Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.09.2016, Az.: 9 LB 100/15

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.09.2016
Aktenzeichen
9 LB 100/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43424
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 23.04.2015 - AZ: 4 A 92/14

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer - vom 23. April 2015 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ihm subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutz zuzuerkennen und weiter hilfsweise festzustellen, dass für ihn ein nationales Abschiebungsverbot hinsichtlich der Islamischen Republik Afghanistan besteht.

Er ist nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger muslimisch-sunnitischer Religions- und paschtunischer Volkzugehörigkeit, ledig, kinderlos und wurde am 29. November 1994 in Pakistan geboren, wo er sich bis zum Alter von ca. sieben Jahren aufhielt. Er lebte sodann in Afghanistan im Dorf Zor Kadus im Distrikt Zurmat in der Provinz Paktya sowie zwischenzeitlich in der Stadt Kabul und reiste im September 2012 in das Bundesgebiet ein, wo er im Januar 2013 einen Asylantrag stellte.

Zur Begründung gab er im Wesentlichen an, er sei den Taliban mehrfach aufgefallen, habe diese beleidigt und befürchte, bei einer Rückkehr nach Afghanistan von ihnen getötet zu werden.

Mit Bescheid vom 17. Juli 2013 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG a. F. vorlägen, und drohte ihm unter Setzung einer Ausreisefrist die Abschiebung nach Afghanistan an. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus:

Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Denn seine Behauptung, von den Taliban bedroht und gesucht worden zu sein, sei nicht glaubhaft. Aus der paschtunischen Volkszugehörigkeit folge für ihn ebenfalls nicht die Gefahr einer landesweiten Verfolgung. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG a. F. lägen nicht vor. Aus dem Vorbringen des Klägers ergebe sich nicht, dass er von Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder von einer Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe bedroht sei. Auch drohten ihm nicht im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts als Zivilperson erhebliche individuelle Gefahren für Leib oder Leben. Im Raum Kabul, wo er zuletzt gelebt habe und in der Lage gewesen sei, sich dauerhaft niederzulassen, herrsche kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Nationaler Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufentG komme nur in Frage, wenn die Gefahren durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohten oder dem Staat zuzurechnen seien.

Eine extreme Gefahrenlage, die bei verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufentG a. F. zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde, bestehe jedenfalls im Raum Kabul nicht.

Der Kläger hat Klage erhoben. Er hat im Wesentlichen geltend gemacht: Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wäre er einer ernsthaften individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt. In seiner Heimatprovinz Paktya herrsche ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt. Der Konflikt habe hinsichtlich des Ausmaßes an Gewalt und der Anzahl der Opfer eine solche Dimension, dass er allein durch seine Anwesenheit Gefahr laufe, Opfer der Auseinandersetzungen zu werden. Bei ihm lägen gefahrerhöhende Umstände vor. Er sei jung, männlich und Paschtune. Die Taliban hätten ihn mehrfach zur Zusammenarbeit aufgefordert. Hierzu sei er nicht bereit gewesen. Er sei geflüchtet, weil die Taliban ihn für den Fall der Verweigerung einer Zusammenarbeit massiv bedroht hätten. Die Stadt Kabul sei für ihn keine Fluchtalternative.

Die Taliban würden ihn dort leicht ausfindig machen können, weil er regelmäßig in seine Heimatprovinz pendeln würde. Auch sei er auf einer landesweit bekannten Liste der Taliban verzeichnet. Zudem wäre die ihn in Afghanistan erwartende Versorgungslage lebensbedrohlich. Nur männliche Rückkehrer, die eine berufliche Qualifikation im handwerklichen Bereich mitbrächten, hätten dort gute Chancen, ohne Kontakte eine Unterkunft und eine den Lebensunterhalt sichernde Anstellung zu finden.

Der Kläger hat beantragt, unter entsprechender Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 17. Juli 2013

1. die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG a. F. zuzuerkennen,

2. hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz im Sinne des § 4 AsylVfG a. F. zu gewähren,

3. weiter hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 23. April 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1, 4 AsylVfG a. F. in Verbindung mit § 60 Abs. 1 AufenthG lägen nicht vor. Denn das Vorbringen des Klägers zu einer Verfolgung durch die Taliban sei aus im Einzelnen erläuterten Gründen nicht glaubhaft.

Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf eine Zuerkennung subsidiären Schutzes. Insbesondere sei ihm kein Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG a. F. zu gewähren, da für ihn die Region Kabul als inländische Fluchtalternative in Betracht komme. Dort sei er nicht als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt. Er habe bereits einige Zeit bei seinem Onkel in Kabul gelebt, der ihm eine Anstellung bzw. eine Ausbildungsmöglichkeit habe bieten können. Seine Rückkehr nach Paktya habe auf einem Verlangen seines Vaters beruht, nicht auf einer selbst erlebten Unsicherheit in Kabul. Dass er in Kabul nicht sicher sei, weil er von dort aus regelmäßig in seine Heimatregion pendeln würde, stehe einer Verweisung auf diese interne Schutzmöglichkeit nicht entgegen, deren Sinn die Aufgabe des ursprünglichen Wohnsitzes sei. Für den Kläger bestehe ferner kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG, da die Lage in Afghanistan nicht so ernst sei, dass eine Abschiebung ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK wäre. Auch eine individuelle Gefahr für Leib oder Leben des Klägers in Afghanistan, die ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründen könnte, sei nicht festzustellen. Zumindest für gesunde und arbeitsfähige männliche afghanische Staatsangehörige wie den Kläger bestehe bei einer Rückkehr nach Kabul eine extreme Gefahrensituation auch dann nicht, wenn der Rückkeh- rer beruflich nicht besonders qualifiziert sei und weder über nennenswertes Vermögen noch über Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte, die in Kabul lebten, verfüge. Der Kläger habe einen Onkel in Kabul, der auch bisher die Familie unterstützt habe.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 30. Juni 2015 (9 LA 99/15) wegen einer Verletzung rechtlichen Gehörs gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG a. F. die Berufung zugelassen, weil der zur mündlichen Verhandlung für die Sprache Paschtu geladene Dolmetscher diese Sprache nicht beherrschte und die Verhandlung daraufhin mit dem Kläger ohne Dolmetscher auf (gebrochenem) Deutsch durchgeführt wurde.

Zur Begründung seiner Berufung vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen im Wesentlichen wie folgt: Nachdem die Taliban ihn beim Musikhören erwischt hätten, hätten sie ihn öfter „im Auge gehabt". Er habe Probleme mit den Taliban gehabt, nachdem er sich über diese gegenüber anderen Jugendlichen abfällig geäußert habe. Die Taliban hätten im Haus seines Vaters nach ihm gesucht. Die Stadt Kabul sei für ihn keine zumutbare Fluchtalternative, da er infolge seiner Aufnahme in eine „schwarze Liste" der Taliban auch dort einer Verfolgung durch diese ausgesetzt wäre. Seine Rückkehr von Kabul in seine Heimatprovinz Paktya habe nicht nur auf dem Verlangen seines Vaters beruht. Vielmehr habe für ihn als Paschtunen auch in Kabul Unsicherheit bestanden.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter entsprechender teilweiser Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17. Juli 2013 zu verpflichten,

1. ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

2. hilfsweise, ihm subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 AufenthG in Verbindung mit § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen und in der Abschiebungsandrohung die Islamische Republik Afghanistan als den Staat zu bezeichnen, in den er nicht abgeschoben werden darf.

3. weiter hilfsweise, für ihn ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG und/oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und/oder nach § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 5 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung hinsichtlich der Islamischen Republik Afghanistan festzustellen und in der Abschiebungsandrohung die Islamische Republik Afghanistan als den Staat zu bezeichnen, in den er nicht abgeschoben werden darf.

Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt. Von einer Berufungserwiderung hat sie abgesehen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, den Verwaltungsvorgang des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und die beigezogene Ausländerakte über den Kläger Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte ist nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Berufungsverhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) weder dazu verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (1.), noch dazu verpflichtet, ihm subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutz zuzuerkennen (2.) oder festzustellen, dass für ihn ein nationales Abschiebungsverbot besteht (3.). Dementsprechend ist die Islamische Republik Afghanistan auch nicht in der Abschiebungsandrohung als Staat zu bezeichnen, in den der Kläger nicht abgeschoben werden darf (4.).

1. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Recht nicht dazu verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG. Der Kläger ist kein Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG. Danach ist ein Ausländer Flüchtling, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor.

Der Kläger hält sich zunächst nicht aus begründeter Furcht vor einer Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Paschtunen außerhalb Afghanistans auf. Denn ungeachtet der Frage, ob es sich bei dieser mit ca. 40 % größten Volksgruppe in der Islamischen Republik Afghanistan (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6.11.2015, S. 10) um eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG handelt, ergibt sich aus den dem Senat vorliegenden Erkenntnismitteln nicht, dass Paschtunen in der Islamischen Republik Afghanistan gerade wegen ihrer Volkszugehörigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr von Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG ausgesetzt sind (vgl. auch BayVGH, Beschlüsse vom 9.12.2013 - 13a ZB 13.30336 - juris Rn. 5; vom 21.8.2014 - 13a ZB 14.30013 - juris Rn. 4).

Der Kläger hält sich auch nicht aus begründeter Furcht vor einer Verfolgung wegen seiner politischen Überzeugung durch die Taliban außerhalb Afghanistans auf.

Gemäß § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG nur Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger sich aus begründeter Furcht vor derart gravierenden, an seine politische Überzeugung anknüpfenden Verfolgungshandlungen durch die Taliban außerhalb Afghanistans aufhält.

Der Kläger befürchtet nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren zwar im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan der Art nach eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte, nämlich dass die Taliban an ihm ein Exempel statuieren, indem sie ihn zwar nicht töten, aber z. B. mit Säure übergießen würden.

Diese Furcht des Klägers ist aber nach Ansicht des Senats nicht begründet. Maßgebend ist insoweit der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.2.2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 32). Dabei greift zugunsten eines Vorverfolgten bzw. in anderer Weise Geschädigten eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (BVerwG, Urteil vom 27.4.2010 - 10 C 5.09 - juris Rn. 19; vgl. auch Art. 4 Abs. 4 der Neufassung der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Abl. Nr. L 337 S. 9, sog. „EU-Flüchtlingsschutz-RL")). Es ist Sache des Ausländers, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Das Gericht muss die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals erlangen, wobei allerdings der sachtypi- sche Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Verfolgerstaat angemessen zu berücksichtigen und deshalb den glaubhaften Erklärungen des Asylsuchenden größere Bedeutung beizumessen ist, als dies sonst in der Prozesspraxis bei Parteibekundungen der Fall ist (BVerwG, Beschluss vom 29.11.1996 - 9 B 293.96 - juris Rn. 2).

Nach Maßgabe dessen ist der Senat von der Wahrheit des vom Kläger behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals nicht überzeugt. Er geht weder davon aus, dass der Kläger in Afghanistan Vorverfolgungshandlungen durch die Taliban im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG ausgesetzt war, noch, dass er ohne eine solche Vorverfolgung bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen durch die Taliban im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG ausgesetzt sein wird.

Denn der Kläger hat in seinen Befragungen seit seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in wesentlichen Kernpunkten voneinander abweichende Versionen zu einer Verfolgung durch die Taliban vorgetragen:

Gegenüber dem Jugendamt gab er am 10. September 2012 an, nachdem er sich nach Kabul begeben habe, sei er dort von den Taliban angesprochen und verdächtigt worden, für das Ausland bzw. als Spion für den Westen zu arbeiten. Die Taliban hätten ihn aufgefordert, in seine Provinz zurückzukehren. Andernfalls werde er umgebracht. Die Drohung der Taliban sei sehr ernsthaft gewesen. Es sei seine letzte Chance gewesen, aus Kabul zu flüchten. Zurück in Paktya seien er und seine Familie massiv bedroht und eingeschüchtert worden. Sein älterer Bruder sei aufgrund der Ähnlichkeit mit ihm umgebracht worden. Daraufhin habe sein Onkel ihm geraten, die Provinz zu verlassen und vor den Taliban zu fliehen.

Im Rahmen seiner Anhörung durch das Familiengericht am 13. November 2012 führte der Kläger demgegenüber aus, erst nachdem die Taliban ihm in seiner Heimatprovinz vorgeworfen hätten, er sei ein Spion, sei er nach Kabul gegangen.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 21. März 2013 war von einer dem Kläger seitens der Taliban vorgeworfenen Spionagetätigkeit oder Arbeit für das Ausland und einer Rückkehr aus der Stadt Kabul in sein Heimatdorf wegen konkreter Bedrohungen durch die Taliban nicht mehr die Rede. Vielmehr führte der Kläger nunmehr aus, er sei - noch bevor er in Kabul gearbeitet habe - von den Taliban kontrolliert worden. Diese hätten bei ihm ein Handy gefunden, auf dem Paschto- Lieder gespeichert gewesen. Sie hätten ihn aufgefordert, dies zu unterlassen. An einem anderen Tag habe er mit Jugendlichen „Kerkat" (Cricket) gespielt. Die Taliban seien gekommen und hätten sie aufgefordert, sich am Dschihad zu beteiligen. Daraufhin habe er sich - um eine Rekrutierung durch die Taliban zu vermeiden - nach Kabul begeben. Drei Monate später habe sein Vater ihm mitgeteilt, sein ebenfalls in Kabul wohnender Bruder sei von den Taliban festgesetzt worden. Sein Vater habe zu ihm gesagt, er solle zurückkommen, damit ihm das nicht ebenfalls passiere. Nach seiner Rückkehr aus Kabul habe er gegenüber anderen Jugendlichen geäußert, die Taliban seien wie Tiere. Vermutlich habe einer der Jugendlichen dies den Taliban erzählt. Diese hätten spät abends an ihre Tür geklopft und nach ihm gefragt.

In der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren am 19. September 2016 gab der Kläger schließlich zu Protokoll, er habe Afghanistan verlassen, weil er die Taliban nach seiner Rückkehr aus Kabul in sein Heimatdorf - am Tag des Cricket-Spiels, an dem die Taliban sie aufgefordert hätten, sich lieber am Dschihad zu beteiligen - im Rahmen eines Wutausbruchs als Esel bzw. Eselssöhne bezeichnet habe und daher auf einer schwarzen Liste der Taliban stehe. Die anderen Jugendlichen hätten die Beleidigung vermutlich an die Taliban weitergetragen. Denn am Tag des Cricket-Spiels sei ein älterer Mann zu seinem Vater nach Hause gekommen und habe von dem Vorfall berichtet. Einen Tag später seien die Taliban zu ihnen nach Hause gekommen und hätten nach ihm gesucht.

Abgesehen von diesen bereits in den wesentlichen Kernpunkten voneinander abweichenden Darstellungen der behaupteten Verfolgung durch die Taliban unterscheiden sich auch die Schilderungen des Klägers hinsichtlich der Situation, als die Taliban bei ihm zuhause nach ihm gesucht haben sollen, in grundsätzlicher Hinsicht. So gab der Kläger gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an, sein Vater habe die Tür geöffnet und mit den Taliban ein Gespräch geführt. Nach einigen Minuten sei er zurückgekehrt und habe berichtet, die Taliban hätten ihn - den Kläger - „haben wollen". Sein Vater habe geantwortet, er sei nicht zu Hause. Die Taliban hätten erwidert, er - der Kläger - sei ihnen schon öfter aufgefallen und müsse für seine Äußerung bestraft werden. Auf die Frage, weshalb die Taliban nicht das Haus nach ihm durchsucht hätten, antwortete der Kläger, sie hätten zwar hinein gewollt, aber sein Vater habe gesagt: „Ich bin ein alter Mann, ich lüge nicht." Demgegenüber gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren zu Protokoll, die Taliban hätten seinen Vater mit einer Kalaschnikow gestoßen. Zwei Taliban seien in das Haus eingedrungen und hätten es nach ihm durchsucht. Sie hätten ihn jedoch nicht gefunden, weil er in eine Kiste gestiegen sei, seine Mutter ihn mit Kleidung bedeckt habe und der Deckel der Kiste über ihm geschlossen worden sei.

Diese unterschiedlichen Darstellungen der behaupteten Verfolgung durch die Taliban weichen in zentralen Punkten derart voneinander ab, dass sie sich nicht mehr mit Schwierigkeiten in der Ausdrucksweise des Klägers, mit Ungenauigkeiten bei der Übersetzung oder - wie der Kläger auf Vorhalt in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren geltend gemacht hat - dadurch erklären lassen, dass er nur auf gestellte Fragen geantwortet habe und seine Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen worden seien. Insbesondere ist der Widerspruch, dass einerseits laut Aussage des Klägers vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Taliban das Haus seiner Familie nicht nach ihm durchsuchten, weil sein Vater an der Tür äußerte, er sei ein alter Mann, der nicht lüge, andererseits den Angaben in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren zufolge sich die Taliban gewaltsam mit einer Kalaschnikow den Zutritt zur Wohnung verschafften, diese durchsuchten und den Kläger nur deshalb nicht fanden, weil er sich in einer Kiste versteckt hatte, nicht mit der Behauptung des Klägers zu erklären, er habe auch gegenüber dem Bundesamt die Geschichte mit der Kiste berichtet, die Dolmetscherin sei aber nicht in der Lage gewesen, dies zu übersetzen. Denn der Kläger gab laut Protokoll des Bundesamts diesem gegenüber an, die Dolmetscherin gut zu verstehen. Die Geschichte mit der Kiste weist ferner keine Be- grifflichkeiten auf, deren Übersetzung mit besonderen Schwierigkeiten verbunden wäre. Außerdem wurde dem Kläger beim Bundesamt ausdrücklich die Frage gestellt, weshalb das Haus nicht nach ihm durchsucht wurde. Hätte tatsächlich eine Durchsuchung stattgefunden, hätte es nahegelegen, dies klarzustellen. Stattdessen antwortete der Kläger, dass die Taliban „reingewollt“ hätten, aber sein Vater „nein" gesagt habe.

Der Senat ist aufgrund des widersprüchlichen Vortrags des Klägers nicht davon überzeugt, dass es in Afghanistan zu konkreten Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG oder zu konkreten Bedrohungen mit solchen Verfolgungshandlungen durch die Taliban gekommen ist. Insbesondere geht der Senat nicht davon aus, dass die Taliban das Haus der Familie des Klägers aufgesucht haben, um gezielt nach dem Kläger zu suchen und ihn für Beleidigungen der Taliban zu „bestrafen“. Da der Senat das diesbezügliche Vorbringen des Klägers nicht für glaubhaft erachtet, geht er auch nicht davon aus, dass der Kläger auf einer landesweiten „schwarzen Liste“ der Taliban verzeichnet ist und im Fall der Rückkehr nach Afghanistan konkrete Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG durch die Taliban zu befürchten sind.

2. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte ferner zu Recht nicht dazu verpflichtet, dem Kläger subsidiären unionsrechtlichen Abschiebungsschutz zuzuerkennen.

Nach § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Abs. 1 AsylG bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als solcher gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) sowie eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatdorf die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG drohen, sind weder dargetan noch ersichtlich. Offen bleiben kann, ob stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass ihm bei einer Rückkehr nach Zor Kadus Folter oder eine unmenschliche oder eine erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen. Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Zor Kadus eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG drohen. Denn nach § 4 Abs. 3 in Verbindung mit § 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, wenn er

1. in einem Teil seines Herkunftslandes keiner tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist oder Zugang zu Schutz vor der Gefahr eines ernsthaften Schadens nach § 3d AsylG hat und

2. sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger mit Blick auf die Hauptstadt Kabul vor:

a) Der Senat teilt die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorliegen, dass der Kläger in der Stadt Kabul der Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG ausgesetzt ist.

Anhaltspunkte dafür, dass ihm dort die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG drohen, sind weder dargetan noch ersichtlich.

Es liegen auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vor, dass dem Kläger in der Stadt Kabul Folter oder eine unmenschliche oder eine erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen.

Es ist zunächst nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ihm dort seitens der Taliban derartige Gefahren drohen.

Die Auslegung von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf (vgl. BVerwG, Urteile vom 27.4.2010, a.a.O., Rn. 15 und 25; vom 31.01.2013- 10 C 15.12 - juris Rn. 22, jeweils zu § 60 Abs. 2 AufenthG a. F.). Der Gerichtshof entnimmt Art. 3 EMRK die Verpflichtung, den Betroffenen nicht in ein bestimmtes Land abzuschieben, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass er im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (EGMR, Urteil vom 4.11.2014 - 29217/12, Tarakhel ./. Switzerland - HUDOC Rn. 93 m.w.N.). Art. 3 EMRK findet - entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid - auch dann Anwendung, wenn die Gefahr von nichtstaatlichen Personen oder Personengruppen ausgeht, sofern nachgewiesen ist, dass die Gefahr tatsächlich besteht und die staatlichen Behörden des Zielstaats nicht in der Lage sind, insoweit angemessenen Schutz zu gewähren (EGMR, Urteil vom 5.9.2013 - K.A.B. ./. Sweden - HUDOC Rn. 69). Ob eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs von den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls ab, wie etwa der Art und dem Kontext der Fehlbehandlung, der Dauer, den körperlichen und geistigen Auswirkungen, sowie - in einigen Fällen - vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers (EGMR, Urteil vom 4.11.2014, a.a.O., Rn. 94). Eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK hat der Gerichtshof dann angenommen, wenn sie unter anderem geplant war, ohne Unterbrechung über mehrere Stunden erfolgte und körperliche Verletzungen oder ein erhebliches körperliches oder seelisches Leiden bewirkte (vgl. EGMR, Urteil vom 9.7.2015 - 32325/13, Mafalani ./. Croatia - HUDOC Rn. 69 m.w.N.). Von einer erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ist der Gerichtshof ausgegangen, wenn sie beim Opfer Gefühle der Angst, seelischer Qualen und der Unterlegenheit hervorruft, wenn sie das Opfer in dessen oder in den Augen anderer entwürdigt und demütigt, und zwar unabhängig davon, ob dies beabsichtigt ist, ferner, wenn die Behandlung den körperlichen oder moralischen Widerstand des Opfers bricht oder dieses dazu veranlasst, gegen seinen Willen oder Gewissen zu handeln sowie dann, wenn die Behandlung einen Mangel an Respekt offenbart oder die menschliche Würde herabmindert (vgl. EGMR, Urteil vom 3.9.2015 - 10161/13, M. und M. ./. Croatia - HUDOC Rn. 132). Für das Beweismaß zu Art. 3 EMRK, das auch bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG anzuwenden ist, verwendet der Gerichtshof den Begriff der tatsächlichen Gefahr („real risk“) (vgl. EGMR, Urteil vom 28.2.2008 - Nr. 37201/06, Saadi/Italy - HUDOC Rn. 125, 140). Dies entspricht dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.4.2010, a.a.O., Rn. 22). Dabei streitet für einen Ausländer, der in seinem Herkunftsland bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat, die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr wiederholen werden (BVerwG, Urteil vom 27.4.2010, a.a.O., Rn. 23).

Da sich aus dem Vorbringen des Klägers nicht ergibt, dass dieser in der Stadt Kabul bereits einen ernsthaften Schaden durch die Taliban erlitten hat, und weil der Senat aus den oben genannten Gründen nicht davon ausgeht, dass der Kläger auf einer landesweiten „schwarzen Liste“ der Taliban verzeichnet ist, ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ihm in der Stadt Kabul seitens der Taliban Folter oder eine unmenschliche oder eine erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen.

Der Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger auch mit seinem Argument, die Taliban würden ihn in Kabul leicht ausfindig machen können, weil er regelmäßig in seine Heimatprovinz pendeln würde, aufgrund des Sinn und Zwecks einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht durchdringen kann.

Der Senat hält es des Weiteren nicht für beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger in der Stadt Kabul aufgrund der dortigen allgemeinen Situation der Gewalt eine unmenschliche oder eine erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann eine allgemeine Situation der Gewalt im Abschiebezielstaat für sich genommen nur in Fällen ganz extremer allgemeiner Gewalt eine Verletzung von Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung nach sich ziehen, wenn eine tatsächliche Gefahr einer Fehlhandlung infolge des bloßen Umstands der Anwesenheit im Zielstaat besteht (EGMR, Urteile vom 20.1.2009 - 32621/06, F.H./Sweden - HUDOC Rn. 90; vom 28.6.2011 - 8319/07 und 11449/07, Sufi and Elmi/United Kingdom - HUDOC Rn. 218 und 241; vom 29.1.2013 - 60367/10, S.H.H./United Kingdom - HUDOC Rn. 73 und 79; vom 9.4.2013 - 70073/10 und 44539/11, H. and B./United Kingdom - HUDOC Rn. 91 f.; vom 4.6.2015 - 59166/12, J.K. u.a./Sweden - HUDOC Rn. 53; vgl. auch EGMR, Urteile vom 12.1.2016 - 25077/06, A.W.Q. and D.H./The Netherlands - HUDOC Rn. 67; - 8161/07, S.D.M. and others/The Netherlands - HUDOC Rn. 74; - 39575/06, S.S./The Netherlands - HUDOC Rn. 62; - 46856/07, M.R.A. and others/The Netherlands - HUDOC Rn. 106; - 13442/08, A.G.R./The Netherlands - HUDOC Rn. 54).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in jüngerer Zeit mehrfach ohne Differenzierung nach Landesteilen angenommen, die allgemeine Lage in Afghanistan sei nicht als so ernst anzusehen, dass eine Abschiebung dorthin ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK wäre (vgl. EGMR, Urteile vom 20.7.2010 - 23505/09, N./Sweden - HUDOC Rn. 52; vom 13.10.2011 - 10611/09, Husseini/Sweden - HUDOC Rn. 84; vom 9.4.2013, a.a.O., Rn. 91 f.; vom 12.1.2016, a.a.O., Rn. 71; - 8161/07, S.D.M. and others/The Netherlands - HUDOC Rn. 79; - 8161/07, S.D.M. and others/The Netherlands - HUDOC Rn. 74; - 39575/06, S.S./The Netherlands - HUDOC Rn. 66; - 46856/07, M.R.A. and others/The Netherlands - HUDOC Rn. 112; - 13442/08, A.G.R./The Netherlands - HUDOC Rn. 59; vom 5.7.2016 - 29094/09, A.M./The Netherlands - HUDOC Rn. 87).

Dieser Auffassung schließt sich der Senat auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnismittel für die Stadt Kabul an. Dort liegt derzeit keine außergewöhnliche Situation vor, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre:

Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationalen in Afghanistan (UNAMA) führt in ihrem Halbjahresbericht von August 2015 aus, dass im Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2015 in der Stadt Kabul bei zwölf Vorfällen 42 ZivilistInnen getötet und 260 weitere verletzt wurden (UNAMA, August 2015, S. 49).

Nach den Angaben des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) ereigneten sich in der Stadt Kabul zwischen dem 1. Januar und dem 13. September 2015 insgesamt 217 sicherheitsrelevante Zwischenfälle, wobei von Januar bis August

2015in der Stadt Kabul 126 Zivilisten getötet und 717 Zivilisten verletzt wurden (EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Security Situation, Jan. 2016, S. 35 ff.).

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe listet für die Zeit von Januar 2015 bis zum 19. April 2016 eine Vielzahl von Anschlägen in der Stadt Kabul auf, die insgesamt zu mindestens 244 getöteten und zu mindestens 1.103 verletzten Personen geführt haben, darunter nicht nur Zivilpersonen (Schnellrecherche der SFH-Länderananalyse vom 6.6.2016 zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul).

Das Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD) listet für den Zeitraum Januar 2015 bis April 2016 ebenfalls zahlreiche Anschläge in der Stadt Kabul auf, die insgesamt zu mindestens 251 getöteten und zu mindestens 903 verletzten Personen geführt haben, darunter nicht nur Zivilpersonen (ACCORD, Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul, Stand: 11. Mai 2016).

Zwar werden danach bei absoluter Betrachtung in der Stadt Kabul jährlich zahlreiche Zivilpersonen im Zuge gewalttätiger Auseinandersetzungen getötet oder verletzt. Auch ist davon auszugehen, dass zu den genannten Zahlen eine erhebliche Dunkelziffer hinzutritt. Selbst wenn aber von durch Akte willkürlicher Gewalt jährlich ca. 500 getöteten und ca. 4.000 verletzten Zivilpersonen in der Stadt Kabul ausgegangen würde, würde sich die Wahrscheinlichkeit, dort als Zivilperson durch einen Akt willkürlicher Gewalt getötet oder verletzt zu werden, im unteren Promillebereich bewegen. Denn die Bevölkerung in der Stadt Kabul wurde für das Jahr 2015 auf zwischen 3,5 Millionen Personen (vgl. UNHCR, Eligibility Guidelines for accessing the international protection needs of asylum-seekers from Afghanistan, 19.4.2016, S. 29; vgl. auch CSO, Estimated Settled Population of Kabul province by Civil Division, Urban, Rural and Sex 2015-16: 3.678.034) und mehr als sieben Millionen Personen geschätzt (vgl. EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Security Situation, Jan. 2016, S. 34) und steigt weiter an. Ausgehend von durch Akte willkürlicher Gewalt jährlich ca. 500 getöteten und ca. 4.000 verletzten Zivilpersonen in der Stadt Kabul beträgt selbst bei Zugrundelegung einer Bevölkerungszahl von nur 3,5 Millionen Personen die Wahrscheinlichkeit, dort als Zivilperson durch einen solchen Akt willkürlicher Gewalt getötet zu werden, nur 0,01428 % (500 ./. 3.500.000). Die Wahrscheinlichkeit, dort als Zivilperson durch einen Akt willkürlicher Gewalt verletzt zu werden, beträgt danach nur 0,11428 % (4.000 ./. 3.500.000). Infolgedessen kann nicht angenommen werden, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in der Stadt Kabul einer ernsthaften Tötungs- oder Verletzungsgefahr ausgesetzt wäre.

Schließlich ist es auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger in der Stadt Kabul aufgrund der dortigen humanitären Bedingungen eine unmenschliche oder eine erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.

Sozialwirtschaftliche und humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat haben weder notwendig noch einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Frage, ob eine Person Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (EGMR, Urteile vom 11.1.2007 - 1948/04, Salah Sheekh/The Netherlands - HUDOC Rn. 141; vom 20.1.2009, a.a.O., Rn. 92; vom 28.6.2011, a.a.O., Rn. 278; vom 29.1.2013, a.a.O., Rn. 74). Denn Art. 3 EMRK dient hauptsächlich dem Schutz bürgerlicher und politischer Rechte (EGMR, Urteil vom 27.5.2008 - 26565/05, N./United Kingdom - HUDOC Rn. 44). Allerdings hat sich der Gerichtshof angesichts der fundamentalen Bedeutung von Art. 3 EMRK eine gewisse Flexibilität für solche Fälle bewahrt, in denen die Ursache der Gefahr der Fehlbehandlung im Zielstaat auf Faktoren beruht, die nicht in der direkten oder indirekten Verantwortlichkeit der staatlichen Behörden des Zielstaats liegen, oder die für sich genommen nicht die Standards von Art. 3 EMRK verletzen (vgl. EGMR, Urteile vom 2.5.1997 - 146/1996/767/964, D./United Kingdom - HUDOC Rn. 49; vom 27.5.2008, a.a.O., Rn. 32; vom 29.1.2013, a.a.O., Rn. 75). So können humanitäre Bedingungen im Abschiebungszielstaat in ganz besonderen Ausnahmefällen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK begründen (vgl. EGMR, Urteile vom 27.5.2008, a.a.O., Rn. 32; vom 28.6.2011, a.a.O., Rn. 278). Nur wenn die im Zielstaat bestehenden schlechten humanitären Bedingungen nicht maßgebend auf fehlende staatliche Ressourcen für eine staatliche Fürsorge zurückzuführen sind, sondern auf direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen der Konfliktparteien im Zielstaat zurückzuführen sind, hält der Gerichtshof seinen im Verfahren M.S.S./Belgien und Griechenland (EGMR, Urteil vom 21.1.2011 - 30696/06 - HUDOC) entwickelten und im Verfahren Sufi und Elmi/United Kingdom (EGMR, Urteil vom 28.6.2011, a.a.O., Rn. 282 f.) auch im Hinblick auf die humanitären Bedingungen in Flüchtlingslagern in Süd- und Zentralsomalia angewandten Maßstab für besser geeignet, nach dem die Fähigkeit des Beschwerdeführers berücksichtigt werden muss, seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzlichkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung der Lage in angemessener Zeit (vgl. EGMR, Urteil vom 29.1.2013, a.a.O., Rn. 89 ff.). Im Verfahren S.H.H./United Kongdom hat der Gerichtshof im Rahmen der Prüfung, ob die Abschiebung eines behinderten afghanischen Staatsangehörigen in die Islamische Republik Afghanistan im Hinblick auf die ihn dort erwartenden Lebensbedingungen einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK darstellte, ausgeführt, weshalb die dortige Situation mit derjenigen in Somalia nicht vergleichbar sei, und hat einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anhand des strengeren Maßstabs aus dem Verfahren N./United Kingdom verneint (EGMR, Urteil vom 29.1.2013, a.a.O., Rn. 89 ff.; siehe auch EGMR, Urteil vom 13.10.2011, a.a.O., Rn. 91 ff.). Ein dementsprechend erforderlicher ganz besonderer Ausnahmefall liegt beim Kläger im Fall der Rückkehr in die Stadt Kabul nicht vor. Insbesondere besteht dort eine grundlegende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6.11.2015, S. 23). Die Stadt Kabul ist auch weiterhin Zufluchtsort für zahlreiche Binnenflüchtlinge und Rückkehrer (vgl. EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Security Situation, Jan. 2016, S. 37).

Es liegen des Weiteren keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vor, dass der Kläger bei einer Rückkehr in die Stadt Kabul einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG ausgesetzt sein wird.

Ungeachtet dessen, dass in der Stadt Kabul derzeit kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrschen dürfte, ist es jedenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Rahmen eines solchen Konflikts einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt wäre.

Hierfür genügt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung und zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt (BVerwG, Urteil vom 13.2.2014 - 10 C 6.13 - juris Rn. 24). Allerdings kann sich eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVG erfüllen (vgl. BVerwG, Urteile vom 24.6.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 34). Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 18 m.w.N.). Gefahrerhöhende individuelle Umstände dieser Art liegen beim Kläger nicht vor.

Fehlen individuelle gefahrerhöhende Umstände, so kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011, a.a.O., Rn. 18 m.w.N.). Erforderlich ist insoweit ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt (BVerwG, Urteil vom 17.11.2011, a.a.O., Rn. 18 m.w.N.). Für die individuelle Betroffenheit von der Gefahr bedarf es Feststellungen zur Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet, die jedenfalls auch eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, zu umfassen hat, sowie einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung unter Berücksichtigung der medizinischen Versorgungslage (vgl. BVerwG, Urteile vom 17.11.2011, a.a.O., Rn. 23; vom 13.2.2014, a.a.O., Rn. 24). Allerdings sieht das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls ein Risiko von 1:800 (0,125 %), in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, als so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt an, dass auch eine wertende Gesamtbetrachtung am Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.) nichts zu ändern vermag (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.11.2011, a.a.O., Rn. 23).

Ausgehend von den oben genannten Zahlen unterschreitet die Wahrscheinlichkeit, in der Stadt Kabul als Zivilperson durch einen Akt willkürlicher Gewalt verletzt oder getötet zu werden, das vom Bundesverwaltungsgericht für „weit von der Erheblichkeitsschwelle entfernt" erachtete Risiko von 0,125 %.

b) Der Kläger kann sicher und legal in die Stadt Kabul reisen. Kabul kann von Deutschland aus auf dem Luftweg mit Umsteigemöglichkeiten in Istanbul, Dubai, Neu-Delhi oder Islamabad angeflogen werden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6.11.2015, S. 27).

c) Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in der Stadt Kabul nicht aufgenommen werden wird. Dort lebt vielmehr sein Onkel mütterlicherseits, der dort eine Baumaschinenverleihfirma betreibt. Mit diesem steht der Kläger noch in Kontakt; das letzte Telefonat mit ihm fand vor ca. sechs Monaten statt. Der Senat geht davon aus, dass der Onkel des Klägers diesen bei sich aufnehmen wird. Denn er hat auch die Ausreise des Klägers aus Afghanistan finanziert und hat zudem die Familie des Klägers bereits in der Vergangenheit finanziell unterstützt. Abgesehen davon werden im letzten Lagebericht des Auswärtigen Amtes die Aufnahme und die Chancen außerhalb des eigenen Familien- bzw. Stammesverbandes vor allem in größeren Städten Afghanistans - d. h. auch in der Hauptstadt Kabul - als realistisch beschrieben (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6.11.2015, S. 24).

d) Schließlich kann vom Kläger vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in der Hauptstadt Kabul niederlässt.

Für die Beantwortung der Frage, ob von dem Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in einem anderen Landesteil des Abschiebezielstaats niederlässt, ist ein anderer Maßstab anzulegen als bei der im Rahmen des Abschiebungsverbots aufgrund nationalen Schutzes nach § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 5 AufenthG zu prüfenden innerstaatlichen Fluchtalternative. Der Zumutbarkeitsmaßstab geht über das Fehlen einer im Rahmen des § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 5 AufenthG beachtlichen existenziellen Notlage hinaus, wobei das Bundesverwaltungsgericht bislang offen gelassen hat, welche darüber hinausgehenden wirtschaftlichen und sozialen Standards erfüllt sein müssen (vgl. BVerwG, Urteile vom 29.5.2008 - 10 C 11.07 - juris Rn. 35; vom 31.1.2013, a.a.O., Rn. 20, jeweils zu § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG a. F.).

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen vom 19. April 2016 hält eine innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan nur für zumutbar, wenn der betreffende Ausländer dort Zugang zu Obdach, Grundleistungen wie Trinkwasser, sanitären Einrichtungen, Gesundheitsfürsorge und Bildung sowie die Möglichkeit, sich eine Existenzgrundlage zu schaffen, hat. Als Ausnahme vom Erfordernis einer externen Unterstützung sieht er alleinstehende, leistungsfähige Männer und Ehepaare im Arbeitsalter an, die nicht aufgrund persönlicher Umstände auf eine besondere Unterstützung angewiesen sind. Solche Personen können dazu in der Lage sein, ohne die Unterstützung durch die Familie oder durch eine Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten zu leben, die unter staatlicher Kontrolle sind und die nötige Infrastruktur und die Möglichkeit bieten, die Grundbedürfnisse zu befriedigen (vgl. UNHCR, Eligibility Guidelines for accessing the international protection needs of asylum-seekers from Afghanistan, 19.4.2016, S. 83 f.).

Ausgehend hiervon ist zu erwarten, dass es dem Kläger bei einer Rückkehr in die Hauptstadt Kabul gelingen wird, die genannten Bedürfnisse zu erfüllen und ein Leben oberhalb des Existenzminimums zu führen. Der Kläger ist 21 Jahre alt und hat den Großteil seines Lebens, nämlich die Zeit von seinem siebten Lebensjahr bis zur seiner Ausreise im Alter von 17 Jahren in Afghanistan verbracht, ist also mit der dortigen Kultur und den dortigen Lebensumständen vertraut. Zudem hat er bereits ein Vierteljahr in der Stadt Kabul gelebt, so dass diese Stadt für ihn nicht fremd ist. Er wäre in der Stadt Kabul auch nicht auf sich allein gestellt, weil dort sein Onkel mütterlicherseits lebt, zu dem er - wie ausgeführt - noch Kontakt hat. Allerdings trifft es zu, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt in Afghanistan allgemein schwierig ist. So wird die Arbeitslosenrate in Afghanistan auf bis zu 50 % geschätzt (Fortschrittsbericht der Bundesregierung von Nov. 2014, Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 13.9.2015, S. 20). Jedes Jahr gelangen weitere ca. 500.000 junge Personen auf den Arbeitsmarkt (Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 13.9.2015, S. 20). Es gibt kaum legale Erwerbsmöglichkeiten, insbesondere nicht für Menschen ohne qualifizierte Berufsausbildung oder persönliche Beziehungen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 2.3.2015). Der Kläger hat zwar weder eine abgeschlossene Schul- noch eine abgeschlossene Berufsausbildung. Er ist aber zum einen jung, arbeitsfähig und verfügt über zahlreiche praktische berufliche Erfahrungen. So hat er in Afghanistan in der Landwirtschaft, in einem Handyladen sowie in einer Landmaschinenwerkstatt gearbeitet und hat darüber hinaus drei Monate lang bei seinem in Kabul lebenden Onkel Baggerarbeiten verrichtet; in der Bundesrepublik Deutschland ist er einer Teilzeitbeschäftigung als Pizzabäcker nachgegangen und hat zuletzt bei der Einkaufsladenkette „Edeka" im Bereich Reinigung und Warenverräumung gearbeitet. Zudem hat er in der Bundesrepublik Deutschland die Berufsschule mit der Fachrichtung Metalltechnik besucht. Zum anderen verfügt der Kläger in Kabul über persönliche Beziehungen. Da er bereits in der Vergangenheit bei seinem dort lebenden Onkel Baggerarbeiten verrichtet hat, steht zu erwarten, dass er von diesem auch im Fall der Rückkehr beschäftigt werden wird, jedenfalls aber dieser ihm dabei behilflich sein wird, in Kabul Arbeit zu finden. Den vorliegenden Erkenntnismitteln kann nicht entnommen werden, dass es für Paschtu sprechende Paschtunen - wie der Kläger geltend macht - sehr schwer sei, sich in Kabul zurecht zu finden. Denn die Paschtunen sind mit ca. 40 % die größte Volksgruppe in der Islamischen Republik Afghanistan (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 6.11.2015, S. 10). Das EASO beschreibt Kabul als die größte und am schnellsten wachsende Stadt Afghanistans, in die zahlreiche Rückkehrer und Wirtschaftsmigranten ziehen. Es handelt sich um eine ethnisch vielfältige Stadt mit Gemeinschaften nahezu aller Ethnien, die in Afghanistan leben (Paschtunen, Tadschiken, Hazaras, Uzbeken, Turkmenen, Baluchs, Sikhs und Hindus), wobei keine Gruppierung klar dominiert (EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan: Security Situation, Jan. 2016, S. 34). Der Kläger kann in der Stadt Kabul jedenfalls mit anderen Paschtunen kommunizieren. Darüber hinaus kann er im Gegensatz zu zahlreichen seiner Landsleute (vgl. zur hohen Analphabetenrate in Afghanistan Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan, Update: Die aktuelle Sicherheitslage, vom 13.9.2015, S. 20) lesen und - wenngleich mit Schwierigkeiten - schreiben und spricht zudem Englisch und Deutsch, was ihm weitere Betätigungsfelder eröffnet.

3. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht auch das Vorliegen nationaler Abschiebungsverbote hinsichtlich der Islamischen Republik Afghanistan verneint.

a) Dies gilt zunächst für das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Danach darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geht der sachliche Schutzbereich des nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK über denjenigen des unionsrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG nicht hinaus, soweit Art. 3 EMRK in Rede steht (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.6.2013 - 10 C 13.12 - juris Rn. 25). Da ein solches unionsrechtliches Abschiebungsverbot nicht besteht, scheidet auch ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK aus.

b) Das Verwaltungsgericht ist ferner zutreffend davon ausgegangen, dass für den Kläger kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Islamischen Republik Afghanistan besteht. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine solche einzelfallbezogene, individuell bestimmte Gefährdungssituation liegt beim Kläger nicht vor. Insbesondere geht der Senat aufgrund der oben genannten Umstände nicht von einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Klägers durch die Taliban aus.

c) Schließlich besteht für den Kläger auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 5 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung hinsichtlich der Islamischen Republik Afghanistan.

Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG grundsätzlich nur bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 Auf- enthG können allgemeine Gefahren grundsätzlich kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigen. Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers erreicht werden, dass dann, wenn eine bestimmte Gefahr der ganzen Bevölkerung bzw. Bevölkerungsgruppe im Zielstaat gleichermaßen droht, über deren Aufnahme oder Nichtaufnahme nicht im Einzelfall durch das Bundesamt und die Ausländerbehörde, sondern für die ganze Gruppe der potenziell Betroffenen einheitlich durch eine politische Leitentscheidung des Innenministeriums im Wege des § 60a AufenthG befunden wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.6.2013, a.a.O., Rn. 13 m.w.N. zu § 60 Abs. 5 Sätze 1 und 3 AufenthG a.F.). Ein solcher Abschiebestopp-Erlass für afghanische Staatsangehörige besteht im Land Niedersachsen nicht.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass ein Ausländer im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die ihn im Abschiebungszielstaat erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 5 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen kann, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Denn nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (BVerwG, Urteil vom 31.1.2013, a.a.O., Rn. 38). Dieser hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde" (BVerwG, Urteile vom 29.10.2010 - 10 C 10.09 - juris Rn. 15; vom 8.9.2011 - 10 C 14.10 - juris Rn. 23; vom 29.9.2011 - 10 C 24.10 - juris Rn. 20). Dies bedeutet nicht, dass im Fall der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (BVerwG, Urteile vom 8.9.2011, a.a.O., Rn. 23; vom 29.9.2011, a.a.O., Rn. 20). Insoweit sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen (BVerwG, Urteil vom 31.1.2013, a.a.O., Rn. 38).

Der Senat geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte davon aus, dass für die Personengruppe der jungen, alleinstehenden und arbeitsfähigen männlichen afghanischen Staatsangehörigen bei einer Rückkehr in die Hauptstadt Kabul in aller Regel eine extreme Gefahrensituation im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 5 AufenthG selbst dann nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit droht, wenn der Rückkehrer beruflich nicht besonders qualifiziert ist und weder über nennenswertes Vermögen noch über Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte, die in Kabul leben, verfügt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 13.3.2013 - 9 LA 34/13 -; vom 28.3.2014 - 9 LA 205/13 -; vom 14.4.2015 - 9 LA 267/13 -; vom 9.6.2015 - 9 LA 67/15 -; vom 15.6.2015 - 9 LA 297/14 -; Senatsurteil vom 20.7.2015 - 9 LB 320/14 -; OVG NRW, Urteil vom 3.3.2016 - 13 A 1828/09.A - juris Rn. 79 ff.; BayVGH, Urteil vom 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - juris Rn. 17; Beschlüsse vom 14.1.2015 - 13a ZB 14.30410 - juris Rn. 4 ff.; vom 2.2.2015 - 13a ZB 14.30466 - juris Rn. 3 ff.; vom 13.4.2015 - 13a ZB 14.30129 - juris Rn. 5 f.; vom 8.7.2015 - 13a ZB 15.30117 - juris Rn. 8 f.; vom 15.6.2016 - 13a ZB 16.30083 - juris Rn. 4; vom 27.7.2016 - 13a ZB 16.30051 - juris Rn. 4 f.; VGH BadenWürttemberg, Urteile vom 6.3.2012 - A 11 S 3177/11 - juris Rn. 37 ff.; vom 27.4.2012 - A 11 S 3079/11 - juris Rn. 40; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.3.2012 - 8 A 11050/10 - juris Rn. 43 ff.; HessVGH, Urteil vom 4.9.2014 - 8 A 2434/11.A - juris Rn. 41 ff.).

Dies gilt auch für den Kläger, zumal der Senat aus den oben genannten Gründen der Überzeugung ist, dass sich der Kläger in der Stadt Kabul ein Leben oberhalb des Existenzminimums wird aufbauen können.

4. Da die Beklagte nicht zu der Feststellung verpflichtet ist, dass für den Kläger ein Abschiebungsverbot hinsichtlich der Islamischen Republik Afghanistan besteht, ist sie auch nicht gemäß §§ 59 Abs. 3 Satz 2, 60 Abs. 10 Satz 2 AufenthG dazu verpflichtet, in der Abschiebungsandrohung die Islamische Republik Afghanistan als den Staat zu bezeichnen, in den der Kläger nicht abgeschoben werden darf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.