Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 27.02.2018, Az.: 3 A 177/16

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
27.02.2018
Aktenzeichen
3 A 177/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74447
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

In der Provinz Samangan ist es für eine Zivilperson nicht beachtlich wahrscheinlich, aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Abschiebungsverbotes durch die Beklagte.

Der 1993 in F. geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, hazarischer Volkszugehörigkeit und schiitischer Religionszugehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste er im Oktober 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 14. Juli 2016 stellte er einen Asylantrag gegenüber der Beklagten.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 22. Juli 2016 gab er an, dass er in der Islamischen Republik Afghanistan (im Folgenden: Afghanistan) zuletzt in der Ortschaft G. H. gelebt habe, im Distrikt F. in der Provinz Samangan. Im Jahr 2001 sei er in den Iran ausgereist und im Jahr 2015 von dort aus weiter nach Deutschland. Sein Vater sei verstorben, seine Mutter lebe im Iran und zwei seiner Tanten in Afghanistan. Er habe die Schule bis zur sechsten Klasse besucht und zuletzt als Schuhmacher gearbeitet.

Seine Familie sei ohne seinen Vater in den Iran gegangen. Dieser sei dann in ihrem Heimatdorf von Taliban erschossen worden, weil sie Hazara, die Schiiten seien, nicht mögen würden. Die ganze Familie sei vor ihrer Flucht durch die Taliban diskriminiert worden. Ihnen sei auch ihr Land weggenommen worden. Als seine Mutter im Jahr 2006 einmal in Afghanistan gewesen sei, habe man ihr gesagt, dass man sie töten würde, wenn sie mit ihren Kindern zurückkommen würde. Seine Mutter habe dann beschlossen, seinen Bruder und ihn nach Deutschland zu schicken. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan müsse man als Hazara damit rechnen, getötet zu werden, zumindest, dass einem etwas Schlimmes passiere.

Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 22. September 2016 die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1 des Bescheides), Asylanerkennung (Ziff. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Ziff. 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4), forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung nach Afghanistan zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides bzw. nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens auf (Ziff. 5) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 6). Eine individuelle Bedrohung des Klägers liege nicht vor und bei einer Rückkehr werde er als gesunder Mann in der Lage sein, sich zumindest durch Gelegenheitsarbeiten ein Leben am Rand des Existenzminimums zu finanzieren.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 29. September 2016 Klage erhoben.

Soweit der Kläger zunächst noch beantragt hatte, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. September 2016 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen, hat er seine Klage insoweit mit Schriftsatz vom 23. Januar 2018 zurückgenommen. In diesem Schriftsatz hat der Kläger zudem ausgeführt, in Afghanistan keine Verwandten mehr zu haben, die ihn unterstützen würden. In seinem Heimatdorf würden Taliban-Milizen herrschen und ihm drohe Zwangsrekrutierung.

Der Kläger beantragt noch,

die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte gemäß § 102 Abs. 2 VwGO trotz Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung über die Klage entscheiden, weil die Beteiligten in der Ladung zum Termin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind.

Soweit der Kläger Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren gem. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat nach der Sach- und Rechtslage im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufentG (dazu 1.) oder § 60 Abs. 7 Satz 1 (dazu 2.) AufenthG.

1. Das Gericht ist nach der mündlichen Verhandlung nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK) droht. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene dadurch tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 12 m.w.N.). Insoweit sind die Verhältnisse im Abschiebungszielstaat landesweit in den Blick zu nehmen (Nds. OVG, Beschl. v. 27.04.2016 - 9 LA 46/16 -, n.v.). Die Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

a) Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, dass in Afghanistan mächtige Leute die Grundstücke seiner Familie weggenommen hätten und sie ihn bei einer Rückkehr töten würden ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass dieser Sachverhalt so wie vom Kläger geschildert auch tatsächlich stattgefunden hat. Seine Angaben hierzu erschöpften sich nahezu in der pauschalen Angabe, dass man ihnen wertvolle Grundstücke weggenommen habe und seiner Mutter bei ihrer Rückkehr nach Afghanistan im Jahr 2010 gedroht werden sei, dass man bei einer Rückkehr auch ihre Kinder entführen und töten können würde, um die Urkunden über die Grundstücke zu erhalten. Der Kläger konnte auch auf Nachfragen keine konkreteren Angaben dazu machen, so etwa, wie ihnen die Grundstücke weggenommen worden seien, wer dies getan habe, wer seiner Mutter gedroht habe und was ihr genau gesagt worden sei bzw. wie sie der Bedrohungssituation wieder entkommen sei. Dabei übersieht das Gericht nicht, dass der Kläger im Jahr 2001 nur acht Jahre alt gewesen ist und deshalb möglicherweise nicht alles mitbekommen bzw. verstanden hat. Dem Gericht erschließt sich aber nicht, weshalb er die Informationen nicht in Erfahrung gebracht hat, wenn es um seine Familie und deren Ländereien gehen soll. Auch waren seine Angaben zu der Bedrohung seiner Mutter im Jahr 2010 gleichsam knapp und pauschal, nicht anschaulich, nicht schlüssig und mithin nicht glaubhaft. Zudem stimmten seine Erklärungen in der mündlichen Verhandlung teilweise nicht mit seinen Angaben in der Anhörung durch einen Mitarbeiter des Bundesamtes überein. Dort schilderte er etwa auch die zeitliche Abfolge insoweit anders, als seine Mutter, sein Bruder und er in den Iran gegangen seien und erst dann sein Vater, der zurückgeblieben sei, getötet worden sei. In der mündlichen Verhandlung gab er demgegenüber als Grund für ihre Ausreise in den Iran die Tötung des Vaters an. Diesen Widerspruch vermochte er in der mündlichen Verhandlung auch auf Nachfrage des Gerichts nicht nachvollziehbar aufzulösen.

Selbst bei Unterstellung des Vortrags des Klägers als zutreffend, wäre das Gericht zudem nicht davon überzeugt, dass der Kläger außerhalb seiner Heimatprovinz, so etwa in Kabul, gesucht und gefunden würde. Auf Nachfrage hierzu erklärte der Kläger lediglich pauschal, dass die Leute, die ihre Grundstücke an sich genommen hätten, auch Personen bei den Taliban und beim Staat hätten. Weitere, insbesondere konkretere Ausführungen hierzu, etwa wer die Leute seien und weshalb sie sowohl mit der Regierung als auch mit den regierungsfeindlichen Taliban in Kontakt stünden und woher er dies wisse, hat er nicht gemacht.

Auch liegen - unter Berücksichtigung der dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel - keine Anhaltspunkte vor, dass dem Kläger - wie von ihm in der Anhörung durch einen Mitarbeiter des Bundesamtes pauschal behauptet - bei einer Rückkehr nach Afghanistan eine zwangsweise Rekrutierung drohen würde.

b) Auch ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan dort aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dies gilt insbesondere auch für die Heimatregion des Klägers und Kabul.

Aufgrund der allgemeinen Situation der Gewalt im Herkunftsland kommt unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK nur in Fällen ganz extremer allgemeiner Gewalt in Betracht, wenn eine tatsächliche Gefahr einer Fehlbehandlung infolge des bloßen Umstands der Anwesenheit im Zielstaat besteht (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris Rn 56 m.w.N.; Beschl. v. 26.08.2016 - 9 ME 146/16 -, n.v.). Nach der Rechtsprechung des EGMR ist die allgemeine Lage in Afghanistan nicht als so ernst anzusehen, dass eine Abschiebung dorthin ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellt (vgl. etwa EGMR, Urt. v. 12.01.2016 - 13442/08 (A.G.R./Niederlande), NVwZ 2017 293 [295]; vgl. auch Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris Rn 57 f. für Kabul folgend; Beschl. v. 26.08.2016 - 9 ME 146/16 -, n.v.; jeweils m.w.N.). Auch nach der neueren Rechtsprechung der EGMR hat eine Überstellung nach Afghanistan nicht notwendig eine Verletzung von Art. 3 EMRK zur Folge (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 04.01.2018 - 13a ZB 17.31652 -, juris Rn. 7 m.w.N.). Dem folgt das Gericht insbesondere auch für Kabul (dazu aa)) und die Heimatprovinz des Klägers Samangan (dazu bb)). Unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkenntnismittel ergeben sich auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich die Gefahrenlage im Jahr 2018 und bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in einer für ein Abschiebungsverbot relevanten Weise verändert hätte.

Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes mit Stand September 2016 (S. 4 unter Verweis auf den UNAMA-Bericht von Juli 2016 über den Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt) hat es in Afghanistan im ersten Halbjahr 2016 mit 1.601 getöteten und 3.565 verletzten Zivilisten einen Anstieg von 4 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum gegeben, mit der Folge der höchsten Zahl seit Beginn der Erfassungen im Jahr 2009. Seit dem Beginn der Zählung wurden insgesamt mehr als 26.500 Zivilisten in Afghanistan getötet und fast 49.000 weitere verletzt (www.zeit.de, Zahl der getöteten Zivilisten erneut gestiegen, v. 17.07.2017). Ende 2015 hatte die Anzahl der zivilen Opfer mit 11.002 einen neuen Höchststand erreicht (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S.6). Im Jahr 2016 wurden durch die UNAMA in Afghanistan 11.418 verletzte und getötete Zivilpersonen gezählt, mithin 384 mehr als im Jahr 2015 (Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2016, v. Februar 2017, S. 11). Zwischen Anfang Januar und Ende Juni 2017 wurden bei Gefechten und Anschlägen 1.662 Zivilisten getötet und 3.581 weitere verletzt; das waren zwei Prozent mehr Todesopfer als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, unter ihnen 174 Frauen und 436 Kinder (www.zeit.de, Zahl der getöteten Zivilisten erneut gestiegen, v. 17.07.2017). 40 % von ihnen sind durch Bombenanschläge und gewaltsame Auseinandersetzungen in dicht bevölkerten Gebieten gestorben, 19 % in Kabul (www.zeit.de, Zahl der getöteten Zivilisten erneut gestiegen, v. 17.07.2017). Dies ist vor allem auf den schweren Anschlag in Kabul am 31. Mai 2017 zurückzuführen (UNAMA, Press Release, v. 17.07.2017). Demgegenüber ist die Anzahl der Verletzten um 1 % gesunken (UNAMA, Press Release, v. 17.07.2017). Insgesamt wurden im ersten Halbjahr 2017 von der UNAMA 5.243 verletzte und getötete Zivilpersonen dokumentiert (erste Jahreshälfte 2016: 5.267; UNAMA, Midyear Report 2017, 07.2017), im Zeitraum von Januar bis 30. September 2017 8.019, die niedrigste Anzahl seit dem Jahr 2013 (UNAMA, Quaterly Report 2017, 12.10.2017, S. 1), im gesamten Jahr 2017 10.453 gegenüber noch 11.434 im Vorjahr (UNAMA, Annual Report 2017, v. Febr. 2018, S. 1).

Anschlagsziele sind in erster Linie Regierungsinstitutionen und internationale Einrichtungen, dennoch kommt es (auch) zu Opfern unter der Zivilbevölkerung (vgl. AI, Anfragebeantwortung v. 08.01.2018, S. 4; Schweizer Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 6. Juni 2016 zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, S. 4; vgl. auch Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, v. 19.06.2017, S. 3). Im Jahr 2015 wurden 1.335 Zivilpersonen durch gezielte Tötungen bzw. Tötungsversuche verletzt oder getötet (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 19.04.2016, S. 38). Zwischen Februar und Mai 2016 gingen die gezielten Tötungen um 37 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres zurück (ecoi.net-Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul v. 30.09.2016). In der Erklärung der Taliban vom 12. April 2016 zum Ausruf der jährlichen Offensive sprachen sie anders als in vergangenen Jahren keine expliziten Drohungen mehr gegen zivile Regierungsbeamte aus (ecoi.net-Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul v. 30.09.2016). Die Taliban haben ihre Taktik auf großangelegte Angriffe insbesondere in städtischen Gebieten umgestellt (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S. 3; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, v. 19.06.2017, S. 1). Dennoch sollen im Jahr 2016 mindestens 2.100 Zivilisten durch versteckte Bomben getötet oder verletzt worden sein (www.deutschlandfunk.de, Versteckter Sprengsatz tötet Zivilisten, v. 05.07.2016). Anschläge des IS zielen zudem auch immer wieder direkt auf die Zivilbevölkerung ab (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, v. 19.06.2017, S. 3). Am 22. September 2016 vereinbarte die afghanische Regierung mit der Mujahedin-Rebellengruppe Hezb-e Islami ein Friedensabkommen (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Unterzeichnetes Friedensabkommen mit Gulbuddin Hekmatyar Anführer der großen Mujahedin-Rebellengruppe Hezb-e Islami, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 05.10.2016; vgl. auch www.taz.de, „Schlächter von Kabul“ findet Frieden, v. 05.02.2017). Ihr Anführer Hekmatyar hielt im April 2017 in der östlichen Provinz Laghman vor Anhängern erstmals seit 2001 eine Rede und rief vor allem die aufständischen Taliban auf, den Krieg gegen die Regierung zu beenden (www.focus.de, Afghanistan begrüßt Rückkehr des "Schlächters von Kabul", v. 29.04.2017). In der Mitteilung der Taliban zur Frühlingsoffensive 2017 kündigten sie an, ihre Angriffe auf afghanische und ausländische Truppen verstärken zu wollen (deutsch.rt.com, Taliban kündigen Frühlingsoffensive in Afghanistan an, v. 28.04.2017), zivile Opfer würden minimiert werden sollen (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 28.07.2017, S. 7). 13 % aller Anschläge gegen Zivilpersonen richten sich gegen solche, die für die afghanische Regierung oder internationale Organisation arbeiten (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 20). Die Zahl der Mordanschläge ist im Zeitraum Mitte Mai bis Mitte August 2016 um 6,2 % gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen, wenngleich sich die sicherheitsrelevanten Vorfälle um 4,7 % erhöht haben (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 19.09.2016). Im vierten Quartal 2016 wurden 183 Mordanschläge registriert, was einen Rückgang von 32 % gegenüber dem Vergleichszeitraum 2015 zum Ausdruck bringt; auch die Zahl der Entführungen hat mit 99 gegenüber dem Vorjahr (109) abgenommen (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 19.12.2016).

aa) In der Zentralregion Afghanistans, die neben Kabul (Einwohnerzahl ca. 4,5 Millionen, jeweils nach dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 30.01.2018, S. 56, 89, 102, 109, 111, 125) die Provinzen Parwan (Einwohnerzahl ca. 675.000), Kapisa (Einwohnerzahl ca. 448.000), Logar (Einwohnerzahl ca. 398.000), Panjshir (Einwohnerzahl ca. 156.000) und (Maidan) Wardak (Einwohnerzahl ca. 606.000) umfasst (vgl. UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2017, v. Febr. 2018, S. 2; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 19.12.2016, S. 61; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 12) und in der insgesamt ca. 6,7 Millionen Einwohner leben, wurden im Jahr 2017 von der UNAMA 1.254 verletzte oder getötete Zivilpersonen gezählt gegenüber 1.116 im gleichen Vorjahreszeitraum (UNAMA, Afghanistan Midyear Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2017, v. Juli 2017, S. 10).

In der Provinz Kabul stieg die Anzahl der im Jahr 2017 von der UNAMA registrierten verletzten und getöteten Zivilpersonen gegenüber dem Vorjahr um 4 % auf 1.831 (479 Tote und 1.352 Verletzte). Bei einer Verdreifachung der Opferzahlen besteht rechnerisch eine Wahrscheinlichkeit von 1 : 819 verletzt oder getötet zu werden. Teilweise wird auch die Bevölkerungszahl allein für die Stadt Kabul auf mehr als sieben Millionen Menschen geschätzt (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris), was die Wahrscheinlichkeit weiter reduzieren würde. Bereits im Jahr 2016 resultierte die hohe Zahl von betroffenen Zivilpersonen insbesondere auch aus den schweren Anschläge in der Stadt Kabul, die zu einer Steigerung um 34 % gegenüber dem Vorjahr führten (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, v. 19.06.2017, S. 2). Auch im Jahr 2017 ist es wieder zu zahlreichen schweren Anschlägen in der Stadt Kabul gekommen.

Die Sicherheitslage in Kabul ist allerdings dennoch nicht so, dass zu erwarten ist, dass dem Kläger bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit droht. Dabei übersieht das Gericht nicht, dass durchaus die Möglichkeit seiner Verwundung oder gar Tötung besteht, die diesbezügliche Wahrscheinlichkeit erreicht jedoch nicht ein Maß, dass der Annahme Kabuls als inländische Fluchtalternative entgegenstehen würde. Daran ändern auch die schweren Anschläge in Kabul in den vergangenen Jahren nichts. Diese sind in den oben dargelegten Zahlen der UNAMA und der Bewertung durch das Gericht bereits berücksichtigt, ebenso wie die Wahrscheinlichkeit weiterer schwerer Anschläge. Zwar verbessern sich die Sicherheitskräfte und ihre Fähigkeiten fortwährend, weitere Angriffe insbesondere auf Regierungsangehörige und internationale Organisationen sind aber nicht auszuschließen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 19.12.2016, S. 59). Dies hat sich insbesondere auch Anfang des Jahres 2018 wieder deutlich gezeigt. Aufständische planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren; auch religiöse Orte werden regelmäßig angegriffen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 30.01.2018, S. 57).

Nach alledem ist es angesichts der Bevölkerungszahl auf der einen und den Verletzten und getöteten Zivilpersonen auf der anderen Seite für eine Zivilperson in Kabul nicht beachtlich wahrscheinlich, aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden. Da der Kläger keinen Kontakt mit Institutionen der afghanischen Regierung oder internationaler Einrichtungen hat, ist für ihn selbst die Wahrscheinlichkeit in Kabul verletzt oder getötet zu werden, weiter reduziert.

bb) In der nördlichen Region Afghanistans, zu der neben Balch (Einwohnerzahl: ca. 1.335.626; jeweils nach dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 30.01.2018), Faryab (Einwohnerzahl: ca. 1.015.335), Sar-i Pul (Einwohnerzahl: ca. 569.043), Jawzjan (auch als Dschuzdschan bezeichnet, Einwohnerzahl: ca. 549.900) und Samangan (Einwohnerzahl: ca. 394.487) zählen (UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2017, v. Febr. 2018; UNHCR, Anfragebeantwortung vom 12.05.2016, S. 8) wurden im Jahr 2017 von der UNAMA 1.032 (2016: 1.362) verletzte oder getötete Zivilpersonen gezählt (Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2017, v. Febr. 2018, S. 7).

Anhaltspunkte dafür, dass innerhalb der Region gerade in der Provinz Samangan oder dem Herkunftsdistrikt des Klägers ein unverhältnismäßig hoher Anteil an verletzten oder getöteten Zivilpersonen zu verzeichnen wäre, aus dem eine besonders hohe Gefährdung von Zivilpersonen im Sinne einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit resultieren könnte, sind nicht gegeben. Im Jahr 2017 hat die UNAMA in der Provinz Samangan 38 verletzte und getötete Zivilpersonen registriert, was einen Rückgang gegenüber dem Vorjahr um 28 % bedeutet (Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2017, v. Febr. 2018, Annex III). Bei einer Verdreifachung dieser Zahl ergibt sich für eine Zivilperson in der Provinz Samangan eine Wahrscheinlichkeit verletzt oder getötet zu werden von 1 : 3.460. Samangan gilt im Vergleich zu anderen nördlichen Provinzen als relativ friedlich, mit geringerer Aktivität von Aufständischen, was sich durch die fehlende Mehrheit der Paschtunen erklären lasse (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundes-amt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 30.01.2018, S. 118).

Damit ist es für eine Zivilperson in Samangan nicht beachtlich wahrscheinlich, aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden (vgl. auch Bay. VGH, Beschl. v. 21.08.2017 - 13a ZB 17.30529 -, juris Rn. 12 f.; Beschl. v. 04.04.2017 - 13a ZB 17.30231 -, juris Rn. 10; VG Würzburg, Urt. v. 23.08.2017 - W 1 K 16.31894 -, juris Rn. 44 (Balch und Samangan); VG Lüneburg, Urt. v. 15.05.2017 - 3 A 156/16 -, juris Rn. 37 ff.; VG Karlsruhe, Urt. v. 06.04.2017 - A 2 K 2941/16 -, juris Rn. 44; VG Würzburg, Urt. v. 17.03.2017 - W 1 K 16.30736 -, juris Rn. 43).

c) Auch ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass die allgemeine humanitäre Lage in Afghanistan für den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK begründet.

Sozialwirtschaftliche und humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat haben weder notwendig noch einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Frage, ob eine Person Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden, weil Art. 3 EMRK hauptsächlich dem Schutz bürgerlicher und politischer Rechte dient (BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 25; Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 16 m.w.N.). Eine erhebliche Beeinträchtigung der (humanitären) Lage des Betroffenen im Herkunftsland - einschließlich seiner Lebenserwartung - im Falle seiner Rückkehr ist für einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK nicht ausreichend, sofern nicht in ganz außergewöhnlichen Fällen ausnahmsweise besondere humanitäre Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung im Konventionsstaat sprechen (BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 23, 25 m.w.N.; Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 16 m.w.N.; Beschl. v. 27.04.2016 - 9 LA 46/16 -, n.v. m.w.N.). Die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen setzt ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus (Bay. VGH, Beschl. vom 30.09.2015 - 13a ZB 15.30063 -, juris Rn. 5), das nur unter strengen Voraussetzungen erreicht wird (OVG NRW, Beschl. v. 13.05.2015 - 14 B 525/15.A -, juris Rn. 15, 13 (monatelange Obdachlosigkeit ohne Zugang zu jeder Versorgung). Ein anderer Maßstab kommt allerdings (und nur) dann in Betracht, wenn die im Zielstaat bestehenden schlechten humanitären Bedingungen nicht maßgebend auf fehlende staatliche Ressourcen für eine staatliche Fürsorge zurückzuführen sind, sondern auf direkte oder indirekte Handlungen oder Unterlassungen der dortigen Konfliktparteien (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 16 m.w.N.). Grundsätzlich ist bei der Prüfung des Abschiebungsverbotes auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen, ausgehend vom dem Ort, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 26 m.w.N.; für Afghanistan verneint EGMR, Urt. v. 13.10.2011 - 10611/09 (Husseini/Schweden) - NJOZ 2012, 952 [953] Rn. 84; Nds. OVG, Beschl. v. 27.04.2016 - 9 LA 46/16 -, n.v.). Wie auch bei § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ein Abschiebungsverbot im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation nicht gegeben, wenn der Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und sich damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren kann (BVerwG, Urteil v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 39 (zu § 60 Abs. 7 AufenthG); BVerwG, Beschl. v. 25.10.2012 - 10 B 16.12 -, BeckRS 2012, 59390 Rn. 10 (zu Art. 3 EMRK)).

Unter Zugrundelegung der vorgenannten strengen Maßstäbe ist das Gericht unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden Erkenntnismittel nicht davon überzeugt, dass aufgrund der humanitäre Umstände in Afghanistan, dort sich jeder Mensch unmenschlichen oder erniedrigenden Bedingungen ausgesetzt sieht, insbesondere er sein Existenzminimum nicht sichern und eine ausreichende Unterkunft nicht erlangen kann. Dies mag zwar für bestimmte Teile der Bevölkerung zutreffen, jedoch nicht für jeden in Afghanistan lebenden Menschen bzw. jede dort lebende Familie. Vielmehr sind die Umstände des Einzelfalls maßgebend. Weder hat der Kläger ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür vorgetragen, noch sind solche sonst ersichtlich, dass er bei seiner Abschiebung nach Afghanistan landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris) Gefahr liefe, aufgrund der dortigen allgemeinen Lebensbedingungen einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden und die einer Abschiebung nach Afghanistan ausnahmsweise entgegenstehen würden.

Afghanistan ist trotz internationaler Unterstützung und erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung eines der ärmsten Länder der Welt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 21; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.09.2016, S. 24) und das ärmste Land der Region (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, S. 31). Das rapide Bevölkerungswachstum stellt eine weitere Herausforderung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes dar (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 21). In Kabul und anderen großen Städten sind Lebensmittel vorhanden, nur können sich diese nicht alle Bewohner leisten (Schweizerische Eidgenossenschaft, Staatssekretariat für Migration SEM, Alltag in Kabul, Referat v. Thomas R., v. 12.04.2017, S. 7). Rund 36 % der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, mit einem eklatanten Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte fehlt es vielerorts an grundlegender Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 21). 30 % der Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, 6,3 % sind von ernsthafter Lebensmittelunsicherheit betroffen und 9,1 % der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, S. 31; vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 13), wobei in letzterem eine Verbesserung zu sehen ist (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 23). Für das Jahr 2017 wurde erwartet, dass 9,3 Millionen Afghanen von humanitärer Hilfe abhängig sein werden (Asylmagazin 3/2017, Überleben in Afghanistan?, S. 74; EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 31). Nach den UN werden im Jahr 2018 3,3 Millionen Afghanen in lebensbedrohlicher Not sein und für 2,8 Millionen sollen Hilfen zur Verfügung gestellt werden (www.stuttgarter-nachrichten, UN: Mehr als drei Millionen Afghanen in lebensbedrohlicher Not, v. 04.12.2017). Das Wirtschaftswachstum betrug im Jahr 2015 0,8 %, in 2016 voraussichtlich 1,2 % und für 2017 werden im besten Fall 1,7 % erwartet (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S. 5). Im Jahr 2012 hatte es noch 14,4 % betragen (Asylmagazin 3/2017, Überleben in Afghanistan?, S. 74). Der Anteil der afghanischen Bevölkerung, der unter der Armutsgrenze lebt, damit unter 20 USD im Monat zur Verfügung hat, hat sich von 2007/2008 bis 2013/2014 von 36 % auf 39 % gesteigert; dabei beträgt der Prozentsatz im Südwesten ca. 28 % und im Nordosten bis zu 50 %, da die nicht vom Konflikt betroffenen Regionen weniger Aufmerksamkeit und Hilfen durch die Regierung erhalten (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 31 f.). Die Armut in den Städten von bis zu 29 % im Jahr 2014 beschränkt sich nicht auf die informellen Siedlungen; andere gehen davon aus, dass 78 % der Haushalte in den Städten unterhalb der Armutsgrenze leben (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 32); bereits in den Jahren 2013 und 2014 sollen 73,8 % der städtischen Bevölkerung in Slums gelebt haben (vgl. Asylmagazin 3/2017, Überleben in Afghanistan?, S. 76 f.). Geschätzt leben 26 % bis 30 % der Afghanischen Bevölkerung in Städten, davon 50 % in Kabul; eine Familie in den Großstädten besteht im Schnitt aus ca. sieben Mitgliedern (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 58). In ländlichen Regionen besteht der Vorteil, dass durch Landwirtschaft zumindest die Ernährungsmöglichkeiten besser sind (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 32). Im Jahr 2014 hatten die meisten der in Städten Lebenden Zugang zu einer Grundversorgung, wenn auch die Zuverlässigkeit und Qualität nicht immer gewährleistet war (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 33). Im Jahr 2015 hatten 29 % der städtischen Bewohner Zugang zu verbesserten sanitären Einrichtungen, 71 % zu einer verbesserten, allerdings teils auch kontaminierten, Wasserversorgung; die Stromversorgung in den Städten ist zwar hoch, aber unzuverlässig, 99 % sind im Winter zum Heizen und Kochen auf Brennstoffe angewiesen (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 33, 60). Insbesondere in Kabul ist die Wasserqualität problematisch; hierunter leiden vor allem auch die Kinder (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 60). Gerade auch in den Siedlungen der Binnenflüchtlinge ist die Wasserversorgung schwierig (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 60). Parasiten-Krankheiten und Cholera treten häufig auf (Schweizerische Eidgenossenschaft, Staatssekretariat für Migration SEM, Alltag in Kabul, Referat v. Thoma R., v. 12.04.2017, S. 7).

Die Arbeitslosenquote betrug im Oktober 2015 40 % (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 22), teilweise wird sie auf bis zu 50 % geschätzt (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris). Allerdings differieren die Angaben zu Arbeitslosenzahlen sehr stark, so etwa bereits für 2014 zwischen 9,1 % und 40 % (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 21). Die Jugendarbeitslosigkeit ist in den Städten um 50 % höher als die generelle Arbeitslosigkeit (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 22). Bei 90 % der Jobs in Afghanistan handelt es sich zudem um unsichere Arbeitsplätze (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 22). 50 bis 70 % der Arbeitstätigen sind im landwirtschaftlichen Bereich tätig (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 22; International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2). Darüber hinaus findet eine Beschäftigung vor allem in Familien- und Kleinbetrieben (Einzelhandel) und im Bauwesen statt, gefolgt vom öffentlichen Sektor und dem industriellen (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2). In Städten gibt es formelle Beschäftigung und informelle Beschäftigung von gering Qualifizierten (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 22). Der Anteil der offiziellen Beschäftigungsmöglichkeiten beträgt ca. 20 %, hauptsächlich im staatlichen Bereich (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 22). Gering Qualifizierte sind in Basaren, als Tagelöhner im Bausektor und als Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft tätig (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 22). Ein Zugang zu Ausbildungsverhältnissen in Familienbetrieben wird häufig durch familiäre Beziehungen erlangt (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 22). Auch der Abzug der internationalen Streitkräfte hat sich negativ auf die Nachfrage und damit die Wirtschaft, insbesondere im Bausektor, ausgewirkt (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 22 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 24; Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 21).

Die Quote der Analphabeten ist hoch und die Anzahl der Fachkräfte gering (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 24). In Kabul ist die Bildungsrate allgemein am höchsten (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 46 f.). Qualifiziertes, vor allem höherqualifiziertes Personal wurde im Jahr 2011 noch gesucht (vgl. Dr. L, Gutachterliche Stellungnahme an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz v. 08.06.2011, S. 6 f.). Viele neue Stellen für gut ausgebildete Personen wurden im öffentlichen Bereich sowie im Gesundheits- und Bildungssektor geschaffen (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 23). Die Beschäftigungsaussichten, auch für gut ausgebildete junge Leute, ist trotz der tausenden verfügbaren Stellen im staatlichen Bereich, gering (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 23). Internationale Organisationen schreiben Stellen insbesondere für hoch qualifiziertes Personal aus, wobei unklar sein soll, inwieweit bei der Besetzung Weiterempfehlungen eine Rolle spielen (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 23). Nach einem Bericht aus dem Jahre 2012 gaben ca. 63 % bzw. 57,9 % der befragten Arbeitgeber an, Angestellte über Freundschaften bzw. Beziehungen zu finden; auch für Tätigkeiten in kommunalen staatlichen Stellen sind Beziehungen erforderlich (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 67). Bei einer anderen Studie aus dem Jahr 2011 gaben mehr als 50 % der Befragten an, dass sie an ihre Jobs über Beziehungen oder Empfehlungen gekommen seien; lediglich 15 % gaben an, ihre Stelle über den lokalen Arbeitsmarkt erhalten zu haben (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 67). Nach einer anderen Studie aus dem Jahr 2012 bestehen beide Wege gleichermaßen (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 67). Nach dem Analyseunternehmen Samuel Hall ist die Basis einer Anstellung Vertrauen, was zur Notwendigkeit einer Empfehlung führt; sonst bleibt die Tätigkeit als Tagelöhner; dies gilt auch für gut ausgebildete Personen und wohl auch für öffentlich ausgeschriebene Stellen internationaler Institutionen (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 68). Alleine die Volkszugehörigkeit bietet in der Regel kein ausreichendes Netzwerk, um eine Anstellung zu finden (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 68).

Das durchschnittliche Monatseinkommen beträgt in Afghanistan 80 bis 120 USD (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2), bei monatlichen Kosten (Miete, Lebenshaltung) von ca. 950 bis 1.350 USD bzw. ca. 230 bis 390 USD (SFH, Afghanistan: Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung, v. 05.04.2017, S. 11 unter Verweis auf die sich widersprechenden Angaben des Bundesamtes) bzw. bis zu 500 USD, mit allein mindestens 40 USD für Elektrizität und Wasser (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 61). Ein einfacher Polizist erhielt im Jahr 2014 70 USD im Monat, mit einer Hilfstätigkeit auf dem Markt verdient man zwischen 60 Cent und 1,80 Euro am Tag (AI, Anfragebeantwortung v. 08.01.2018, S. 27). Das Mindestmonatsgehalt eines Regierungsangestellten beträgt etwa 103 USD, das eines nicht festangestellten Arbeiters im privaten Sektor 95 USD; 36 % der Bevölkerung sollen unter 20 USD im Monat erhalten (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 23 f.). Die Mittelschicht, die sich auch Eigentumswohnungen leisten kann, sind die, die mit ausländischen Firmen oder Militärs im Geschäft sind, gefolgt von denen, die für internationale Organisationen arbeiten; ihr Kapital steckt jedoch oft vollständig in ihrer Immobilie (Schweizerische Eidgenossenschaft, Staatssekretariat für Migration SEM, Alltag in Kabul, Referat v. Thomas R., v. 12.04.2017, S. 7). Eine steigende Zahl von Personen ist aber auch aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit und eines fehlenden sozialen Netzwerks an den Rand gedrängt und flüchtet sich in die Kriminalität (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 23). Eine staatliche finanzielle Unterstützung findet bei Arbeitslosigkeit nicht statt; freie Stellen können auch über das Internet recherchiert werden (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2).

Die humanitäre Situation ist weiterhin als schwierig anzusehen, insbesondere stellt neben der Versorgung von hunderttausenden Rückkehrern und Binnenvertriebenen vor allem die chronische Unterversorgung in Konfliktgebieten das Land vor große Herausforderungen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: November 2015, S. 6). Die Anzahl der konflikt-induzierten Binnenflüchtlinge betrug im Jahr 2016 zwischen 1,1 und 1,2 Millionen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 21). Die Zahl der Binnenflüchtlinge ging im Jahr 2017 gegenüber dem Vergleichszeitraum im Vorjahr um 36 % zurück (www.handelszeitung.ch, Dreimal so viele Luftangriffe in Afghanistan, v. 29.05.2017). Für das Jahr 2017 erwartete die internationale humanitäre Gemeinschaft 450.000 neu in die Flucht getriebene Menschen im afghanischen Inland und die UNHCR 650.000 Rückkehrer aus den umliegenden Ländern (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S. 4). Im November 2017 befanden sich 350.000 Afghanen innerhalb ihres Landes auf der Flucht (www.spiegel.de, Knapp 350.000 Menschen in Afghanistan auf der Flucht, v. 21.11.2017), im gesamten Jahr 2017 ca. 445.000 (www.salzburg24.at, Knapp 450.000 Kriegsvertriebene in Afghanistan im Jahr 2017, v. 02.01.2017). Viele Binnenvertriebene haben familiäre Verbindungen nach Kabul (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S. 7). Einige Untersuchungen gehen davon aus, dass Rückkehrer aufgrund ihrer in der Migration erworbenen Fähigkeiten besseren Zugang zu höherqualifizierten Tätigkeiten und ein höheres Einkommen erhalten würden; nach anderen Stellungnahmen spielen diese Fähigkeiten in Afghanistan keine Rolle (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 24).

Viele von den Rückkehrer zieht es nach Kabul, wo die Einwohnerzahl zwischen den Jahren 2005 und 2015 um 10 % gestiegen ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 27, 28; Asylmagazin 3/2017, Überleben in Afghanistan?, S. 75 f.: Anstieg von 500.000 im Jahr 2001 auf fünf bis sieben Millionen). Die Aufnahmekapazität Kabuls ist aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringungsmöglichkeiten sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen, insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen sowie im Dienstleistungsbereich äußerst eingeschränkt (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S. 7). Die Bevölkerung in Kabul machte im Jahr 2015 41 % der städtischen Bevölkerung in Afghanistan aus (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 28). In Kabul lebten nach dem Analyseunternehmen Samuel Hall mit Stand März 2017 75 % der Bevölkerung in irregulären Siedlungen; in diesen sind die Zustände am schlechtesten (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 17, 61 f.). Um Kabul herum sind 50 solcher Camps, die ca. 40.000 Menschen beherbergen; dort herrschen Slum-ähnliche Bedingungen (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 62; Schweizerische Eidgenossenschaft, Staatssekretariat für Migration SEM, Alltag in Kabul, Referat v. Thoma R., v. 12.04.2017, S. 7). Die dortigen Behausungen bieten keinen zureichenden Schutz gegen die Kälte und Nässe in den Wintermonaten, sind überfüllt und bieten keine Privatsphäre; der Zugang zu einer Grundversorgung ist stark eingeschränkt (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 62). In Kabul ist Wohnraum zwar vorhanden, aber teuer (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 61). Über Wohneigentum in Kabul verfügen nur die Reichsten der Bevölkerung mit 5 % bis 10 %, eine Wohnung kostet um die 60.000 USD (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 62). Im Jahr 2013 verfügten 95 % der Haushalte in Kabul über Strom, 87 % über einen Fernseher, 97 % über ein Mobiltelefon, 50 % über bessere sanitäre Einrichtungen, 43 % über einen Kühlschrank, 33 % über einen Computer, 26 % über ein Auto und 10 % hatten Zugang zum Internet; aufgrund der Binnenflüchtlinge und Rückkehrer dürften sich diese Prozentzahlen zwischenzeitlich nach unten verändert haben (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 62). In der Provinz Kabul bestehen ca. 79 % der Beschäftigungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft, ca. 6 % in der Industrie und 15 % im Dienstleistungsbereich (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 28). Die wirtschaftliche Situation in Kabul hat sich seit der zweiten Hälfte des Jahres 2015 immer weiter verschlechtert, auch mehr als im nationalen Durchschnitt, so insbesondere auch die Arbeitsmarktsituation (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 28). Zuverlässige Daten zur berufstätigen Bevölkerung in Kabul gibt es - nach dem „Afghanistan Rights Monitor“ - nicht (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 28). Aufgrund des vielen Militärs in Kabul und der dort angesiedelten Verwaltung gibt es Arbeitsstellen auch in diesen Bereichen (Home Office, Security und humanitarian situation, August 2017, S. 32). Staatliche Stellen boten im Jahr 2016 nur noch wenige Stellen für qualifizierte Absolventen der Universitäten (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 28). Vetternwirtschaft und Korruption erschweren zusätzlich den Zugang zu Beschäftigungsmöglichkeiten; ohne Beziehungen ist es schwer, eine Arbeit bei staatlichen Stellen oder NGOs zu erhalten (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 28). Viele Rückkehrer und Binnenflüchtlinge enden zunächst in Kabul in überfüllten und unterversorgten informellen Siedlungen, mit besonders schlimmen Zuständen im Winter (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 41). Die Mehrheit, von denen die es erreichen, sich lokal zu integrieren, schaffte es im Jahr 2015 innerhalb von drei Jahren den Lebensstandard der ansässigen Bevölkerung zu erlangen (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 41).

Die meisten Familien werden in Afghanistan durch ein Oberhaupt ernährt, das informelle, zeitweise, körperliche Arbeit, beispielsweise als Träger auf einem Markt oder Helfer auf dem Bau, ausübt; in etlichen Fällen müssen auch Kinder zum Familieneinkommen beitragen (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 24). Die vielen Binnenflüchtlinge haben hier den Wettbewerb untereinander erhöht (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 24). Das Verelendungsrisiko einzelner Bevölkerungsgruppen in Afghanistan weicht stark voneinander ab, für alleinstehende Personen bewegte es sich bis zum Jahr 2007 lediglich im Bereich zwischen 10 und 15 %; das Armutsrisiko stieg bei einer Haushaltsgröße von drei Personen (11 %) bis zu einer Haushaltsgröße von neun Personen (über 40 %) kontinuierlich und lag bei einer Haushaltsgröße von 15 Personen sogar bei über 45 % (OVG NRW, Urt. v. 27.01.2015 - 13 A 1201/12.A -, juris Rn. 48). Aufgrund des Überangebots an Arbeitskräften in den Städten sinken auch die Gehälter (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 24).

Danach ist eine pauschale Beurteilung der Lebensbedingungen auch für Rückkehrer nicht möglich. Vielmehr kommt es auf die konkrete Situation des Betroffenen an, etwa auch auf seine Bildung, Berufserfahrung, Beziehungen oder familiären Rückhalt. Neben Armut gibt es in Afghanistan auch Wohlstand und Reichtum, wenn auch weit weniger verbreitet; die Schere in der Gesellschaft ist insoweit weiter aufgegangen, auch wenn sich zwischenzeitlich eine Art Mittelschicht gebildet hat (vgl. Schweizerische Eidgenossenschaft, Staatssekretariat für Migration SEM, Alltag in Kabul, Referat v. Thomas R., v. 12.04.2017, S. 7). Zum Teil haben sich die Lebensbedingungen auch verbessert und Rückkehrer erhalten Unterstützung.

Staatliche Maßnahmen zur Integration oder Neuansiedlung haben bereits positive Ergebnisse gezeigt, sind allerdings auch weiter erforderlich (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S. 8). Afghanistan befindet sich in einem langwierigen Wiederaufbauprozess (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 4). Die internationale Gemeinschaft unterstützt die afghanische Regierung maßgeblich dabei, die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 22). Mehr als 95 % des afghanischen Budgets stammten auch im Jahre 2016 von der internationalen Staatengemeinschaft (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 2). Für die Jahre 2017 bis 2021 versprachen mehr als 70 Länder insgesamt 13,6 Milliarden Euro finanzielle Unterstützung (Amnesty Report 2017 Afghanistan, S. 1). Nachdem im Jahr 2011 nur 7,5 % der Bevölkerung über eine adäquate Wasserversorgung verfügten, haben im Jahr 2016 46 % Zugang zu Trinkwasser (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 25; vgl. auch UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, S. 31). Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat seit 2002 in Afghanistan über 700 Trinkwassersysteme gebaut (www.giz.de, Afghanistan: Unter einem Dach, v. 04.04.2017). China unterstützt Afghanistan seit Oktober 2017 mit Getreidelieferungen (german.cri.cn, Afghanistan: China liefert Getreidenothilfe, v. 30.10.2017). Auch Indien engagiert sich im Handel mit Afghanistan (deutsch.rt.com, Indien verschafft sich unter Umgehung Pakistans Zugang zu Afghanistan - auch Iran profitiert, v. 06.11.2017).

Rückkehrer aus Deutschland, deren Flüge grundsätzlich von einem Arzt begleitet werden (www.sozialticker.com, 700 Euro pro Person für tolle Maßnahmen in Afghanistan, v. 05.05.2017) werden in Kabul vom afghanischen Flüchtlingsministerium, von Mitarbeitern der Internationalen Organisation für Migration, von der gemeinnützigen humanitären Organisation für psychosoziale Betreuung und der Bundespolizei vor Ort in Empfang genommen und versorgt (Schreiben des Bundesministeriums des Innern v. 09.01.2017 an die Innenminister und -senatoren der Länder, S. 4). Das IOM sorgt auch für die Anwesenheit eines Arztes (AAN, Voluntary and Forced Returns to Afghanistan in 2016/17: Trends, statistics and experiences, S. 5). Das Rückkehrförderprogramm REAG/GARP sieht neben der Übernahme der Rückreisekosten eine Reisebeihilfe von 200 Euro und zusätzlich Startgeld in Höhe von 500 Euro je Person über zwölf Jahren vor (BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 34; Runderlass des Ministeriums für Inneres und Sport v. 21.06.2016, Nds. MBl. 2016 Nr. 26, S. 699, geändert durch Verwaltungsvorschrift v. 17.07.2017, Nds. MBl. Nr. 30, S. 990, Ziff. 2.2, 3.1.1). Für eine Überbrückungszeit von zwei Monaten können auch Kosten für Medikamente übernommen werden, die lebensnotwendig sind oder der Vermeidung einer schwerwiegenden Erkrankung dienen (Runderlass des Ministeriums für Inneres und Sport v. 21.06.2016, Nds. MBl. 2016 Nr. 26, S. 699, geändert durch Verwaltungsvorschrift v. 17.07.2017, Nds. MBl. Nr. 30, S. 990, Ziff. 2.1.3). Das Rückkehr- und Integrationsprojekt ERIN gewährt einen Service bei der Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen sowie berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche sowie Unterstützung bei der Existenzgründung (BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 34). Im Falle der freiwilligen Rückkehr ist eine Integrationshilfe von bis zu 2.000 Euro vorgesehen, bei einer Rückführung bis zu 700 Euro (BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 34). Weiter ist auch geplant, den Rückkehrern Anschlussflüge zum gewünschten Zielort innerhalb Afghanistans anzubieten und ein Informationsbüro als Beratungsstelle einzurichten (Schreiben des Bundesministeriums des Innern v. 09.01.2017 an die Innenminister und -senatoren der Länder, S. 4). Rückkehrer können bis zu zwei Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2), was bei Bedarf auch angenommen wird (AAN, Voluntary and Forced Returns to Afghanistan in 2016/17: Trends, statistics and experiences, S. 5). Auch Flüchtlingsorganisationen bieten Unterkunft für die ersten Tage bzw. Wochen nach einer Rückkehr (SZ, Zurück auf Null, v. 08.04.2017). Die meisten Rückkehrer begeben sich jedoch direkt zu ihren Familien und Gemeinschaften zurück (AAN, Voluntary and Forced Returns to Afghanistan in 2016/17: Trends, statistics and experiences, S. 9). Die von der deutschen Regierung unterstützte Organisation IPSO bietet in Kabul psychosoziale Hilfe an, nimmt die Rückkehrer am Flughafen in Empfang und geht auch in die Gästehäuser, in denen die Abgeschobenen erst einmal unterkommen; für schwere Fälle ist die Organisation allerdings nicht ausgerüstet (www.focus.de, Schicksal von Arasch und Badam, v. 17.03.2017). Nach der gutachterlichen Stellungnahme von Frau Dr. L. an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz vom 8. Juni 2011 sei es ein übliches Verfahren, durch Beschluss des Familienclans das stärkste Mitglied ins Ausland zu senden, um die wirtschaftliche Situation der Familie zu unterstützen (S. 3; vgl. auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Dossier der Staatendokumentation, AfPak, Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, 2016, S. 76). Rückkehrer würden auch in der Regel nicht verstoßen und selbst bei entfernten Verwandtschaftsverhältnissen zumindest zeitweise aufgenommen (Dr. L, Gutachterliche Stellungnahme an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz v. 08.06.2011, S. 13; a.A. AI, Anfragebeantwortung v. 08.01.2018, S. 14). Auch würden diejenigen, denen es gelungen sei, bis nach Europa zu kommen, zum mobileren Teil der Bevölkerung gehören, die es erfahrungsgemäß bei einer Rückkehr schaffen würden, ihre Beziehungen so zu gestalten, dass sie ihr Leben sichern können würden (Dr. L, Gutachterliche Stellungnahme an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz v. 08.06.2011, S. 12). Insoweit würden ohnehin soziale Kompetenzen, wie Durchsetzungs- und Kommunikationsfähigkeit mehr zählen als eine Ausbildung, so etwa für den Start eines Kleinhandels, den Rückkehrer auch eher eröffnen, als sich der Konkurrenz um Aushilfsjobs zu stellen (Dr. L, Gutachterliche Stellungnahme an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz v. 08.06.2011, S. 12, 9). Für diejenigen, denen etwas Geld zur Verfügung steht und die entsprechende Fähigkeiten mitbringen, bestand auch im Jahr 2017 die Möglichkeit, ein Geschäft zu eröffnen, so etwa einen Verkaufsladen oder einen Autohandel (EASO, Country of Origin Information Report Afghanistan - Key socio-economic indicators, state protection, and mobility in Kabul City, Mazar-e Sharif, and Herat City, v. August 2017, S. 23). Für Aushilfsjobs bzw. Tagelöhnerjobs ist die körperliche Konstitution maßgeblich, bei handwerklichen Tätigkeiten das Vorhandensein von eigenem Werkzeug und bei längerfristigen Arbeitsverhältnissen eine Vermittlung über einen Stammes- oder Clanzugehörigen (Dr. L, Gutachterliche Stellungnahme an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz v. 08.06.2011, S. 11; vgl. auch Asylmagazin 3/2017, Überleben in Afghanistan?, S. 76).

Nach einer Studie der UNHCR zur Situation von Rückkehrern aus dem Iran und Pakistan, im Jahr 2015 von denen viele noch nie in Afghanistan gelebt hatten, berichteten 97 Prozent der Befragten bei einem Interview ein bis drei Monate nach der Rückkehr, durch die lokale Gemeinschaft gut aufgenommen worden zu sein (UNHCR, Voluntary Repatriation to Afghanistan 2015, April 2016, S. 1 und 6). Für das Jahr 2016 gaben dies 93 % der Befragten an und 75 % sprachen davon, dass eine Rückkehr die richtige Entscheidung gewesen sei (UNHCR, Tough choices for Afghan refugees returning home after years in exile, 03.02.2017). Die Befragten nahmen die Suche nach einer Unterkunft zwar als problematisch wahr, doch lebten sechs bis acht Monate nach der Rückkehr ca. 90 Prozent in Häusern, auch wenn sie sich diese teilweise mit anderen Haushalten teilen mussten; nur sieben Prozent der Befragten mussten in einer vorübergehenden Unterkunft wie einem Zelt oder einem öffentlichen Gebäude unterkommen (UNHCR, Voluntary Repatriation to Afghanistan 2015, April 2016, S. 8). Das Einkommensniveau der Befragten war zwar niedrig, die Erwerbsquote jedoch sogar leicht besser als im nationalen Durchschnitt; 63 % der Befragten gaben an, mehr als 50 Afghani am Tag zu erhalten, 37 % weniger (UNHCR, Voluntary Repatriation 2015, April 2016, S. 11). So kehrten im Jahr 2016 auch 3.159 meist junge afghanische Männer freiwillig aus Deutschland nach Afghanistan zurück; die meisten freiwilligen Rückkehrer hatten das Ziel Herat, gefolgt von Kabul (AAN, Voluntary and Forced Returns to Afghanistan in 2016/17: Trends, statistics and experiences, S. 2).

Die Deutsche Presseagentur hat drei der von Deutschland seit Dezember 2016 nach Afghanistan abgeschobenen jungen Männer ein Jahr lang begleitet; einer der Rückkehrer hat in Kabul bei einer internationalen Organisation Arbeit gefunden, ein anderer ist bei einem Freund seiner Familie außerhalb Kabuls untergekommen und versuche erst gar nicht Arbeit zu finden, weil er niemanden in Kabul kennen würde, der Dritte habe sich Werkstätten in Kabul für einen Ausbildungsplatz angeschaut, sie seien aber zu dreckig gewesen und die Meister nicht intelligent genug, er beabsichtige seine Verlobte in Deutschland zu heiraten (www.bayerische-staatszeitung.de, Die Abgeschobenen - Drei Leben in Afghanistan, v. 21.12.2017). Amnesty International berichtet dagegen von einem jungen Mann, der nach seiner Abschiebung nach Afghanistan weder in Kabul noch in Dschalalabad trotz Gelegenheitsjobs ein Obdach fand; ein anderer junger Mann soll keine Arbeit gefunden haben (AI, Anfragebeantwortung v. 08.01.2018, S. 20). Afghanischen Stellen werden die Namen der Abgeschobenen mitgeteilt, nicht jedoch, ob sie in Deutschland straffällig geworden sind (AAN, Voluntary and Forced Returns to Afghanistan in 2016/17: Trends, statistics and experiences, S. 4). Drei von Amnesty International beschriebene Fälle von nach Afghanistan zurückkehrenden Familien berichten von einer Tötung von Familienmitglieder nach ihrer Rückkehr, hingegen nicht von Problemen bei der Versorgung; dagegen gaben zurückgekehrte alleinstehende junge Männer durchweg an, keine Arbeit und Unterkunft zu finden (Amnesty International, Zurück in die Gefahr, 2017).

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Erkenntnisse ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger als ein arbeitsfähiger junger Mann bei einer Rückkehr in sein Heimatland Afghanistan nicht in der Lage wäre, etwa in Kabul sein Existenzminimum zu sichern (vgl. auch VGH BaWü, Urt. v. 17.01.2018 - A 11 S 241/17 -, juris Rn. 470; Nds. OVG, Beschl. v. 04.01.2018 - 9 LA 160/17 -, juris Rn. 28; VGH BaWü, Urt. v. 09.11.2017 - A 11 S 789/17 -, juris Rn. 235; Bay. VGH, Beschl. v. 22.12.2016 - 13a ZB 16.30684 -, juris Rn. 8; VGH BaWÜ, Urt. v. 09.11.2017 - A 11 S 789/17 -, juris Rn. 235 ff.; Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; OVG NRW, Beschl. v. 08.06.2016 - 13 A 1222/16.A -, juris Rn. 10; Bay. VGH, Beschl. v. 30.09.2015 - 13a ZB 15.30063 -, juris Rn. 6; Nds. OVG, Urt. v. 20.07.2015 - 9 LB 320/14 -, juris S. 8; OVG NRW, Urt. v. 26.08.2014 - 13 A 2998/11.A -, juris Rn. 197; VG Augsburg, Urt. v. 18.07.2017 - Au 5 K 17.32878 -, juris Rn. 30; VG Würzburg, Urt. v. 30.06.2017 - W 1 K 16.31428 -, juris Rn. 29; a.A. VG C-Stadt, Gerichtsbescheid v. 10.01.2017 - 10 A 6516/16 -, juris Rn. 38). Auch die UNHCR geht in ihren Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016 davon aus, dass alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter auch ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft unter bestimmten Umständen in urbanen und semi-urbanen Umgebungen, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter staatlicher Kontrolle stehen, leben können (S. 99). Der Kläger hat die Schule bis zur sechsten Klasse besucht, er ist gesund, spricht mit Dari eine der offiziellen Landessprachen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 9), hat mehrere Jahre im Baubereich und auch als Schuhmacher mit einem eigenen Geschäft gearbeitet und verfügt, jedenfalls mit zwei Tanten, über Verwandte in Afghanistan. Zwar hat er in der mündlichen Verhandlung insoweit ausgeführt, dass er nichts über seine Tanten wisse und auch nicht, wo diese wohnen oder ob sie überhaupt noch leben würden. Seine diesbezüglichen Ausführungen waren jedoch weder schlüssig noch glaubhaft. Er vermochte insbesondere nicht zu erklären, weshalb er keine Informationen über sie - wenn auch nur erfahren über seine Mutter - habe, zumal die Tanten auch in der Region der Familie des Klägers gelebt haben bzw. leben. Auch war sein Vortrag in der mündlichen Verhandlung insoweit auf Nachfragen des Gerichts zum Teil widersprüchlich. Aber auch zunächst ohne familiäre oder sonstige Beziehungen geht das Gericht nach alledem davon aus, dass der Kläger in Kabul oder einer anderen der größeren Städte Afghanistans, unterstützt durch die Rückkehrerhilfen, jedenfalls als Tagelöhner in ausreichendem Maße seinen Lebensunterhalt sichern können wird, bis er sich gegebenenfalls auch wieder ein soziales Netzwerk aufgebaut hat. Vor allem in größeren Städten Afghanistans, wie etwa auch Kabul, ist eine Aufnahme auch außerhalb des eigenen Familien- bzw. Stammesverbandes sowie die Chancen realistisch (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris). Dies gilt auch unter Berücksichtigung seiner Zugehörigkeit zum Volke der Hazara (vgl. etwa auch VGH BaWü, Urt. v. 17.01.2018 - A 11 S 241/17 -, juris Rn. 494; BayVGH, Beschl. v. 17.01.2017 - 13a ZB 16.30929 -, juris Rn. 2), zumal sich die Hazara etwa auch in Kabul insbesondere auf den Stadtteil Dasht-e Barchi konzentrieren (vgl. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 19.04.2016, S. 87 f. Fn. 492) und die Hazara auch eine ethnische Identität aufweisen, aufgrund derer ein Hazara einem anderen Hazara in Not helfen wird, auch wenn er nicht zu der eigenen Familie gehört (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Dossier der Staatendokumentation, AfPak, Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, 2016, S. 77).

2. Auch droht dem Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan - unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen - keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit, die gem. § 60 Abs. 7 AufenthG, im Sinne einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten Gefährdungssituation (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris Rn. 80), ein Abschiebungsverbot begründen würde. Insbesondere würde der Kläger bei einer Abschiebung nicht gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert (BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 - 10 C 24/10 -, juris Rn. 19, 20; OVG NRW, Beschl. v. 28.08.2017 - 13 A 2020/17.A -, juris Rn. 19; Urt. v. 27.01.2015 - 13 A 1201/12.A -, juris Rn. 28; Hess. VGH, Urt. v. 04.09.2014 - 8 A 2434/11.A -, juris Rn. 41; Nds. OVG, Beschl. v. 27.04.2016 - 9 LA 46/16 -, n.v.; Urt. v. 28.07.2014 - 9 LB 2/13 -, juris Rn. 45). Eine Rückkehr ist im Hinblick auf § 60 Abs. 7 AufenthG zumutbar, wenn der Betroffene bei allen - auch existenzbedrohenden - Schwierigkeiten nicht chancenlos ist, sondern die Möglichkeit hat, Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen und er nicht ohne jeden Ausweg in eine Situation gebracht wird, in der er so gut wie keine Überlebensmöglichkeit hat (vgl. BVerwG, Urteil v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 40). Dies ist vorliegend - wie bereits ausgeführt - der Fall.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Gem. § 83 b AsylG ist das Verfahren gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.