Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.09.2016, Az.: 13 ME 155/16
Passverfügung; Ermächtigungsgrundlage
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 27.09.2016
- Aktenzeichen
- 13 ME 155/16
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 43314
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 12.07.2016 - AZ: 1 B 2758/16
Rechtsgrundlagen
- § 48 Abs 3 AufenthG
- § 46 Abs 1 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ermächtigungsgrundlage zum Erlass einer sog. Passverfügung ist für Ausländerbehörden § 46 Abs. 1 i. V. m. § 48 Abs. 3 Satz 1, 1. Alt. AufenthG.
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 1. Kammer - vom 12. Juli 2016 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 12.07.2016 hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Verpflichtung zur Vorlage eines gültigen Passes oder eines sonstigen Identitätsnachweises wiederherzustellen, zu Recht abgelehnt. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 29.03.2016 ist nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich nicht zu beanstanden. Die auf Aufhebung gerichtete Klage 1 A 2757/16 dürfte erfolglos bleiben.
Soweit mit der Beschwerdebegründung dargelegt wird, dass der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten zur Beschaffung eines Passes ausreichend nachgekommen sei, rechtfertigt dies keine andere Entscheidung. Die entscheidende, zutreffende Annahme des Verwaltungsgerichts hingegen, der Antragsteller sorge selbst dafür, dass seine wahre Identität nicht geklärt werden könne, hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren mit seinen Darlegungen nicht erschüttert.
Der Antragsgegner hat rechtlich in nicht zu beanstandender Weise den Antragsteller verpflichtet, einen gültigen Heimatpass bzw. ein Passersatzpapier oder einen Nachweis über die zwischenzeitlich erfolgte Beantragung, alternativ eine Negativbescheinigung der zuständigen Botschaft vorzulegen, und ihm im Fall der nicht fristgerechten Erledigung ein Zwangsgeld in Höhe von 25,- EUR angedroht. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des Verwaltungsgerichts, lässt sich diese Verpflichtung allerdings nicht auf § 11 NSOG stützen. Richtige Ermächtigungsgrundlage für diese sogenannte „Passverfügung“ ist § 46 Abs. 1 i. V. m. § 48 Abs. 3 Satz 1, 1. Alternative AufenthG.
Auf welche Vorschrift die Anordnung einer Passbeschaffung gestützt werden kann, ist umstritten. Zum Teil wird § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG als Ermächtigungsnorm angesehen (VG Aachen, Urt. v. 16.10.2013 - 8 K 1980/12 -, juris Rn. 15; VG Sigmaringen, Beschl. v. 20.04.2006 - 2 K 363/06 -, juris Rn. 5; Grünewald, in: GK-AufenthG, Stand: 85. EL August 2016, § 48 Rn. 48). Begründet wird dies damit, dass es für die Befugnis einer Behörde zum Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes ausreiche, dass zwischen dem Träger hoheitlicher Gewalt und dem Adressaten des Verwaltungsaktes hinsichtlich der zu treffenden Regelung ein Über- und Unterverhältnis bestehe. Dies sei hier der Fall.
Nach anderer Auffassung ist richtige Ermächtigungsgrundlage die polizeiliche Generalklausel (VG Düsseldorf, Beschl. v. 30.01.2002 - 24 L 2047/01 -, juris Rn. 34, allerdings vor Inkrafttreten des § 46 Abs. 1 AufenthG; OVG NRW, Beschl. v. 09.02.2004 - 18 B 811/03 -, juris Rn. 6). Nach dieser Auffassung beinhalten die Mitwirkungspflichten als abstrakt generell geltende Vorschriften keine Ermächtigung für die Ausländerbehörden, die sich aus ihnen ergebenden Pflichten im Fall ihrer Nichtbefolgung mittels Verwaltungsakt für den einzelnen Ausländer zu konkretisieren (so auch Möller, in: Hofmann [Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 48 AufenthG Rn. 39).
Beide Auffassungen überzeugen nicht. Soweit § 48 Abs. 3 AufenthG direkt als Ermächtigungsgrundlage abgelehnt wird, ist dem in der Begründung zu folgen. Die Vorschrift legt nach ihrem Wortlaut nur Mitwirkungspflichten des Betroffenen fest. Eine Eingriffsermächtigung für die Anordnung einer Passbeschaffung enthält die Vorschrift nicht. Vielmehr enthält sie eine ausdrückliche Ermächtigung nur zur Durchsuchung des Betroffenen und seiner Unterlagen. Im Umkehrschluss ist daraus zu folgern, dass die Ausländerbehörde zu anderen Maßnahmen gerade nicht ermächtigt ist. Der Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel des § 11 NSOG scheidet aus, soweit eine spezielle Ermächtigungsnorm vorliegt. Ermächtigungsgrundlage für die Verfügung des Antragsgegners ist § 46 Abs. 1 i. V. m. § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Nach § 46 Abs. 1 AufenthG kann die Ausländerbehörde gegenüber einem vollziehbar ausreisepflichten Ausländer Maßnahmen zur Förderung der Ausreise treffen. Mit der Regelung sollte eine ausdrückliche Ermächtigung für Ausländerbehörden geschaffen werden (s. Gesetzesbegründung, Drs. 14/7387, S. 82). Es handelt sich um eine bereichsspezifische Generalklausel zur Durchsetzung ausländerrechtlicher Pflichten.
Die Voraussetzungen der Vorschriften liegen vor. Der Antragsteller ist aufgrund einer bestandskräftigen Ausweisung vom 26.06.2008 vollziehbar ausreisepflichtig. Die Anordnung zur Vorlage eines Passes bzw. Passersatzes oder einer Negativbescheinigung der Botschaft ist eine Maßnahme zur Förderung der Ausreise. Die Mitwirkungspflichten in § 48 Abs. 3 AufenthG dienen vor allem der Ermöglichung und Sicherung der Aufenthaltsbeendigung (Möller, a. a. O, Rn. 30).
Der Senat teilt nicht die Auffassung des Antragstellers, er habe in zumutbarer Weise seine Mitwirkungspflichten zur Beschaffung eines Passes erfüllt. Wie das Amtsgericht Stadthagen in seinem rechtskräftigen Urteil vom 30.06.2014 (11 DS 32/13) festgestellt hat, hat der Antragsteller über seine wahre Identität getäuscht und tut dies bis heute. Soweit der Antragsteller sich bisher bemüht hat, eine Ausstellung von Identitätspapieren zu erreichen, sind diese Bemühungen zur Erfüllung der Passpflicht nicht geeignet gewesen, weil er seine entsprechenden Anträge unter falschen bzw. unvollständigen Personalien gestellt hat (vgl. VG Münster, Urt. v. 18.05.2005 - 8 K 423/01 -, juris Rn. 36). Die Verfügung des Antragsgegners vom 29.03.2016 ist als Maßnahme zur Umsetzung der Passpflicht geeignet. Der Antragsteller wäre in der Lage unter Preisgabe seiner wahren Identität, einen gültigen Pass bzw. eine Negativbescheinigung zu beantragen und dann vorzulegen. Sie ist auch ermessensfehlerfrei ergangen. Insoweit wird auf die Ausführungen in der Verfügung verwiesen, die nicht zu beanstanden sind.
Dass der Antragsgegner und mit ihm das Verwaltungsgericht die Passvorlageverpflichtung auf die allgemeinere Norm des § 11 NSOG i. V. m. § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG und nicht auf die speziellere Norm des § 46 Abs. 1 i. V. m. § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gestützt hat, hat keine Auswirkungen auf die materielle Rechtmäßigkeit. Die durchzusetzende Mitwirkungspflicht ergibt sich nämlich in beiden Fällen aus derselben Vorschrift. Bei beiden Ermächtigungsnormen handelt es sich um Ermessensvorschriften. Der Maßstab an die Ermessenausübung ist gleich, so dass die Ermessenserwägungen des Antragsgegners herangezogen werden können.
Die Zwangsgeldandrohung ist nicht zu beanstanden. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Gründe in dem angefochtenen Beschluss Bezug genommen, die der Senat sich zu Eigen macht (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).