Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.12.2005, Az.: 1 TaBV 77/05

Angemessenheit der Besetzung der Einigungsstelle hinsichtlich der Anzahl an Beisitzern; Berücksichtigungsfähige Gerichtspunkte bei der Besetzung der Einigungsstelle mit mehr als zwei Beisitzern

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
13.12.2005
Aktenzeichen
1 TaBV 77/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 30610
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2005:1213.1TABV77.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hameln - 07.09.2005 - AZ: 3 BV 11/05

Fundstellen

  • AUR 2006, 214 (amtl. Leitsatz)
  • AiB 2013, 528
  • AuR 2006, 214 (amtl. Leitsatz)
  • NZA-RR 2006, VI Heft 5 (amtl. Leitsatz)
  • NZA-RR 2006, 306-307 (Volltext mit amtl. LS)
  • schnellbrief 2006, 4

Amtlicher Leitsatz

Die Besetzung mit einer größeren Anzahl an Beisitzern kann angemessen sein, wenn der Regelungsgegenstand es erfordert. Mehr als zwei Beisitzer können bestimmt werden, wenn die Betriebspartner hierüber Einvernehmen erzielen oder das Arbeitsgericht im Bestellungsverfahren nach § 98 ArbGG dies in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens für geboten hält (LAG München 31. Januar 1989 LAGE § 98 ArbGG Nr. 14; LAG Hamburg 13. Januar 1999 - 4 TaBV 9/98 - AiB 1999, 221; Kreutz aaO Rz. 37; Schwab/Weth-Walker ArbGG § 98 ArbGG Rz. 56; Düwell/Lipke-Koch ArbGG 2. Aufl. § 98 ArbGG Rz. 19, jeweils m. w. N.). Ob die Voraussetzungen hierfür gegeben sind, entscheidet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Den Ausschlag geben dabei die Komplexität des zu regelnden Sachverhalts, die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen, die mit dem Regelungsgegenstand verbundenen schwierigen Rechtsfragen und die Zumutbarkeit der Einigungsstellenkosten. Der Beschwerde ist zu folgen, wenn sie insoweit für ein Abweichen von der Regelbesetzung der Einigungsstelle verlangt, dass diese besondere Situation durch "nachprüfbare Tatsachen" belegt wird (LAG Rheinland-Pfalz 23. Juni 1983 - 4 TaBV 12/83 - DB 1984, 56).

In dem Beschlussverfahren
hat die 1. Kammer des Landesarbeitsgericht Niedersachsen
auf Grund der Anhörung am 13. Dezember 2005
durch
den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Prof. Dr. Lipke
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Arbeitgeberin (Bet. zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hameln vom 7. Sept. 2005 - 3 BV 11/05 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten streiten im zweiten Rechtszug nur noch darüber, ob die unter der Leitung des Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht Niedersachsen P.... zu dem Regelungsgegenstand "Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, Verteilung der Wochenarbeitszeit auf die einzelnen Wochentage sowie Festlegung der zeitlichen Lage der Pausen im kaufmännischen Bereich der G... GmbH Niederlassung L..." gebildete Einigungsstelle mit jeweils zwei oder drei Beisitzern von jeder Seite zu versehen ist.

2

Das Arbeitsgericht Hameln hat die Anzahl der Beisitzer auf jeweils drei festgelegt und zur Begründung ausgeführt, hierbei sei auf die konkrete Aufgabenstellung und die anfallenden schwierigen Rechtsfragen abzustellen. Der Verbandsaustritt der Arbeitgeberin eröffne umfangreiche Fragestellungen, die durch die Einigungsstelle im Zusammenhang mit Arbeitszeitgestaltung zu beurteilen seien. Dafür seien drei Beisitzer, unter Umständen auch zwei externe Beisitzer angemessen und erforderlich. Die daraus entstehenden zusätzlichen Kosten seien vertretbar. Zu den weiteren Einzelheiten der Begründung und dem Vorbringen der Beteiligten in erster Instanz wird auf den Beschluss des Arbeitsgerichts (Bl. 59 - 64 d. A.) Bezug genommen.

3

Gegen den ihr am 9. September 2005 zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts vom 7. September 2005 (Bl. 66 R d. A.) hat die Arbeitgeberin am 23. September 2005 Beschwerde zum Landesarbeitsgericht eingelegt und zugleich begründet (Bl. 68 d. A. ).

4

Die Arbeitgeberin hält die Regelbesetzung von zwei Beisitzern für ausreichend, da hier nach einem schon längerwährenden Abstimmungsverfahren zur Arbeitszeitregelung nur noch einzelne Punkte zu verhandeln seien und schwierige Rechtsfragen zu den unterschiedlichen Arbeitszeiten nach Verbandsaustritt nicht anstünden. Das Arbeitsgericht habe nicht anhand nachprüfbarer Tatsachen belegt, warum hier ein besonderer Schwierigkeitsgrad vorliege, der ein Abweichen von der Regelbesetzung erfordere. Das Arbeitsgericht habe daher bei der Festlegung der Beisitzerzahl sein Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt.

5

Die Arbeitgeberin und Bet. zu 2) beantragt,

Ziffer 2 des Beschlusses des Arbeitsgerichts Hameln vom 7.09.2005 - 3 BV 11/05 - mit der Maßgabe abzuändern, dass die Anzahl der Beisitzer auf jeweils zwei festgelegt wird.

6

Der Betriebsrat und Bet. zu 1) beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

7

Der Betriebsrat weist darauf hin, dass sich der Hauptstreitpunkt der Einigungsstelle nicht darauf beschränke, in einer Ausgleichsregelung entweder 25,00 EUR oder 35,00 EUR festzulegen. Es gebe eine massive Anzahl rechtlicher Probleme, die mit dem Ausscheiden der Arbeitgeberin aus dem Arbeitgeberverband zusammenhingen. Im kaufmännischen Bereich seien - insoweit unstreitig - drei Beschäftigtengruppen in L... tätig, nämlich die Beschäftigten des ehemaligen Standorts H..., die unter den Geltungsbereich des Manteltarifvertrages für die kaufmännischen und technischen Angestellten des privaten Verkehrsgewerbes im Lande Niedersachsen fallen, die Beschäftigten aus B..., die unter den entsprechenden Tarifvertrag in Nordrhein-Westfalen fallen und schließlich die Beschäftigten, die nach Austritt aus dem Arbeitgeberverband in L... neu eingestellt worden sind. Für die ersten beiden Beschäftigtengruppen käme das Problem der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf die jeweiligen tarifvertraglichen Regelungen hinzu. Dabei spiele die unterschiedliche Wochenarbeitszeit eine Rolle. Die Besetzung mit drei Beisitzern sei daher angemessen, die Arbeitgeberseite habe ausweislich einer überreichten e-mail vom 23. November 2004 (Bl. 5 d. A.) - insoweit unstreitig - sogar vier Beisitzer für erforderlich gehalten.

8

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten wird auf den Akteninhalt und das Anhörungsprotokoll vom 13. Dezember 2005 verwiesen.

9

II.

Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin und Bet. zu 2) ist unbegründet. Die Festlegung auf drei Beisitzer durch das Arbeitsgericht ist nicht zu beanstanden. Die Beschwerde der Arbeitgeberin und Bet. zu 2 war daher zurückzuweisen.

10

1.

Im Ausgangspunkt zutreffend geht die Beschwerde davon aus, dass eine Besetzung der Einigungsstelle mit zwei Beisitzern regelmäßig ausreicht.

11

Damit eröffnet sich für jede Seite die sinnvolle Möglichkeit einen betriebsinternen und einen betriebsexternen Beisitzer in die Einigungsstelle zu entsenden. Während der eine die Betriebsinterna einbringen kann, verfügt der andere etwa über zusätzliches Wissen und/oder Fachkompetenz, das auf besonderen Rechtskenntnissen oder Vertrautsein mit überbetrieblichen Branchenbesonderheiten beruhen kann (LAG Schleswig-Holstein 13. Januar 1997 - 1 TaBV 3/97 - LAGE § 76 BetrVG 1972 Nr. 44; LAG Hamm 26. Juli 2004 - 10 TaBV 64/05 - AuR 2005, 312; Fitting u. a. BetrVG 22. Auflage § 76 BetrVG Rz. 13; GK-BetrVG/Kreutz 8. Auflage § 76 BetrVG Rz. 38 jeweils m. w. N.).

12

2.

Die Besetzung mit einer größeren Anzahl an Beisitzern kann indessen angemessen sein, wenn der Regelungsgegenstand es erfordert. Mehr als zwei Beisitzer können bestimmt werden, wenn die Betriebspartner hierüber Einvernehmen erzielen oder das Arbeitsgericht im Bestellungsverfahren nach § 98 ArbGG dies in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens für geboten hält (LAG München 31. Januar 1989 LAGE § 98 ArbGG Nr. 14; LAG Hamburg 13. Januar 1999 - 4 TaBV 9/98 - AiB 1999, 221; Kreutz aaO Rz. 37; Schwab/Weth-Walker ArbGG § 98 ArbGG Rz. 56; Düwell/Lipke-Koch ArbGG 2. Aufl. § 98 ArbGG Rz. 19, jeweils m. w. N.). Ob die Voraussetzungen hierfür gegeben sind, entscheidet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Den Ausschlag geben dabei die Komplexität des zu regelnden Sachverhalts, die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen, die mit dem Regelungsgegenstand verbundenen schwierigen Rechtsfragen und die Zumutbarkeit der Einigungsstellenkosten. Der Beschwerde ist zu folgen, wenn sie insoweit für ein Abweichen von der Regelbesetzung der Einigungsstelle verlangt, dass diese besondere Situation durch "nachprüfbare Tatsachen" belegt wird (LAG Rheinland-Pfalz 23. Juni 1983 - 4 TaBV 12/83 - DB 1984, 56).

13

3.

Wenngleich das Arbeitsgericht in seinen Gründen konkret allein den Verbandsaustritt der Arbeitgeberin als besondere Schwierigkeit für die zu regelnde neue Arbeitszeit im Betrieb L... angeführt hat, so erweist sich bei näherem Hinsehen die Festsetzung von drei Beisitzern auf jeder Seite im Ergebnis als zutreffend. Es handelt sich nämlich um die Zusammenführung mehrerer Arbeitnehmergruppen aus H... und B... mit unterschiedlichem tariflichen Hintergrund am Standort L.... Selbst wenn die Tarifverträge nach Verbandsaustritt der Arbeitgeberin nur noch nachwirken oder nur durch arbeitsvertragliche Inbezugnahme eine Rolle spielen sollten, erscheint es angemessen entweder auf Arbeitnehmerseite zwei betriebsangehörige Beisitzer mit unterschiedlicher persönlicher Tarifgeschichte und zur internen rechtlichen Beratung einen betriebsfremden Rechtsberater in die Einigungsstelle zu entsenden oder einem betriebsangehörigen Beisitzer neben dem externen Rechtsberater noch einen Tarifexperten der Gewerkschaft hinzuzugeben. Die angesprochenen schwierigen Rechtsfragen zur Rechtsqualität der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme von Tarifverträgen (statisch oder dynamisch) gebieten hier ein Abweichen von der Regelbesetzung. Diese Sicht wurde offenbar anfänglich von der Arbeitgeberseite geteilt, denn der Personalleiter der Bet. zu 2) Wolff hat noch mit einer e-mail vom 23. November 2004 (Bl. 5 d. A.) vier Beisitzer auf jeder Seite für erforderlich gehalten.

14

4.

Es kann daher dahinstehen, ob das Landesarbeitsgericht als Beschwerdegericht - wie im Zivilprozess - das Ermessen des Arbeitsgerichts zur Festlegung der Beisitzerzahl ersetzen darf oder insoweit - wie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren - nur eine Ermessensüberprüfung vornehmen kann (zum Streitstand Schwab/Weth-Walker aaO Rz. 67 m. w. N.; Düwell/Lipke-Koch aaO Rz. 31a). Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Die nähere ergänzende Begründung hierzu hat das Beschwerdegericht gegeben.

15

5.

Eine Kostenentscheidung ist nach § 2 Abs. 2 GKG 2004 nicht zutreffen, da das Beschlussverfahren gerichtskostenfrei ist.

16

Gegen diese Entscheidung ist nach § 98 Abs. 2 ArbGG ein Rechtsmittel nicht gegeben.