Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.11.2023, Az.: 1 KN 5/23
Aufstellungsbeschluss; Bestimmmbarkeit; Bestimmtheit; Geltungsbereich; Veränderungssperre; Inhaltliche Anforderungen an den Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 16.11.2023
- Aktenzeichen
- 1 KN 5/23
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 42751
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2023:1116.1KN5.23.00
Rechtsgrundlagen
- BauGB § 14 Abs. 1
Fundstellen
- DVBl 2024, 255-256
- DÖV 2024, 245
- KommJur 2024, 69-70
- NVwZ-RR 2024, 464
- NordÖR 2024, 95
Amtlicher Leitsatz
Der Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan als Voraussetzung einer Veränderungssperre muss den räumlichen Geltungsbereich der künftigen Planung mit Worten oder durch eine anliegende Karte, die Bestandteil des Beschlusses ist, abgrenzen. Der Planbereich muss danach eindeutig bestimmbar sein.
Tenor:
Die vom Rat der Antragsgegnerin am 23. Februar 2022 beschlossene Veränderungssperre für den Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 19.2 "Am Berghang/Osterberg" ist unwirksam.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Antragsteller wenden sich gegen eine Veränderungssperre der Antragsgegnerin, die ihrer Absicht, ein Mehrfamilienhaus zu errichten, entgegensteht.
Die Antragsteller sind Erbbauberechtigte an dem unbebauten Grundstück Flurstück G., Flur 10 der Gemarkung Bad Bentheim. Am 23. Dezember 2021 stellten sie einen Bauantrag zur Errichtung eines Wohnhauses mit sechs Wohneinheiten auf diesem Grundstück.
Zur Sitzung des Verwaltungsausschusses der Antragsgegnerin am 16. Februar 2022 schlug deren Verwaltung mit Ausschussvorlage zu Tagesordnungspunkt 19 die Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans zur Errichtung von Einzel- und Doppelhäusern auf den Flurstücken 15/15, 30/10 und 31/16, ca. 100 m östlich des Vorhabengrundstücks der Antragsteller, vor. Gegenstand des Tagesordnungspunktes 20 sollte das Vorhaben der Antragsteller sein; einen konkreten Beschlussvorschlag formulierte die Verwaltung in der Ausschussvorlage (2022/016) nicht, sondern stellte lediglich die Sachlage dar. In der Niederschrift zur Ausschusssitzung wird zum Tagesordnungspunkt 19 ausgeführt:
"Die Verwaltung schlage vor, so Frau H., den Bebauungsplan Nr. 19.1 einzeln zu behandeln. Für den restlichen Teil schlage sie die Aufstellung eines Bebauungsplanes und den Erlass einer Veränderungssperre über den Bereich Osterberg 4 bis zum Hotel Am Berghang vor."
Zum Tagesordnungspunkt 20 heißt es:
"Frau H. wiederholt den Beschlussvorschlag, den sie bereits im Rahmen von TOP 19 formuliert hatte. Herr I. weist darauf hin, dass auch der Bebauungsplan aufgestellt werden müsse.
Beschlussvorschlag:
Der Beschluss wird in der Sitzung erarbeitet.
Geänderter Beschluss:
Im Bereich zwischen den Straßen Am Kathagen, Am Berghang und Osterberg wird ein Bebauungsplan 19.2 aufgestellt und für dessen Geltungsbereich eine Veränderungssperre erlassen. Für den Bauantrag Osterberg 4 wird beim Landkreis die Zurückstellung beantragt."
In den Grafschafter Nachrichten - dem satzungsmäßig für ortsübliche Bekanntmachungen bestimmten Organ - gab die Antragsgegnerin in der Folge bekannt, ihr Verwaltungsausschuss habe am 16. Februar 2022 die Aufstellung eines Bebauungsplans Nr. 19.2 "Am Berghang/Osterberg" beschlossen. Zur Umschreibung des Geltungsbereichs fügte sie einen Flurkartenauszug bei, in dem ein Bereich markiert war, der im Nordwesten durch die Straße "Am Kathagen" ab dem Grundstück des Hotels Am Berghang - bis zur Einmündung der Straße "Osterberg" das Straßengrundstück einschließend, weiter östlich dieses ausschließend - und einen Teil der Straße "An der Freilichtbühne" begrenzt wurde. Im Nordosten verläuft die Grenze des markierten Bereichs nördlich einiger an die Straße Osterberg angrenzender Grundstücke. Die Grenze zu den (dort so bezeichneten) Flurstücken 20/4, 31/10 (heute 31/19) und 31/16 bildet die Ostgrenze des markierten Bereichs. Die Südgrenze verläuft südlich des Flurstücks 31/15 (heute 31/17) entlang der Straße "Am Berghang", verspringt im Bereich der Flurstücke 35/16, 35/15, 35/9, 39/9 und 39/8 nach Norden, um am Flurstück 39/7 wieder an die Straße "Am Berghang" heranzuspringen und westlich der Einmündung des Nordwestarms der Löwenstraße das Straßengrundstück einzuschließen.
In seiner Sitzung am 23. Februar 2022 beschloss der Rat der Antragsgegnerin die streitgegenständliche Veränderungssperre für den in der Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses markierten Geltungsbereich; die Veränderungssperre machte die Antragsgegnerin nachfolgend - das genaue Datum ist den Verwaltungsvorgängen nicht zu entnehmen - in den Grafschafter Nachrichten bekannt.
Am 9. Januar 2023 haben die Antragsteller den vorliegenden Normenkontrollantrag gestellt. Zur Begründung führen sie aus, die Veränderungssperre sei formell unwirksam, da die Ratsmitglieder nicht ordnungsgemäß zur Sitzung am 23. Februar 2022 geladen worden seien, die Veränderungssperre nicht ordnungsgemäß bekanntgegeben worden sei und eine ordnungsgemäße Ausfertigung zweifelhaft sei. Sie sei auch materiell fehlerhaft, da es an einem wirksamen Aufstellungsbeschluss für die zu sichernde Planung fehle; für die Beschlussfassung sei der Rat, nicht der Verwaltungsausschuss zuständig gewesen. Der vom Verwaltungsausschuss gefasste Beschluss sei, u.a. in räumlicher Hinsicht, nicht hinreichend bestimmt und decke sich nicht mit dem Bekanntmachungsinhalt, der - was zutrifft - ergänzend Angaben zu den Planungszielen enthalte. Der Aufstellungsbeschluss sei auch nicht wirksam ausgefertigt und nicht, wie die Hauptsatzung der Antragsgegnerin fordere, im Internet bekannt gemacht worden. Die Planungsabsichten der Antragsgegnerin seien bei Erlass der Veränderungssperre noch nicht hinreichend konkret gewesen und im Laufe des Verfahrens von der Antragstellerin ausgetauscht worden.
Die Antragsteller beantragen,
die Veränderungssperre der Antragsgegnerin für den Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 19.2 "Am Berghang/Osterberg", Satzungsbeschluss vom 23.02.2022, bekanntgemacht am 23.02.2022, für unwirksam zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Antrag abzulehnen.
Sie hält die Veränderungssperre für formell rechtmäßig. Zur Ratssitzung sei ordnungsgemäß geladen worden. Die ordnungsgemäße Bekanntmachung in den Grafschafter Nachrichten ergebe sich aus den Verwaltungsvorgängen und sei nach der bis zum 30. April 2022 geltenden Hauptsatzung der Antragsgegnerin ausreichend gewesen. Die Veränderungssperre sei auch materiell rechtmäßig. Ein wirksamer Aufstellungsbeschluss sei am 16. Februar 2023 gefasst worden. Der Rat sei entgegen der Auffassung der Antragsteller lediglich für den Satzungsbeschluss, nicht aber für den Beschluss zur Einleitung des Planaufstellungsverfahrens zuständig. Die Bekanntmachung in den Grafschafter Nachrichten sei ordnungsgemäß; einer Ausfertigung durch den Bürgermeister habe es nicht bedurft. Der Inhalt der Bekanntmachung decke sich mit dem Aufstellungsbeschluss. Dass ergänzend auf das Planungsziel hingewiesen worden sei, sei unschädlich. Die Planung sei zum Zeitpunkt des Beschlusses der Veränderungssperre hinreichend konkretisiert worden; ob die Planungsziele in der Folge modifiziert worden seien, sei unerheblich; von einer "Aufgabe des Aufstellungsbeschlusses" bzw. der darin formulierten Planungsabsicht könne keine Rede sein. Eine Verhinderungsplanung liege nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der zulässige Normenkontrollantrag, über den der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Die streitgegenständliche Veränderungssperre ist materiell rechtswidrig, da ihr kein wirksamer Aufstellungsbeschluss der Antragsgegnerin vorangegangen ist.
Nach § 14 Abs. 1 BauGB ist der Beschluss der Gemeinde über die Aufstellung eines Bebauungsplans materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die als Satzung zu erlassende Veränderungssperre (BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 - 4 C 9.07 -, BVerwGE 130, 113 = NvwZ 2008, 437 = juris Rn. 8 m.w.N.). Der Planaufstellungsbeschluss muss den räumlichen Geltungsbereich der künftigen Planung mit Worten oder durch eine anliegende Karte, die Bestandteil des Beschlusses ist, abgrenzen und erkennen lassen, dass in dem Gebiet ein Bebauungsplan aufgestellt werden soll (Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand d. Bearb. Februar 2019, § 14 Rn. 33). Der Planbereich muss danach eindeutig bestimmbar sein (BGH, Urt. v. 17.12.1981 - III ZR 88/80 -, BGHZ 82, 361 = juris Rn. 29 m.w.N.).
Daran fehlt es hier. Der vom Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin in seiner Sitzung am 16. Februar 2022 gefasste Beschluss lässt eine eindeutige Bestimmung des Bereichs, für den der Bebauungsplan aufgestellt werden soll, nicht zu. Der Inhalt dieses Beschlusses ist, wie die Antragsgegnerin selbst vorträgt, durch den bei den Aufstellungsvorgängen zu findenden Protokollauszug dokumentiert. Die Beschreibung des Geltungsbereichs als des Bereichs "zwischen den Straßen Am Kathagen, Am Berghang und Osterberg" lässt eine eindeutige Identifizierung nicht zu; diese Straßen umschließen keinen klar definierten Bereich, so dass weitere Grenzangaben hinzutreten müssten. Zudem weisen sie mehrere mit den gleichen Straßennamen versehene Verzweigungen auf. Eine Karte war der im Aufstellungsvorgang enthaltenen Sitzungsniederschrift nicht beigefügt; auf eine solche wird in der Niederschrift auch nicht Bezug genommen. Der Geltungsbereich lässt sich auch nicht aus dem Kontext des Beschlusses ableiten. Selbst wenn man berücksichtigte, dass der Beschluss auf einen Vorschlag der Verwaltungsmitarbeiterin Frau H. im Rahmen der Beratung des Tagesordnungspunktes 19 zurückgehen soll, einen Bebauungsplan für den (gegenüber dem Geltungsbereich des Bebauungsplans 19.1) "restlichen Teil" und eine Veränderungssperre "über den Bereich Osterberg 4 bis zum Hotel Am Berghang" aufzustellen, bleiben die Gebietsgrenzen unklar. Man mag dieser Aussage noch entnehmen, dass die Ostgrenze die Westgrenze des Plangebiets des Bebauungsplans 19.1 sein soll - dies würde sich mit der später bekannt gemachten Karte decken. Weiter unklar bliebe aber der genaue Verlauf der West-, der Nord- und der Südgrenze des Geltungsbereichs, die nicht eindeutig durch die Straßen Am Kathagen, Osterberg und Am Berghang begrenzt sind und nach der später bekannt gemachten Karte auch nicht durchgängig von diesen begrenzt werden sollten. Der Hinweis auf die Grundstücke Osterberg 4 und das Hotel Am Berghang beziehen sich auf den vorgeschlagenen Geltungsbereich der Veränderungssperre und ergäben im Übrigen ebenfalls keine klare Definition der Nord- und Südgrenze des Plangebiets.
Eine Heilung des daraus resultierenden Mangels durch Fassung eines erneuten, diesmal hinreichend bestimmten Aufstellungsbeschlusses ist bis zur Beschlussfassung über die Veränderungssperre nicht erfolgt; diese selbst kann nicht als konkludenter Erlass eines neuen Aufstellungsbeschlusses gesehen werden (Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand d. Bearb. Februar 2019, § 14 Rn. 37).
Angesichts der aus dem Fehlen eines hinreichend bestimmten Aufstellungsbeschlusses folgenden Rechtswidrigkeit der Veränderungssperre muss der Senat auf die weiteren von den Antragstellern aufgeworfenen Fragen nicht eingehen, zumal sich diese Fragen im Falle erneuten Erlasses der Veränderungssperre überwiegend vor dem Hintergrund eines in tatsächlicher (Planungsfortschritt) und rechtlicher (neue Hauptsatzung) Hinsicht geänderten Sachverhalts stellen würden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 31.250 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1 d), 8 g) der Streitwertannahmen des Senats, NdsVBl. 2021, 247).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Prof. Dr. Lenz