Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 15.05.2017, Az.: 3 A 119/16

badal; Blutfehde; Ehrverletzung; Sippenhaft; Zwangsheirat

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
15.05.2017
Aktenzeichen
3 A 119/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53900
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Den männlichen Familienmitgliedern einer von einer drohenden Zwangsheirat Betroffenen kann eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen; sie bilden aber keine, einen Verfolgungsgrund im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründende bestimmte soziale Gruppe.

Tatbestand:

Die 1955 bzw. 1964 in Kabul geborenen Kläger zu 1. und 2. sowie ihre in den Jahren 2000 und 2001 geborenen Kinder, die Kläger zu 3. und 4. sind afghanische Staatsangehörige, tadschikischer Volkszugehörigkeit und schiitischer Religionszugehörigkeit. Nach eigenen Angaben reisten sie unter anderem über Griechenland und Österreich im September 2015 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein. Am 12. Juli 2016 stellten sie Asylanträge.

Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 19. Juli 2016 gab der Kläger zu 1. an, dass sie bis zu ihrer Ausreise Ende Juli 2015 in Kabul gelebt hätten. Sie hätten keine weitere Verwandte in Afghanistan. Er sei bis zur fünften Klasse zur Schule gegangen und habe zuletzt als Fahrer gearbeitet. Als er als Taxifahrer gearbeitet habe, habe er einen Mann namens I. kennengelernt. Dieser sei dann fünf Jahre verschwunden gewesen und habe bei seiner Rückkehr erzählt, dass er in Pakistan gewesen sei. Er - I. - habe ihm dann einen Job in einem hauptsächlich von Taliban bewohnten Stadtteil in Kabul angeboten. Bei einer Fahrt habe er - der Kläger zu 1. - eine Kiste geöffnet. In dieser hätten sich Handgranaten befunden, die er zurückgebracht habe. Es sei dann zum Streit mit I. gekommen. Davon unabhängig habe I. von ihm gefordert, dass er - der Kläger zu 1. - seine Tochter - die Klägerin zu 4. - I. s Bruder zur Frau gebe, was er - der Kläger zu 1. - abgelehnt habe, weil sie noch zu jung gewesen sei. I. habe ihm daraufhin gedroht, sie mit Gewalt zu entführen. Er - der Kläger zu 1. - sei dann mit seiner Familie nach Maidan Shar, ein anderer Stadtteil Kabuls, umgezogen, in die Wohnung seiner verstorbenen Schwiegereltern. Eines Abends seien drei Personen in die Wohnung eingedrungen und hätten seine Tochter entführen wollen. Er habe die Drei jedoch abwimmeln können, indem er gesagt habe, dass er sein Tochter freiwillig hergebe, dafür aber drei Tage Zeit zum Organisieren brauche. In diesen drei Tagen seien sie dann ausgereist. Ihm sei in Aussicht gestellt worden, dass man sie überall in Afghanistan finden können würde.

Die Klägerin zu 2. gab bei ihrer Anhörung an, dass sie keine Verwandten mehr in Afghanistan habe. Sie sei Hausfrau gewesen. Ein Arbeitskollege ihres Mannes habe ihm angetragen, ihre Tochter seinem Bruder zur Frau zu geben, was sie abgelehnt hätten. Der Arbeitskollege und sein Bruder hätten schließlich gedroht, die Klägerin zu 4. gewaltsam zu entführen. Eines Abends seien drei Männer gekommen, um ihre Tochter gewaltsam mitzunehmen. Sie hätten diese jedoch abwimmeln können, indem sie vorgegeben hätten, ihre Tochter freiwillig herauszugeben, hierfür jedoch noch ein paar Tage Zeit benötigen würden, um Organisatorisches zu erledigen. In dieser Zeit seien sie dann geflüchtet. Sie selbst habe Tuberkulose und Diabetes.

Das Bundesamt lehnte mit am 9. August 2016 zur Post gegebenen Bescheid vom 8. August 2016 die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1 des Bescheides), Asylanerkennung (Ziff.2) sowie auf subsidiären Schutz (Ziff. 3) ab und stellte fest, dass das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt.

Gegen diesen Bescheid haben die Kläger am 24. August 2016 Klage erhoben.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 1 bis 3 des Bescheides vom 8. August 2016, zugestellt am 11. August 2016, - Geschäftszeichen 6355411-423 - zu verpflichten, den Klägern unter Feststellung der Voraussetzungen des § 3 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 3 des Bescheides vom 8. August 2016 zu verpflichten, für die Kläger zumindest den subsidiären Schutz nach § 4 AsylG festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte gemäß § 102 Abs. 2 VwGO trotz Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung über die Klage entscheiden, weil die Beteiligten in der Ladung zum Termin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind.

Die Klage ist zulässig und zum Teil begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO, die Kläger zu 1. und 3., soweit ihnen der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wurde. Die Klägerin zu 4. hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG (dazu 1.). Die Kläger zu 1. bis 3. haben demgegenüber keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (dazu 2.). Die Kläger zu 1. und 3. haben allerdings einen Anspruch auf die hilfsweise beantragte Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 AsylG (dazu 3.). Die Klägerin zu 2. hat demgegenüber auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes (dazu 4.).

1. Die von den Klägern dargelegten Umstände begründen einen Anspruch der Klägerin zu 4. auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 1, Abs. 4 AsylG).

Gem. § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) oder das Bundesamt hat nach § 60 Abs. 8 Satz 3 AufenthG von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG abgesehen. Gem. § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a)) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (b)) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten gem. §  3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die (1.) auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder (2.) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

Dabei muss zwischen den in § 3 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den in § 3a AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).

Die Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylG von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern der Staat (oder die vorgenannten Parteien und Organisationen) einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

Maßgebend für die Beantwortung der Frage, ob sich ein Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Heimatlandes befindet, ist der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, der voraussetzt, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände die dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen - es kommt darauf an, ob in Anbetracht aller Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris, S. 7 f. m.w.N.; Urt. v. 21.09.2015 - 9 LB 20/14 -, juris Rn. 30 m.w.N.). Es ist Sache des Ausländers, seine Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen und das Gericht muss die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals erlangen (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris, S. 8; vgl. auch bereits BVerwG, Urt. v. 29.11.1977 - I C 33.71 -, juris Rn. 10; Beschl. v. 16.04.1985 - 9 C 109/84 -, juris Rn. 16). Dabei greift zugunsten eines Betroffenen eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (Nds. OVG, Urt. v. 23.11.2015 - 9 LB 106/15 -, juris, S. 8 m.w.N.; Urt. v. 21.09.2015 - 9 LB 20/14 -, juris Rn. 30 m.w.N.), ohne dass hierdurch jedoch der Wahrscheinlichkeitsmaßstab geändert würde (BVerwG, Urt. v. 07.09.2010 - 10 C 11/09 -, juris Rn. 14 f.; Urt. v. 17.04.2010 - 10 C 5/09 -, juris Rn. 19 f., 22 f.). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt, beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen, zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal einer ernsthaften Schädigung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.04.2010 - 10 C 5/09 -, juris Rn. 21). Diese Vermutung kann widerlegt werden, indem stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urt. v. 17.04.2010 - 10 C 5/09 -, juris Rn. 23).

a) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist das Gericht davon überzeugt, dass sich die Klägerin zu 4. aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihres Geschlechts außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt und dessen Schutz sie nicht in Anspruch nehmen kann, § 3 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 Buchst. a) AsylG, so dass ihr die Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 4 Halbsatz 1 AsylG zuzuerkennen ist.

Die Furcht der Klägerin vor Verfolgung im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG ist begründet, weil sie in Afghanistan gegen ihren Willen den Bruder eines Freundes ihres Vaters heiraten soll, was eine (ihr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende) Verfolgung im Sinne des §§ 3, 3a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 6 AsylG darstellt. Die Erzwingung einer Heirat ist eine das Selbstbestimmungsrecht der Frau verletzende, verwerfliche Handlung und erniedrigende Behandlung - auch im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG -, die gegen internationale Konventionen verstößt und in Deutschland mit § 237 StGB strafbewehrt ist (vgl. Bay. VGH, Urt. v. 17.03.2016 - 13a B 15.30241 -, juris Rn. 18, 20 f.). Zudem droht der Klägerin zu 4. im Falle einer erzwungenen Heirat auch sexuelle Gewalt, im Falle der Verweigerung der Heirat auch physische Gewalt.

Für das Gericht bestehen nach den Angaben des Klägers zu 1. und der Klägerin zu 4. sowie dem persönlichen Eindruck, den das Gericht von ihnen in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, keine durchgreifenden Zweifel daran, dass sich die von ihnen dargestellten Umstände, wonach der Klägerin zu 4. eine Verheiratung gegen ihren Willen droht, so wie geschildert zugetragen haben.

Der Kläger zu 1. hat in der mündlichen Verhandlung zusammenhängend, ausführlich, detailliert, anschaulich und nachvollziehbar berichtet, wie es zu der drohenden Verheiratung der Klägerin zu 4. gekommen ist und weshalb er diese nicht hätte verhindern können. So erklärt sich aus dem Vortrag des Klägers etwa auch, wie der Bruder des Freundes des Klägers die Klägerin zu 4. kennengelernt hat, ohne dass der Kläger dies in seiner Erzählung hervorhob, so dass das Gericht davon ausgeht, dass dieses Schlüssigkeitselement vom Kläger nicht gezielt eingesetzt worden war. Nahezu beiläufig schilderte er, dass sein Freund und dessen Bruder sie einmal besucht hätten und dass zu diesem Zeitpunkt auch seine Tochter, die Klägerin zu 4., anwesend gewesen sei und sie die Tür geöffnet habe. Auch spricht die vom Kläger berichtete relativ komplexe Vorgeschichte für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers zu 1. Der Kläger schilderte insoweit, wie es über seine Tätigkeit als Taxifahrer zu dem Kennenlernen seines Freundes und zu einer Tätigkeit für die Freunde seines Freundes gekommen sei, die er beendet habe, als er für sie Granaten habe fahren sollen. Dieser Vortrag, insbesondere auch die Details des dargelegten Randgeschehens, war in großen Teilen für die Schlüssigkeit der drohenden Zwangsverheiratung - wohl auch für den Kläger erkennbar - nicht erforderlich. Dennoch hat der Kläger die Umstände als Vorgeschichte glaubhaft geschildert. Für die Glaubhaftigkeit insgesamt spricht insoweit auch, dass er nicht versucht hat, eine Verknüpfung zwischen seiner Verweigerung weiterer Fahrten für die Freunde seines Freundes und der drohenden Verheiratung der Klägerin zu 4. herzustellen, was nahe gelegen hätte. Über Randgeschehen hinaus hat der Kläger auch spontan innere Gefühle geschildert, wie, dass er aufgeregt gewesen sei, weil er nicht gewusst habe, was in den Kisten gewesen sei. Hinsichtlich der drohenden Verheiratung sprechen etwa auch die zeitlichen Sprünge in seiner Erzählung für die Glaubhaftigkeit seiner Angaben. So führte er etwa aus, dass die vier Personen aufgestanden und gegangen seien. Erst danach schilderte er noch, dass sie vor ihrem Weggang gesagt hätten, dass er sich mit seiner Familie besprechen solle. Ebenfalls spricht die Schilderung des Klägers, wie sie es in Maidan Shar (Provinz (Maidan) Wardak) geschafft hätten, dass die drei Personen wieder von der Tochter abgelassen hätten, für die Glaubhaftigkeit seiner Angaben. Sein Vortrag war insoweit unnötig komplex und die Situation von Schwierigkeiten geprägt, die für eine Schlüssigkeit der Angaben nicht erforderlich waren. So erläuterte der Kläger, dass erst die drei Personen seinen Freund angerufen hätten, dieser aber nicht nachgegeben habe. Dann habe der Kläger selbst seinen Freund angerufen, aber auch hier habe der Freund ihm nicht helfen wollen. Erst als weitere Personen sowie der Weise hinzugekommen seien und zunächst der Kläger nochmals und dann auch der Weise mit dem Freund des Klägers telefoniert habe, hätten sie die Klägerin zu 4. gehen lassen. Seine Angaben in der mündlichen Verhandlung stimmten auch weitestgehend mit der Darstellung der Geschehnisse in der Anhörung durch das Bundesamt überein, ohne dass der Eindruck hervorgerufen wurde, dass der Vortrag eingeübt worden wäre. Im Gegenteil wirkten die vertiefenden Angaben mit vielen weiteren Details authentisch und sprechen für ein tatsächliches Erleben. Die Fragen, die sich nach der Lektüre des Anhörungsprotokolls des Bundesamtes noch gestellt hatten, waren nach dem freien Vortrag des Klägers zu 1. in der mündlichen Verhandlung durchweg beantwortet. Soweit in der Anhörung durch das Bundesamt und im Rahmen der mündlichen Verhandlung unterschiedliche Details berichtet wurden, widersprachen sich diese in der Regel nicht, sondern ergänzten sich, was ebenfalls für eine Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers spricht.

Die Angaben des Klägers zu 1. wurden durch die ebenfalls glaubhaften Schilderungen der Klägerin zu 4. in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Die Klägerin berichtete äußerst anschaulich und angemessen emotional betroffen, wie die drei Personen versucht hätten, sie mitzunehmen. Dabei schildert sie auch nachvollziehbar sowohl ihr eigenes inneres Empfinden, als auch wie es ihrer Familie, insbesondere ihrem Vater gegangen sei und anschaulich dessen Verzweiflung. Soweit sie Details schilderte, die der Kläger zu 1. (so) nicht berichtet hatte, wie etwa, dass ihr Vater und ihr Bruder geschlagen worden seien und eine der Personen auch eine Waffe gezogen habe, spricht dies vorliegend nicht gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben. Das Gericht zieht daraus vielmehr den Schluss, dass eben diese Details von der (damals noch jüngeren) Klägerin zu 4. als besonders beindruckend empfunden wurden und der Kläger zu 1. demgegenüber mehr die Klägerin zu 4. im (emotionalen) Auge hatte. Die Schilderung der Klägerin zu 4. war, auch angesichts der zuvor erfolgten Angaben des Klägers zu 1., so überzeugend, dass das Gericht von einer weiteren Befragung absah.

Die Angaben der Kläger sind auch unter Berücksichtigung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel glaubhaft. Danach sind Zwangsverheiratungen, insbesondere von jungen Mädchen, wie auch Gewalt gegen Frauen, in Afghanistan keine Seltenheit (vgl. auch Bay. VGH, Urt. v. 17.03.2016 - 13a B 15.30241 -, juris Rn. 20; VG Hamburg, Urt. v. 10.09.2014 - 10 A 477/13 -, juris Rn. 43 ff.), sondern weit verbreitet (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 12). Dabei spielt allerdings auch eine Rolle, aus welcher sozialen Schicht das Kind stammt (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 81). 50 % der Mädchen in Afghanistan werden unter 16 Jahren verheiratet und 60 bis 80 % aller Ehen kommen in Afghanistan aus Zwang zustande (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 15; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 70 Fn. 391, 392: 15 % der Mädchen werden im Alter von 15 Jahren verheiratet, 46 % zwischen 16 und 18 Jahren), teilweise auch im Alter von neun bis elf Jahren (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 71 Fn. 398). Kinderheiraten erfolgen regelmäßig aus wirtschaftlichen Erwägungen, um Überlebensmöglichkeiten für die Kinder und die Familien zu schaffen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 71). In 80 % der von der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission registrierten Fälle sexueller Übergriffe waren die Opfer jugendliche Mädchen unter 18 Jahren (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 77 Fn. 430). Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist weit verbreitet und bleibt üblicherweise straflos (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 66). Es wird geschätzt, dass mehr als 87 % aller afghanischen Frauen bereits körperliche, sexuelle, psychische Gewalt oder eine Zwangsheirat erfahren mussten, mehr als 60 % der afghanischen Frauen sind mehreren Formen der auch äußerst brutalen Gewalt ausgesetzt (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 21.09.2015 - 9 LB 20/14 -, juris Rn. 33). Das afghanische Gesundheitsministerium verzeichnete von März 2014 bis Juni 2015 mehr als 9.000 Fälle von versuchtem Selbstmord (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, v. 30.09.2016, S. 18). Geschlechtsspezifische Gewalt gehört zu den häufigsten Gründen für Selbstmord und Selbstverbrennung bei Frauen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 68 Fn. 380).

Eine Wiederholung dieser Verfolgung droht der Klägerin zu 4. im Falle einer Rückkehr nach Kabul (oder Maidan Shar) nach der Überzeugung des Gerichts auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit. Sie ist vorverfolgt ausgereist, so dass bereits deshalb zu vermuten ist, dass ihr bei einer Rückkehr weiter Verfolgung im Sinne einer Zwangsverheiratung oder physischer Gewalt bis hin zu einer Tötung droht. Dies ergibt sich für das Gericht aber auch bereits aus dem von den Klägern geschilderten Geschehen selbst. Für das Gericht sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Bruder des Freundes Klägers zu 1. von seinem Vorhaben der Verheiratung mit der Klägerin zu 4. Abstand genommen oder ihr ihr Weglaufen verziehen haben könnte, zumal das Verhalten der Klägerin zu 4. seine Ehre beschädigt haben und eine Absehen von Sühne zu einem Gesichts- und Machtverlust führen dürfte.

Die drohende Verfolgung knüpft auch - entgegen der Auffassung des Bundesamtes - an einen Verfolgungsgrund im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG an, § 3a Abs. 3 AsylG, an ihr Geschlecht (vgl. auch Nds. OVG, Beschl. v. 21.01.2014 - 9 LA 60/13 -, juris Rn. 5; VG Schwerin, Urt. v. 20.11.2015 - 15 A 1524/13 As -, juris Rn. 47; VG Hamburg, Urt. v. 10.09.2014 - 10 A 477/13 -, juris Rn. 37; Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, AsylG § 3b Rn. 2). Die Klägerin wird als Zugehörige zu der sozialen Gruppe der Frauen verfolgt.

b) Die Gefahr geht insoweit gem. § 3c Ziff. 3 AsylG von einem nichtstaatlichen Akteur aus, ohne dass der Staat oder eine sonstige Organisation in der Lage wäre, die Klägerin wirksam und dauerhaft zu beschützen im Sinne des § 3d Abs. 1, Abs. 2 AsylG.

Weder der Staat noch sonstige Stellen im Sinne des § 3d Abs. 1 Nr. 2 AsylG sind in der Lage, der Klägerin Schutz gem. § 3d Abs. 1, Abs. 2 AsylG zu bieten (so auch bereits VG Hamburg, Urt. v. 10.09.2014 - 10 A 477/13 -, juris Rn. 57). Das Justizsystem funktioniert in Afghanistan nur sehr eingeschränkt (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 5). Es herrscht ein Klima der Straflosigkeit (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfsafghanischer Asylsuchender, v. 19.04.2016, S. 28; SFH, Afghanistan Update: Die aktuelle Sicherheitslage, S. 15). Der Islamvorbehalt in der Verfassung, tradierte Moralvorstellungen, Einflussnahmemöglichkeiten durch Verfahrensbeteiligte und Unbeteiligte sowie Zahlungen von Bestechungsgeldern verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 12). Auch innerhalb der Polizei ist Korruption, Machtmissbrauch und Erpressung ortstypisch (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfsafghanischer Asylsuchender, v. 19.04.2016, S. 29). Gleichermaßen ist das Militär nicht frei von Bestechung (www.stuttgarter-nachrichten.de, Afghanisches Militär entlässt Hunderte Korruptionsverdächtige, v. 04.04.2017). Regierungsfeindliche Kräfte haben staatliche Stellen infiltriert (vgl. Dr. M. D., Antwort an das Nds. OVG v. 30.04.2013, S. 5). Auch Angst vor Strafaktionen von religiösen Extremisten führt zu polizeilicher Zurückhaltung (ACCORD, Dokumentation des Expertengespräches mit T. R. und M. D., v. 06.2016, S. 13 f.). Zudem ist das Justizwesen unterfinanziert und personell unterbesetzt (SFH, Afghanistan Update: Die aktuelle Sicherheitslage, S. 15). So findet etwa auch eine polizeiliche Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch an Jugendlichen und Kindern nicht statt (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 13) und auch die weit verbreitete Gewalt gegen Frauen und Mädchen bleibt üblicherweise straflos (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 66), ein staatlicher Schutz ist für Frauen im Regelfall nicht zu erlangen (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 69; BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 28). Dies gelte auch für internen Schutz (BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 28). Frauen und Mädchen, die vor Misshandlung oder drohender Zwangsheirat von zu Hause weglaufen, werden oftmals vager oder gar nicht definierter „moralischer Vergehen“ bezichtigt, einschließlich des Ehebruchs („zina“) oder des „von zu Hause Weglaufens“ (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 69). Während Frauen in diesen Situationen oftmals verurteilt und inhaftiert werden, bleiben die für die häusliche Gewalt oder Zwangsheirat verantwortlichen Männer nahezu grundsätzlich straflos (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 69). Auch auf lokale Machthaber ohne staatliche Befugnisse hat die Zentralregierung kaum Einfluss und kann sie nur begrenzt kontrollieren bzw. ihre Taten untersuchen und verurteilen, so dass Sanktionen häufig ausbleiben (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 17; vgl. auch SFH, Afghanistan Update: Die aktuelle Sicherheitslage, S. 15). Reiche Geschäftsleute leisten sich private Sicherheitsleute zur Verhinderung von Entführungen (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 17). Eine parallele Rechtsprechung einschließlich der damit verbundenen Strafsanktionen bis hin zu Exekutionen wird kaum bis gar nicht verfolgt (Auswärtiges Amt, Lagebericht v. 19.10.2016, S. 21; vgl. auch SFH, Afghanistan Update: Die aktuelle Sicherheitslage, S. 15 f.; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfsafghanischer Asylsuchender, v. 19.04.2016, S. 29). Täter von Menschenrechtsverletzungen werden selten zur Rechenschaft gezogen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, v. 19.04.2016, S. 29). In ländlichen Gebieten zeigen sich dabei deutlich mehr Schwächen als in städtischen (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfsafghanischer Asylsuchender, v. 19.04.2016, S. 28; SFH, Afghanistan Update: Die aktuelle Sicherheitslage, S. 15; ACCORD, Dokumentation des Expertengespräches mit T. R. und M. D., v. 06.2016, S. 17).

Die mangelnde Fähigkeit des afghanischen Staates zum Schutz von Zivilpersonen wird auch in der allgemeinen derzeitigen Sicherheitssituation in Afghanistan deutlich. Anfang Januar 2017 wurden bei zwei Bombenanschlägen vor dem Parlament in Kabul mehr als 20 Personen getötet worden (www.morgenpost.de, Bis zu 50 Tote bei drei Anschlägen in Afghanistan, v. 10.01.2017), bei einer weiteren Bombenexplosion gab es keine Verletzten (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). In Logar explodierte eine Bombe und in Nangarhar wurden bei einem Bombenanschlag acht Menschen verletzt sowie ein Arzt niedergeschossen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). In Kunduz wurden ein Vertreter der Sikhs und der Hindus erschossen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). Anfang Januar 2017 griffen Taliban in der Provinz Badakhshan einen Sicherheitskonvoi an (www.trt.net.tr, Taliban-Terror in Afghanistan v. 04.01.2017) und beschossen einen Bundeswehrhubschrauber (www.spiegel.de, Hubschrauber der Bundeswehr beschossen, v. 05.01.2017; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). In Faryab erschlugen Taliban einen Mann, in Logar wurde ein Anschlag auf einen Distriktspolizeichef verübt, in Ghazni wurde ein Mitarbeiter der Schulbehörde erschossen und in Helmand eine Polizistin; in Baghlan wurden Minenarbeiter getötet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). Weitere Bombenanschläge gab es in Jalalabad, Parwan und in Faryab (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 09.01.2017). Bei einer Explosion im Haus des Governeurs der Provinz Kandahar starben 11 Menschen (www.morgenpost.de, Bis zu 50 Tote bei drei Anschlägen in Afghanistan, v. 10.01.2017; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 16.01.2017), bei einem Anschlag auf ein Gästehaus der Sicherheitskräfte in Lashkar Gah (Helmand) starben sechs Personen (de.sputniknews.com, Afghanistan: Selbstmord-Anschlag auf Militärobjekt - Tote und Verletzte, v. 10.01.2017; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 16.01.2017). In Herat wurde ein Mitarbeiter eines Telekommunikationsunternehmens von den Taliban getötet und in Ferat zwei Frauen durch eine Explosion einer Bombe am Straßenrand (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 16.01.2017). Mitte Januar wurden in Nangarhar durch einen am Straßenrand versteckten Sprengsatz mehrere Zivilpersonen getötet (www.zeit.de, Sieben Zivilisten sterben durch Sprengsatz in Ost-Afghanistan, v. 15.01.2017), im Distrikt Kot wurde ein Polizist und elf Studenten getötet sowie 65 Häuser von IS-Kämpfern in Brand gesetzt und in Baghlan ein Regierungsmitarbeiter bei einem Anschlag verletzt (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 16.01.2017). Bei einem Häuserkampf zwischen den Taliban und US-Truppen in der Provinz Kunduz starben 33 Zivilpersonen (www.handelsblatt.de, 33 Zivilisten bei Gefecht mit Taliban getötet, v. 12.01.2017). Am 16. Januar 2017 setzten IS-Kämpfer in Kot (Nangarhar) weitere 20 Häuser in Brand (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 23.01.2017). Weiter starben in Kabul zwei Polizisten bei einem Bombenanschlag und in Farah zwei Kinder (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 23.01.2017). Ende Januar 2017 griffen Taliban das Polizeihauptquartier und das Bezirkszentrum von Sangin in der Provinz Helmand an (www.handelsblatt.de, Taliban stürmen berüchtigtes Bezirkszentrum, v. 30.01.2017), in Lashkar Gah starb ein Zivilist bei einem Raketenangriff und in Zabul starben bei einem Bombenanschlag 30 Militärangehörige (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 06.02.2017). In Ghazni explodierte eine Bombe, tötete einen Zivilisten und verletzte zwei weitere Personen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 30.01.2017). In Helmand wurde eine Klinik in Brand gesteckt und in Kandahar kam es zu einem Zwischenfall an der Grenze zu Pakistan (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 30.01.2017). In Logar wurde ein 19-jähriger von den Taliban enthauptet und in Zabul starben zwei Kinder bei der Explosion eines Blindgängers (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 30.01.2017). Am 1. Februar meldete Khaama Press einen Raketenangriff der Taliban auf die Verkehrsbehörde in Lashkar Gah und Angriffe auf Sicherheitsposten in Sangin (www.khaarma.com, Taliban attack Lashkar Gah with rockets following Abdullah’s visit). Die US-Streitkräfte flogen daraufhin eine Serie von Luftangriffen auf die Taliban in Helmand (www.handelsblatt.de, USA verstärken Luftangriffe auf Taliban v. 01.02.2017). Dabei soll es auch zu Opfern unter der Zivilbevölkerung gekommen sein (www.taz.de, Haben US-Soldaten Zivilisten getötet?, v. 10.02.2017). Dennoch eroberten die Taliban schließlich Ende März Sangin (derstandard.at, Taliban erobern strategisch wichtigen Bezirk Afghanistans, v. 23.03.2017). Im Distrikt Rodat in der Provinz Nangarhar liefern sich Einwohner Kämpfe mit dem IS und in Khost City starben fünf Polizisten sowie drei Schüler bei Bombenanschlägen; der Gouverneur von Kunar überlebte einen Angriff der Taliban (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 06.02.2017). Anfang Februar 2017 tötete ein Polizist im Norden Afghanistans acht Kollegen (www.zeit.de, Afghanischer Polizist tötet acht Kollegen, v. 03.02.2017). Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul wurden 22 Zivilpersonen getötet und 41 verletzt (www.handelsblatt.com, Mindestens 22 Tote bei Anschlag vor Gericht in Kabul, v. 07.02.2017) und in der Provinz Dschausdschan wurden sechs Mitarbeiter des Roten Kreuzes erschossen, zwei entführt (www.n-tv.de, Sechs Tote bei Überfall in Afghanistan IS soll Rot-Kreuz-Mitarbeiter ermordet haben, v. 08.02.2017). Bei einem Autobombenanschlag in Lashkar Gah sind mehr als 20 Soldaten verletzt oder getötet worden (www.orf.at, Tote und Verletzte bei Attentat in Afghanistan, v. 11.02.2017). Mitte Februar griffen Taliban in der Provinz Faryab das Dorf Gorsad an (www.merkur.de, Afghanistan: Zehn Tote bei Gefechten mit Taliban, v. 15.02.2017). In der Provinz Nangarhar starben bei einem Angriff auf einen Armeeposten im Bezirk Deh Bala 18 Soldaten und 40 IS-Kämpfer (www.n-tv.de, Gefechte im Osten Afghanistans IS-Kämpfer töten 18 Soldaten, v. 17.02.2017). Am 20. Februar 2017 wurde ein Wohnhaus in Laghman angegriffen und zehn Mitglieder einer Familie, darunter auch Frauen und Kinder, getötet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 27.02.2017). Einen Tag später wurde der Sohn eines Polizeichefs und ein Polizist in Faryab erschossen; in Ghazni und Sar-e-Pul konnten hingegen Anschläge verhindert werden (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 27.02.2017). In der Provinz Paktika wurden bei einem Bombenanschlag vier Menschen und in Laghman zwei Schüler durch eine Rakete, die eine Schule traf, getötet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 27.02.2017). Am 24. Februar 2017 wurden neun Mitglieder der Lokalpolizei, ein Kommandeur und seine Frau getötet, als sie eine Moschee verließen bzw. zum Anschlagsort hineilten (www.handelsblatt.com, Mindestens 13 Tote bei Angriffen von Extremisten, v. 25.02.2017). Ende Februar starteten die Taliban einen Angriff auf ein Bezirkszentrum in der Provinz Baghlan und überfielen einen Sicherheitsposten in der Provinz Helmand (www.nzz.ch, Taliban greifen Stadt Talawa Barfak an, v. 28.02.2017). Am 28. Februar 2017 wurden zwei Stammesälteste in Jalalabad ermordet, in der Provinz Nangarhar wurden acht Menschen, darunter zwei Kinder, bei einem Bombenanschlag verletzt und in Helmand auf dem Kandahar-Helmand Highway wurde ein Polizist durch eine Sprengfalle getötet (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 06.03.2017). In Kabul wurden zwei Anschläge verübt und in Laghman bei einem Angriff auf das Haus eines Polizeikommandeurs mindestens drei Personen getötet (derstandard.at, Taliban stürmen Bezirkszentrum in Nordafghanistan, v. 01.03.2017). Ziele der Angriffe in Kabul waren eine Polizeistation und ein Haus des Geheimdienstes (www.nwzonline.de, Serie von Talibanangriffen erschüttert Afghanistan, v. 02.03.2017). Dabei wurden 16 Personen getötet und 104 verletzt, darunter Frauen und Kinder (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 06.03.2017). Auf dem Paktia-Ghazni Highway haben Taliban Checkpoints errichtet und fordern Zoll (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 06.03.2017). Am 4. März wurde in Kandahar ein Parlamentsabgeordneter angeschossen und in der Provinz Farah starben mindestens acht Zivilpersonen, als ihr Wagen auf eine Bombe fuhr (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 06.03.2017). Anfang März kamen bei einem Angriff des IS auf ein Militärkrankenhaus 50 Menschen ums Leben (www.tagesspiegel.de, Schwere Explosion in Kabul, v. 13.03.2017). Wenige Tage später wurde der Militärflughafen in Khost angegriffen (de.sputniknews.com, Afghanistan: Bewaffnete stürmen Militärflughafen - Kämpfe dauern an, v. 11.03.2017). In der Provinz Sabl im Bezirk Naschwar wurden acht Polizisten von Kollegen getötet (www.zeit.de, Acht afghanische Polizisten bei sogenannter Insider-Attacke getötet, v. 11.03.2017). Am 13. März wurden bei der Explosion eines Kleinbusses acht Menschen getötet (www.tagesspiegel.de, Schwere Explosion in Kabul, v. 13.03.2017). Am 22. März tötete ein Polizist neun seiner Kollegen (derstandard.at, Taliban erobern strategisch wichtigen Bezirk Afghanistans, v. 23.03.2017). Bei einem Autobombenanschlag auf eine Wache in Helmand wurden sechs Sicherheitskräfte getötet und weitere verletzt (www.trt.net.tr, Selbstmordanschlag in Afghanistan, v. 21.03.2017). In Farah starben acht Polizisten bei einem Angriff der Taliban auf einen Wachposten (www.trt.net.tr, Taliban-Angriff in Afghanistan, v. 27.03.2017). Bei einem Angriff auf einen Armeeposten in Kandahar wurden mindestens fünf Soldaten und 22 Talibankämpfer getötet, 17 Soldaten werden zudem vermisst (www.spiegel.de, Mindestens 27 Tote nach Überfall auf Armeeposten, v. 28.03.2017).

Im ersten Quartal 2017 gab es nach einem Bericht der UNAMA insgesamt 2181 zivile Opfer, 715 Tote und 1466 Verletzte, davon 210 getötete - 17 Prozent mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum - und 525 verletzte Kinder (www.zeit.de, UNO: Ein Drittel der zivilen Todesopfer in Afghanistan Kinder, v. 27.04.2017).

Am 1. April 2017 wurde ein Mitglied des Provinzrates von Kapisa bei einem Bombenanschlag getötet, in Parwan kamen mehrere Menschen bei Landstreitigkeiten ums Leben und einen Tag später starben in Khost drei afghanische Soldaten und sechs Schüler bei einem Autobombenanschlag (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 03.04.2017). Bei einem Angriff Aufständischer auf zwei Dörfer in Darzab in der Provinz Dschuzdschan sind 13 Anhänger des IS von Sicherheitskräften getötet worden (german.cri.cn, 13 IS-Milizen in Afghanistan getötet, v. 11.04.2017). In Kunar sollen innerhalb von 24 Stunden 70 Raketen aus Pakistan eingeschlagen sein (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 03.04.2017). Im Bezirk Schimtal in der Provinz Balch starben neun Polizisten durch eine Bombe (www.salzburg.com, Bombenanschlag im Norden Afghanistans: Neun Polizisten tot, v. 09.04.2017). Vier Kinder starben beim Spielen mit einem Mörsergeschoss in Kasaban, Bezirk Tschrdara, Provinz Kunduz (www.abendblatt.de, Vier Kinder beim Spielen mit Mörser in Afghanistan getötet, v. 11.04.2017). In Kabul zündete ein Selbstmordattentäter in der Nähe des Präsidentenpalastes seine Sprengstoffweste inmitten von Ministeriumsangestellten (www.trt.net, Fünf Tote bei Selbstmordanschlag in Afghanistan, v. 12.04.2017). Bei einem Anschlag in der Provinz Kunduz wurde ein Armeegeneral getötet und bei einem Angriff der Taliban in Sar-i Pul seien drei Frauen und ein Kind erschossen worden (www.berliner-zeitung.de, Fünf Tote bei Taliban-Angriffen in Afghanistan, v. 17.04.2017). In der Provinz Helmand wurden durch eine Bombe am Straßenrand elf Zivilisten getötet und in der Provinz Ghazni zwei Frauen und zwei Kinder durch eine Rakete (www.tt.com, Mehr als 100 Tote in Afghanistan über Ostern, v. 17.04.2017). Bei einem Angriff der Taliban auf einen Armee-Stützpunkt in der Provinz Balch wurden 140 Soldaten getötet und 160 verletzt (www.spiegel.de, Taliban töten 140 Soldaten, v. 22.04.2017). Anfang Mai starben bei einem Selbstmordanschlag auf einen Militärkonvoi in Kabul acht Zivilpersonen (www.spiegel.de, Acht Tote bei Bombenanschlag in Kabul, v. 03.05.2017). Bei Gefechten an der afghanisch-pakistanischen Grenze wurden mehrere Menschen getötet und mehr als 70 verletzt (derstandard.at, Drei Tote bei Gefechten an afghanische-pakistanischer Grenze, v. 05.05.2017). Am 7. Mai wurde der Medienberater des Gouverneurs von Kandahar erschossen; einen Tag später starb in Khost eine Zivilperson durch einen Bombenanschlag (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 08.05.2017). Der Vorsitzende des Mullah-Rates der nordostafghanischen Provinz Parvan wurde durch eine Bombe während seines Religionsunterrichts getötet (www.tt.com, Hoher Religionsgelehrter in Afghanistan mit Matratzenbombe getötet, v. 09.05.2017). In Faryab starben bei Kämpfen zwischen den Taliban und dem IS 90 Kämpfer auf beiden Seiten, auch kam es zu Zusammenstößen in Nangarhar, bei den auch Zivilpersonen getötet wurden (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 08.05.2017).

c) Die Klägerin zu 4. ist auch nicht als Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder für die Allgemeinheit anzusehen (§ 3 Abs. 4 Halbsatz 2 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 8 AufenthG). Gleichsam liegen die Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2, Abs. 3 AsylG nicht vor.

d) Letztlich besteht für die Klägerin zu 4. in Afghanistan auch keine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylG. In allen Teilen ihres Herkunftslandes - die für die Klägerin bzw. ihre Familie in zumutbarer Weise in Betracht kommen würden - wäre ihre Furcht vor Verfolgung begründet und hätte sie keinen Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG (§ 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Das Gericht hat keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Bruder des Freundes ihres Vaters sie, ggf. über ihre Familie, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch an anderen Orten in Afghanistan, an denen es der Klägerin und ihrer Familie zumutbar wäre, sich niederzulassen, mithin in den großen Städten wie etwa Kabul oder Herat, finden würde.

Dies folgt für das Gericht aus den Umständen, dass der Bruder des Freundes des Klägers zu 1. nach den glaubhaften Angaben des Klägers zu 1. mit regierungsfeindlichen Kräften zumindest geschäftlich in Kontakt steht, insoweit auch in die Organisation von Waffentransporten involviert ist, und die Kläger nach ihrem Wegzug von Kabul nach Maidan Shar binnen weniger Tage aufgespürt hatte sowie in der Lage war, bewaffnete Personen zu einer Entführung der Klägerin zu 4. zu veranlassen.

Aufgrund der vorliegenden Erkenntnismittel geht das Gericht davon aus, dass eine Person, die in Afghanistan am gesellschaftlichen Leben teilnimmt, etwa durch Ausübung eines Berufes, aufgespürt werden kann, wenn sie gefunden werden soll (vgl. auch EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan - Strategien der Aufständischen: Einschüchterung und gezielte Gewalt gegen Afghanen, S. 40; vgl. auch ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Fähigkeit der Taliban, Personen (insbesondere Dolmetscher, die für die US-Armee gearbeitet haben) in ganz Afghanistan aufzuspüren und zu verfolgen (Methoden; Netzwerke)). Zwar bieten Großstädte aufgrund ihrer Anonymität einen gewissen Schutz. Jedoch kommt eine Beschaffung von Informationen über den Gesuchten und seinen Aufenthaltsort bei staatlichen Stellen in Betracht, etwa durch dort vorhandene Informanten, Bestechung oder Bedrohung und Erpressung (vgl. bereits oben zu § 3d AsylG). Daneben besteht für regierungsfeindliche Kräfte auch die Möglichkeit der Informationsbeschaffung mit Hilfe der Taliban (vgl. Dr. M. D., Antwort an das Nds. OVG v. 30.04.2013, S. 5). Diese verfügen grundsätzlich über Möglichkeiten, über ihre Netzwerke bestimmte Personen ausfindig zu machen (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 28.07.2014 - 9 LB 2/13 -, juris Rn. 30; nach Bay. VGH, Beschl. v. 14.02.2017 - 13a ZB 17.30010 -, juris Rn. 5 kommt es auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an) bzw. unterhalten Informationszentren (Dr. M. D., Antwort an das Nds. OVG v. 30.04.2013, S. 5). Auch hängen die Chancen von Rückkehrern auch von ihren familiären und sozialen Netzwerken ab (Dr. K. L., Gutachterliche Stellungnahme an das OVG Rheinland-Pfalz v. 08.06.2011, S. 10, 14) bzw. von einer Vermittlung durch Stammes- oder Clanangehörige (Dr. K. L., Gutachterliche Stellungnahme an das OVG Rheinland-Pfalz v. 08.06.2011, S. 11, 14), was ein völliges Abtauchen in der Anonymität jedenfalls erschwert.

Zwar stellte bereits im Zeitraum zwischen 2003 und 2012 (vgl. EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan - Strategien der Aufständischen: Einschüchterung und gezielte Gewalt gegen Afghanen, S. 18) das Aufspüren von weniger bekannten Personen in Kabul für die Aufständischen keine Priorität dar, auch wenn sie dazu die Möglichkeit gehabt haben (EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan - Strategien der Aufständischen: Einschüchterung und gezielte Gewalt gegen Afghanen, S. 40; vgl. auch ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Fähigkeit der Taliban, Personen (insbesondere Dolmetscher, die für die US-Armee gearbeitet haben) in ganz Afghanistan aufzuspüren und zu verfolgen (Methoden; Netzwerke)). Auch in Herat und Masar-e Scharif bestand für weniger bekannte Personen nur ein geringes Risiko in das Visier von Aufständischen zu geraten (EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan - Strategien der Aufständischen: Einschüchterung und gezielte Gewalt gegen Afghanen, S. 40). Dementsprechend kann sich eine Person, die ihre Tätigkeit aufgegeben und sich in einem sichereren Gebiet niedergelassen hat, grundsätzlich auch weiterer Bedrohungen oder Gewaltakten entziehen (vgl. EASO, Informationsbericht über das Herkunftsland Afghanistan - Strategien der Aufständischen: Einschüchterung und gezielte Gewalt gegen Afghanen, S. 40; VG München, Urt. v. 26.11.2015 - M 9 K 14.30990 -, juris Rn. 18).

Jedoch besteht bei dem Bruder des Freundes des Klägers zu 1., von dem der Klägerin zu 4. Verfolgung droht, ein gesteigertes Interesse daran, sie zu finden und zu heiraten bzw. für ihre Flucht vor einer Heirat mit ihm zu bestrafen. Dies folgt aus dem von den Klägern glaubhaft geschilderten Verfolgungsgeschehen und der daraus resultierten Flucht der Klägerin vor einer Heirat als ehrverletzendem Verhalten, dass in Afghanistan schwerste Sanktionen nach sich ziehen kann (vgl. bereits die obigen Ausführungen zur Situation von Frauen in Afghanistan). Eine Verletzung der Ehre wiegt in Afghanistan nicht weniger schwer als die Tötung einer Person (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen, v. 23.02.2017). Auch gerade nach der erfolgten Flucht wird der Bruder des Freundes des Klägers zu 1. an einer Umsetzung der Heirat oder zumindest an entsprechenden Sanktionen zur Gesichtswahrung und damit verbunden zur Erhaltung einer entsprechenden Machtstellung ein besonderes Interesse haben. Jedenfalls auch der Kläger zu 1. müsste zur Versorgung der Familie auch wieder eine berufliche Tätigkeit aufnehmen und damit auch am öffentlichen Leben teilnehmen, was ein Aufspüren erleichtern würde.

2. Die Kläger zu 1. bis 3. haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Zwar droht den Klägern zu 1. und 3. - anders als der Klägerin zu 2. - Verfolgung im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG (dazu a)), jedoch nicht wegen eines Verfolgungsgrundes im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG (dazu b); a.A. hinsichtlich des Ehemannes wohl VG Augsburg, Urt. v. 21.01.2011 - Au 6 K 10.30586 -, juris Rn. 25).

a) Das Gericht ist unter Zugrundelegung der vorliegenden Erkenntnismittel davon überzeugt, dass auch die Kläger zu 1. und 3. bei einer Rückkehr nach Kabul (oder Maidan Shar) durch den Bruder des Freundes des Klägers zu 1. wegen der mit der vereitelten Heirat der Klägerin zu 4. verbundenen Ehrverletzung physische Gewalt bis hin zu einer Tötung, mithin eine Verfolgung im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b AsylG erwartet.

Angriffe auf die Ehre oder die körperliche Integrität einer Person erfordern in Afghanistan eine Rachereaktion, um das ursprüngliche Gleichgewicht zwischen den Personen und Gruppen („badal“) sowie die Ehre wieder herzustellen; daraus kann sich eine Blutfehde entwickeln (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen, v. 23.02.2017, S. 3). Ein Ehrverletzung kann auch darin gesehen werden, dass der Ehepartner ohne Zustimmung der jeweiligen Familien ausgewählt wurde (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen, v. 23.02.2017, S. 6). Konflikte durch leichtere Ehrverletzungen, wie etwa das Anstarren einer Frau, können auch friedlich gelöst werden (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen, v. 23.02.2017, S. 4). Der Begriff der „Blutfehde“ rührt daher, dass die Racheakte von blutsverwandten Familiengruppen durchgeführt werden; Verwandte in männlicher (patrilinearer) Linie der geschädigten bzw. entehrten Person gehen gegen den Täter selbst oder einen von dessen Verwandten in männlicher Linie vor (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen, v. 23.02.2017, S. 3). Unter Berücksichtigung des Paschtunwali muss sich die Rache grundsätzlich gegen den Täter oder einen Verwandten, der aus der väterlichen Linie stammt, richten; gegen Frauen und Kinder (Mädchen und Buben) richten sich Racheakte grundsätzlich nicht (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen, v. 23.02.2017, S. 3 f. ; vgl. aber für Kinder VG Gelsenkirchen, Urt. v. 07.08.2014 - 5a K 2573/13.A -, juris Rn. 43, 53 unter Bezugnahme auf ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Informationen zur Praxis der Blutrache (Tötung des Vaters bzw. der jüngeren Geschwister des (vermeintlichen) Täters; Blutrache auch ohne Austausch von Intimitäten zwischen zwei Minderjährigen, die sich regelmäßig getroffen haben); 2) Fälle von Blutrache bzw. Ehrenmorden in der Provinz Baglan). Allerdings sind Fälle bekannt, in denen sowohl die regierungsnahen als auch die regierungsfeindlichen Kräfte Kinder entführen, teilweise verbunden mit Hinrichtungen oder Vergewaltigungen, als Bestrafung der Familien bzw. als Vergeltungsakte (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 80). Die Unfähigkeit, eine Tat zu vergelten, wird als Zeichen moralischer Schwäche angesehen und kann zur Wahrnehmung führen, dass es der ganzen Verwandtschaftsgruppe an moralischem Charakter fehle (Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen, v. 23.02.2017, S. 5). Der Betroffene kann sein soziales Prestige verlieren (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Informationen zu Blutrache, v. 25.08.2014, S. 1). Auch sowohl das Wenden an Behörden als auch das Verhandeln mit der Familie des Täters über eine finanzielle Kompensation kann als Schwäche und Unvermögen der Familie interpretiert werden, ihre Ehre zu verteidigen (vgl. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Informationen zu Blutrache, v. 25.08.2014, S. 2).

Ehrverletzungen, wie etwa außerehelicher Geschlechtsverkehr, können nach der Einschätzung von Thomas R. gleichsam wie Mord eine Blutrache bzw. „badal“ (Austausch) zwischen den beteiligten Familien auslösen (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen, v. 23.02.2017, S. 2). Als Streitbeilegung kommt bei außerehelichem Geschlechtsverkehr aber auch eine Heirat in Betracht; in Städten und unter Hazara und Tadschiken herrscht insoweit eine höhere Verhandlungsbereitschaft (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen, v. 23.02.2017, S. 5). Der UNHCR geht davon aus, dass Auslöser für Blutfehden neben Mord auch die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streit um Land, Wasser oder Eigentum sein können (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen, v. 23.02.2017, S. 3). Nach einem ehemaligen Mitarbeiter des UNHCR komme eine Blutfehde in Betracht, wenn die (Ehre) der Ehefrau, das Eigentum oder das Recht auf Wasser und Land verletzt werde, wobei dieses Phänomen vor allem unter paschtunischstämmigen Afghanen zu beobachten sei  (vgl. auch ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Informationen zu Blutrache, v. 25.08.2014, S. 3), allerdings auch bei Usbeken oder Tadschiken vorkomme (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: 1) Zielen Rachehandlungen wegen vorehelichem Geschlechtsverkehr nur auf den „Täter" ab oder können auch andere Mitglieder seiner Familie zum Ziel werden?; 2) Möglichkeit, bei staatlichen Stellen um Schutz vor Rachehandlungen anzusuchen, v. 23.02.2017, S. 2).

Danach ist das Gericht davon überzeugt, dass den Klägern zu 1. und 3. als männliche Familienangehörige der Klägerin zu 4. schwere körperliche Vergeltungsmaßnahmen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen, zumal der Kläger zu 1. gegenüber dem Bruder seines Freundes angekündigt hatte, die Klägerin zu 4. ihm zu übergeben und dem Kläger zu 1. darüber hinaus die Ehrverletzung auch als Familienoberhaupt zugeschrieben werden könnte. Der Kläger zu 3. ist ein Verwandter des Klägers zu 1. in väterlicher Linie und seine Verschonung ist auch nicht aufgrund seines Alters von 17 Jahren zu erwarten.

Hinsichtlich der Klägerin zu 2. ist das Gericht unter Berücksichtigung der vorliegenden - und oben bereits dargelegten - Erkenntnismittel nicht davon überzeugt, dass ihr als weibliches Familienmitglied bei einer Rückkehr nach Kabul (oder Maidan Shar) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, mithin ihre Furcht vor Verfolgung begründet ist.

b) Das Gericht ist jedoch nicht davon überzeugt, dass die drohenden Vergeltungsmaßnahmen - wie von § 3a Abs. 3 AsylG vorausgesetzt - an einen Verfolgungsgrund im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 3b AsylG anknüpfen. Die drohenden Sanktionen dürften vielmehr auf der Mitwirkung der Kläger zu 1. und 3. an der Verhinderung der Heirat der Klägerin zu 4. und der damit verbundenen Ehrverletzung des Bruders des Freundes des Klägers zu 1. beruhen.

Soweit die Kläger in der mündlichen Verhandlung insoweit die Auffassung vertraten, dass die Kläger zu 1. bis 3. als Familie eines Mädchens, dass zwangsweise verheiratet werden solle, eine soziale Gruppe im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG bilden, folgt das Gericht dem nicht. Nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG (§ 3b Nr. 4 AsylG entspricht insoweit (weitestgehend) § 10 Abs. 1 Buchst. d) Richtlinie 2004/83/EG sowie § 10 Abs. 1 Buchst. d) Richtlinie 2011/95/EU) gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, wenn (a)) die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und (b)) die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird; als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft. Beide Voraussetzungen (a) und b)) müssen demnach kumulativ vorliegen (EuGH, Urt. v. 07.11.2013 - C-199/12 bis 201/12, C-199/12, C-200/12, C-201/12 -, juris Rn. 45). Der den Klägern zu 1. und 3. drohende Schaden bzw. die ihnen drohende Verfolgung knüpft an ein Tun, ihre Verhinderung einer Heirat der Klägerin zu 4., an. Dieses Verhalten, beruhend auf einer bestimmten inneren Haltung, führt nicht zum Entstehen einer bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG, insbesondere zu einer solchen auch von außen wahrnehmbaren, die Gruppe abgrenzende und zugleich prägende Identität (Bay. VGH, Beschl. v. 14.08.2008 - 15 ZB 07.30176 -, juris Rn. 3 zu Gewerbetreibenden und Unternehmern), weil sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet würden und sie stellen damit auch keine fest umrissene Gruppe dar (vgl. dazu OVG Hamburg, Urt. v. 22.04.2010 - 4 Bf 220/03.A -, juris Rn. 58 zu Djoula - Côte d’Ivoire). Anderenfalls würde jeder verhaltensbedingte Anlass, der eine Verfolgung mehrerer Personen nach sich zieht, zu der Entstehung einer solchen Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG führen, die aus Personen bestehen würde, die durch ihr Verhalten den Anlass für eine Verfolgung geboten haben. Die Verfolgung würde nicht an einer bestimmte (bestehende) Gruppe anknüpfen, sondern die Gruppe würde durch die (drohende) Verfolgung erst entstehen. In der Folge würden beispielsweise die Personen, die ohne Erlaubnis Äpfel von einem Grundstück entwendet haben und deshalb von dem Eigentümer bestraft werden sollen, eine solche Gruppe bilden. Insbesondere im Hinblick auf die weiteren in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe würde dies zu weit führen. Soweit sich die Kläger auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt vom 4. Juli 2012 (Az. 1 K 1783/11.F.A.) berufen, in der von einer Gruppe derjenigen die Rede ist, die verfolgt werden, weil sie anderen Personen Hilfe leisten, die selbst wegen eines Verfolgungsmerkmals verfolgt werden („Gruppe der Helfer“), teilt das erkennende Gericht diese Auffassung nicht. Insoweit fehlt es an einer von außen wahrnehmbaren fest umrissenen Gruppe.

Zwar ist insoweit auch denkbar, dass den Klägern zu 1. und 3. aufgrund ihres Verhaltens eine bestimmte politische, von ihrem Verfolger abweichende und diese Überzeugung ablehnende Grundhaltung (§§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG) zugeschrieben wird, § 3b Abs. 2 AsylG, woraus sich eine politische Verfolgung (vgl. hierzu Hailbronner, Asylrecht, Kommentar, Stand: April 2016, § 3b Rn. 40 f., 44) ergeben könnte. Konkrete Anhaltspunkte hierfür, die zu einer entsprechenden Überzeugungsbildung des Gerichts führen würden, sind jedoch nicht ersichtlich. Mindestens genauso gut ist insoweit denkbar und wahrscheinlich, dass die Kläger zu 1. und 3. für ihr Verhalten und die damit verbundene Ehrverletzung „einfach“ bestraft werden sollen.

3. Den Klägern zu 1. und 3. steht allerdings der hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gem. § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m.§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu, weil sie stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht haben, dass ihnen im Herkunftsland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (OVG NRW, Urt. v. 26.08.2014 - 13 A 2998/11.A -, juris Rn. 34) ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 AsylG durch einen in § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG genannten Akteur droht.

Als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose ist grundsätzlich auf die Herkunftsregion abzustellen; etwas anderes gilt allerdings jedenfalls dann, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben (BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 14). Prognosemaßstab für den Schaden ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit (OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26.08.2014 - 13 A 2998/11.A -, juris Rn. 34). Dabei spricht bei einem Schutzsuchenden, der bereits einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hatte, eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass er erneut von einem solchen Schaden bedroht ist, ohne dass hierdurch jedoch der Wahrscheinlichkeitsmaßstab geändert würde (BVerwG, Urt. v. 07.09.2010 - 10 C 11/09 -, juris Rn. 14 f.; Urt. v. 17.04.2010 - 10 C 5/09 -, juris Rn. 19 f., 22 f.). Diese Vermutung kann widerlegt werden, indem stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit des Eintritts eines solchen Schadens entkräften (BVerwG, Urt. v. 17.04.2010 - 10 C 5/09 -, juris Rn. 23).

Die Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG und seiner Begriffe orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden EMRK), wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf (Nds. OVG, Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 24 zu § 4 AsylVfG; BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.). Ob eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs von den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls ab, wie etwa der Art und dem Kontext der Fehlbehandlung, der Dauer, den körperlichen und geistigen Auswirkungen, sowie - in einigen Fällen - vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 13; Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 25 unter Bezugnahme auf EGMR, Urt. v. 04.11.2014, - 29217/12, Tarakhel ./. Switzerland - HUDOC Rn. 94). Eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK hat der EGMR etwa dann angenommen, wenn sie unter anderem geplant war, ohne Unterbrechung über mehrere Stunden erfolgte und körperliche Verletzungen oder ein erhebliches körperliches oder seelisches Leiden bewirkte (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 13; Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 25; jeweils unter Bezugnahme auf EGMR, Urt. v. 09.07.2015 - 32325/13, Mafalani ./. Croatia - HUDOC Rn. 69 m.w.N.). Von einer erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK ist der EGMR ausgegangen, wenn sie bei dem Opfer Gefühle der Angst, seelischer Qualen und der Unterlegenheit hervorruft, wenn sie das Opfer in dessen oder in den Augen anderer entwürdigt und demütigt, und zwar unabhängig davon, ob dies beabsichtigt ist, ferner, wenn die Behandlung den körperlichen oder moralischen Widerstand des Opfers bricht oder dieses dazu veranlasst, gegen seinen Willen oder Gewissen zu handeln sowie dann, wenn die Behandlung einen Mangel an Respekt offenbart oder die menschliche Würde herabmindert (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 13; Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 25; jeweils unter Bezugnahme auf EMGR, Urt. v. 03.09.2015 - 10161/13, M. und M. ./. Croatia - HUDOC Rn. 132). Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit (Nds. OVG, Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 26).

Wie oben zu § 3 Abs. 1 AsylG bereits ausgeführt ist das Gericht davon überzeugt, dass den Klägern zu 1. und 3. als männliche Familienmitglieder der Klägerin zu 4. bei einer Rückkehr nach Maidan Shar oder nach Kabul durch den Bruder des Freundes des Klägers zu 1. wegen der mit der vereitelten Heirat der Klägerin zu 4. verbundenen Ehrverletzung erhebliche physische Gewalt und mithin jedenfalls eine unmenschliche Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.

Auch ist weder der afghanische Staat oder sonstige Organisationen in der Lage, die Kläger zu 1. und 3. vor dem in Afghanistan drohenden Schaden zu schützen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. §§ 3c Nr. 3, 3d AsylG), noch steht ihnen eine inländische Fluchtalternative (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3e AsylG) zur Verfügung. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen zu dem Anspruch der Klägerin zu 4. verwiesen, die auch hinsichtlich der Kläger zu 1. und 3. gelten.

4. Der Klägerin zu 2. steht auch nicht der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gem. § 60 Abs. 2 AufenthG i.V.m.§ 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu, weil sie keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihr im Herkunftsland ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 AsylG durch einen in § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3 c AsylG genannten Akteur droht.

Das Gericht ist - wie oben bereits ausgeführt - nicht davon überzeugt, dass die Klägerin zu 2. bei einer Rückkehr nach Kabul (oder Maidan Shar) als weibliches Familienmitglied mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG erwartet. Auch droht ihr bei einer Rückkehr nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung ihrer Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Für eine solche Annahme müssen stichhaltige Gründe vorliegen (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; Beschl. v. 26.08.2016 - 9 ME 146/16 -, n.v.). Bezugspunkt für die Gefahrenprognose ist der tatsächliche Zielort des Betroffenen bei einer Rückkehr, damit in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 13, 16; Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, juris Rn.16). Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob er auf internen Schutz in einer anderen Region des Landes verwiesen werden kann (BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 14, 19, 32; vgl. auch OVG NRW, Beschl. v. 09.03.2017 - 13 A 2575/16.A -, juris Rn. 17), vgl. § 3 e AsylG.

Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG liegt jedenfalls vor, wenn bewaffnete Konflikte im Hoheitsgebiet eines Staates zwischen dessen Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebietes des Staates ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen (und das Zusatzprotokoll II vom 8. Juni 1977 - zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (BGBl 1990 II S. 1550 <1637>) anzuwenden haben), nicht hingegen bereits bei Fällen innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und anderen ähnlichen Handlungen (BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 4/09 -, juris Rn. 23). Aber auch etwa Bürgerkriege und Guerilla-Kämpfe können einen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellen, wenn sie ein gewisses Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen (BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 4/09 -, juris Rn. 23). Für das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts kann es hinsichtlich des Organisationsgrades bei einer Gesamtwürdigung der Umstände auch genügen, dass die Konfliktparteien in der Lage sind, anhaltende und koordinierte Kampfhandlungen von solcher Intensität und Dauerhaftigkeit durchzuführen, dass die Zivilbevölkerung davon typischerweise erheblich in Mitleidenschaft gezogen wird. Entsprechendes dürfte auch für das Erfordernis gelten, dass die den staatlichen Streitkräften gegenüberstehende Konfliktpartei eine effektive Kontrolle über einen Teil des Staatsgebietes ausüben muss (BVerwG, Urt. v. 27.04.2010 - 10 C 4/09 -, juris Rn. 23).

Vorliegend kann dahinstehen, ob in der Heimatprovinz der Klägerin ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG herrscht, weil jedenfalls nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ihr Leben oder ihre Unversehrtheit in Kabul infolge willkürlicher Gewalt bedroht sind. In der Region Kabul geht nicht für eine Vielzahl von Zivilpersonen eine allgemeine Gefahr aus, die sich in der Person der Klägerin so verdichtet, dass sie für diese eine erhebliche individuelle Gefahr (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, juris Rn. 17) bzw. Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG darstellt.

Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben, wie etwa einer berufsbedingten Nähe zu einer Gefahrenquelle oder einer bestimmten religiösen Zugehörigkeit (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, juris Rn. 18; Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris). Wenn solche individuellen gefahrerhöhenden Umstände fehlen, kann eine entsprechende Individualisierung ausnahmsweise auch bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, juris Rn. 19 m.w.N.; OVG NRW, Beschl. v. 09.03.2017 - 13 A 2575/16.A -, juris Rn. 13; Nds. OVG Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; Beschl. v. 26.08.2016 - 9 ME 146/16 -, n.v.; Beschl. v. 14.04.2016 - 9 LA 57/16 -, n.v.; Beschl. v. 28.09.2015 - 9 LA 247/14 -, n.v.). Dies setzt aber ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt voraus (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, juris Rn. 19; Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; Beschl. v. 14.04.2016 - 9 LA 57/16 -, n.v.; Beschl. v. 28.09.2015 - 9 LA 247/14 -, n.v.). Permanente Gefährdungen der Bevölkerung und schwere Menschenrechtsverletzungen im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts reichen für sich allein nicht aus (BVerwG, Urt. v. 13.02.2014 - 10 C 6/13 -, juris Rn. 24; Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; Beschl. v. 28.09.2015 - 9 LA 247/14 -, n.v.). Dies gilt auch bei heftigen Auseinandersetzungen zwischen der afghanischen Armee und aufständischen Gruppen, die auch die Zivilbevölkerung durch Massenentführungen, Vertreibungen, Kämpfe in bewohnten Gebieten oder Angriffe auf Dörfer im Mitleidenschaft ziehen (Nds. OVG, Beschl. v. 14.04.2016 - 9 LA 57/16 -, n.v.). Für die Bestimmung der Gefahrendichte hat eine quantitative Ermittlung der Verletzten und getöteten Zivilpersonen im Verhältnis zur Einwohnerzahl (Gewaltniveau) und daneben auch eine wertende Gesamtbetrachtung jedenfalls auch im Hinblick auf die medizinische Versorgungslage zu erfolgen (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, juris Rn. 23; Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; Beschl. v. 26.08.2016 - 9 ME 146/16 -, n.v.; Nds. OVG, Beschl. v. 28.09.2015 - 9 LA 247/14 -, n.v.). Das Risiko einer Zivilperson von 1:800 (bezogen auf ein Jahr) verletzt oder getötet zu werden ist dabei weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit eines ihr drohenden Schadens entfernt (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011 - 10 C 13/10 -, juris Rn. 23; vgl. auch Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris; Beschl. v. 28.09.2015 - 9 LA 247/14 -, n.v.). In diesem Fall vermag sich auch eine wertende Gesamtbetrachtung regelmäßig im Ergebnis nicht auszuwirken (Bay. VGH, Beschl. v. 17.01.2017 - 13a ZB 16.30182 -, juris Rn. 7 m.w.N.).

Bei der Klägerin liegen keine solchen persönlichen gefahrerhöhenden Umstände vor und in der Region Kabul ist auch nicht praktisch jede Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt. In Kabul kommt es zwar immer wieder zu Anschlägen, von denen auch Zivilpersonen betroffen sind. Die Wahrscheinlichkeit für Zivilperson dort verletzt oder getötet zu werden ist jedoch nicht so hoch, dass jeder Zivilperson aus Kabul subsidiärer Schutz zuzuerkennen wäre.

Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes mit Stand September 2016 (S. 4 unter Verweis auf den UNAMA-Bericht von Juli 2016 über den Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt) hat es in Afghanistan im ersten Halbjahr 2016 mit 1.601 getöteten und 3.565 verletzten Zivilisten einen Anstieg von 4 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum gegeben, mit der Folge der höchsten Zahl seit Beginn der Erfassungen im Jahr 2009. Ende 2015 hatte die Anzahl der zivilen Opfer mit 11.002 einen neuen Höchststand erreicht (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S.6). 70 % der Opfer werden den Taliban und anderen bewaffneten Gruppen zugerechnet, was insoweit einen Rückgang um 3 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum bedeutet (Amnesty Report 2016 Afghanistan, S. 1, 2), auch wenn die Opferzahl insgesamt um 4 % gestiegen ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 6). Im ersten Halbjahr 2016 hat die Verantwortlichkeit regierungsfeindlicher Gruppen für zivile Opfer 60 % (966 Tote und 2.116 Verletzte) betragen, was eine Zunahme um 11 % gegenüber dem Vorjahr bedeutet (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 19.09.2016). Im Zeitraum Mitte Mai bis Mitte August 2016 konzentrierten sich die Taliban darauf, die Regierungskontrolle in den Provinzen Baghlan, Kunduz, Takhar, Faryab, Jawzjan und Uruzgan zu bekämpfen (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, v 19.09.2016). 68,1 % der landesweiten Vorfälle konzentrierten sich auf die südlichen, südöstlichen und östlichen Regionen (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 19.09.2016), im vierten Quartal noch 66 %; die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle erhöhte sich gegenüber dem Vergleichszeitraum im Vorjahr um 9 %, in den Monaten Januar bis Oktober um 22 % (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, v. 19.12.2016). Im Herbst 2016 übten die Taliban ohne anhaltenden Erfolg Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz aus (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, v. 19.12.2016). Auch Anfang Januar 2017 griffen die Taliban erneut Helmand an (Neue Züricher Zeitung, Online-Ausgabe v. 02.01.2017). Am 5. Mai 2017 eroberten die Taliban in der Provinz Kunduz den Distrikt Kala-i-Sal (Handelsblatt, Taliban erobern Distrikt nahe Kundus, v. 06.05.2017). Am 06. Mai 2017 haben die Taliban den Distrikt Zibak in der Provinz Badakhshan eingenommen; in der Provinz Nuristan belagern die Tailban den Distrikt Want Waigal (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 08.05.2017). Die Sicherheitskräfte gehen weiterhin gegen die Taliban und IS-Kämpfer vor (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, v. 19.09.2016). So konnten sie auch die Bezirkshauptstadt von Kala-i-Sal nach wenigen Tagen zurückerobern (www.handelsblatt.com, Regierung erobert Bezirkszentrum von Taliban, v. 16.05.2017). Die Bevölkerungszentren und Hauptverkehrsstraßen in Afghanistan werden von den afghanischen Sicherheitskräften (ANDSF), abgesehen von kurzzeitigen Störungen durch die regierungsfeindlichen Kräfte, kontrolliert, wenn die ANDSF auch Defizite unter anderem in der Führung, strategischer und taktischer Planungsfähigkeit, Aufklärung und technischer Ausstattung aufweisen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 6). So behält die afghanische Regierung die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, die Provinzhauptstädte, fast alle Distriktszentren (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Bundesrepublik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 29.07.2016, S. 38; vgl. für Kabul auch Nds. OVG, Beschl. v. 27.04.2016 - 9 LA 46/16 -, n.v.) und die größeren Provinzzentren (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 3). Die Provinzhauptstädte konnten auch im vierten Quartal 2016 gesichert werden, wenn es auch zu intensiven bewaffneten Zusammenstößen gekommen ist (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 19.12.2016). Dort leben ca. zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung (BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 14). Allerdings standen bis Mitte November 2016 lediglich 233 von 407 Distrikten unter Kontrolle oder Einfluss der Regierung, mithin 15 % weniger als im Jahr 2015; die Aufständischen üben Anfang des Jahres 2017 in 41 Distrikten in 15 Provinzen (insbesondere in Helmand, Uruzgan, Kandahar und Zabul) die Kontrolle oder ihren Einfluss aus, die übrigen sind umkämpft (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 06.02.2017). Von den ca. 32 Millionen Einwohnern Afghanistans leben ca. 20,4 Millionen in Gebieten unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss und 2,5 Millionen in von Aufständischen beeinflussten Gebieten (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 06.02.2017). In den meisten der sieben Bezirke in der Provinz Kundus hält die Regierung lediglich mehr das Bezirkszentrum; die Eroberung von Kunduz ist ein Hauptziel der Taliban (www.handelsblatt.com, Regierung erobert Bezirkszentrum von Taliban, v. 16.05.2017). Die Taliban kontrollieren etwa auch den Kunduz-Khanabad Highway (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 08.05.2017). Die afghanischen Sicherheitskräfte sind im Allgemeinen fähig, die größeren Bevölkerungszentren effektiv zu beschützen bzw. verwehren es den Taliban, für einen längeren Zeitraum Einfluss in einem Gebiet zu halten (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Bundesrepublik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 29.07.2016, S. 38), bedürfen aber der Unterstützung durch internationale Sicherheitskräfte, die auch erfolgt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 4). Eine Koalition von 40 Staaten leistet weiterhin Ausbildung, Beratung und Unterstützung; auch die USA sind weiterhin mit einer Anti-Terror-Mission in Afghanistan präsent (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 6; vgl. etwa n-tv.de, IS-Anführer stirbt bei US-Drohnenangriff v. 19.11.2016). Auch Deutschland hat den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan verlängert (www.handelsblatt.com, Regierung verlängert Afghanistan Einsatz v. 15.12.2016). 941 Soldaten der Bundeswehr beraten im April 2017 die afghanischen Sicherheitskräfte, bilden sie aus, unterstützen die Führung und leisten logistische Hilfe (www.zeit.de, Was macht die Bundeswehr in Afghanistan?, v. 22.04.2017). 13.000 internationale Soldaten werden in Afghanistan stationiert bleiben (Schweizer Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update Die aktuelle Sicherheitslage vom 30.09.2016, S. 6; vgl. auch www.wallstreet-online.de, Nato-Chef Stoltenberg erwägt Truppen-Aufstockung in Afghanistan, v. 30.04.2017), allein 8.400 Soldaten der US-Streitkräfte (vgl. www.tt.com, US-Behörde: Afghanische Armee musste 2016 noch höhere Verluste hinnehmen, v. 01.02.2017). Die Truppenstärke der afghanischen Nationalarmee (ANA) betrug Mitte des Jahres 2015 etwa 157.000 (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Bundesrepublik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 05.10.2016, S. 137), die der afghanischen Sicherheitskräfte Anfang des Jahres 2017 insgesamt 316.000 (www.tt.com, US-Behörde: Afghanische Armee musste 2016 noch höhere Verluste hinnehmen, v. 01.02.2017) bzw. 352.000 (www.handelsblatt.de, Mehr Spezialkräfte im Kampf gegen die Taliban, v. 03.04.2017). 7 % davon sind Eliteeinheiten, die rund 40 % aller Gefechte bestritten hätten; das afghanische Militär will die Zahl dieser Spezialkräfte bis 2020 verdoppeln (www.handelsblatt.de, Mehr Spezialkräfte im Kampf gegen die Taliban, v. 03.04.2017). Von Januar bis November 2016 wurden 6.785 Soldaten und Polizisten getötet sowie 11.777 verletzt, mithin 35 % mehr als im Vorjahr (www.tt.com, US-Behörde: Afghanische Armee musste 2016 noch höhere Verluste hinnehmen, v. 01.02.2017). Der US-Präsident hat mehr Unterstützung für die Sicherheit Afghanistans angekündigt (www.zeit.de, Trump will Afghanistan stärker unterstützen v. 03.12.2016). Anfang des Jahres 2017 entsandten die Vereinigten Staaten von Amerika rund 300 Marinesoldaten in die Provinz Helmand, um die einheimischen Sicherheitskräfte im Kampf gegen die Taliban auszubilden (www.faz.net, Amerika schickt Marinesoldaten nach Afghanistan, v. 07.01.2017; www.berlinjournal.biz, 300 US-Soldaten auf dem Weg nach Afghanistan, v. 20.04.2017). Nach einem Bericht des amerikanischen Pentagons haben die afghanischen Streitkräfte - wenn auch unbeständige - Fortschritte gemacht; sie konnten mehrere große Taliban-Angriffe abwehren und verlorenes Territorium rasch wieder zurückgewinnen (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, v. 19.12.2016). Alle acht Angriffe der Taliban auf Städte sind gescheitert (www.tt.com, US-Behörde: Afghanische Armee musste 2016 noch höhere Verluste hinnehmen, v. 01.02.2017). Die afghanischen Sicherheitskräfte führten zahlreiche Militäroperationen durch und konnten auch die Schlüsselbereiche des Distrikts Ghormach von den Taliban wieder zurück erobern; mit einer groß angelegten Militäroperation soll die Provinz Kunduz von Aufständischen befreit werden (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, v. 19.12.2016). In den Provinzen Nangarhar und Kunar wurden Operationen gegen den „Islamischen Staat in der Provinz Khorasan“ (ISIL-KP) durchgeführt (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 19.12.2016). In den Monaten November, Dezember 2016 und Januar 2017 gab es in Nangarhar 81 Militäroperationen, bei denen 251 Aufständische getötet und 184 gefangen genommen wurden (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 23.01.2017).

Anfang Januar 2017 wurde bei einem Sondereinsatz des afghanischen Geheimdienstes ein führender Al-Kaida Kommandeur getötet (orf.at, Führender Al-Kaida-Kommandeur in Afghanistan getötet, v. 19.02.2017). Mitte Januar 2017 zerstörten Sicherheitskräfte eine Bombenwerkstatt der Taliban in Balch (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 23.01.2017). Ende Januar wurden in zahlreichen Provinzen Anti-Terror-Operationen gegen die Taliban und den IS durchgeführt (deutsch.rt.com, Top-Funktionär der Taliban in Afghanistan getötet, v. 28.01.2017; www.zeit.de, Afghanischer Polizist tötet acht Kollegen, v. 03.02.2017). Allerdings starben in den ersten acht Wochen des Jahres 2017 auch 807 Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte (www.zeit.de, US-Bericht: Hohe Verluste unter afghanischen Sicherheitskräften in Wintermonaten, v. 01.05.2017). Ende Februar  wurden bei einem US-Luftangriff ein Taliban-Anführer und neun Kämpfer in der Provinz Kunduz getötet (www.spiegel.de,Taliban-Anführer durch US-Luftangriff getötet, v. 27.02.2017). In Laghman konnten Versuche der Taliban, zwei Distriktszentren zu erobern, abgewehrt werden (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 06.03.2017). Ende März töteten US-Streitkräfte einen Anführer von Al-Kaida (www.zeit.de, Al-Kaida-Anführer in Afghanistan bei US-Angriff getötet, v. 26.03.2017). Auch am Kampf gegen den IS in Afghanistan beteiligen sich die US-Streitkräfte (vgl. www.zeit.de, US-Soldat bei Anti-IS-Einsatz in Afghanistan getötet, v. 09.04.2017). Durch eine im April von den US-Streitkräften in Nangarhar auf ein Tunnelsystem abgeworfene Bombe starben mindestens 94 IS Kämpfer (www.zeit.de, US-Bombe soll 94 IS-Kämpfer getötet haben, v. 15.04.2017). Die Zahl der IS Kämpfer in Afghanistan wird vom Pentagon auf 1000 geschätzt (www.merkur.de, Pentagon: IS-Anführer in Afghanistan vermutlich getötet, v. 28.04.2017). Bei einem Angriff afghanischer und US-Truppen in der Provinz Nangarhar wurden der Anführer des IS in Afghanistan, weitere hohe Vertreter und 35 Kämpfer getötet (www.spiegel.de, Armee meldet Tod von IS-Anführern“, v. 07.05.2017). Ende April wurden bei Anti-Terror-Operationen in Afghanistan mindestens 43 Extremisten getötet (deutsch.rt.com, Afghanistans Sicherheitskräfte töten mindestens 43 Terroristen, v. 30.04.2017).

Dennoch lassen sich - wie oben bereits zur Möglichkeit staatlichen Schutzes ausgeführt - selbst in Kabul Anschläge mit Toten und Verletzten nicht vermeiden. Anschlagsziele sind jedoch in erster Linie Regierungsinstitutionen und internationale Einrichtungen, dennoch kommt es (auch) zu Opfern unter der Zivilbevölkerung (vgl. Schweizer Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 6. Juni 2016 zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, S. 4), wenn auch die Taliban in der Erklärung zur Frühlingsoffensive 2015 angegeben haben, solche reduzieren zu wollen (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 19.04.2016, S. 39 Fn. 209). Im Jahr 2015 wurden 1.335 Zivilpersonen durch gezielte Tötungen bzw. Tötungsversuche verletzt oder getötet (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 19.04.2016, S. 38). Zwischen Februar und Mai 2016 gingen die gezielten Tötungen um 37 % gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres zurück (ecoi.net-Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul v. 30.09.2016). In der Erklärung der Taliban vom 12. April 2016 zum Ausruf der jährlichen Offensive sprachen sie anders als in vergangenen Jahren keine expliziten Drohungen mehr gegen zivile Regierungsbeamte aus (ecoi.net-Themendossier: Allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan & Chronologie für Kabul v. 30.09.2016). Die Taliban haben ihre Taktik auf großangelegte Angriffe insbesondere in städtischen Gebieten umgestellt (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S. 3). Seit April 2016 hat sich die Sicherheitslage aus Sicht des UNHCR weiter rapide verschlechtert (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S.  3). Am 22. September 2016 vereinbarte die afghanische Regierung mit der Mujahedin-Rebellengruppe Hezb-e Islami ein Friedensabkommen (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Unterzeichnetes Friedensabkommen mit Gulbuddin Hekmatyar Anführer der großen Mujahedin-Rebellengruppe Hezb-e Islami, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 05.10.2016; vgl. auch www.taz.de, „Schlächter von Kabul“ findet Frieden, v. 05.02.2017). Hekmatjar hielt im April 2017 in der östlichen Provinz Laghman vor Anhängern erstmals seit 2001 eine Rede und rief vor allem die aufständischen Taliban auf, den Krieg gegen die Regierung zu beenden (www.focus.de, Afghanistan begrüßt Rückkehr des "Schlächters von Kabul", v. 29.04.2017). In der Mitteilung der Taliban zur Frühlingsoffensive 2017 kündigten sie an, ihre Angriffe auf afghanische und ausländische Truppen verstärken zu wollen (deutsch.rt.com, Taliban kündigen Frühlingsoffensive in Afghanistan an, v. 28.04.2017). In Einzelfällen kommt es auch zu Bedrohungen von Regierungs- und Behördenmitarbeiter, Menschenrechtsanwälten, Mitarbeitern ausländischer Organisationen und Journalisten (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 5). Auch Würdenträger, Stammesälteste und Religionsgelehrte sind Ziel von Anschlägen der gewaltbereiten Opposition (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 7). 13 % aller Anschläge gegen Zivilpersonen richten sich gegen Zivilisten, die für die afghanische Regierung oder internationale Organisation arbeiten (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 20). Anfang März 2017 riefen die Taliban ihre Kämpfer allerdings dazu auf, Entwicklungshelfern die notwendige Sicherheit zu bieten, nachdem sie bereits auch schon im November 2016 Schutz für Entwicklungshilfeprogramme versprochen hatten (www.handelsblatt.de, Taliban bitten um Hilfe für Afghanen, v. 06.03.2017). In einer weiteren von den Taliban im Internet veröffentlichten Erklärung heißt es, dass die Sicherheit von Mitarbeitern internationaler Hilfsorganisationen garantiert werde (www.deutschlandfunk.de, Taliban rufen zu internationaler Hilfe auf, v. 05.04.2017). Die Zahl der Mordanschläge ist im Zeitraum Mitte Mai bis Mitte August 2016 um 6,2 % gegenüber dem Vorjahr zurück gegangen, wenngleich sich die sicherheitsrelevanten Vorfälle um 4,7 % erhöht haben (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 19.09.2016). Im vierten Quartal 2016 wurden 183 Mordanschläge registriert, was einen Rückgang von 32 % gegenüber dem Vergleichszeitraum 2015 zum Ausdruck bringt; auch die Zahl der Entführungen hat mit 99 gegenüber dem Vorjahr (109) abgenommen (Kurzinformation der Staatendokumentation Afghanistan, Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2016, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 19.12.2016).

In der Zentralregion Afghanistans, die neben Kabul (Einwohnerzahl ca. 4,5 Millionen; im Folgenden jeweils nach dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Bundesrepublik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 11.05.2017, S. 29 f., 62, 75, 82, 84, 98) die Provinzen Parwan (Einwohnerzahl ca. 675.000), Kapisa (Einwohnerzahl ca. 448.000), Logar (Einwohnerzahl ca. 398.000), Panjshir (Einwohnerzahl ca. 156.000) und (Maidan) Wardak (Einwohnerzahl ca. 606.000) umfasst (vgl. UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2016, v. Februar 2017, S. 2; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Bundesrepublik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 19.12.2016, S. 61; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 12) und in der insgesamt ca. 6,7 Millionen Einwohner leben, wurden im Jahr 2016 von der UNAMA 2.348 verletzte oder getötete Zivilpersonen gezählt (UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2016, v. Februar 2017, S. 21). Bei einer Verdreifachung der Anzahl der durch die UNAMA registrierten verletzten und getöteten Zivilpersonen aufgrund einer hohen Dunkelziffer (vgl. hierzu Nds. OVG, Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 65) ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit als Zivilperson binnen eines Jahres verletzt oder getötet zu werden von 1:951. Teilweise wird auch die Bevölkerungszahl allein für die Stadt Kabul auf mehr als sieben Millionen Menschen geschätzt (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris). Im Distrikt Kabul wurden im Zeitraum von September 2015 bis Mai 2016 151 (Januar bis Ende August 2015 217) sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, in der Provinz Kabul 161 (Januar bis Ende August 2015 352), bei einer Bevölkerungszahl der Provinz von über 4,5 Millionen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Bundesrepublik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 11.05.2017, S. 29 f. und vom 21.01.2016, aktualisiert am 19.12.2016, S. 57 f.). Die allgemeine Gewalt in Kabul im Jahr 2015 befand sich auf dem Niveau des Jahres 2014 (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Bundesrepublik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 05.10.2016, S. 58 f.), bei den hochrangigen Angriffen (gegen Gebäude der Regierung oder internationaler Institutionen) hatte es mit 28 bis November 2015 jedoch gegenüber dem Jahr 2014 eine Steigerung um 27 % gegeben. Zwar verbessern sich die Sicherheitskräfte und ihre Fähigkeiten fortwährend, weitere Angriffe insbesondere auf Regierungsangehörige und internationale Organisationen sind aber nicht auszuschließen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Bundesrepublik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 19.12.2016, S. 59). Dies hat sich - wie oben bereits dargestellt - insbesondere in den Monaten November 2016 bis März 2017 deutlich gezeigt. Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren; auch religiöse Orte werden regelmäßig angegriffen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Bundesrepublik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 02.03.2017, aktualisiert am 11.05.2017, S. 30).

Nach und trotz alledem ist es angesichts der Bevölkerungszahl auf der einen und den Verletzten und getöteten Zivilpersonen auf der anderen Seite für eine Zivilperson in Kabul nicht beachtlich wahrscheinlich, aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden (vgl. auch Bay. VGH, Beschl. v. 06.03.2017 - 13a ZB 17.30099 -, juris Rn. 11; Beschl. v. 17.08.2016 - 13a ZB 16.30090 -, juris Rn. 10; OVG Nordrehin-Westfalen, Beschl. v. 08.06.2016 - 13 A 1222/16.A -, juris Rn. 10; Nds. OVG, Beschl. v. 27.04.2016 - 9 LA 46/16 -, n.v.; Beschl. v. 13.04.2015 - 9 LA 58/13 -, n.v.). Die Mehrzahl der Binnenflüchtlinge zieht es dementsprechend gerade auch nach Kabul (vgl. etwa Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Bundesrepublik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.01.2016, aktualisiert am 19.12.2016, S. 60).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.