Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 13.11.2017, Az.: 3 A 4590/15

Afghanistan; Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes; Einreise- und Aufenthaltsverbot; Kabul

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
13.11.2017
Aktenzeichen
3 A 4590/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 54022
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zu den Verhältnissen in Kabul.

2. Zur Anwendbarkeit des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG auf humanitäre Bedingungen und zur Frage, welche örtlichen Verhältnisse der Prüfung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG - in Abgrenzung zu derjenigen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK - zugrunde zu legen sind.

3. Zur Dauer der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots i.S.v. § 11 Abs. 1 AufenthG.

Tatbestand:

Der Kläger, der … geboren worden ist, Tadschike sunnitischen Glaubens ist und die afghanische Staatsangehörigkeit besitzt, begehrt im Wesentlichen die Zuerkennung subsidiären Schutzes.

Er reiste unter Verwendung eines am 30. September 2013 von der Deutschen Botschaft in Kabul zum Zwecke der Familienzusammenführung ausgestellten Visums am 9. Oktober 2013 ins Bundesgebiet ein und heiratete seine seit dem 25. Februar 2016 von ihm geschiedene Ehefrau am 29. Oktober 2013 in …. Seit dem 12. Juni 2014 lebt die ehemalige Ehefrau getrennt von ihm. Am 12. August 2014 zog der Kläger nach … um.

Am 29. Oktober 2015 stellte er einen Asylantrag und am selben Tag wurde das persönliche Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) geführt. Am 17. November 2015 wurde der Kläger beim Bundesamt angehört. Er gab - teilweise sinngemäß - u.a. an, seine Eltern würden in Kabul, Khairkana, leben. Die Brüder seiner Ehefrau hätten gesagt, wenn er zurückkehre, würden sie sich rächen. Deshalb könne er nicht nach Afghanistan zurückkehren. Auf die Frage, warum sich die Verwandten seiner Ehefrau rächen wollten, antwortete der Kläger, er und seine Frau hätten sehr viele Schwierigkeiten gehabt. Sie hätten miteinander gestritten. Am Anfang, als er neu in Deutschland gewesen sei, habe sie ihm kein Geld gegeben. Er habe auch keine Arbeit gehabt. Auch habe er kein Konto auf seinen Namen gehabt. Als sie gearbeitet habe, habe sie Kontakte mit anderen Männern gehabt. Das habe ihm nicht gefallen. Sie habe ihm immer diktiert, was er machen und sagen solle. Außerdem habe sie von „unserem Geld“ immer Geld nach Afghanistan geschickt.

Mit Schreiben vom 24. November 2015 teilte der Landkreis … (im Folgenden: Ausländerbehörde) dem Bundesamt mit, der Kläger sei wegen Körperverletzung und wegen „Nötigung“ seiner Ehefrau per Strafbefehl zu zwei Geldstrafen verurteilt worden, einmal zu 700,- € und einmal zu 1200,- €. Er übersende anliegend die „Strafbefehle“ mit Begründung.

Mit Bescheid vom 8. Dezember 2015 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab. Den Antrag auf subsidiären Schutz lehnte es ebenfalls ab. Ferner stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorlägen, und forderte den Antragsteller unter Androhung der Abschiebung auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz wurde auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.

Der Kläger hat am 17. Dezember 2015 Klage erhoben - allerdings nicht, soweit die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden waren - und gleichzeitig um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht (3 B 4591/15).

Mit Beschluss vom 8. Februar 2016 hat das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet, soweit sie sich gegen die im Bescheid des Bundesamtes enthaltene Abschiebungsandrohung richtet.

Während des Klageverfahrens hat das Amtsgericht … mit Beschluss vom 26. Januar 2016 das Verfahren gegen den Kläger wegen der Körperverletzung (…) und mit Beschluss vom 31. August 2016 das Verfahren gegen den Kläger (…) wegen versuchter Nötigung am 29. April 2015 nach § 153 a Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) endgültig eingestellt. Außerdem hat die Staatsanwaltschaft Köln der Ausländerbehörde mit Schreiben vom 14. März 2016 mitgeteilt, das Verfahren gegen den Kläger wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung im Zeitraum vom 25. Oktober 2013 bis 11. Juni 2014 in … sei gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

Der Kläger macht im Wesentlichen - teilweise sinngemäß - geltend, bedingt durch die Streitigkeiten und die Anzeige seiner ehemaligen Ehefrau sowie deren Klagen über ihn - den Kläger - gegenüber ihren in Afghanistan lebenden Verwandten sei es seitens ihrer Verwandtschaft zu erheblichen Bedrohungen gekommen. Die Familie seiner ehemaligen Ehefrau wolle seiner habhaft werden und ihn bestrafen, weil er es gewesen sei, der seine ehemalige Ehefrau verlassen habe und somit der Grund für die Scheidung in den Augen der Familie seiner ehemaligen Ehefrau sei. Die Mudschahedin hätten ihm allerdings nicht für den Fall der Rückkehr nach Afghanistan gedroht. Er habe damals ausgeführt, dass der Schwiegervater Kontakte zu den Mudschahedin habe. Die Drohungen seien direkt von den Verwandten ausgegangen. Der in Afghanistan lebende Schwiegervater habe sich im September 2014 ca. drei Monate nach der Trennung der Eheleute zum Haus seines Vaters - also des Klägers - begeben und u.a. erklärt, „Dein Sohn hat das Leben meiner Tochter zerstört.“ Die Trennung sei als Familienschande ausgelegt worden. Sein Schwiegervater habe ihn mit dem Tode bedroht. Ein Bruder der ehemaligen Ehefrau, der als Fahrer bei einem Abgeordneten arbeite, habe sich zu seinem Bruder - also dem des Klägers - an die Arbeitsstelle begeben und ihm - dem Kläger - ebenfalls wegen der Trennung der Eheleute im Falle der Rückkehr den Tod angedroht. Seine ehemalige Ehefrau habe fünf Brüder und sechs Schwestern, die alle mit ihren Familien in Afghanistan lebten. Sie hätten großen Einfluss „zu Parlamentsabgeordneten“ und auch innerhalb der Polizei. Klarzustellen sei jedoch, dass sich nicht die Brüder direkt im Parlament befänden, sondern einer der Brüder Fahrer eines Abgeordneten sei. Über die Drohungen vom Schwiegervater und Bruder, die persönlich vorgebracht worden seien, sei er unmittelbar danach von seinem Bruder und dem Vater telefonisch unterrichtet worden. Seine Gefährdung sei auch deshalb so groß, weil alle erwähnten Familienmitglieder über Waffen verfügten. Durch die enge Verbindung zu Abgeordneten und Polizeibeamten gebe es keinen Schutz für ihn im Falle einer Rückkehr. Der große Einfluss der Familie seiner ehemaligen Ehefrau werde auch daraus deutlich, dass Kontakte zu nahen Vertrauten des früheren Präsidenten … bestünden. Die Bedrohungen würden auch weiterhin seit 2014 anhalten. Alle paar Wochen kämen die Brüder der Ehefrau in die Siedlung und würden Nachbarn, entferntere Verwandte und Freunde fragen, wann denn der Antragsteller zurückkomme. Ein direkter Kontakt zwischen den Familien sei inzwischen wegen der ehelichen Trennung zerstört. Die Bedrohungen würden daher über den Nachbarschafts- und entfernten Verwandtschaftsbereich laufen. Eine weitere Gefahr drohe ihm auch von einer Cousine der ehemaligen Ehefrau. Diese sei zeitweilig bei den Taliban gewesen, als diese in Kabul gewesen seien. Sie habe weiterhin Kontakt zu den Taliban. Bei der Rückkehr bestehe die Gefahr, dass sie die Taliban gegen ihn gewissermaßen „einsetzt“.

Bezüglich des Vortrags des Klägers in der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen auf die Verhandlungsniederschrift.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten, hinsichtlich des Staates Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz einschließlich eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 5 Aufenthaltsgesetz bezüglich seiner Person festzustellen,

und - hinsichtlich des Hauptantrags sowie des Hilfsantrags - den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Dezember 2015 aufzuheben, soweit er dem Verpflichtungsbegehren entgegensteht,

weiter hilfsweise,

die Abschiebungsandrohung und die Ausreiseaufforderung in dem genannten Bescheid aufzuheben,

weiter hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten, die Dauer des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf null Tage zu befristen und die Entscheidung zu Ziffer 6 im genannten Bescheid aufzuheben, soweit sie dem entgegensteht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der Ausländerbehörde Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die der Vorsitzende aufgrund des Übertragungsbeschlusses der Kammer als Einzelrichter entscheiden kann, ist zwar zulässig, aber unter Berücksichtigung der in der mündlichen Verhandlung für den Staat Afghanistan in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel gemäß der Erkenntnismittelliste mit dem Stand vom 7. November 2017 nur in dem im Tenor genannten Umfang erfolgreich.

Hinsichtlich der Sach- und Rechtslage ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 des Asylgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798) - zuletzt geändert mit Wirkung vom 29. Juli 2017 durch Art. 2 des Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780) - auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen.

1. Das mit dem Haupt- und ersten Hilfsantrag geltend gemachte Verpflichtungsbegehren des Klägers ist unbegründet (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1.1. Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung internationalen subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG hat mit der Folge, dass die Abschiebung in seinen Herkunftsstaat unzulässig sein würde (s. § 60 Abs. 2 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) - zuletzt geändert mit Wirkung vom 9. November 2017 durch Art. 10 Abs. 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618) - (AufenthG)).

1.1.1. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland (dazu s. § 3 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) ein ernsthafter Schaden droht. Nach Satz 2 gelten als ernsthafter Schaden (1.) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, (2.) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder (3.) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Die §§ 3c bis 3e AsylG - also die Vorschriften über Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, über Akteure, die Schutz bieten können, und über internen Schutz - gelten nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens, und an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz (s. § 4 Abs. 3 Satz 2 AsylG). Des Weiteren ist nach Auffassung des Gerichts auch in diesem Zusammenhang Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) (ABl. EU Nr. L 337, S. 9) (sog. Qualifikationsrichtlinie (QRL)) - RL 2011/95/EU - anzuwenden. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers begründet ist, dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einem solchen Schaden bedroht wird. Allerdings ist es auch im Rahmen des subsidiären Schutzes erforderlich, dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem früher erlittenen oder unmittelbar drohenden Schaden und dem befürchteten künftigen Schaden besteht. Denn die der Vorschrift zugrunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auch auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, juris, Rn. 31, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf BVerwGE 136, 360). Für die zu treffende Prognose gilt wegen der in § 4 Abs. 3 Satz 2 AsylG bzw. Art. 2 Buchst. f RL 2011/95/EU - der Definition des Begriffs „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ - enthaltenen Tatbestandsmerkmale „tatsächliche Gefahr“ bzw. „... tatsächlich Gefahr liefe ...“ in allen Fällen der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -, juris, Rn. 20, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf NVwZ 2012, 454, zu § 60 Abs. 7 Satz 2 in der bis zum 30. November 2013 gültigen Fassung - AufenthG 2008 -, und vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, juris, Rn. 22, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf BVerwGE 136, 377, zu § 60 Abs. 2 AufenthG 2008). Die bereits erlittener ernsthafter Schädigung i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG gleichzustellende unmittelbar - d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - drohende Schädigung im zuvor genannten Sinne setzt eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Schadenseintritt aktuell rechnen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009 - 10 C 24.08 -, juris, Rn. 14, mit Veröffentlichungshinweis auf InfAuslR 2010, 256).

1.1.2. Ausgehend von diesen Maßstäben ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AsylG erfüllt sind.

1.1.2.1. Das Vorliegen der Voraussetzungen des Satzes 2 Nr. 1 hat der Kläger schon selbst nicht geltend gemacht und es ist auch nicht ersichtlich.

1.1.2.2. Das Gericht ist auch nicht davon überzeugt, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG erfüllt sind.

1.1.2.2.1. Mit dieser Vorschrift werden die grundlegenden Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 15 Buchst. b RL 2011/95/EU übernommen. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung der Vorläuferbestimmung der Richtlinie 2004/83/EG an Art. 3 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - EGMR - Bezug genommen. Die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK ist bei der Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG auch über Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83, 389) - GR-Charta - zu berücksichtigen. Das Abschiebungsverbot gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta auch für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92 [BGH 17.01.2008 - GSSt 1/07]) wird durch die Regelung in Art. 19 Abs. 2 GR-Charta die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen (zu § 60 Abs. 2 AufenthG a.F. vgl. BVerwG, Urteile vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, Rn. 22, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf BVerwGE 146, 12, und vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, juris, Rn. 15 und 17; vgl. auch Nds. OVG, Urteil vom 7. September 2015 - 9 LB 98/13 -, juris, Rn. 24, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf EzAR-NF 62 Nr. 38).

1.1.2.2.2. Ausgehend von dem oben dargestellten Maßstab (s. 1.1.1. und 1.1.2.2.1.) und dem Vorbringen des Klägers ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass er in Afghanistan einen ernsthaften Schaden im Sinne von Satz 2 Nr. 2 erlitt bzw. von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war und dementsprechend Afghanistan „vorgeschädigt“ verlassen hat. Dies ist weder ersichtlich noch von ihm dargelegt worden.

1.1.2.2.3. Des Weiteren sind beachtliche Nachfluchtgründe nicht gegeben. Die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG zu erleiden, kann auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist (§ 28 Abs. 1a AsylG). Das Gericht hat unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel und des Vorbringens des Klägers aber nicht die Überzeugung gewonnen, dass dem Kläger im Falle seiner Ausreise nach Afghanistan dort in absehbarer Zeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen würden.

1.1.2.2.3.1. Für die unter Berücksichtigung der im Abschiebungszielstaat bestehenden allgemeinen Lage und der besonderen Umstände des Ausländers anzustellende Gefahrenprognose (vgl. EGMR - 4. Sektion -, Urteil vom 28. Juni 2011 - 8319/07 (Sufi u. Elmi/Vereinigtes Königreich) -, HUDOC, tw. abgedruckt in NVwZ 2012, 681 ff. und NLMR 3/2011-EGMR, S. 1 ff., Rn. 216) ist die Perspektive des abschiebenden Staates maßgeblich. Dabei ist bei der Prüfung, ob der subsidiäre Schutz zuzuerkennen ist, grundsätzlich auf den gesamten Herkunftsstaat abzustellen, wobei zunächst die Verhältnisse am Herkunftsort des Ausländers zu prüfen sind. Im Urteil vom 31. Januar 2013 führte das Bundesverwaltungsgericht zwar zu § 60 Abs. 2 AufenthG 2008 unter Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 28. Juni 2011 (Rn. 265, 301, 309) - beide Beschwerdeführer in jenem Verfahren stammten laut Sachverhalt nicht aus Mogadischu (s. Rn. 302 und Rn. 311), sollten aber dorthin abgeschoben werden (s. Rn. 265) - sinngemäß aus, der EGMR stelle bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK vorlägen, grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat ab und prüfe zunächst, ob solche Umstände an dem Ort vorlägen, an dem die Abschiebung ende („Zielort der Abschiebung“). Das gelte auch bei der Beurteilung von Umständen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen würden, dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK aber dennoch eine Abschiebung des Ausländers verbieten würde (a.a.O., Rn. 26 und 38, und Berlit, Anmerkung zu diesem Urteil, jurisPR-BVerwG 10/2013 Anm. 3, der sinngemäß dargelegt hat, für den unionsrechtlichen Abschiebungsschutz wegen drohender Folter, unmenschlicher, erniedrigender Behandlung oder Bestrafung fehle es an einer Art. 15 Buchst. c) RL 2011/95/EU entsprechenden örtlichen Radizierung für die Gefahrenprognose). Die Ausführungen des EGMR in seinem Urteil vom 10. September 2015 (- 4601/14 (R. H./Schweden) -, HUDOC, tw. abgedruckt in NVwZ 2016, 1785 ff.) deuten allerdings darauf hin, dass nach seiner Auffassung zunächst auf den Herkunftsort abzustellen sei. Der EGMR führte aus, zunächst sei festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin der schwedischen Einwanderungsbehörde zufolge aus Mogadischu stamme und also Behörde und Einwanderungsgericht die allgemeine Situation und die persönlichen Umstände der Beschwerdeführerin in dieser Stadt geprüft hätten. Insofern stehe fest, dass die Beschwerdeführerin gegebenenfalls nach Mogadischu abgeschoben werde (Rn. 62). Ungeachtet dessen ist im Übrigen wesentlich zu berücksichtigen, dass der subsidiäre Schutz seit dem 1. Dezember 2013 ebenso wie die Flüchtlingseigenschaft einen eigenständigen Schutzstatus darstellt. Außerdem ist die nach § 60 Abs. 2 AufenthG 2008 getroffene Feststellung eines Abschiebungsverbots keine Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylG und dieser auch nicht gleichzusetzen (zum Schutzstatus vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 16.14 -, juris, Rn. 15, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf NVwZ-RR 2015, 634; im Übrigen vgl. - teilweise im Ergebnis -: VG Oldenburg, Urteil vom 19. September 2017 - 3 A 6084/13 -, V.n.b., zu einem Asylbewerber aus Somalia; Nds. OVG, Urteile vom 7. September 2015 a.a.O., Rn. 23 und 27, und vom 19. September 2016 - 9 LB 100/15 -, juris, Rn. 44, jeweils ohne nähere Begründung; VG Lüneburg, Urteil vom 16. Januar 2017 - 3 A 134/16 -, juris, Rn. 8, allerdings unter Hinweis auf die Ausführungen des Urteils des BVerwG vom 31. Januar 2013, a.a.O., Rn. 14, zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG 2008).

Gemessen hieran sind die Verhältnisse in der Stadt Kabul zu Grunde zu legen, weil der Kläger dort - im Stadtteil Khairkana (auch Khair Khāna geschrieben, s. https://en.wikipedia.org/wiki/Khair_Kh%C4%81na) - nach seinem Vorbringen bis zu seiner Ausreise gelebt hat.

1.1.2.2.3.2. Ausgehend von dieser Situation und den genannten Maßstäben ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in der Stadt Kabul mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein konkretes Ziel der Familie der ehemaligen Ehefrau sein würde und er entscheidungsrelevante Maßnahmen zu befürchten hätte.

Das Vorbringen des Klägers zu den entscheidungsrelevanten Umständen und damit insbesondere bezüglich der angeblich aus Afghanistan erhaltenen Informationen hinsichtlich seiner geltend gemachten Gefährdung im Falle einer Rückkehr ist unglaubhaft. Dabei kann in diesem Verfahren zugunsten des Klägers angenommen werden, dass seine ehemalige Ehefrau ihn - wie er in der mündlichen Verhandlung sinngemäß angegeben hat - im Jahr 2013 freiwillig heiratete, auch wenn es in einem in der den Kläger betreffenden Ausländerakte abgehefteten Informationsschreiben des Vereins … vom 7. April 2015 heißt, sie würden die inzwischen geschiedene Ehefrau des Klägers seit Ende Oktober 2014 beraten und betreuen und aufgrund mehrerer Beratungsgespräche seien sie der Überzeugung, dass sie zwangsverheiratet worden sei. Denn unabhängig hiervon enthält das Vorbringen des Klägers zu viele Glaubhaftigkeitsmängel, wobei das Gericht davon abgesehen hat, alle darzustellen.

Widersprüchlich ist beispielsweise, dass der Kläger auf die Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung, wann die Drohungen genau begonnen hätten, u.a. geantwortet hat, etwa ein oder zwei Wochen nach der Trennung hätten die Drohungen begonnen - also spätestens ungefähr am 26. Juni 2014, weil der Kläger und seine Ehefrau gemäß dem am 25. Februar 2016 verkündeten Beschluss des Amtsgerichts … - Familiengericht - glaubhaft und übereinstimmend erklärt hätten, sie lebten seit dem 12. Juni 2014 getrennt -, er in seiner Antragsschrift vom 16. Dezember 2015 aber erklärt hat, der in Afghanistan lebende Schwiegervater habe seine Drohung im September 2014 gegenüber seinem Vater - also dem des Klägers - ausgesprochen mit der Begründung, „Dein Sohn hat das Leben meiner Tochter zerstört.“ Dabei soll es sich nach dem Inhalt der Antragsschrift mangels gegenteiliger Anhaltspunkte um die erstmalig ausgesprochene Drohung gehandelt haben. Jedenfalls hat der Kläger über eine vor September 2014 erklärte Drohung weder bei seiner Anhörung beim Bundesamt noch schriftsätzlich vor der mündlichen Verhandlung konkret berichtet. Nicht ausreichend ist es, dass er in der Antragsschrift auch erklärt hat, die Bedrohungen würden auch weiterhin seit 2014 anhalten. Wäre das Vorbringen des Klägers bezüglich der angeblich in Afghanistan ausgesprochenen Drohungen tatsächlich zutreffend, ist davon auszugehen, dass er den Zeitpunkt des Erhalts der ersten Drohung widerspruchsfrei hätte angeben können. Dies hätte sich für ihn nämlich nach seinem Vorbringen um ein einschneidendes Erlebnis gehandelt.

Hätte der Kläger bezüglich der angeblich erhaltenen Drohungen über tatsächlich Erlebtes berichtet, ist auch anzunehmen, dass er auf die Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung, ob er konkret darstellen könne, wie es begonnen habe mit den Drohungen, auch darüber berichtet hätte, dass er nach dem Inhalt seines (anwaltlichen) Schreibens an die Ausländerbehörde vom 17. Februar 2015 telefonisch auch Drohungen direkt von den Brüdern seiner ehemaligen Ehefrau aus Afghanistan erhalten haben will. In diesem Schreiben wurde ausgeführt, er habe im Hinblick auf die Aktionen der Familie seiner „Ehefrau“ aus Afghanistan schließlich keinen anderen Weg mehr gesehen, als sich von seiner Frau zu trennen. Als sich dieses abgezeichnet habe, habe er von den Brüdern seiner „Ehefrau“ aus Afghanistan Telefonanrufe erhalten. Ihm sei wörtlich gedroht worden, „Wenn du dich trennst und nach Afghanistan zurückkommen solltest, hast Du ein großes Problem.“ Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung indes auf die dargestellte Frage im Wesentlichen nur geantwortet, sie hätten in Khairkhana gewohnt. Vier Straßen weiter habe eine Schwester seiner ehemaligen Ehefrau gewohnt. Sein Onkel mütterlicherseits habe dort auch ein Fitnessstudio gehabt. Er, der Kläger, habe auch dort gearbeitet. Ebenso seien der Neffe und der Schwager seiner ehemaligen Schwägerin Mitglieder des Fitnessstudios gewesen. Nach der Trennung hätten die Drohungen begonnen, aber dies sei nicht direkt geschehen. Nicht nur seine Brüder hätten die Drohungen von den Brüdern seiner ehemaligen Ehefrau erhalten, sondern - und der folgende Vortrag ist selbst bei isolierter Betrachtung nicht glaubhaft, weil er hierüber wieder bei seiner Anhörung noch schriftsätzlich im gerichtlichen Verfahren berichtet hatte - sein Onkel mütterlicherseits habe von diesen Drohungen auch von dem Schwager seiner ehemaligen Schwägerin und dem genannten Neffen gehört.

Außerdem ist es widersprüchlich, dass der Kläger nach dem Inhalt der genannten Antragsschrift das erste Mal von den Drohungen von seinem Vater erfahren haben will, in der mündlichen Verhandlung dagegen aber angegeben hat, das erste Mal habe er über seinen Bruder von den Drohungen erfahren und das zweite Mal sei dies über seinen Schwager seiner ehemaligen Schwägerin geschehen. Abgesehen hiervon hat er in der mündlichen Verhandlung überhaupt nicht darüber berichtet, dass auch sein Vater ihn - den Kläger - über ihm gegenüber ausgesprochene Drohungen informiert haben soll.

Des Weiteren ist das Vorbringen des Klägers bezüglich des sich angeblich etwa im August 2017 ereigneten Vorfalls unstimmig. Im Schriftsatz vom 9. Oktober 2017 hat er vorgetragen, vor ca. zwei Monaten habe sein jüngerer Bruder Omid, der bei einer Security Firma namens … in Kabul arbeite, den Bruder „…“ seiner ehemaligen Ehefrau auf der Straße getroffen. Dieser Bruder habe seinen Bruder - also den des Klägers - dann gefragt: „Warum hat … meine Schwester verlassen?“ „…“ habe … dann schlagen wollen. Leute auf der Straße seien dann dazwischen gegangen. „…“ habe aber gerufen: „Die Sache ist nicht erledigt. Wir warten auf …. Wenn er kommt, dann lassen wir ihn nicht in Ruhe.“ In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger dagegen angegeben, vor ca. drei Monaten sei der Bruder seiner ehemaligen Ehefrau seinem Bruder …, also dem des Klägers, begegnet und habe gerufen, „wenn dein Bruder zurück kommt, werden wir ihn auslöschen.“ Anschließend habe der Bruder seiner ehemaligen Ehefrau begonnen, seinen Bruder zu beschimpfen, und anschließend sei es zu einer Auseinandersetzung gekommen. Passanten seien aber dazwischen gegangen.

Unstimmig ist es des Weiteren, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Frage des Gerichts, wie er seine Ausreise finanziert habe, zunächst u.a. geantwortet hat, an Herrn … habe er ca. 700,00 Euro überwiesen, weil seine ehemalige Ehefrau gesagt habe, dass sie dieses Geld benötige zur Vorbereitung, er aber etwas später auf den Vorhalt des Gerichts, dass es in dem Schreiben vom 7. April 2015 sinngemäß heiße, seine geschiedene Ehefrau habe angegeben, ihr Mann habe 23.000,00 Euro an Herrn … bezahlt und 600,00 Euro seien für ein Visum an die … überwiesen worden, erklärt hat, er habe bereits erwähnt, dass er 700,00 Euro an Herrn … überwiesen habe. Den Betrag in Höhe von 23.000,00 Euro habe er nicht bezahlt.

Darüber hinaus steht das Vorbringen des Klägers bezüglich der Geschwister seiner ehemaligen Ehefrau im Schriftsatz vom 16. Dezember 2015 nicht mit seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung vollständig im Einklang. In dem genannten Schriftsatz hat er vorgetragen, ein Bruder seiner ehemaligen Ehefrau arbeite als Fahrer für einen Abgeordneten und alle Brüder seiner ehemaligen Ehefrau befänden sich nicht „direkt im Parlament“. Alle fünf Brüder und sechs Schwestern seiner ehemaligen Ehefrau hätten „großen Einfluss zu Parlamentsabgeordneten“ und auch innerhalb der Polizei. Seine Gefährdung sei auch deshalb so groß, weil alle hier erwähnten Familienmitglieder über Waffen verfügen würden, und durch die enge Verbindung zu Abgeordneten und Polizeibeamten gebe es keinen Schutz für ihn im Falle einer Rückkehr. In der mündlichen Verhandlung hat er dagegen auf die Frage, welche Tätigkeiten die Brüder seiner ehemaligen Ehefrau ausübten, lediglich geantwortet, sein Schwiegervater sei Fahrer eines Kommandeurs der Mudschahedin gewesen, der zur Zeit Karzais dessen Berater in religiösen Angelegenheiten gewesen sei, und auf Nachfrage des Gerichts hat er erklärt, ein Bruder seiner ehemaligen Ehefrau sei Fahrer eines Abgeordneten und Personenschützer. Die anderen vier Brüder seien selbstständig. Über einen großen Einfluss der Geschwister seiner ehemaligen Ehefrau auf Parlamentsabgeordnete und innerhalb der Polizei berichtete er dagegen nicht.

Darüber hinaus ist auffällig, dass der Kläger weder bei seiner Anhörung noch in der mündlichen Verhandlung entsprechend dem Inhalt des Schriftsatzes vom 9. Oktober 2017 vorgetragen hat, eine weitere Gefahr drohe ihm auch von einer Cousine … der ehemaligen Ehefrau. Diese sei zeitweilig bei den Taliban gewesen, als diese in Kabul gewesen seien. Sie habe weiterhin Kontakt zu den Taliban. Bei der Rückkehr bestehe die Gefahr, dass sie die Taliban gegen den Kläger gewissermaßen „einsetzt“. Dieses Vorbringen ist gesteigert und schon deshalb unglaubhaft.

Schon aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in Kabul entscheidungsrelevante Maßnahmen zu befürchten hätte. Zu erwähnen ist allerdings noch, dass es widersprüchlich ist, dass der Kläger bei seiner Anhörung angab, die Brüder seiner ehemaligen Ehefrau seien mächtige Personen in Afghanistan und befänden sich auch im Parlament, er mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2015 aber erklärt hat, ein Bruder seiner ehemaligen Ehefrau arbeite als Fahrer für einen Abgeordneten. Ergänzend hatte er in dem Schriftsatz vorgetragen, alle Brüder seiner ehemaligen Ehefrau befänden sich nicht „direkt im Parlament“. Soweit der Kläger in dem genannten Schriftsatz erklärt hat, es sei unklar, wie die Angaben, die Brüder befänden sich im Parlament, im Protokoll hätten auftauchen können, ist dem entgegenzuhalten, dass der Kläger am 17. November 2015 erklärte, über die Anhörung sei eine „Tonaufzeichnung gemacht/Niederschrift verfasst“ und ihm rückübersetzt worden. Das rückübersetzte Protokoll entspreche seinen „heute gemachten Angaben“ und seine Angaben seien vollständig und entsprächen der Wahrheit. In der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers zwar erklärt, er habe von einem Leitenden Regierungsdirektor des Bundesamtes gehört, dass 800 Dolmetscher entlassen worden seien, weil es mit ihnen Probleme beim Dolmetschen gegeben habe, und der Kläger hat dazu vorgetragen, bei der Anhörung habe der Dolmetscher ihm vor der Anhörung erzählt, dass er Gastronom aus … sei und seit einer Woche für das Bundesamt arbeite, weil er so mehr Geld verdienen könne. Angesichts der dargestellten Erklärung des Klägers vom 17. November 2015 bei seiner Anhörung und den oben aufgezeigten Glaubhaftigkeitsmängeln in seinem Vorbringen hat das Gericht aber keinen ausreichenden Zweifel daran, dass er die in der Anhörungsniederschrift dargestellten Angaben tatsächlich gemacht hat.

Widersprüchlich ist zudem, dass der Kläger bei seiner Anhörung erklärte, sein Schwiegervater habe Kontakte zu den Mudschahedin und diese hätten dem Schwiegervater gesagt, wenn er - der Kläger - nach Afghanistan zurückkehre, habe er einiges zu befürchten, er aber mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2015 vorgetragen hat, die Mudschahedin hätten ihm nicht gedroht für den Fall der Rückkehr nach Afghanistan. Ergänzend hat der Kläger in dem Schriftsatz zwar auch erklärt, klarzustellen sei, dass es sich insofern um ein Missverständnis handele. Dieses Vorbringen führt indes zu keiner anderen Bewertung, wobei insoweit zur weiteren Begründung auf die hier entsprechend geltenden, oben dargestellten Ausführungen hinsichtlich des widersprüchlichen Vortrags zur angeblichen Tätigkeit der Brüder der ehemaligen Ehefrau und zu der dargestellten Erklärung des Klägers vom 17. November 2015 Bezug genommen wird.

Im Übrigen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Frage seines Prozessbevollmächtigten, ob es andere Gründe gebe, warum er Angst habe, nach Afghanistan zurückzukehren, geantwortet, es sei die Gefahr, die von der Familie seiner ehemaligen Ehefrau ausgehe. Deshalb wolle er nicht nach Afghanistan zurückkehren. Über weitere konkret seine Person betreffende Gründe hat er dagegen nicht berichtet. Er hat lediglich noch ausgeführt, außerdem habe sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren erheblich verschlimmert. Er gehe hundertprozentig davon aus, dass er im Falle einer Rückkehr getötet werde.

1.1.2.2.3.3. Beachtliche Nachfluchtgründe i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG sind auch nicht bezüglich der humanitären Lebensbedingungen in Kabul gegeben.

1.1.2.2.3.3.1. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Gefahr einer - nicht auf eine absichtliche Verweigerung der Versorgung gegenüber dem Betroffenen zurückzuführenden - Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Asylbewerbers nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht vom Begriff des ernsthaften Schadens i.S.d. Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83 erfasst wird (Urteil vom 18. Dezember 2014 - C-542/13 -, juris, Rn. 41) und diese Rechtsprechung nach Auffassung des Gerichts ebenfalls für die wortgleiche Regelung des Art. 15 Buchst. b RL 2011/95/EU sowie für § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und damit auch für die Fälle gilt, in denen die Verschlechterung des Gesundheitszustands auf die schlechten humanitären Bedingungen im Herkunftsland zurückzuführen ist. Im Übrigen schützt die auch in diesem Zusammenhang in den Blick zu nehmende Vorschrift des Art. 3 EMRK grundsätzlich nicht vor den allgemeinen Folgen von Naturkatastrophen, Bürgerkriegen oder anderen bewaffneten Konflikten (vgl. zur wortgleichen Vorgängerregelung zu § 60 Abs. 5 AufenthG in § 53 Abs. 4 Ausländergesetz i.d.F. vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354) - AuslG 1990 -: BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1996 - 9 C 134.95 -, juris, Rn. 6, mit Veröffentlichungshinweis auf NVwZ 1996, Beilage Nr. 12, 89; Hailbronner: Aufnahme von Flüchtlingen aus Ländern mit prekären Lebensbedingungen und Bürgerkrieg, in: ZAR 2014, 306 <307>) und die sozio-ökonomischen und humanitären Verhältnisse im Abschiebungszielstaat sind grundsätzlich nicht notwendig für die Frage bedeutend und erst recht nicht dafür entscheidend, ob der Ausländer in diesem Gebiet wirklich der Gefahr einer Misshandlung unter Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre (vgl. EGMR, Urteil vom 28. Juni 2011, a.a.O., Rn. 278; BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013, a.a.O., Rn. 25). Offen bleiben kann in diesem Verfahren mangels Entscheidungserheblichkeit, ob das Merkmal der „absichtlichen Verweigerung“ (der Versorgung) (vgl. dazu Schlussanträge des Generalanwalts/der Generalanwältin vom 24. Oktober 2017 in dem beim EuGH anhängigen Verfahren C-353/16, Rn. 30 ff.) in vollem Umfang dem vom EGMR verwendeten Merkmal der „Ursächlichkeit überwiegend direkter und indirekter Aktionen von Konfliktparteien“ (für eine humanitäre Krise) im Abschiebungszielstaat entspricht. Nach Auffassung des EGMR ist in den Fällen, in denen dieses Merkmal gegeben ist, der Ansatz im Fall M. S. S./Belgien u. Griechenland (dazu s. EGMR - Große Kammer -, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 -, HUDOC, tw. abgedruckt in NVwZ 2011, 413 ff. und NLMR 1/2011-EGMR, S. 1 ff.) zu berücksichtigen, dass die Verantwortlichkeit von Staaten nach Art. 3 EMRK wegen der Behandlung eines Ausländers begründet sein kann, der vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und behördlicher Gleichgültigkeit gegenübersteht, obwohl er sich in so extremer Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist. Es muss die Fähigkeit des Ausländers berücksichtigt werden, „seine elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, weiter seine Verletzbarkeit für Misshandlungen und seine Aussicht auf eine Verbesserung seiner Lage in angemessener Zeit.“ (Urteil vom 28. Juni 2011 zu Somalia, a.a.O., Rn. 279, 282 f., Zitat gemäß der deutschen Übersetzung), d.h. es ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer im Falle seiner Rückkehr nicht in der Lage sein wird, seine elementaren Bedürfnisse - wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft - zu befriedigen und ausreichenden Schutz gegen Misshandlungen zu erlangen, ohne dass eine Aussicht auf Verbesserung seiner Lage besteht (Hailbronner, a.a.O., <308>; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013, a.a.O., Rn. 24 f. und 28, das sinngemäß auch das „völlig fremde(n) Umfeld“ nennt, in dem sich der Ausländer aufhält). Das Beweismaß zu Art. 3 EMRK entspricht dem bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 7. September 2015, a.a.O., Rn. 26).

1.1.2.2.3.3.2. In der Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 14. September 2017 (Afghanistan: Update - Die aktuelle Sicherheitslage) heißt es, Afghanistan bleibe nicht nur eines der gefährlichsten, sondern auch eines der ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder der Welt (s. auch Länderinformationsblatt des Bundesamtes der Republik Österreich für Fremdenwesen und Asyl - Staatendokumentation - (BFA) vom 2. März 2017 <letzte Kurzinformation eingefügt am 25. September 2017>, S. 183). Aufgrund der bewaffneten Konflikte sei der Anteil der notleidenden Bevölkerung 2016 um 13 % angestiegen. 2017 würden 9,3 Millionen Afghaninnen und Afghanen dringend humanitäre Hilfe benötigen (S. 27 f.). Kabul zähle in der Region zu den am schnellsten wachsenden Städten. Die Bevölkerung solle sich in nur sechs Jahren verdreifacht haben. Gemäß EASO (European Asylum Support Office) würden in der Hauptstadt etwa 75 % der Bevölkerung in „informellen“ Siedlungen leben. Armut sei weit verbreitet. Der Zugang zu Lebensmitteln habe sich rasant verschlechtert, was mit den fehlenden Arbeitsmöglichkeiten sowie der generellen Armut zusammenhänge. Beinahe die Hälfte der Bevölkerung Kabuls könne sich keine medizinische Behandlung leisten, da sie den armen oder sehr armen Bevölkerungsschichten angehöre. Zahlreiche Unterkünfte seien lediglich behelfsmäßig aus Lehm gebaut und würden starken Regenfällen kaum standhalten, „noch schützen sie vor Kälte und Hitze“. Sie seien oft weder ans Wasserversorgungsnetz noch an das Kanalisationssystem der Stadt angeschlossen. Die Zahl der Straßenkinder solle 100.000 inzwischen übersteigen. Die große Zahl der Rückkehrenden, die Landflucht sowie der Anstieg der Zahl der intern Vertriebenen würden zur Überlastung der bereits äußerst stark beanspruchten Infrastruktur zur Erbringung der Grunddienstleistungen in der Hauptstadt Kabul führen. Die Aufnahmefähigkeit der Hauptstadt sei gemäß UNHCR „aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringung sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen, insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, äußerst eingeschränkt“. Das BFA führte in dem genannten Länderinformationsblatt aus, trotz eines guten Wirtschaftswachstums von 2007 bis 2011 habe die Armutsrate bei 36% stagniert. Am häufigsten trete Armut in ländlichen Gebieten auf, wo die Existenzgrundlage von der Landwirtschaft abhängig sei „(WB 2.5.2016)“ (WB: The World Bank).

1.1.2.2.3.3.3. Ausgehend von der dargestellten schwierigen humanitären Situation und den genannten Maßstäben lässt sich allerdings zur Überzeugung des Gerichts nicht feststellen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Kabul nicht in der Lage wäre, seine elementaren Bedürfnisse - wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft - zu befriedigen und ausreichenden Schutz gegen Misshandlungen zu erlangen. Unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel und des Vorbringens des Klägers ist es nicht hinreichend wahrscheinlich, dass es ihm im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich wäre, in Kabul wieder seine Tätigkeit als Schneider auszuüben. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, er habe das afghanische Abitur gemacht - bei seiner Anhörung erklärte er übrigens, er habe einen Hauptschulabschluss - und sei als Schneider selbstständig tätig gewesen. Soweit er bei seiner Anhörung außerdem sinngemäß angab, er habe von dem Einkommen, das er als Schneider erzielt habe, nicht leben können, ist dies wegen der oben dargestellten Glaubhaftigkeitsmängel ebenfalls nicht glaubhaft. Abgesehen hiervon spricht für die Bewertung des Gerichts, dass er in der mündlichen Verhandlung auf die Frage, wie er seine Ausreise finanziert habe, geantwortet hat, er sei als Schneider selbstständig gewesen und habe seine eigenen Ersparnisse gehabt. Insofern ist anzunehmen, dass er vor seiner Ausreise auch seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte. Es ist ferner weder ersichtlich noch vom 36 Jahre alten Kläger dargelegt worden, dass er in Afghanistan aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten könnte. Vielmehr hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben, inzwischen habe er ein festes Arbeitsverhältnis. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass er - sofern es erforderlich sein sollte - auch in ausreichendem Maße unterstützt werden würde. Das Vorbringen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 9. Oktober 2017 deutet nämlich darauf hin, dass zwei Brüder von ihm offenbar in Kabul wohnen. Er hat sinngemäß erklärt, sein Bruder Hamed arbeite in der Nähe des Hauses der Familie der ehemaligen Ehefrau in Kabul und sein jüngerer Bruder arbeite - wie oben unter 1.1.2.2.3.2. schon ausgeführt - bei einer Security Firma namens Saladin in Kabul. Außerdem ist angesichts des Inhalts des Schriftsatzes anzunehmen, dass auch seine Eltern in Kabul wohnen. Er hat vorgetragen, von seinen Eltern habe er keine Hilfe zu erwarten und seine Familie wohne zu dicht „an der Familie der Ehefrau“. Es ist weder ersichtlich noch vom Kläger dargelegt worden, dass er von den genannten Personen keine ausreichende Hilfe erhalten würde. Abgesehen hiervon ist anzunehmen, dass Entsprechendes auch dann gelten würde, wenn die genannten Personen in unmittelbarer Nähe der Grenze zur Stadt Kabul leben würden. Für die Bewertung des Gerichts spricht schließlich, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht angegeben hat, dass er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan auch befürchte, seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten zu können, obwohl sein Prozessbevollmächtigter ihn gefragt hat, ob es andere Gründe gebe, warum er Angst habe, nach Afghanistan zurückzukehren.

1.1.2.3. Das Gericht ist auch nicht davon überzeugt, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erfüllt sind.

1.1.2.3.1. Bei der Prüfung dieser Rechtsnorm ist vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht, und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 30. Januar 2014 - C-285/12 -, juris, Rn. 35). Besteht ein bewaffneter Konflikt nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion des Asylbewerbers erstreckt, in die er typischerweise zurückkehren würde (BVerwG, Urteile vom 14. Juli 2009 - 10 C 9.08 -, juris, Rn. 17, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf BVerwGE 134, 188, vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a. a. O., Rn. 25, und vom 31. Januar 2013, a. a. O., Rn. 14).

Außerdem kann das Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nur zur Gewährung subsidiären Schutzes führen, sofern die Auseinandersetzungen zwischen den regulären Streitkräften eines Staates und einer oder mehreren bewaffneten Gruppen oder zwischen zwei oder mehreren bewaffneten Gruppen ausnahmsweise als ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person, die die Gewährung des subsidiären Schutzes beantragt, im Sinne von Art. 15 Buchst. c RL 2011/95/EU angesehen werden, weil der Grad willkürlicher Gewalt bei diesen Konflikten ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 30. Januar 2014, a.a.O., Rn. 30). Dieser Fall bleibt allerdings einer außergewöhnlichen Situation vorbehalten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt wäre. Der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, wird umso geringer sein, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er aufgrund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH, Urteile vom 17. Februar 2009 - C-465/07 -, juris, Rn. 35 bis 39, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf NVwZ 2009, 705, und vom 30. Januar 2014, a.a.O., Rn. 31; vgl. zu § 60 Abs. 7 Satz 2 2008 auch BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a. a. O., Rn. 32). Diese Prüfung setzt voraus, dass Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem betreffenden Gebiet getroffen werden. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. Zu diesen gefahrerhöhenden Umständen gehören in erster Linie solche persönlichen Umstände, die den Betroffenen von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z. B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Dazu können aber auch solche persönlichen Umstände gerechnet werden, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon eine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt. Auch im Fall gefahrerhöhender persönlicher Umstände muss aber ein hohes Niveau willkürlicher Gewalt bzw. eine hohe Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet festgestellt werden. Allein das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts und die Feststellung eines gefahrerhöhenden Umstandes in der Person des Antragstellers reichen hierfür nicht aus. Erforderlich ist vielmehr eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung. Insoweit können auch die für die Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts entwickelten Kriterien entsprechend herangezogen werden. Dabei sind nicht nur solche Gewaltakte zu berücksichtigen, die die Regeln des humanitären Völkerrechts verletzen, sondern auch andere Gewaltakte, die nicht zielgerichtet gegen bestimmte Personen oder Personengruppen, sondern wahllos ausgeübt werden und sich auf Zivilpersonen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken. Erfasst werden damit auch unvorhersehbare Kollateralschäden (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, a. a. O., Rn. 33 f.). Es ist allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht zwingend erforderlich, in jedem Fall genaue statistische Resultate zu berechnen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2012 - 10 B 2.12 -, juris, Rn. 4).

1.1.2.3.2. Zwar heißt es in der Kurzinformation des BFA vom 25. September 2017 - teilweise sinngemäß -, die Sicherheitslage in Afghanistan sei nach wie vor höchst volatil - also unbeständig -; die Regierung und die Taliban hätten sich während des Berichtszeitraumes bei Kontrolle mehrerer Distriktzentren abgewechselt und auf beiden Seiten seien Opfer zu beklagen gewesen „(UN GASC 21.9.2017)“ (UN GASC: General Assembly Security Council). Der Konflikt in Afghanistan sei gekennzeichnet von zermürbenden Guerilla-Angriffen, sporadischen bewaffneten Zusammenstößen und gelegentlichen Versuchen, Ballungszentren zu überrennen. Mehrere Provinzhauptstädte seien nach wie vor in der Hand der Regierung; dies aber auch nur aufgrund der Unterstützung durch US-amerikanische Luftangriffe. Dennoch gelinge es den Regierungskräften, kleine Erfolge zu verbuchen, indem sie mit unkonventionellen Methoden zurückschlagen würden „(The Guardian 3.8.2017)“. Zwar habe die Kampfmission der US-Amerikaner gegen die Taliban bereits im Jahr 2014 geendet. Dennoch würden, laut US-amerikanischem Verteidigungsminister, aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 3.000 weitere Soldaten nach Afghanistan geschickt. Nach wie vor seien über 8.000 US-amerikanische Spezialkräfte in Afghanistan, um die afghanischen Truppen zu unterstützen „(BBC 18.9.2017)“. In den ersten acht Monaten seien insgesamt 16.290 sicherheitsrelevante Vorfälle von den Vereinten Nationen (UN) registriert worden; in ihrem Berichtszeitraum (15.6. bis 31.8.2017) für das dritte Quartal seien 5.532 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert worden - eine Erhöhung von 3% gegenüber dem Vorjahreswert (S. 6 des Länderinformationsblattes vom 2. März 2017). Laut UN hätten sich bewaffnete Zusammenstöße um 5% erhöht und machten nach wie vor 64% aller registrierten Vorfälle aus. 2017 habe es wieder mehr lange bewaffnete Zusammenstöße zwischen Regierung und regierungsfeindlichen Gruppierungen gegeben. Im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2016 hätten die UN einen Rückgang von 3% bei Anschlägen mit Sprengfallen (IEDs - improvised explosive device), Selbstmordangriffen, Ermordungen und Entführungen verzeichnet. Nichtsdestotrotz seien sie Hauptursache für zivile Opfer gewesen. Die östliche Region hätte die höchste Anzahl von Vorfällen verzeichnet, gefolgt von der südlichen Region „(UN GASC 21.9.2017)“. Laut der internationalen Sicherheitsorganisation für NGOs (INSO) seien in Afghanistan vom 1.1. bis 31.8.2017 19.636 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert worden (Stand: 31.8.2017) „(INSO o.D.)“ (a.a.O., S. 6 f.). Der US-Sonderbeauftragte für den Aufbau in Afghanistan (SIGAR), habe in seinem Bericht für das zweite Quartal des Jahres 2017 mehrere high-profile Angriffe verzeichnet; der Großteil dieser sei in den Zeitraum des Ramadan gefallen (Ende Mai bis Ende Juni). Einige extremistische Organisationen, inklusive dem Islamischen Staat, würden behaupten, dass Kämpfer, die während des Ramadan den Feind töten würden, bessere Muslime wären „(SIGAR 31.7.2017)“ (a.a.O., S. 8; zur Bedrohungslage für afghanische Zivilisten s. auch Auswärtiges Amt, Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017 (Stand Juli 2017) vom 28. Juli 2017, S. 8 ff.). Das Auswärtige Amt führte in dieser Lagebeurteilung unter anderem aus, seit dem Abzug des Großteils der internationalen Truppen bei Beendigung der ISAF-Mission würden die Aufständischen mit größerer Bewegungsfreiheit agieren. Die stärkste Kraft der Aufständischen würden weiterhin die Taliban bilden, deren Führungsgremien in Pakistan vermutet würden. Sie würden den Einfluss in ihren Kernräumen - paschtunisch geprägten ländlichen Gebieten - konsolidieren und ihn ausweiten. Der räumliche Einflussgewinn der Taliban korrespondiere mit der Strategieänderung der ANDSF (Afghan National Defense and Security Forces - afghanische Streitkräfte), zugunsten geographischer Prioritäten permanente Checkpoints zu verringern. Nach aktuellen Einschätzungen würden die Taliban in 30 der 408 Distrikte Afghanistans die alleinige Kontrolle ausüben (zum Vergleich Oktober 2016: 21). In 121 Distrikten würden sie trotz fortdauernder Präsenz von staatlichen Sicherheitskräften und Verwaltungsstrukturen Einfluss ausüben (Oktober 2016: 74). Nach einem abweichenden Schema würden die US-Streitkräfte im Februar 11 Distrikte als von Aufständischen kontrolliert, 34 als beeinflusst und 119 als umstritten einstufen. Demnach würden 65,6 % der Bevölkerung im Einflussbereich der Regierung, 9,2 % im Einflussbereich der Aufständischen und 25,2 % in umstrittenen Gebieten leben (S. 5, Nr. 18; zur Sicherheitslage s. auch Stellungnahme der SFH vom 14. September 2017. S. 4 ff. und S. 12 ff.).

1.1.2.3.3. Ausgehend von den genannten Maßstäben (s. 1.1.2.3.1.) kann indes offen bleiben, ob in Afghanistan landesweit und in der Provinz Kabul zum Zeitpunkt der Ausreise des Klägers aus seinem Heimatland - also nach seinem Vorbringen im Oktober 2013 - und zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt bestand. Dabei geht das Gericht davon aus, dass der Kläger in die Provinz Kabul zurückkehren würde, weil er nach seinem Vorbringen aus der Stadt Kabul stammt.

Denn selbst wenn man unterstellt, dass in Afghanistan landesweit - diese Auffassung vertritt der UNHCR in seinen „Grundsätzlichen Anmerkungen“ zur Situation in Afghanistan von Dezember 2016 (S. 2) - und in der Provinz Kabul zu den genannten Zeitpunkten ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt stattfand, liegen unabhängig hiervon die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht in vollem Umfang vor.

1.1.2.3.3.1. In Afghanistan, das 2013/2014 geschätzt 26.023.100 Einwohner hatte (s. Afghanistan Statistical Yearbook 2013-14, S. 5, abrufbar unter http://cso.gov.af/en/page/1500/4722/2013-2014, „Population“) und 2016/2017 geschätzt 27.657.145 Einwohner hat (s. Afghanistan Statistical Yearbook 2016-17, S. 6, abrufbar unter http://cso.gov.af/en/page/1500/4722/2016-17, „Population“), wurden nach dem „ANNUAL REPORT 2016, PROTECTION OF CIVILIANS IN ARMED CONFLICT” der UNAMA (United Nations Assistance Mission in Afghanistan) von Februar 2017 (abrufbar unter https://unama.unmissions.org/protection-of-civilians-reports) im Jahr 2013 8.638 Zivilisten getötet und verletzt (s. S. 4). Für das Jahr 2017 lässt sich im Wege einer Schätzung auf der Grundlage der im „MIDYEAR REPORT 2017, PROTECTION OF CIVILIANS IN ARMED CONFLICT” der UNAMA von Juli 2017 (ebenfalls abrufbar unter https://unama.unmissions.org/protection-of-civilians-reports) für das erste Halbjahr des Jahres 2017 angegebenen 5.243 getöteten und verletzten Zivilisten (a.a.O., S. 3) ein Wert von 10.486 zivilen Opfern ermitteln, wobei der Halbjahreswert verdoppelt wurde.

Hinsichtlich der Stadt Kabul geht das Gericht von ca. 3.961.487 Einwohner aus (Schätzung 2017/18, s. Wikipedia unter Bezugnahme auf Central Statistics Organisation - Estimated Population of Kabul City 2017/18, abrufbar unter https://de.wikipedia.org/wiki/Kabul). Dort wurden im ersten Halbjahr 2017 1048 zivile Opfer (219 getötete und 829 verletzte Zivilisten) registriert. 94 % der Personen wurden Opfer von Selbstmordattentaten und Angriffen durch regierungsfeindliche Elemente. Schon damit verzeichnete die Provinz Kabul die höchste Zahl ziviler Opfer landesweit (s. BFA, Kurzinformation vom 25. September 2017, a.a.O., S. 6). Für die Zentral-Region, zu der die im Folgenden genannten Provinzen gehören (s. ANNUAL REPORT 2016, S. 4, Fn. 12) und die zurzeit ca. 6.808.371 Einwohner hat (Kabul: 4.523.718, Kapisa: 448.245, Logar: 398.535, Maidan Wardak: 606.077, Parwan: 675.795 und Panjshir: 156.001; s. Afghanistan Statistical Yearbook 2016-17, S. 6 ff.), lässt sich im Wege einer Schätzung auf der Grundlage der im „MIDYEAR REPORT 2017“ für das erste Halbjahr des Jahres 2017 angegebenen 1.254 getöteten und verletzten Zivilisten (a.a.O., S. 10) ein Wert von ca. 2.508 zivilen Opfern ermitteln, wobei der Halbjahreswert verdoppelt wurde. Im Jahr 2013 wurden für die Zentral-Region, die damals ca. 6.260.700 Einwohner hatte (Kabul: 4.086.500, Kapisa: 426.800, Logar: 379.400, Maidan Wardak: 577.100, Parwan: 642.300 und Panjshir: 148.600; s. Statistical Yearbook 2013-14, S. 5), nur 1.258 getötete und verletzte Zivilisten registriert (s. ANNUAL REPORT 2016, S. 14).

Selbst wenn man zugunsten des Klägers annimmt, die für die Zentralregion registrierten Opfer wären alle der Provinz Kabul zuzurechnen, ergibt sich für die Provinz Kabul und für Afghanistan unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen für die Jahre 2013 und 2017 lediglich folgende statistische Wahrscheinlichkeit (jeweils ca.-Werte), dass man in den genannten Jahren in der Provinz Kabul und in Afghanistan Opfer eines Anschlags wurde bzw. wird:

Afghanistan

Kabul 

2013   

0,031 %

0,037 %

2017   

0,038 %

0,055 %

Nähme man an, dass die Provinz Kabul ca. 5 Millionen Einwohner gegenwärtig hätte - nach der genannten Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 14. September 2017 beherbergt die Stadt Kabul heute schätzungsweise gut 5 Millionen Menschen (S. 34, Fn. 170) - ergäbe sich für die Provinz Kabul für das Jahr 2017 eine statistische Wahrscheinlichkeit von ca. 0,050 %.

Nach alledem ist es im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen bei der Zivilbevölkerung - auch unter Berücksichtigung der medizinischen Versorgungslage - nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Zeitraum seiner Ausreise im Oktober 2013 in Afghanistan oder in der Provinz Kabul als Angehöriger der Zivilbevölkerung bei Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts allein aufgrund seiner Anwesenheit in diesen Regionen infolge willkürlicher Gewalt einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit ausgesetzt war. Unter Berücksichtigung vorstehender Maßstäbe ist es ferner zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht beachtlich wahrscheinlich gewesen, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan oder in der Provinz Kabul in absehbarer Zeit derart verschärfen wird, dass bei Annahme eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts davon ausgegangen werden kann, der diesen Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt - im Jahr 2017 ca. 0,055 % (Kabul) bzw. ca. 0,038 % (Afghanistan) - werde ein so hohes Niveau erreichen, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit - und damit auch der Kläger - in diesen Regionen einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt sein würde (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -, juris, Rn. 22 f., mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf NVwZ 2012, 454, zu § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG 2008, das sinngemäß ausführte, die Höhe eines für das gesamte Jahr 2009 geltenden Risikos von ungefähr 1:800 - dies entspricht einem Wert von 0,125 % (Anmerkung des erkennenden Gerichts) -, in einer Provinz verletzt oder getötet zu werden, sei so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass es im Ergebnis rechtlich unerheblich sei, dass die Würdigung der medizinischen Versorgungslage in diesem Zusammenhang unterblieben sei).

Das Gericht verkennt zwar nicht, dass die sogenannte Dunkelziffer nicht unerheblich sein dürfte. Selbst wenn man deshalb aber annimmt, der genannte Grad willkürlicher Gewalt müsste verdreifacht werden (vgl. dazu Nds. OVG, Urteil vom 7. September 2015, a.a.O., Rn. 65, m.w.N.) um die tatsächlichen Verhältnisse realistisch darzustellen, wären die im Folgenden genannten Grade (jeweils ca.-Werte) nicht ausreichend:

Afghanistan

Kabul 

2013   

0,094 %

0,083 %

2017   

0,118 %

0,166 %

1.1.2.3.3.2. Nicht ersichtlich ist es unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel und angesichts der im Vorbringen des Klägers enthaltenen Glaubhaftigkeitsmängel (s. 1.1.2.2.3.2.), dass der Kläger gefahrerhöhende persönliche Umstände für sich in Anspruch nehmen kann.

1.1.2.3.3.3. Schließlich lässt sich auch unabhängig von einer quantitativen Bewertung im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung unter Zugrundelegung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel und angesichts dessen, dass der Kläger - wie oben ausgeführt - keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände für sich in Anspruch nehmen kann, nicht feststellen, dass die maßgeblichen Voraussetzungen erfüllt sind.

1.2. Des Weiteren ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger einen hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Gewährung nationalen ausländerrechtlichen Abschiebungsschutzes gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG einschließlich eines Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 5 AufenthG hinsichtlich der Islamischen Republik Afghanistan hat.

1.2.1. Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Das Gericht hat insbesondere unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel und des Vorbringens des Klägers nicht die Überzeugung gewonnen, dass diese Voraussetzung erfüllt ist.

1.2.1.1. Der Verweis auf die EMRK erfasst lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, die dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen („zielstaatsbezogene“ Abschiebungshindernisse) (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013, a.a.O., Rn. 35). Das nationale Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG steht rechtlich selbstständig neben dem unionsrechtlichen Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 Satz 1 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 AsylG (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. Juni 2013 - 10 C 13.12 -, juris, Rn. 24, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf BVerwGE 147, 8, und vom 31. Januar 2013 -, a.a.O., Rn. 34 und 36; Nds. OVG, Urteil vom 28. Juli 2014, a.a.O., Rn. 17).

1.2.1.2. Im Hinblick auf die unter Berücksichtigung der im Abschiebungszielstaat bestehenden allgemeinen Lage und der besonderen Umstände des Ausländers anzustellende Gefahrenprognose (vgl. EGMR - 4. Sektion -, Urteil vom 28. Juni 2011, a.a.O.) kann ein Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK dann bestehen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Abschiebungszielstaat landesweit Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt zu werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013, a.a.O., Rn. 23; vgl. auch EGMR (Große Kammer), Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel /Schweiz) -, HUDOC, tw. abgedruckt in NLMR 6/2014-EGMR, S. 1 ff., und NVwZ 2015, 127 ff., Rn. 93: „… wenn es nachweislich ernsthafte Gründe für die Annahme gibt, dass er im Aufnahmeland tatsächlich Gefahr läuft, …“). Dabei sind zwar ebenso wie bei der Prüfung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG (s. 1.1.2.2.3.1.) die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen, allerdings - abweichend von der genannten Prüfung - zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013, a.a.O., Rn. 38, und Nds. OVG, Urteil vom 28. Juli 2014, a.a.O., Rn. 26). Der Maßstab gilt auch dann, wenn der Schutzsuchende vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat schon einmal Opfer einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gewesen ist. Dass sich eine Vielzahl von Personen in derselben Situation befindet, schließt die Anwendung des § 60 Abs. 5 AufenthG allerdings nicht aus, weil diese Vorschrift eine dem § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG entsprechende Einschränkung nicht enthält (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 28. Juli 2014, a.a.O., Rn. 27; BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1996, a.a.O., Rn. 6). Außerdem werden nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigt, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. Juni 2013, a.a.O., Rn. 25; Nds. OVG, Urteil vom 28. Juli 2014, a.a.O., Rn. 18).

1.2.1.2.1. Insofern sind - in diesem Fall - ebenfalls die Verhältnisse in der Stadt Kabul zu Grunde zu legen. Im Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19. Oktober 2016 (Stand September 2016) (Lagebericht) wird Kabul nämlich zuerst als Zielflughafen genannt. Es heißt dort, Kabul könne aus Deutschland relativ unkompliziert angeflogen werden, beispielsweise mit Umsteigemöglichkeiten in Istanbul, Dubai, Neu-Delhi oder Islamabad. Mazar-e Scharif könne von Teheran, Mashad oder auch mit Turkish Airlines über Istanbul angeflogen werden (S. 25; s. im Übrigen FAZ online vom 25.10.2017: „14 Afghanen nach Kabul abgeschoben“).

1.2.1.2.2. Ausgehend von den genannten Maßstäben gibt es unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel und der oben dargestellten Glaubhaftigkeitsmängel (s. 1.1.2.2.3.2.) keine ernsthaften und stichhaltigen Gründe dafür, dass gerade der Kläger im Falle seiner Abschiebung tatsächlich befürchten müsste, in Kabul Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt zu werden.

1.2.1.2.3. Das Gericht ist insbesondere unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel auch nicht überzeugt, dass Art. 3 EMRK im Falle einer Rückkehr des Klägers wegen der allgemeinen Sicherheitslage oder der humanitären Situation in der Stadt Kabul verletzt wäre.

Zunächst wird auf die hier entsprechend geltenden Ausführungen zu Art. 3 EMRK unter 1.1.2.2.3.3.1. Bezug genommen. Ergänzend ist auszuführen, dass nach Auffassung des EGMR nur ausnahmsweise eine allgemeine Situation der Gewalt in „äußerst extremen Fällen“ intensiv genug wäre, um eine entscheidungsrelevante Gefahr zu begründen, also eine Gefahr von Misshandlungen tatsächlich dadurch gegeben sei, dass eine Person einer solchen Gewalt bei Rückkehr ausgesetzt wäre (Urteil vom 28. Juni 2011, a.a.O., Rn. 218). Des Weiteren verletzen nach Ansicht des EGMR in ganz außergewöhnlichen Fällen (schlechte) humanitäre Bedingungen im Abschiebungszielstaat, die nur oder überwiegend auf die Armut oder auf fehlende staatliche Mittel zurückzuführen sind, Art. 3 EMRK, wenn die humanitären Gründe einer Abschiebung „zwingend“ entgegenstehen (Urteil vom 28. Juni 2011, a.a.O., Rn. 278 und 282; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013, a.a.O., Rn. 25). Dabei ist dieser Maßstab strenger als der bei der Prüfung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG anzuwendende Maßstab (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013, a.a.O., Rn. 28).

Zur weiteren Begründung wird auf die Ausführungen unter 1.1.2.3. und 1.1.2.2.3.3. Bezug genommen, die hier entsprechend gelten. Dabei lässt sich den Ausführungen unter 1.1.2.3. entnehmen, dass es rechtlich unerheblich ist, dass bei der Prüfung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auf die Provinz Kabul abgestellt wurde, hier aber die Situation in der Stadt Kabul maßgeblich ist.

1.2.1.3. Die Verletzung weiterer in Betracht kommender Vorschriften der EMRK ist weder ersichtlich noch vom Kläger substantiiert dargelegt worden.

1.2.2. Ferner hat das Gericht insbesondere unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel und des Vorbringens des Klägers nicht die Überzeugung gewonnen, dass er hilfsweise einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots hinsichtlich der Islamischen Republik Afghanistan gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besitzt.

Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Nicht entscheidungsrelevant ist es, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird. Der Begriff der „Gefahr“ im Sinne dieser Vorschrift ist im Ansatz kein anderer als der im asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ angelegte, wobei allerdings das Element der „Konkretheit“ der Gefahr für „diesen“ Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation statuiert. Dabei ist dieser Maßstab unabhängig davon anzulegen, ob der Ausländer schon vor der Einreise ins Bundesgebiet Eingriffe in die geschützten Rechtsgüter erlitten hat. Darüber hinaus ist Voraussetzung, dass die geltend gemachten Gefahren landesweit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, juris, Rn. 16, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf BVerwGE 99, 324 = NVwZ 1996, 199). § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfasst im Übrigen nur solche Gefahren, die in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat begründet sind, während Gefahren, die sich aus der Abschiebung als solcher ergeben, nur von der Ausländerbehörde als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis berücksichtigt werden können.

Gemessen hieran sind die Voraussetzungen zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht erfüllt gewesen. Dabei sind ebenfalls die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013, a.a.O., Rn. 38), also in diesem Fall in Kabul. Zur weiteren Begründung wird auf die maßgeblichen Ausführungen unter 1.1.2.2.3.2. Bezug genommen.

1.2.3. Der Kläger hat schließlich im Hinblick auf die allgemeinen Lebensbedingungen, die ihn im Falle einer Ausreise nach Afghanistan dort erwarten würden, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage sowie die Sicherheitslage, keinen hilfsweise begehrten Anspruch auf Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 5 AufenthG.

§ 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ist nur dann verfassungskonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass eine Entscheidung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht ausgeschlossen ist, wenn dem einzelnen Ausländer kein subsidiärer Schutz gemäß § 4 AsylG und kein nationaler Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG zusteht, kein Abschiebestopperlass nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG besteht und keine andere ausländerrechtliche Erlasslage dem betroffenen Ausländer einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt, er aber gleichwohl nicht abgeschoben werden darf, weil die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) wegen einer extremen Gefahrenlage die Gewährung von Abschiebungsschutz gebieten (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995, a. a. O., Rn. 14, und Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617.98 -, juris, Rn. 2, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf NVwZ 1999, 668; zur genannten ausländerrechtlichen Erlasslage vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. August 2006 - 1 B 60.06 -, juris, Rn. 4, mit Veröffentlichungshinweis auf Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19). Eine solche extreme allgemeine Gefahrenlage wird dahin umschrieben, dass eine Abschiebung in diesem Falle bedeutet, den Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen auszuliefern (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 2006 - 1 C 18.05 -, juris, Rn. 16, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf BVerwGE 127, 33, und vom 17. Oktober 1995, a. a. O., sowie Beschluss vom 26. Januar 1999, a. a. O.). Damit sind nicht nur Art und Intensität der drohenden Rechtsgutsverletzungen, sondern auch die Unmittelbarkeit der Gefahr und ihr hoher Wahrscheinlichkeitsgrad angesprochen. Die die Anwendung dieser Vorschrift rechtfertigende extreme Gefahrenlage besteht allerdings nicht nur dann, wenn Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Sie besteht beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1999, a. a. O., Rn. 4) oder alsbald an einer Krankheit sterben würde, da er keine Existenzmöglichkeit finden würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 2. September 1997 - 9 C 40.96 -, juris, Rn. 18, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf BVerwGE 105, 187 = NVwZ 1999, 311). Nicht ausreichend ist indes ein in unbestimmter zeitlicher Ferne liegender Termin (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 1998, a. a. O., Rn. 8)

Gemessen hieran ist eine verfassungskonforme einschränkende Auslegung des § 60 Abs. 7 AufenthG nicht geboten. Das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass der Kläger im Falle einer Ausreise nach Afghanistan wegen der dort bestehenden allgemeinen Lage landesweit gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde. Dies hat der Kläger weder ausreichend dargelegt noch ist es unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel sonst ersichtlich. Dabei sind zunächst ebenfalls die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013, a.a.O., Rn. 38) und damit in Kabul zu prüfen. Zur weiteren Begründung wird auf die maßgeblichen Ausführungen unter 1.2.1.2.3. Bezug genommen, die hier entsprechend gelten.

Abgesehen hiervon gehört der 36 Jahre alte Kläger - auch unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks, den sich das Gericht in der mündlichen Verhandlung von ihm machen konnte - zur Personengruppe der jungen, alleinstehenden und - mangels gegenteiliger Anhaltspunkte - arbeitsfähigen männlichen afghanischen Staatsangehörigen, der bei einer Rückkehr in die Hauptstadt Kabul in aller Regel eine extreme Gefahrensituation im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung von § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 5 AufenthG selbst dann nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit droht, wenn der Rückkehrer beruflich nicht besonders qualifiziert ist und weder über nennenswertes Vermögen noch über Rückhalt und Unterstützung durch Familie oder Bekannte, die in Kabul leben, verfügt (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 19. September 2016, a.a.O., Rn. 84, m.w.N.).

2. Der hilfsweise gestellte Anfechtungsantrag hat ebenfalls keinen Erfolg. Es ist nicht ersichtlich, dass die Ausreiseaufforderung in der Form, die sie durch den stattgebenden Beschluss vom 8. Februar 2016 (- 3 B 4591/15 -) gemäß § 37 Abs. 2 AsylG erfahren hat - die ursprünglich gemäß § 36 Abs. 1 AsylG gesetzte Ausreisefrist von einer Woche entfaltet keine rechtliche Wirkung mehr -, und die Abschiebungsandrohung zu beanstanden sind (§ 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. den §§ 59 und 60 Abs. 10 AufenthG).

3. Der weiter hilfsweise gestellte Antrag, die Beklagte zu verpflichten, die Dauer des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf null Tage zu befristen und die Entscheidung zu Ziffer 6 im genannten Bescheid aufzuheben, soweit sie dem entgegensteht, ist in dem im Urteilstenor genannten Umfang (teilweise) begründet, weil sich die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung als fehlerhaft erweist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Da die Sache nicht spruchreif in dem Sinne ist, dass das der Beklagten eingeräumte Ermessen auf Null reduziert ist, ist die Entscheidung zu Ziffer 6 im genannten Bescheid aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über die Dauer der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Nach § 75 Nr. 12 AufenthG ist das Bundesamt für die nach § 11 Absatz 2 AufenthG von Amts wegen vorzunehmende Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots i.S.v. § 11 Abs. 1 AufenthG im Fall einer Abschiebungsandrohung nach den §§ 34, 35 AsylG zuständig. Gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG wird über die Länge der Frist nach Ermessen entschieden. Sie darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Diese Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten.

Gemäß § 40 VwVfG ist das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und sind die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG dient im Fall der Abschiebung dazu, einen Ausländer, der nicht fristgerecht ausgereist ist und deshalb abgeschoben wurde, wegen dieses Gesetzesverstoßes eine angemessene Zeit vom Bundesgebiet fernzuhalten. Dabei sind die persönlichen Belange des Betreffenden an einer Wiedereinreise und einem erneutem Aufenthalt im Bundesgebiet sowie die öffentlichen Interessen an der Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet zu berücksichtigen. Orientiert an diesem Zweck können keine Aspekte berücksichtigt werden, die allein gegen die zwangsweise Beendigung des Aufenthalts sprechen (z.B. eine Ausbildung nach § 60a Abs. 2 Sätze 3 und 4 AufenthG), sondern es sind die Belange einzustellen, die die Beendigung des Aufenthalts überdauern und Bedeutung für eine möglichst baldige Wiedereinreise haben. Dazu gehören z.B. verwandtschaftliche Bindungen an Personen im Bundesgebiet, durch einen langen rechtmäßigen Voraufenthalt anderweitig verfestigte Bindung an das Bundesgebiet und Umstände in der Person des Ausländers, wie z.B. hohes Alter oder Krankheit, die ggf. eine spätere Wiedereinreise unmöglich machen (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 6. April 2017 - 11 ZB 17.30317 -, juris, Rn. 12 f.).

Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung - wie oben dargelegt - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen ist, trifft die Beklagte auch während des gerichtlichen Verfahrens eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 27.16 -, juris, Rn. 23, mit Veröffentlichungshinweis u.a. auf Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 15).

Soweit die Verwaltungsbehörde - wie hier das Bundesamt - ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 114 Satz 1 VwGO).

Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Maßstäbe ist die vom Bundesamt getroffene Befristungsentscheidung rechtswidrig, weil sie zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auf jedenfalls inzwischen sachfremden Ermessenserwägungen beruht.

Das Bundesamt führte zur Begründung der Befristungsentscheidung aus, die Dauer des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot werde in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und dürfe grundsätzlich fünf Jahre nicht überschreiten. Sei der Drittstaatsangehörige aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden oder gehe eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung von ihm aus, dürfe die Frist fünf Jahre überschreiten, solle aber zehn Jahre nicht überschreiten. Die Frist sei auf 60 Monate festzulegen, weil der Kläger gewalttätig und eine Gefahr für seine Umwelt sei. Eine weitere Begründung enthält der angegriffene Bescheid in diesem Zusammenhang nicht. Lediglich im Rahmen der Sachverhaltsschilderung führte das Bundesamt sinngemäß aus, der Kläger habe bei der Anhörung am 17. November 2015 im Wesentlichen vorgetragen, seine ehemalige Ehefrau sei in Deutschland als asylberechtigt anerkannt. Er sei ihr nach Deutschland nachgereist. Sie aber habe ihn schlecht behandelt. Daher habe er sie auch geschlagen. Im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter heißt es, der Kläger sei nach Deutschland gereist, um hier von der Möglichkeit des Familienasyls zu profitieren. Dabei sei er mit den verteilten Rollen der arbeitenden Ehefrau nicht zurechtgekommen und habe sie so geschlagen, dass er dafür strafrechtlich verurteilt worden sei.

Das Gericht geht mangels gegenteiliger Anhaltspunkte davon aus, dass die Befristungsentscheidung des Bundesamtes darauf beruhte, dass die Ausländerbehörde ihm mit Schreiben vom 24. November 2015 mitteilte, der Kläger sei wegen Körperverletzung und wegen „Nötigung“ seiner Ehefrau per Strafbefehl zu zwei Geldstrafen verurteilt worden, einmal zu 700,- € und einmal zu 1200,- €. Er übersende anliegend die Strafbefehle mit Begründung. Dabei übersah die Ausländerbehörde, dass der Strafbefehl wegen der versuchten Nötigung noch gar nicht erlassen worden war.

Während des Klageverfahrens hat das Amtsgericht … aber mit Beschluss vom 26. Januar 2016 das Verfahren wegen der Körperverletzung nach § 153 a Abs. 2 StPO endgültig eingestellt, nachdem der Kläger die ihm gemachten Auflagen erfüllt gehabt habe. Ursprünglich hatte das Amtsgericht … gegen den Kläger am 15. April 2015 einen Strafbefehl wegen Körperverletzung erlassen und eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 10,00 € festgesetzt. Ihm war im Wesentlichen zur Last gelegt worden, seiner ehemaligen Ehefrau am 11. Juni 2014 im Verlaufe von Streitigkeiten am Hals gefasst und so fest zugedrückt zu haben, dass er ihr nachhaltige Schmerzen zugefügt habe. Des Weiteren habe er sie gegen ihr rechtes Knie getreten und mit der Hand in ihr Gesicht geschlagen, wobei er sie auch am Ohr getroffen und eine blutende Verletzung zugefügt habe, sowie schmerzhaft den Arm der ehemaligen Ehefrau verdreht. Außerdem hat das Amtsgericht … mit Beschluss vom 31. August 2016 das Verfahren gegen den Kläger wegen versuchter Nötigung nach § 153a Abs. 2 StPO endgültig eingestellt, nachdem der Kläger die ihm gemachten Auflagen erfüllt habe. Ursprünglich hatte das Amtsgericht … gegen den Kläger am 17. März 2016 einen Strafbefehl wegen versuchter Nötigung erlassen und eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20,00 € (= 1200,00 €) festgesetzt. Dem Kläger war im Wesentlichen zur Last gelegt worden, am 29. April 2015 in … seiner ehemaligen Ehefrau, nachdem diese ihn im Jahr 2014 wegen Körperverletzung angezeigt gehabt habe, eine Nachricht übersandt zu haben mit dem wesentlichen Inhalt, er werde sie töten, wenn sie die Strafanzeige nicht zurückziehe, was nicht geschah. Im Übrigen hat die Staatsanwaltschaft Köln der Ausländerbehörde mit Schreiben vom 14. März 2016 mitgeteilt, das Verfahren gegen den Kläger wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung im Zeitraum vom 25. Oktober 2013 bis 11. Juni 2014 in … sei gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Ursprünglich hatte das Polizeipräsidium … der Ausländerbehörde mit Schreiben vom 14. Januar 2015 sinngemäß mitgeteilt, gegen den Kläger werde dort wegen mehrfacher Vergewaltigung/sexuelle Nötigung seiner Ehefrau vom 26. Oktober 2013 bis 11. Juni 2014 in der damals gemeinsamen Wohnung in … ermittelt.

Die Einstellungsbeschlüsse des Amtsgerichts … vom 26 Januar 2016 und 31. August 2016 wären im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen gewesen.

Da weder ersichtlich noch von der Beklagten vorgetragen worden ist, dass die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erfüllt sind, ist hier für die Bemessung der Frist von einem Rahmen von null bis fünf Jahren auszugehen. Außerdem liegen unter Berücksichtigung der beiden oben genannten Einstellungsbeschlüsse des Amtsgerichts … und des Schreibens der Staatsanwaltschaft Köln vom 14. März 2016 keine ausreichenden Gründe dafür vor, dass es sachgerecht sein könnte, die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 60 Monate vom Zeitpunkt der Abschiebung an zu befristen. Vielmehr sind die dem Kläger ursprünglich zur Last gelegten Taten und die das Schreiben der Staatsanwaltschaft Köln vom 14. März 2016 betreffenden Ermittlungen nicht mehr geeignet, im Rahmen der Ermessenserwägungen zu seinen Lasten berücksichtigt zu werden.

Ferner ist das Gericht der Auffassung, dass es nicht zu beanstanden ist, wenn sich das Bundesamt - wie es regelmäßig in der Praxis geschieht - in Fällen, in denen keine nach § 11 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigenden individuellen Gründe vorgebracht werden oder ersichtlich sind, generell aus Gründen der Gleichbehandlung für eine Frist von 30 Monaten entscheidet und damit das in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in der Regel geltende Höchstmaß zur Hälfte ausschöpft (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 6. April 2017, a.a.O., Rn. 16; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 9. Mai 2017 - 1 LZ 254/17 -, juris, Rn. 14; VG Düsseldorf, Urteil vom 27. Januar 2016 - 21 K 7126/15.A -, juris, Rn.  VG Oldenburg, Beschluss vom 2. Oktober 2015 - 5 B 3636/15 -, juris).

Es ist allerdings auch nicht ersichtlich, dass das Ermessen der Beklagten in dem Sinne auf Null reduziert ist, dass der Kläger einen Anspruch darauf hat, dass die Dauer des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf null Tage zu befristen ist. Eine derartige Gewichtung seines Interesses, im Bundesgebiet zu bleiben, lässt sich seinem Vorbringen nicht entnehmen. Er antwortete bei seiner Anhörung auf die sinngemäß gestellte Frage, ob es Gründe gegen ein Einreise-bzw. Aufenthaltsverbot gebe, lediglich, er könne nicht nach Afghanistan zurück, sein eigenes Leben sei in Gefahr, „Sonstige Verwandte habe ich in Deutschland nicht. Allerdings halten sich ein Onkel und eine Cousine hier in Deutschland auf.“ In der mündlichen Verhandlung hat er dagegen erklärt, bei seiner Anhörung habe er nicht alle Verwandten genannt. Man habe nur zwei Verwandte hören wollen. Er habe in Deutschland etliche Verwandte. Selbst wenn man zugunsten des Klägers an dieser Stelle trotz der oben dargestellten Glaubhaftigkeitsmängel (s. 1.1.2.2.3.2.) unterstellen würde, diese Aussage bezüglich seiner in Deutschland lebenden Verwandten wäre zutreffend, ist nicht erkennbar, dass dieser Vortrag zu einer Ermessensreduzierung auf Null entsprechend seinem Begehren führt. Außerdem besteht nach dem Vorbringen des Klägers auch keine Bindung mehr an seine ehemalige Ehefrau. Er hat in der mündlichen Verhandlung nämlich erklärt, sie sei ihm egal. Darüber hinaus hat er zwar in der mündlichen Verhandlung erklärt, seitdem er sich von seiner ehemaligen Ehefrau getrennt habe, habe er angefangen zu arbeiten. Inzwischen habe er ein festes Arbeitsverhältnis und er wolle auch Mitglied der hiesigen Gesellschaft sein. Das bestehende Arbeitsverhältnis dürfte aber wahrscheinlich kein wesentlicher Gesichtspunkt sein, weil das Einreise- und Aufenthaltsverbot erst dann eingreifen würde, wenn der Kläger mangels einer freiwilligen Ausreise abgeschoben werden würde und damit sein Arbeitsverhältnis beendet wäre und kaum anzunehmen ist, dass es wieder aufgenommen werden könnte.

Das Bundesamt wird insbesondere die vorstehenden Ausführungen im Rahmen der neu zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen und zu prüfen haben, ob in diesem Fall eine Abweichung von einer Frist von 30 Monaten sachgerecht ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 83b AsylG. Dabei hat das Gericht den auf die Dauer der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gerichteten, hilfsweise gestellten Verpflichtungsantrag mit 1/5 und die übrigen Teilstreitgegenstände mit 4/5 bewertet. Da der Kläger aber nur zum Teil obsiegt hat, hat er 9/10 der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre rechtliche Grundlage in den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Sätze 1 und 2 Zivilprozessordnung (ZPO).