bzw. § 31 Abs. 3 Satz 1, 2. Alt. AsylG i.V.m. §§ 29 Abs. 1 Nr. 5, 71 Abs. 1 AsylG für den hier in Betracht kommenden Folgeantrag), dass dem Bundesamt nach Stellung eines Asylantrags auch die Entscheidung darüber obliegt, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Das macht jedoch nicht jedes beim Bundesamt gestellte Gesuch, das auch auf die Feststellung nationalrechtlicher zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote gerichtet ist, automatisch zu einem Asylantrag. Hierfür ist vielmehr Voraussetzung, dass zumindest (auch) die Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (unionsrechtlicher subsidiärer Schutz oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft) oder die Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a Abs. 1 GG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) begehrt wird.
Dieser Fall liegt bei dem unter dem 18. Mai 2011 für die Klägerin beim Bundesamt gestellten Antrag, der im Übrigen erst auf nachdrückliche Veranlassung der Ausländerbehörde des Beklagten (vgl. Blatt 426 f. der Beiakte 1/II) eingereicht wurde, nach keiner Betrachtungsweise vor.
In formeller Hinsicht bezieht er sich ausdrücklich nur auf ein nationalrechtliches krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (Blatt 439 der Beiakte 1/II). Aber auch gemessen an seiner Begründung vermag der Senat nicht festzustellen, dass damit im Sinne des Beschlusses des 8. Senats des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. März 2011 (- 8 LB 121/08 -, juris Rn. 40 m.w.N.) ein materielles Asylbegehren verfolgt worden ist, wie das Verwaltungsgericht jedoch angenommen hat. Ebenso wie mit dem Antrag der - seit dem 30. November 2010 unter rechtlicher Betreuung ihres Ehemanns A. stehenden - Klägerin auf Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 51 Abs. 5 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG) zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG unter Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vom 10. März 2011 (Blatt 403 ff. der Beiakte 1/II) wird mit dem Antrag vom 18. Mai 2011 beim Bundesamt auf eine zwischenzeitlich eingetretene Hilflosigkeit sowie Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit der Klägerin verwiesen, mögen diese Umstände ursprünglich auch auf eine psychische Erkrankung der Klägerin zurückgeführt werden, die in einem vorgetragenen Kausalbezug zu Ereignissen im Zielstaat Kosovo bzw. (früher) Serbien gestanden haben soll. Verfolgungsgründe und -gefahren macht die Klägerin damit aber nicht (mehr) geltend; vielmehr handelt es sich (jedenfalls inzwischen) um verfolgungsunabhängige, rein humanitäre Gründe (vgl. zu dieser Unterscheidung: Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 29.3.2011, a.a.O.; im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 9.6.2009 - BVerwG 1 C 11.08 -, BVerwGE 134, 124, 138 - juris Rn. 34, und Beschl. v. 3.3.2006 - BVerwG 1 B 126.05 -, juris Rn. 3). Soweit das Verwaltungsgericht auf Seite 5 des angefochtenen Urteils angenommen hat, mit der Geltendmachung eines (nationalrechtlichen) zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG verfolge die Klägerin jedenfalls auch ein Begehren auf Gewährung (unionsrechtlichen) subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG (i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG), liegt das neben der Sache, weil der letztgenannte internationale Schutzstatus einen internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Zielstaat der Abschiebung voraussetzt, der im Kosovo nicht (mehr) vorliegt und dessen Vorliegen von der Klägerin auch nicht behauptet wird.
Für die demnach allein begehrte, auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezogene Feststellung als Voraussetzung des geltend gemachten Titelerteilungsanspruchs ist im vorliegenden Fall gemäß § 71 Abs. 1 AufenthG - freilich nach vorheriger (erneuter) Beteiligung des Bundesamts (§ 72 Abs. 2 AufenthG) - die Ausländerbehörde und damit der Beklagte zuständig, wenn wie hier kein Asylverfahren vorausgegangen ist, das (auch) zur Versagung derartigen Abschiebungsschutzes geführt hat. Blatt 9 f. der Beiakte 1/I ist zwar zu entnehmen, dass ein (am 8. Februar 1990, vgl. Blatt 3R der Beiakte 1/I) auch für die damals minderjährige Klägerin gestellter Asylerstantrag ihrer Familie durch Bescheid des damaligen Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 22. Mai 1990 abgelehnt worden ist. In der bis zum 31. Dezember 1990 geltenden Fassung enthielten jedoch weder das AuslG noch das AsylVfG eine dem heutigen § 24 Abs. 2 AsylG vergleichbare Vorschrift, nach welcher das Bundesamt anlässlich eines Asylantrags nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. (entspricht Art. 16a Abs. 1 GG n.F.) über das Bestehen oder die Voraussetzungen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (früher § 53 Abs. 6 AuslG 1990) zu entscheiden hatte.
Folgerichtig hat das Bundesamt den dort gestellten "isolierten Erstantrag" zu nationalrechtlichen zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten vom 18. Mai 2011 bereits mit einem an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gerichteten Schreiben vom 10. August 2011 (Blatt 457 der Beiakte 1/II), das keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, als unstatthaft angesehen, weil dieser mangels einer vom Bundesamt bereits getroffenen negativen Erstfeststellung zu derartigen Abschiebungsverboten nicht (wenigstens) als ein hierauf beschränkter Wiederaufgreifensantrag nach § 51 Abs. 1 oder Abs. 5 VwVfG (sog. isoliertes Folgeschutzgesuch; vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 7.6.2017 - 13 ME 107/17 -, juris Rn. 17) angesehen werden konnte. Bereits mit diesem Schreiben hat das Bundesamt das mit dem Antrag vom 18. Mai 2011 eingeleitete Verfahren insgesamt als beendet betrachtet. Hiergegen hat die Klägerin keinen Rechtsschutz gesucht. Jedenfalls am 21. April 2017 war das Verfahren bestandskräftig abgeschlossen (vgl. § 58 Abs. 2 VwGO).
Aus § 10 Abs. 3 AufenthG folgt ebenfalls kein Hindernis für einen Erfolg der Verpflichtungsklage. Zwar ist der Asylantrag der Klägerin vom 8. Februar 1990 mit Bescheid vom 22. Mai 1990 im Sinne von Satz 1 dieser Vorschrift unanfechtbar abgelehnt worden; in Rede steht hier jedoch mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG lediglich ein danach noch zulässiger Titel mit humanitärem Aufenthaltszweck im Sinne von Abschnitt 5 des Kapitels 2 des AufenthG. Ob die Ablehnung des Asylantrags im Sinne des Satz 2 in qualifizierter Weise als offensichtlich unbegründet erfolgte, kann dahinstehen, weil die daraus ggf. resultierende Sperre gemäß Satz 3 Halbsatz 2 in Fällen einer - hier noch offenen - Erfüllung der Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 AufenthG gerade keine Anwendung findet.
2. Beide Beteiligten haben zudem die Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht Braunschweig beantragt.
3. Die danach eröffnete Entscheidung über die Zurückverweisung liegt im Ermessen des Oberverwaltungsgerichts. Dieses Ermessen ist durch den Regel-Ausnahme-Grundsatz des § 130 Abs. 1 und 2 VwGO vorgeformt, wonach die Zurückverweisung den Ausnahmefall darstellt. Maßgeblich sind dabei insbesondere Gründe der Prozessökonomie und der Verfahrensbeschleunigung sowie des Rechtsschutzes, etwa die Verkürzung des Rechtsweges (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 2.6.2017 - NC 9 S 1244/17 -, juris Rn. 6; Bayerischer VGH, Beschl. v. 16.3.2011
- 12 B 10.2407 -, juris Rn. 27; Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 130 Rn. 15).
Ausgehend hiervon verweist der Senat die Sache an das Verwaltungsgericht zurück. Nach Aktenlage bedarf es zur Beantwortung der entscheidungserheblichen Frage, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG in Verbindung mit § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen, einer vom Verwaltungsgericht bisher nicht vorgenommenen weiteren Aufklärung und umfassenden Würdigung des Sachverhalts. Diese ist auch nicht ausnahmsweise deshalb entbehrlich, weil eine gemäß § 42 Satz 1 AsylG den Beklagten als Ausländerbehörde bindende negative Feststellung des Bundesamts zu dem zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bzw. § 53 Abs. 6 AuslG 1990 besteht, die zugunsten der Klägerin nur im Wege eines Asylfolgeantrags (§ 71 Abs. 1 AsylG) oder eines isolierten Folgeschutzgesuchs geändert werden könnte. Denn ein solcher Fall liegt hier, wie ausgeführt, nicht vor. Vielmehr existieren lediglich ausländerbehördliche Bescheide des Beklagten vom 22. April 2005 (Versagung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis, Blatt 52 ff. der Beiakte 1/I) sowie vom 13. November 2006 (negative Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und Versagung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG, Blatt 173 ff. der Beiakte 1/I), die aufgrund des rechtskräftig gewordenen klageabweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 28. August 2008 - 4 A 28/06 - (Blatt 349 ff. der Beiakte 1/II) bestandskräftig geworden waren und auf die sich der streitgegenständliche Wiederaufgreifensantrag der Klägerin vom 10. März 2011 bezieht. Mit Blick darauf, dass es danach derzeit noch an der Entscheidungsreife fehlt und in Anbetracht der Aufgabenverteilung zwischen der zugangsbeschränkten Berufungsinstanz und der vor Ort befindlichen Eingangsinstanz hält der Senat eine Zurückverweisung für angemessen. Außerdem steht den Beteiligten nach einer Zurückverweisung und Entscheidung durch das Verwaltungsgericht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 VwGO eine weitere Tatsacheninstanz zur Verfügung. Eine Verkürzung des Rechtswegs wird so vermieden.
Mit der Zurückverweisung der Sache wird die erste Instanz mit Rechtskraft dieser Entscheidung erneut eröffnet. Das Verfahren wird dort mit der in § 130 Abs. 3 VwGO vorgeschriebenen Bindungswirkung fortgesetzt.
Die Entscheidung über die Kosten ist der Endentscheidung vorzubehalten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 17.12.2002 - 11 S 1442/02 -, NVwZ-RR 2003, 532, 534 m.w.N.).
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Der Streitwert des zweitinstanzlichen Verfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt (§§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG und Nr. 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).