Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 10.07.2017, Az.: 3 A 171/16
Iran
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 10.07.2017
- Aktenzeichen
- 3 A 171/16
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 53623
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs 5 AufenthG
Tatbestand:
Die 1982 bzw. 1983 jeweils in Kabul geborenen Kläger zu 1. und 2. sind afghanische Staatsangehörige hazarischer Volks- und schiitischer Religionszugehörigkeit. Die Kläger zu 3. bis 6. sind die in den Jahren 2002 bis 2015 geborenen gemeinsamen Kinder der Kläger zu 1. und 2.
Bei ihrem Gespräch mit einem Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates am 11. August 2015 erklärten die Kläger zu 1. und 2., dass sie sich die letzten 26 Jahre im Iran aufgehalten hätten. Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 25. August 2016 gab der Kläger zu 1. an, dass er zuletzt mit seiner Ehefrau - der Klägerin zu 2. - in Teheran gelebt habe. Seine Eltern würden auch dort wohnen. Er habe von Zuhause aus als Näher gearbeitet. Sie seien nach Deutschland gekommen, weil sie schlecht behandelt worden seien. Seine Frau habe psychische Probleme. In Afghanistan hätten sie keine Verwandten mehr. Die Klägerin zu 2. erklärte bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt ebenfalls am 25. August 2016, dass sie psychische Probleme habe. Im Iran habe sie zusammen mit ihrem Mann gearbeitet. Ihr Mann sei dort mehrfach verhaftet worden. In Afghanistan würden sie niemanden kennen.
Das Bundesamt lehnte mit - nach den Verwaltungsvorgängen - am 26. September 2016 zur Post gegebenen Bescheid vom 21. September 2016 die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1 des Bescheides), Asylanerkennung (Ziff. 2) sowie auf subsidiären Schutz (Ziff. 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4), forderte die Kläger unter Androhung der Abschiebung nach Afghanistan zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe des Bescheides bzw. nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens auf (Ziff. 5) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 6). Der Kläger zu 1. sei jung sowie erwerbsfähig, so dass den Klägern zuzumuten sei, sich eine existenzsichernde Grundlage durch Gelegenheitsarbeiten zu erwirtschaften.
Gegen diesen Bescheid haben die Kläger am 27. September 2016 Klage erhoben. Sie seien in Afghanistan nicht in der Lage, ihre Existenzgrundlage zu sichern.
Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung ihre Klage insoweit zurückgenommen als sie zunächst auch beantragt hatten, den Bescheid der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, anzuerkennen, dass für die Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen, hilfsweise die Kläger als subsidiär schutzberechtigt anzuerkennen.
Die Kläger beantragen danach noch,
die Beklagte zu verpflichten, anzuerkennen, dass hinsichtlich der Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen und den Bescheid der Beklagten vom 21. September 2016 insoweit aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte gemäß § 102 Abs. 2 VwGO trotz Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung über die Klage entscheiden, weil die Beteiligten in der Ladung zum Termin auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind.
Soweit die Kläger ihre Klage zurückgenommen haben, war das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO. Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist - soweit er noch angegriffen wird - rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 HS 1 AsylG) einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit kein menschenwürdiges Dasein führen, insbesondere nicht in der Lage sein würden, sich ein Leben wenigstens am Rande des Existenzminimums zu finanzieren. Dementsprechend waren auch die Ausreiseaufforderung, die Abschiebungsandrohung sowie die Bestimmung der Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbotes aufzuheben.
§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK steht einer Abschiebung entgegen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene dadurch tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung aus-gesetzt zu werden (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 12 m.w.N.). Insoweit sind die Verhältnisse im Abschiebungszielstaat landesweit in den Blick zu nehmen (Nds. OVG, Beschl. v. 27.04.2016 - 9 LA 46/16 -, n.v.). Ob eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK vorliegt, hängt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) von den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls ab, wie etwa der Art und dem Kontext der Fehlbehandlung, der Dauer, den körperlichen und geistigen Auswirkungen, sowie - in einigen Fällen - vom Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 13; Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 25; jeweils m.w.N.). Art. 3 EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten allerdings nicht, Unterschiede in der medizinischen Versorgung oder soziale und wirtschaftliche Unterschiede durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen, da die Konventionsstaaten hierdurch übermäßig belastet würden (EGMR, Urt. v. 27.05.2008 - 26565/05 N./Vereinigtes Königreich -, NVwZ 2008, 1334 ff., Rn. 44). Prognosemaßstab ist die beachtliche Wahrscheinlichkeit (Nds. OVG, Urt. v. 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 26). Grundsätzlich schützt Art. 3 EMRK vor den dort genannten Behandlungsweisen durch vorsätzlich vorgenommene Maßnahmen der öffentlichen Gewalt des Empfangsstaates oder nichtstaatlicher Organisationen in diesem Staat, sofern die Behörden außerstande sind, dem Betroffenen einen angemessenen Schutz zu gewähren; wegen der grundlegenden Bedeutung des Art. 3 EMRK wendet der EGMR ihn wegen des absoluten Charakters des Schutzes aber auch dann an, wenn die Gefahr einer verbotenen Behandlung im Abschiebungszielstaat von Faktoren herrührt, die weder unmittelbar noch mittelbar die Verantwortung der staatlichen Behörden dieses Staates auslöst (EGMR (Große Kammer), Urt. v. 27.05.2008 - 26565/05 N./Vereinigtes Königreich -, NVwZ 2008, 1334 [1335] [EGMR 27.05.2008 - EGMR (Große Kammer) Nr. 26565/05]; EGMR, Urt. v. 02.05.1997 - 146/1996/767/964 -, NVwZ 1998, 161 [162]). In der Rechtsprechung des EGMR gilt die ohnehin für Art. 3 EMRK bestehende hohe Schwelle in diesem Fall (keine Verantwortung des Staates) insbesonders (vgl. EGMR, Urt. v. 13. 10. 2011 - 10611/09 (Husseini/Schweden) -, NJOZ, 2012, 952 [954]).
Sozialwirtschaftliche und humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat haben zwar weder notwendig noch einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Frage, ob eine Person Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden, weil Art. 3 EMRK hauptsächlich dem Schutz bürgerlicher und politischer Rechte dient (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 16 m.w.N.). Eine erhebliche Beeinträchtigung der (humanitären) Lage des Betroffenen im Herkunftsland - einschließlich seiner Lebenserwartung - im Falle seiner Rückkehr ist für einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK nicht ausreichend, sofern jedoch nicht in ganz außergewöhnlichen Fällen ausnahmsweise besondere humanitäre Gründe zwingend gegen eine Aufenthaltsbeendigung im Konventionsstaat sprechen (BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 23, 25 m.w.N.; Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris S. 16 m.w.N.; Beschl. v. 27.04.2016 - 9 LA 46/16 -, n.v. m.w.N.). Die Annahme einer unmenschlichen Behandlung allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen setzt ein sehr hohes Gefährdungsniveau voraus (Bay. VGH, Beschl. vom 30.09.2015 - 13a ZB 15.30063 -, juris Rn. 5), das nur unter strengen Voraussetzungen erreicht wird (OVG NRW, Beschl. v. 13.05.2015 - 14 B 525/15.A -, juris Rn. 15, 13 (monatelange Obdachlosigkeit ohne Zugang zu jeder Versorgung). Ein Abschiebungsverbot im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation ist nicht gegeben, wenn der Rückkehrer durch Gelegenheitsarbeiten ein kümmerliches Einkommen erzielen und sich damit ein Leben am Rande des Existenzminimums finanzieren kann (BVerwG, Beschl. v. 25.10.2012 - 10 B 16.12 -, BeckRS 2012, 59390 Rn. 10). Grundsätzlich ist bei der Prüfung des Abschiebungsverbotes auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen, ausgehend vom dem Ort, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, Urt. v. 31.01.2013 - 10 C 15/12 -, juris Rn. 26 m.w.N.; für Afghanistan verneint EGMR, Urt. v. 13.10.2011 - 10611/09 (Husseini/Schweden) - NJOZ 2012, 952 [953] Rn. 84; Nds. OVG, Beschl. v. 27.04.2016 - 9 LA 46/16 -, n.v.).
Dies gilt grundsätzlich auch bei der Beurteilung, ob hinsichtlich der Rückkehr einer Familie mit Kindern ein Abschiebeverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG besteht. Allerdings ist - auch unter Berücksichtigung von Art. 6 GG - die gesamte Familie in die Bewertung mit einzubeziehen (Bay. VGH, Urt. v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 21; VG Augsburg, Urt. v. 12.05.2017 - Au 5 K 17.31330 -, juris Rn. 26 m.w.N.; Urt. v. 11.01.2017 - Au 5 K 16.31988 -, juris Rn. 23 m.w.N.; VG Oldenburg, Urt. v. 20.04.2016 - 3 A 1975/14 -, n.v.). Der Schutz für Asylbewerber nach Art. 3 EMRK ist umso wichtiger, wenn die Betroffenen Kinder sind, weil sie besondere Bedürfnisse haben und extrem verwundbar sind; das gilt auch, wenn die Kinder als Asylbewerber von ihren Eltern begleitet sind (EGMR (Große Kammer), Urt. v. 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel /Schweiz), NVwZ 2015, 127 Rn. 119). Bei minderjährigen Kindern ist auch zu berücksichtigen, dass Kinder grundsätzlich verletzlicher und ihre Bewältigungsmechanismen noch unentwickelter sind (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 10). Kinder neigen zudem mehr dazu, feindselige Situationen als verstörend zu empfinden, Drohungen Glauben zu schenken und von ungewohnten Umständen emotional beeinträchtigt zu werden (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 10). Sie reagieren auch stärker auf Handlungen, die gegen nahe Verwandte gerichtet sind (UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 10). Was für einen Erwachsenen unbequem ist, kann für ein Kind eine ungebührende Härte darstellen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 98; UNHCR, Richtlinien zum internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern, v. 22.12.2009, S. 25).
Unter Zugrundelegung der vorgenannten strengen Maßstäbe liegen unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür vor, dass die Kläger bei ihrer Abschiebung nach Afghanistan landesweit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris) Gefahr liefen, aufgrund der dortigen allgemeinen Lebensbedingungen einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden und die einer Abschiebung nach Afghanistan ausnahmsweise entgegenstehen.
Afghanistan ist trotz internationaler Unterstützung und erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung eines der ärmsten Länder der Welt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 21; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.09.2016, S. 24) und das ärmste Land der Region (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, S. 31). Der Kreditversicherer Coface hat (wohl für den Zeitraum bis einschließlich das Jahr 2015) Afghanistan als das Land mit dem höchsten politischen Risiko weltweit eingestuft (www.finanznachrichten.de, Von Afghanistan bis Island / Kreditversicherer Coface betrachtet politische Risiken in 159 Ländern, v. 03.04.2017). Das rapide Bevölkerungswachstum stellt eine weitere Herausforderung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes dar (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 21). Rund 36 % der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, mit einem eklatanten Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte fehlt es vielerorts an grundlegender Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 21). 30 % der Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, 6,3 % sind von ernsthafter Lebensmittelunsicherheit betroffen und 9,1 % der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, S. 31; vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 13), wobei in letzterem eine Verbesserung zu sehen ist (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 23). Für das Jahr 2017 wird erwartet, dass 9,3 Millionen Afghanen von humanitärer Hilfe abhängig sein werden (Asylmagazin 3/2017, Überleben in Afghanistan?, S. 74). Die Arbeitslosenquote betrug im Oktober 2015 40 % (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 22), teilweise wird sie auf bis zu 50 % geschätzt (Nds. OVG, Urt. v. 19.09.2016 - 9 LB 100/15 -, juris). Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt 82 % (Asylmagazin 3/2017, Überleben in Afghanistan?, S. 74). Auch der Abzug der internationalen Streitkräfte hat sich negativ auf die Nachfrage und damit die Wirtschaft ausgewirkt (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 24; Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 21). Eine staatliche finanzielle Unterstützung findet bei Arbeitslosigkeit nicht statt; freie Stellen können über das Internet recherchiert werden (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2). Landwirtschaft ist mit 60 bis 70 %, je nach Region, der größte Beschäftigungsfaktor (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2). Darüber hinaus findet eine Beschäftigung vor allem in Familien- und Kleinbetrieben (Einzelhandel) und im Bauwesen statt, gefolgt vom öffentlichen Sektor und dem industriellen (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2). Die Quote der Analphabeten ist hoch und die Anzahl der Fachkräfte gering (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 24). Die Alphabetisierungsrate bei den über 15-jährigen betrug im Jahr 2015 38 % (Asylmagazin 3/2017, Überleben in Afghanistan?, S. 79). Qualifiziertes, vor allem höherqualifiziertes, Personal wird gesucht (vgl. Dr. L, Gutachterliche Stellungnahme an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz v. 08.06.2011, S. 6 f.). Das Wirtschaftswachstum betrug im Jahr 2015 0,8 %, in 2016 voraussichtlich 1,2 % und für 2017 werden im besten Fall 1,7 % erwartet (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S. 5). Im Jahr 2012 hatte es noch 14,4 % betragen (Asylmagazin 3/2017, Überleben in Afghanistan?, S. 74). Grundsätzlich haben Menschen, die in Afghanistan gearbeitet haben, Zugang zu Rentenzahlungen (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 3). Rückkehrer sehen sich, wie auch viele andere Afghanen, mit unzureichenden wirtschaftlichen Perspektiven und geringen Arbeitsmarktchancen konfrontiert, insbesondere wenn sie außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit aus dem Ausland zurückkehren und ihnen ein soziales oder familiäres Netzwerk sowie aktuelle Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: November 2015, S. 5). Viele von ihnen zieht es daher nach Kabul, wo die Einwohnerzahl zwischen den Jahren 2005 und 2015 um 10 % gestiegen ist (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 27, 28; Asylmagazin 3/2017, Überleben in Afghanistan?, S. 75 f.: Anstieg von 500.000 im Jahr 2001 auf 5 bis 7 Millionen). Das durchschnittliche Monatseinkommen beträgt in Afghanistan 80 bis 120 USD (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2). Naturkatastrophen und extreme Natureinflüsse im Norden tragen zur schlechten Versorgung der Bevölkerung bei (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 23). Im Süden und Osten gelten nahezu ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: November 2015, S. 24). Nach Berechnungen der Vereinten Nationen sind in Afghanistan insgesamt eine Millionen Kinder unterernährt (deutsch.rt.com, Vereinte Nationen: Afghanistan auf dem Weg in eine humanitäre Katastrophe, v. 24.01.2017). Im Winter 2016 / 2017 starben in einer Provinz im Norden Afghanistans 27 Kinder unter fünf Jahren aufgrund der Wetterbedingungen (www.zeit.de, 27 Kinder sterben wegen strengen Winterwetters in Afghanistan, v. 26.01.2017). Das Rote Kreuz hat im Februar 2017 seine Arbeit ausgesetzt, nachdem sechs Mitarbeiter erschossen wurden (www.tagesschau.de, Rotes Kreuz setzt Arbeit in Afghanistan aus, v. 09.02.2017). Zwar weist Afghanistan Bodenschätze auf, eine staatliche Förderung findet derzeit allerdings nur eingeschränkt statt; die größten Lithium-Vorkommen gibt es etwa in Ghazni, Herat und Nimrus (vgl. www.20min.ch, Afghanistan wirbt um Trumps Unterstützung, v. 10.04.2017). Die humanitäre Situation ist weiterhin als schwierig anzusehen, insbesondere stellt neben der Versorgung von hunderttausenden Rückkehrern und Binnenvertriebenen vor allem die chronische Unterversorgung in Konfliktgebieten das Land vor große Herausforderungen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: November 2015, S. 6). Die Anzahl der konflikt-induzierten Binnenflüchtlinge betrug im Jahr 2016 zwischen 1,1 und 1,2 Millionen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 21). Aufgrund der Kämpfe in der Region um die Provinz Kunduz im Mai 2017 fliehen viele Zivilpersonen nach Kunduz City (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 08.05.2017). Die Zahl der Binnenflüchtlinge ging im Jahr 2017 gegenüber dem Vergleichszeitraum im Vorjahr um 36 % zurück (www.handelszeitung.ch, Dreimal so viele Luftangriffe in Afghanistan, v. 29.05.2017). Die pakistanische Regierung hatte den in Pakistan aufhältigen afghanischen Flüchtlingen eine Frist zur Rückkehr bis März 2017 gesetzt; im Jahr 2016 sind mehr als 600.000 Personen zurückgekehrt, insbesondere in der zweiten Jahreshälfte und über Nangarhar (Kurzinformation der Staatendokumentation Pakistan / Afghanistan - Rückkehr afghanischer Flüchtlinge nach Afghanistan v. 07.12.2016, S. 1, 2). Dieser Termin wurde zwischenzeitlich vertagt (Asylmagazin 3/2017, Überleben in Afghanistan?, S. 75). Rund 2,4 Millionen afghanische Flüchtlinge leben in Pakistan (Kurzinformation der Staatendokumentation Pakistan / Afghanistan - Rückkehr afghanischer Flüchtlinge nach Afghanistan v. 07.12.2016, S. 2; Asylmagazin 3/2017, Überleben in Afghanistan?, S. 75: 1,6 Millionen) bzw. 2,6 Millionen Flüchtlinge im Ausland (Amnesty Report 2017 Afghanistan, S. 1, 3). Der UNHCR nahm am 1. April 2017 das Programm zur Rückkehrunterstüzung von afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan wieder auf, die finanzielle Unterstützung wurde von 400 auf 200 USD verringert (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 03.04.2017). Im Iran erließ das Geistliche Oberhaupt im Jahr 2015 ein Gesetz, welches allen afghanischen Kindern, mit und ohne offizielle Papiere, erlaubt, die Schule zu besuchen (deutsch.rt.com, UNO lobt iranische Flüchtlingspolitik: Millionen Menschen Zuflucht geboten, v. 20.03.2017). Im Jahr 2016 sind trotz der Schwierigkeiten für Afghanen im Iran nur 2.426 Menschen in ihre afghanische Heimat zurückgekehrt (deutsch.rt.com, UNO lobt iranische Flüchtlingspolitik: Millionen Menschen Zuflucht geboten, v. 20.03.2017). Aus der EU sind im Jahr 2016 7.000 Afghanen in ihr Heimatland zurückgekehrt, gegenüber 1.400 im Jahr 2015 (www.tt.com, Organisation für Migration und EU helfen Rückkehrern in Afghanistan, v. 14.03.2017). Aus Deutschland reisten im Jahr 2016 mit 3.200 Personen zehnmal mehr Menschen freiwillig nach Afghanistan zurück, als im Vorjahr (www.spiegel.de, Rund 55.000 Asylbewerber verlassen Deutschland freiwillig v. 28.12.2016), die Zahl der Familien stieg von 22 auf 356 (www.faz.net, IOM warnt vor Abschiebungen nach Afghanistan, v. 22.02.2017). Mit Stand September 2016 waren insgesamt 246.954 afghanische Staatsangehörige in Deutschland aufhältig, davon 12.539 ausreisepflichtig (BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode, v. 16.11.2016, Frage Nr. 40, Nr. 6). Für das Jahr 2017 erwartet die internationale humanitäre Gemeinschaft 450.000 neu in die Flucht getriebene Menschen im afghanischen Inland und die UNHCR 650.000 Rückkehrer aus den umliegenden Ländern (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S. 4). Die Rückkehrer siedeln sich vor allem in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Kunduz, Logar und Baghlan an (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 24). Viele Binnenvertriebene haben familiäre Verbindungen nach Kabul (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S. 7). Die Aufnahmekapazität Kabuls ist aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringungsmöglichkeiten sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen, insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, sowie im Dienstleistungsbereich äußerst eingeschränkt (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S. 7). Auch in Herat hält sich eine große Zahl von Binnenvertriebenen auf, die sich mit einer erheblichen politischen Opposition und allgemeinen Ressentiments konfrontiert sehen (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S. 8). Nach dem IOM entscheide sich die größte Zahl der Rückkehrer für Herat, einige die vorher im Iran gelebt hätten wohl auch, um von dort aus wieder in den Iran zurückzukehren (www.faz.net, IOM warnt vor Abschiebungen nach Afghanistan, v. 22.02.2017). Die UN will weitere finanzielle Hilfe leisten (Kurzinformation der Staatendokumentation Pakistan / Afghanistan - Rückkehr afghanischer Flüchtlinge nach Afghanistan v. 07.12.2016, S. 3). Bereits in den Jahren 2013 und 2014 sollen 73,8 % der städtischen Bevölkerung in Slums gelebt haben (vgl. Asylmagazin 3/2017, Überleben in Afghanistan?, S. 76 f.).
Staatliche Maßnahmen zur Integration oder Neuansiedlung haben jedoch bereits positive Ergebnisse gezeigt, sind allerdings auch weiter erforderlich (UNHCR, Anmerkung zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des Deutschen Bundesministeriums des Innern, v. Dez. 2016, S. 8). Die Regierung hat sich ehrgeizige Ziele gesteckt und plant unter anderem durch ein Stimulus-Paket Arbeitsplätze und Wachstum zu schaffen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: November 2015, S. 24; Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 22). Afghanistan befindet sich in einem langwierigen Wiederaufbauprozess (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 4). Die internationale Gemeinschaft unterstützt die afghanische Regierung maßgeblich dabei, die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 22). Mehr als 95 % des afghanischen Budgets stammten auch im Jahre 2016 von der internationalen Staatengemeinschaft (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 2). Die internationale Gemeinschaft wird auch ihr ziviles Engagement fortsetzen und Deutschland wird den Wiederaufbau im Jahr 2017 mit 430 Millionen Euro unterstützen (www.bundesregierung.de, Deutsche Soldaten weiter in Afghanistan v. 16.11.2016). Auch wurde ein Beschäftigungsprogramm unter anderem für den Bau von Straßen und Schulen in ländlichen Regionen auf den Weg gebracht (www.stern.de, Deutschland will Afghanistan mit 240 Millionen Euro unterstützen, v. 10.03.2017). Für die Jahre 2017 bis 2021 versprachen mehr als 70 Länder insgesamt 13,6 Milliarden Euro finanzielle Unterstützung (Amnesty Report 2017 Afghanistan, S. 1). Zum Jahresende 2014 hat das Jahrzehnt der Transformation (2015‐2024) begonnen, in dem Afghanistan sich mit weiterhin umfangreicher internationaler Unterstützung zu einem voll funktionsfähigen und fiskalisch lebensfähigen Staat im Dienst seiner Bürgerinnen und Bürger entwickeln soll, wofür Afghanistan verstärkte eigene Anstrengungen zugesagt hat (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 4). Im Mai 2016 startete das Projekt „Casa 1000“, mit dem eine Stromleitung von Tajikistan auch nach Afghanistan errichtet und ab 2019 dem Energiemangel begegnet werden soll (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 25). Auch soll Afghanistan eine Flugfrachtverbindung nach Indien erhalten (www.aerotelegraph.com, Afghanistan bekommt Frachtverbindung nach Indien, v. 06.01.2017). Von Kabul aus soll in ganz Afghanistan ein 4G/LTE-Mobilfunknetz geschaffen werden, wozu die Afghan Wireless Communication Compay 400 Millionen US-Dollar investiert (www.finanzen.net, Afghan Wireless startet Afghanistans erstes 4G/LTE-Kommunikationsnetz, v. 05.05.2017). Das Verelendungsrisiko einzelner Bevölkerungsgruppen in Afghanistan weicht stark voneinander ab, für alleinstehende Personen bewegte es sich bis zum Jahr 2007 lediglich im Bereich zwischen 10 und 15 %; das Armutsrisiko stieg bei einer Haushaltsgröße von drei Personen (11 %) bis zu einer Haushaltsgröße von neun Personen (über 40 %) kontinuierlich und lag bei einer Haushaltsgröße von 15 Personen sogar bei über 45 % (OVG NRW, Urt. v. 27.01.2015 - 13 A 1201/12.A -, juris Rn. 48). In Dschalalabad wird eine Teppichknüpferinnenschule gebaut, die Witwen und alleinstehenden Frauen ab April 2017 die Möglichkeit geben soll, ihren Lebensunterhalt zu verdienen (www.badische-zeitung.de, Eine neue Chance für 120 Frauen, v. 31.03.2017). Nachdem im Jahr 2011 nur 7,5 % der Bevölkerung über eine adäquate Wasserversorgung verfügten, haben im Jahr 2016 46 % Zugang zu Trinkwasser (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 25; vgl. auch UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, S. 31). Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat seit 2002 in Afghanistan über 700 Trinkwassersysteme gebaut (www.giz.de, Afghanistan: Unter einem Dach, v. 04.04.2017). Anfang Juni 2017 wurde die Mehrzahl der Mitarbeiter der GIZ aufgrund der Sicherheitslage aus Afghanistan ausgeflogen (www.deutschlandfunk.de, Deutsche Entwicklungshelfer ausgeflogen, v. 03.06.2017). Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen bereits Fortschritte gemacht, die allerdings nach wie vor nicht alle Landesteile erreichen und außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen sind (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 5). Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert, so werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult; der Anteil der Mädchen beträgt mittlerweile 37,5 %, nachdem sie unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 12). Nach inoffiziellen Abmachungen zwischen dem afghanischen Staat und den Taliban, akzeptieren diese seit 2014 prinzipiell auch Mädchenschulen bis zur sechsten Klasse (www.taz.de, Kurioses aus Afghanistan: Die Taliban entdecken ihre grüne Ader, v. 26.02.2017). Die Organisation Kinderhilfe Afghanistan hat im Osten Afghanistans im Paschtunen Gebiet und Heimat der Taliban in Absprache und mit Einverständnis der jeweiligen Mullahs 30 Haupt-, Ober- und Berufsschulen für ca. 60.000 Schüler, die meisten von ihnen Mädchen, gebaut sowie 15 Computerschulen; im Jahr 2014 wurde dort die erste Universität der Organisation eingeweiht (SZ, „Wir zahlen nie Schmiergeld“, v. 07.04.2017). Das Bildungswesen ist kostenfrei (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 3). Allerdings werden die Bildungsmöglichkeiten im Jahr 2017 durch die anhaltenden Kämpfe und die Rückkehr vieler Flüchtlinge aus Pakistan eingeschränkt (www.deutschlandfunk.de, Mehr als 400.000 Kinder können nicht mehr zur Schule gehen, v. 24.03.2017). Aufgrund der Idee einer Gruppe von afghanischen Unternehmensgründerinnen, die die Mädchenbildung in Afghanistan fördern, wurde ein Computer-Trainingsprogramm ins Leben gerufen und dreizehn Computer- und Programmierzentren in Kabul und Herat gegründet, wodurch bislang 55.000 Studentinnen online gebracht werden konnten (www.dw.com/de, Afghanische Mädchen durchbrechen Cyber-Grenzen, v. 19.04.2017). Auch die medizinische Versorgung hat sich seit 2005 erheblich verbessert, was auch zu einem deutlichen Anstieg der Lebenserwartung geführt hat (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: November 2015, S. 24, 25). Dennoch besteht landesweit eine unzureichende Verfügbarkeit von Medikamenten, Ausstattung und Fachpersonal, wobei die Situation in den Nord- und Zentralprovinzen um ein Vielfaches besser ist als in den Süd- und Ostprovinzen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 23). 36 % der Bevölkerung haben keinen Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016, S. 31). Insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten sowie unter Nomaden kommt es zu schlechten Gesundheitszuständen von Frauen und Kindern (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 25). Aufgrund der Fortschritte in der medizinischen Versorgung hat sich allerdings etwa die Müttersterblichkeit von 1,6 % auf 0,324 % gesenkt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 23). An dieser Reduzierung kommen allerdings zwischenzeitlich Zweifel auf (www.tt.com, Müttersterblichkeit in Afghanistan laut Bericht deutlich höher als angegeben, v. 31.01.2017). Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser bieten kostenfreie medizinische Versorgung (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 1). Private Krankhäuser gibt es in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Masar-e Scharif, Herat und Kandahar (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 1). Chirurgische Eingriffe etwa oder spezielle Untersuchungen (wie etwa Computer Tomographie) werden nur an ausgewählten Orten geboten (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 18). Eine gute medizinische Versorgung auch komplizierterer Krankheiten bieten das French Medical Institute und das Deutsche Diagnostische Zentrum (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 23). Die Organisation Kinderhilfe Afghanistan hat im Osten Afghanistans Mutter-Kind-Kliniken sowie zwei Waisenhäuser gebaut (SZ, „Wir zahlen nie Schmiergeld“, v. 07.04.2017). Medikamente sind auf allen Märkten zu erwerben (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 1). Eine Behandlung psychischer Erkrankungen findet nur unzureichend statt; in Kabul, Jalalabad, Herat und Masar-e Scharif gibt es entsprechende Einrichtungen mit meist wenigen Betten (Lagebericht des Auswärtigen Amtes, Stand: September 2016, S. 23 f.). In Kabul gibt es etwa nur eine einzige staatliche psychiatrische Klinik mit 60 Betten (Asylmagazin 3/2017, Überleben in Afghanistan?, S. 77). Nach den Angaben des afghanischen Gesundheitsministers Anfang April 2017 habe sein Ministerium allerdings jüngst 700 psychologische Berater und 101 spezialisierte Ärzte ausgebildet (derstandard.de, Afghanistan: Psychische Verwüstung, v. 10.04.2017). Psychisch Erkrankte benötigen eine starke familiäre Unterstützung (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 1). In der nunmehr in Herat durch ein christliches Hilfswerk betriebenen Zahnklinik wurden im ersten Jahr mehr als 5.000 Erwachsene kostenlos behandelt, insbesondere auch Frauen und Kinder (www.presseportal.de, Neue Zahnklinik in Herat erreichte im ersten Jahr über 10.000 Menschen / Schulzahnarztprogramm ist das Herzstück - Kostenlose Behandlung für Arme, v. 11.05.2017). Das Nejat Center bietet Drogenkonsumenten und an AIDS erkrankten Personen innerhalb und außerhalb Kabuls Prävention, Behandlung und Betreuung, unter anderem mit stationären Betten, Notschlafstellen und ambulanten Behandlungsplätzen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche zu Afghanistan: Blutrache und Blutfehde, v. 07.06.2017, S. 8).
Rückkehrer aus Deutschland, deren Flüge grundsätzlich von einem Arzt begleitet werden (www.sozialticker.com, 700 Euro pro Person für tolle Maßnahmen in Afghanistan, v. 05.05.2017) werden in Kabul vom afghanischen Flüchtlingsministerium, von Mitarbeitern der Internationalen Organisation für Migration, von der gemeinnützigen humanitären Organisation für psychosoziale Betreuung und der Bundespolizei vor Ort in Empfang genommen und versorgt (Schreiben des Bundesministeriums des Innern v. 09.01.2017 an die Innenminister und -senatoren der Länder, S. 4). Das Rückkehrförderprogramm REAG/GARP sieht neben der Übernahme der Rückreisekosten eine Reisebeihilfe von 200 Euro und zusätzlich Startgeld in Höhe von 500 Euro je Person über zwölf Jahren vor (BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 34). Das Rückkehr- und Integrationsprojekt ERIN gewährt einen Service bei der Ankunft, Beratung und Begleitung zu behördlichen, medizinischen und caritativen Einrichtungen sowie berufliche Qualifizierungsmaßnahmen, Hilfe bei der Arbeitsplatzsuche sowie Unterstützung bei der Existenzgründung (BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 34). Die Europäische Union unterstützt das Programm mit 18 Millionen Euro (www.tt.com, Organisation für Migration und EU helfen Rückkehrern in Afghanistan, v. 14.03.2017). Im Falle der freiwilligen Rückkehr ist eine Integrationshilfe von bis zu 2.000 Euro vorgesehen, bei einer Rückführung bis zu 700 Euro (BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 34). Einige Rückkehrer nutzen die Hilfen allerdings für ein erneutes Verlassen des Landes (www.focus.de, Schicksal von Arasch und Badam, v. 17.03.2017). Zudem bestehen wohl weiterhin Koordinierungsschwierigkeiten (Bay. VGH, Urt. v. 23.03.2017 - 13a B 17.30030 -, juris Rn. 24). Weiter ist auch geplant, den Rückkehrern Anschlussflüge zum gewünschten Zielort innerhalb Afghanistans anzubieten und ein Informationsbüro als Beratungsstelle einzurichten (Schreiben des Bundesministeriums des Innern v. 09.01.2017 an die Innenminister und -senatoren der Länder, S. 4). Rückkehrer können bis zu zwei Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2). Auch Flüchtlingsorganisationen bieten Unterkunft für die ersten Tage bzw. Wochen nach einer Rückkehr (SZ, Zurück auf Null, v. 08.04.2017). Die IOM hilft in Gemeinden mit vielen Rückkehrern die Infrastruktur zu verbessern, Ideen zum Verdienen des Lebensunterhaltes zu entwickeln und Märkte zu organisieren, auf dem Land werden Felder hergerichtet und Wasserkanäle gesäubert (www.tt.com, Organisation für Migration und EU helfen Rückkehrern in Afghanistan, v. 14.03.2017). Die von der deutschen Regierung unterstützte Organisation IPSO bietet in Kabul psycho-soziale Hilfe an, nimmt die Rückkehrer am Flughafen in Empfang und geht auch in die Gästehäuser, in denen die Abgeschobenen erst einmal unterkommen; für schwere Fälle ist die Organisation allerdings nicht ausgerüstet (www.focus.de, Schicksal von Arasch und Badam, v. 17.03.2017). Nach der gutachterlichen Stellungnahme von Frau Dr. L. an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz vom 8. Juni 2011 sei es eher unwahrscheinlich sei, dass ein afghanischer Migrant weder im Herkunftsland bzw. den Nachbarländern noch im Aufnahmeland keine familiären Bezugspersonen hat, zumal es ein übliches Verfahren sei, durch Beschluss des Familienclans das stärkste Mitglied ins Ausland zu senden, um die wirtschaftliche Situation der Familie zu unterstützen (S. 3). Rückkehrer würden auch in der Regel nicht verstoßen und selbst bei entfernten Verwandtschaftsverhältnissen zumindest zeitweise aufgenommen (Dr. L, Gutachterliche Stellungnahme an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz v. 08.06.2011, S. 13). Auch würden diejenigen, denen es gelungen sei, bis nach Europa zu kommen, zum mobileren Teil der Bevölkerung gehören, die es erfahrungsgemäß bei einer Rückkehr schaffen würden, ihre Beziehungen so zu gestalten, dass sie ihr Leben sichern können würden (Dr. L, Gutachterliche Stellungnahme an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz v. 08.06.2011, S. 12). Insoweit würden ohnehin soziale Kompetenzen, wie Durchsetzungs- und Kommunikationsfähigkeit mehr zählen als eine Ausbildung, so etwa für den Start eines Kleinhandels, den Rückkehrer auch eher eröffnen, als sich der Konkurrenz um Aushilfsjobs zu stellen (Dr. L, Gutachterliche Stellungnahme an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz v. 08.06.2011, S. 12, 9). Für Aushilfsjobs bzw. Tagelöhnerjobs sei die körperliche Konstitution maßgeblich, bei handwerklichen Tätigkeiten das Vorhandensein von eigenem Werkzeug und bei längerfristigen Arbeitsverhältnissen eine Vermittlung über einen Stammes- oder Clanzugehörigen (Dr. L, Gutachterliche Stellungnahme an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz v. 08.06.2011, S. 11; vgl. auch Asylmagazin 3/2017, Überleben in Afghanistan?, S. 76).
Kinder können im jeweiligen Fall der Gefahr der Rekrutierung, des Kinderhandels, der Entführung, Zwangskinderarbeit, Kinderheirat, Kinderprostitution und Kinderpornographie sowie der systematischen Verweigerung von Bildung ausgesetzt sein (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 75). Die Situation der Kinder hat sich, vor allem für männliche Kinder und hinsichtlich der Bildungschancen, zwar in den vergangenen Jahren verbessert (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 12). Die Anzahl der eine Schule besuchenden Mädchen liegt weiterhin unter der der Jungen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 78). Aufgrund der Idee einer Gruppe von afghanischen Unternehmensgründerinnen, die die Mädchenbildung in Afghanistan fördern, wurde ein Computer-Trainingsprogramm ins Leben gerufen und dreizehn Computer- und Programmierzentren in Kabul und Herat gegründet, wodurch bislang 55.000 Studentinnen online gebracht werden konnten (www.dw.com/de, Afghanische Mädchen durchbrechen Cyber-Grenzen, v. 19.04.2017). Das Bildungswesen ist kostenfrei (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 3). Nach inoffiziellen Abmachungen zwischen dem afghanischen Staat und den Taliban, akzeptieren letztere seit 2014 prinzipiell auch Mädchenschulen bis zur sechsten Klasse (www.taz.de, Kurioses aus Afghanistan Die Taliban entdecken ihre grüne Ader, v. 26.02.2017). Auch etwa in Ghazni gibt es eine Mädchenschule (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes v. 29.05.2017). Jedoch kommt es weiterhin zu körperlichen Übergriffen auf Kinder und Züchtigungen im familiären Umfeld, in der Schule oder durch die Polizei, insbesondere in ländlichen Gebieten und zu Zwangsverheiratungen, die weit verbreitet sind (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 12); hier spielt auch eine Rolle, aus welcher sozialen Schicht das Kind stammt (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 81). Weiter kommt es zu Aussetzungen und genereller Vernachlässigung (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 77). 50 % der Mädchen wurden unter 16 Jahren verheiratet und 60 bis 80 % aller Ehen kommen in Afghanistan aus Zwang zustande (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 15; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 70 Fn. 391, 392: 15 % der Mädchen werden im Alter von 15 Jahren verheiratet, 46 % zwischen 16 und 18 Jahren), teilweise auch im Alter von neun bis elf Jahren (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 71 Fn. 398). Kinderheiraten erfolgen regelmäßig aus wirtschaftlichen Erwägungen, um Überlebensmöglichkeiten für die Kinder und die Familien zu schaffen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 71). Zudem besteht die Gefahr von Rekrutierungen von Kindern und Jugendlichen, auch aus einem sexuellen Interesse heraus; seit dem Jahr 2015 ist die Rekrutierung Minderjähriger unter Strafe gestellt, eine polizeiliche Aufklärung findet allerdings nicht statt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 12 f.). Bis März 2016 hat es zwar deutliche Fortschritte gegeben, jedoch kommen Fälle von Rekrutierungen Minderjähriger weiterhin vor (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 52 f.). In 80 % der von der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission registrierten Fälle sexueller Übergriffe waren die Opfer jugendliche Mädchen unter 18 Jahren (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 77 Fn. 430). Kinder vermögen regelmäßig keinen staatlichen Schutz vor sexuellen Übergriffen zu erlangen (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 78). Kinderarbeit ist Afghanistan zwar verboten, im Jahr 2014 haben dennoch 51,8 % der Kinder gearbeitet (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 13); auch existieren Formen der Schuldknechtschaft (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 76). Ob ein Kind von Zwangsarbeit bedroht ist, hängt auch von seiner sozialen Schicht ab (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 80). Sowohl die regierungsnahen als auch die regierungsfeindlichen Kräfte entführen Kinder, teilweise verbunden mit Hinrichtungen oder Vergewaltigungen, als Bestrafung der Familien bzw. als Vergeltungsakte (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 80). Über eine Millionen Kinder leiden an akuter Unterernährung (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, v. 30.09.2016, S. 19). Ca. 10 % der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag; zu den am wenigsten geschützten Gruppen in Afghanistan gehören Straßenkinder (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 13), deren Zahl teilweise auf 6 Millionen geschätzt wird (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 77 Fn. 425). Im Jahr 2015 sind mindestens 1.427 Kinder in bewaffneten Konflikten getötet worden (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 13). Die Zahl der von der UNAMA gezählten getöteten oder verletzten Kinder ist in 2016 um 24 % auf 3.512 gestiegen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, v. 06.02.2017). Im ersten Quartal 2017 gab es nach einem Bericht der UNAMA 210 getötete - 17 % mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum - und 525 verletzte Kinder (www.zeit.de, UNO: Ein Drittel der zivilen Todesopfer in Afghanistan Kinder, v. 27.04.2017).
Für Frauen hat sich die Situation seit dem Ende der Taliban-Herrschaft zwar erheblich verbessert (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 13 ff.). Dies zeige auch das Straßenbild Kabuls, wo sich einige Frauen noch von Kopf bis Fuß in einen Tschador kleiden, viele andere sich jedoch westlich anziehen und zur Arbeit oder zur Schule gehen würden (www.dw.com/de, Afghanische Mädchen durchbrechen Cyber-Grenzen, v. 19.04.2017). Auch eine politische Partizipation findet statt (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 14). Dennoch wird Afghanistan weiterhin als ein für Frauen und Mädchen sehr gefährliches Land betrachtet (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 65). Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist weit verbreitet und bleibt üblicherweise straflos (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 66). Es wird geschätzt, dass mehr als 87 % aller afghanischen Frauen bereits körperliche, sexuelle, psychologische Gewalt oder eine Zwangsheirat erfahren mussten, mehr als 60 % der afghanischen Frauen sind mehreren Formen der auch äußerst brutalen Gewalt ausgesetzt (Nds. OVG, Urt. v. 21.09.2015 - 9 LB 20/14 -, juris Rn. 33). Den Behörden fehlt der Wille zur Umsetzung zwischenzeitlich bestehender Gesetze zum Schutz von Frauen und Kindern (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 67). Besonders gefährdet sind Frauen und Mädchen in von regierungsfeindlichen Gruppen kontrollierten Gebieten (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 68). Die Diskriminierung von Frauen ist tief verwurzelt (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 66). Frauen im öffentlichen Leben und in öffentlichen Ämtern werden bedroht, eingeschüchtert und gewaltsam angegriffen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 45 f.). Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet, vor allem innerhalb der Familienstrukturen, aber auch im beruflichen Umfeld etwa innerhalb des Sicherheitssektors (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 14 f.). Im ersten Halbjahr 2016 dokumentierte die UNAMA sechs Fälle von Hinrichtungen oder Auspeitschungen von Frauen wegen moralischer Vergehen (Amnesty Report 2017 Afghanistan, S. 23). Trotz Fortschritten treffen Armut und Analphabetismus Frauen besonders (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, v. 30.09.2016, S. 17). Auf der anderen Seite studieren auch Frauen in Afghanistan und gründen erfolgreiche Unternehmen (www.berliner-zeitung.de, Start-Up Laman in Afghanistan: Wie eine junge Designerin trotz Terror Mode neu erfindet, v. 27.05.2017; www.dw.com/de, Afghanische Mädchen durchbrechen Cyber-Grenzen, v. 19.04.2017; de.qantara.de, Mädchen durchbrechen Cyber-Grenzen, v. 08.05.2017), arbeiten als Journalistinnen und nehmen an Talentshows (www.nzz.ch, Mutige Journalisten in einem Kriegsland, v. 23.04.2017) oder Wissenschaftswettbewerben (derstandard.at, Afghanisches Mädchen-Team für Robotik darf nicht zu US-Wettbewerb, v. 02.07.2017) teil. Zwölf Spielerinnen der afghanischen Frauenfußballnationalmannschaft leben in Afghanistan (www.tagesspiegel.de, Afghanistans Torhüterin kommt aus Zehlendorf, v. 25.04.2017). Im Mai 2017 startete auch der von Frauen für Frauen produzierte Fernsehsender Zan TV (derstandard.at, Afghanistan: Erster Frauensender will Frauenrechte stärken, v. 23.05.2017) und durch drei Frauen wird nunmehr das erste Hochglanzmagazin herausgegeben (www.sz-online.de, Afghanistans erstes Frauenmagazin, v. 15.06.2017). Im Jahr 2014 waren 16,05 % der Frauen erwerbstätig (International Organization for Migration (IOM), Länderinformationsblatt Afghanistan 2016, S. 2) bzw. übten im Jahr 2015 15,8 % der Frauen entweder Arbeit aus oder suchten Arbeit (BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 28). Eine Frau ist in Afghanistan grundsätzlich Besitz, sogar Ware, und sie verkörpert die ‚Ehre‘ der Familie, die unbedingt beschützt werden muss (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von Witwen (Schutz, Arbeit, Wohlfahrtsstrukturen), v. 26.08.2016). Im Rahmen des paschtunischen Ehrenkodex („Paschtunwali“) werden Frauen als Objekt der Streitbeilegung missbraucht (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 15). Schutz können Frauen in größeren Städten in Frauenhäusern finden, die jedoch nicht über ausreichend Plätze verfügen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, v. 30.09.2016, S. 18); ein Leben außerhalb ist im Anschluss allerdings regelmäßig nicht mehr möglich (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 15). Ein Leben für ledige Frauen ist außerhalb eines Familienverbandes kaum möglich (Lagebericht des Auswärtigen Amtes v. 19.10.2016, S. 16). Auch in städtischen Gebieten sind alleinstehende Frauen regelmäßig nicht in der Lage, ein Leben ohne unangemessene Härte zu führen (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 98; vgl. auch VG Augsburg, Urt. v. 01.12.2016 - Au 5 K 16.31914 -, juris Rn. 24). In Dschalalabad wird eine Teppichknüpferinnenschule gebaut, die Witwen und alleinstehenden Frauen ab April 2017 die Möglichkeit geben soll, ihren Lebensunterhalt zu verdienen (www.badische-zeitung.de, Eine neue Chance für 120 Frauen, v. 31.03.2017). Das Gesundheitsministerium verzeichnete von März 2014 bis Juni 2015 mehr als 9.000 Fälle von versuchtem Selbstmord (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage, v. 30.09.2016, S. 18). Geschlechtsspezifische Gewalt gehört zu den häufigsten Gründen für Selbstmord und Selbstverbrennung bei Frauen (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 68 Fn. 380). Staatlicher Schutz ist für Frauen insoweit nicht zu erlangen (vgl. UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Flüchtlinge, v. 19.04.2016, S. 69; BT-Drs. 18/10336, 18. Wahlperiode 16.11.2016, Frage Nr. 28). Zu der Unterstützung von Frauen, die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt wurden richtete die Regierung einen Hilfsfond ein (Amnesty Report 2017 Afghanistan, S. 1).
Unter Berücksichtigung des Kindeswohls und der humanitären Umstände in Afghanistan, insbesondere auch der schwierigen Erwerbsmöglichkeiten sowie der schwierigen Lage von Frauen würde eine Abschiebung des Familienverbandes aufgrund der in Afghanistan für die Kläger zu erwartenden Lebensbedingungen und den daraus resultierenden Gefahren zu einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden unmenschlichen Behandlung der Kläger führen (so auch Bay. VGH, Urt. v. 23.03.2017 - 13a B 17.30030 -, juris Rn. 23; Beschl. v. 11.01.2017 - 13a ZB 16.30878 -, juris Rn. 3; Beschl. v. 04.08.2015 - 13a ZB 15.30032 -, juris Rn. 8; Urt. v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 15; VG Augsburg, Urt. v. 12.05.2017 - Au 5 K 17.31330 -, juris Rn. 27 (keine Schulausbildung, keine Berufsausbildung); VG Oldenburg, Urt. v. 19.04.2017 - 3 A 2091/15 -, juris Rn. 67; VG München, Urteil v. 01.06.2017 - M 17 K 17.31300 -, juris Rn. 14 (Röntgenassistent, zwei minderjährige Kinder); Urt. v. 09.05.2017 - M 4 K 16.30874 -, juris Rn. 14; Urt. v. 04.05.2017 - M 26 K 16.34491 -, juris Rn. 26 (Bauhandwerker, vier minderjährige Kinder) Urt. v. 03.04.2017 - M 17 K 16.34859 -, juris Rn. 22 (Musiker, vierköpfige Familie); Urt. v. 15.03.2017 - M 17 K 16.35002 -, juris Rn. 19; VG Augsburg, Urt. v. 11.01.2017 - Au 5 K 16.31988 -, juris Rn. 24 (ungelernter Mann); VG Magdeburg, Urt. v. 24.11.2016 - 5 A 720/16 -, juris Rn. 35 (Maurer, vier Kinder, Verwandte in Afghanistan); VG München, Urt. v. 23.11.2016 - M 23 K 16.31629 -, juris (Alter, fehlender Familienverband); VG Augsburg, Urt. v. 21.10.2016 - Au 5 K 16.31801 -, juris (ungelernter Mann) sowie - Au 5 K 16.31745 -, juris (Mann mit Ausbildung); VG Oldenburg, Urt. v. 20.04.2016 - 3 A 1975/14 -, n.v. (Mann ohne Berufserfahrung); VG München, Gerichtsbescheid v. 05.11.2015 - M 9 K 14.30977 -, juris; a.A. VG Augsburg, Urt. v. 18.10.2016 - Au 3 K 16.30949 -, juris; Urt. v. 22.02.2017 - Au 3 K 16.31049 -, juris Rn. 19 ff.). Auch der UNHCR geht nicht mehr - wie noch in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 24. März 2011 (S. 15) - davon aus, dass neben alleinstehenden Männern auch Kernfamilien (single males and nuclear family units) unter gewissen Umständen ohne Unterstützung von Familie oder Gemeinschaft leben könnten (vgl. Bay. VGH, Urt. v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 -, juris Rn. 28). Familien haben nach Einschätzung der UNICEF häufig keine andere Wahl, als in Slums zu wohnen, wo sie keinen Zugang zu akzeptablen Wohnbedingungen, Wasser, sanitären Einrichtungen, Gesundheitsversorgung und Bildung hätten und aufgrund der beschränkt verfügbaren Flächen würden auch wenig geeignete Orte wie die steilen Hänge um Kabul besiedelt (Bay. VGH, Urt. v. 23.03.2017 - 13a B 17.30030 -, juris Rn. 22). Diese informellen Siedlungen seien durch schwierige naturgegebene Merkmale wie extreme Winter, beschränkten Zugang zu sauberem Wasser und unhygienische Bedingungen geprägt, was bei Kleinkindern besonders ins Gewicht fällt (Bay. VGH, Urt. v. 23.03.2017 - 13a B 17.30030 -, juris Rn. 22). Nach der gutachterlichen Stellungnahme der Sachverständigen Dr. L. an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz vom 08. Juni 2011 könne ein alleinstehender arbeitsfähiger junger Mann ohne Berufsqualifikation durch Aushilfsjobs zwar sein Existenzminimum sichern, nicht jedoch die Ernährung einer Familie in ausreichendem Maße gewährleisten. Dies gilt unter Berücksichtigung der individuellen Gesamtumstände jedenfalls im vorliegenden Fall, da sich die Kläger zu 1. und 2. die letzten 26 Jahre vor ihrer Ankunft in Deutschland im Iran aufgehalten haben und in Afghanistan keine Verwandten (mehr) haben. Die Kläger zu 1. und 2. verfügen auch über keine schulische oder berufliche Ausbildung bzw. Erfahrung, die zu einer anderen Beurteilung führen könnte. Auch die im Falle der Rückkehr gewährten Starthilfen über das ERIN- und das REAG/GARP-Programm vermögen ein menschenwürdiges Dasein für die Kläger nicht sicherzustellen (vgl. Bay. VGH, Urt. v. 23.03.2017 - 13a B 17.30030 -, juris Rn. 24).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.