Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.07.2005, Az.: 7 Sa 1867/04
Arbeitsrechtliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Rückgängigmachung einer gewährten Erhöhung der Vergütung; Arbeitsrechtliche Ausgestaltung des Begriffs der betrieblichen Übung; Anforderungen an das Vorliegen eines Anspruchs auf Weitergewährung einer Lohnerhöhung; Ausgestaltung der Auslegung von Tarifverträgen
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 28.07.2005
- Aktenzeichen
- 7 Sa 1867/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 39551
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2005:0728.7SA1867.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 24.08.2004 - AZ: 11 Ca 367/04
- nachfolgend
- BAG - 18.04.2007 - AZ: 4 AZR 652/05
Rechtsgrundlagen
- § 151 BGB
- § 310 Abs. 4 S. 2 BGB
- § 350 Abs. 2 BGB
...
hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juli 2005
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Leibold,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Wolf,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Pröttel
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 24.08.2004, 11 Ca 367/04, wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 24.08.2004, 11 Ca 367/04, teilweise abgeändert:
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin seit dem 01. Januar 2004 eine Gehaltserhöhung von 2,4 % weiter zu zahlen und die monatlichen Differenzbeträge zwischen gezahlter und beantragter Vergütung jeweils ab Fälligkeit mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin und der Beklagte jeweils zu 50 %.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte zum einen berechtigt war, eine ab 01.04.2003 tatsächlich gewährte Erhöhung der Vergütung um 2,4 % ab Januar 2004 wieder rückgängig zu machen, und ob der Beklagte zum anderen verpflichtet ist, der Klägerin ab 01.01.2004 und ab 01.05.2004 jeweils eine weitere Vergütungserhöhung von 1 % zu gewähren.
Die am 00.00.1966 geborene Klägerin ist seit dem 01.08.2002 bei dem Beklagten als Erzieherin mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag vom 21.05.2002 (Bl. 5, 6 d.A.) wurde unter anderem vereinbart, dass dem Arbeitsverhältnis der Tarifvertrag für Angestellte, Arbeiter und Auszubildende des D. in der jeweiligen geltenden Fassung zugrunde liegt, und dass die Beschäftigung bei dem D. nicht öffentlicher Dienst ist.
Die Klägerin ist seit dem 01.03.2003 Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Der Beklagte war Mitglied in der Landestarifgemeinschaft Niedersachsen des D. seit deren Gründung und kündigte diese Mitgliedschaft mit Schreiben vom 30.12.2002 zum 31.03.2003.
Die Landestarifgemeinschaft des D. ist ihrerseits Mitglied in der Bundestarifgemeinschaft des D., die im Jahre 1984 mit der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), deren Rechtsnachfolgerin die Gewerkschaft ver.di ist, eine "Vereinbarung über Rahmenbedingungen für den Abschluss von Tarifverträgen" (Bl. 63 bis 68 d.A.) abgeschlossen hat.
In dieser Vereinbarung wurde unter anderem festgelegt:
§ 2
"Übereinstimmendes Ziel der Vertragsparteien ist es, Arbeitskämpfe im Bereich der Tarifgemeinschaft des D. nach § 3 Abs. 1 zu vermeiden.
§ 3
...
2) Soweit die Arbeitsbedingungen des D. mit den Regelungen des BAT inhaltlich identisch sind (Katalog A), werden zwischen den Vertragsparteien keine Verhandlungen geführt. Die Möglichkeit, im beiderseitigen Einvernehmen Verhandlungen zu führen, bleibt unberührt."
Der von der Bundestarifgemeinschaft des D. und der Gewerkschaft ÖTV vereinbarte D.-Tarifvertrag (West) enthält in § 67 Abs. 3 folgende Regelung:
"Soweit Regelungen gemäß § 3 der Rahmenbedingungen (Katalog A) zwischen den Tarifvertragsparteien nicht zu verhandeln sind, bedarf es keiner formalen Kündigung des Tarifvertrages, um die geänderten Vorschriften für den öffentlichen Dienst als Tarifrecht für das D. zu übernehmen."
In der Folgezeit wurden die für den öffentlichen Dienst vereinbarten Vergütungserhöhungen jeweils durch einen Übernahmetarifvertrag zwischen der Tarifgemeinschaft des D. und der Gewerkschaft übernommen.
Am 09.01.2003 wurde für den Bereich des öffentlichen Dienstes ein Tarifabschluss erzielt, der unter anderem eine Vergütungserhöhung ab 01.04.2003 um 2,4 %, ab 01.01.2004 um 1 % und ab 01.05.2004 um ebenfalls 1 % vorsieht.
In einem Schreiben des Generalsekretariats des D. vom 14.01.2003 an alle D.-Landesverbände (Bl. 8-11 d.A.) wurde ausgeführt:
"Gemäß der beim Abschluss des D.-Tarifvertrages im Jahre 1984 mit den Gewerkschaften vereinbarten Tarifautomatik ist das Tarifergebnis der aktuellen Lohnrunde des öffentlichen Dienstes für die tarifgebundenen Verbände automatisch, ohne weitere Verhandlungen in den D.-Tarifvertrag West zu übernehmen."
Der Landesverband Niedersachsen des D. schrieb in einem Rundschreiben an alle D.-Kreisverbände (Bl. 7 d.A.):
"Für die Mitglieder der Landestarifgemeinschaft gilt das Tarifergebnis des öffentlichen Dienstes automatisch, d.h. es bedarf keiner weiteren Umsetzungsverhandlungen. Das gilt auch für die überwiegende Zahl der Mitglieder, die zum 31. März dieses Jahres gekündigt haben und auch für die erst nach Wirksamwerden des Austrittes umzusetzenden weiteren Steigerungen um jeweils 1 % zum 01. Januar 2004 bzw. 01. Mai 2004."
Der Beklagte gewährte seinen Beschäftigten zunächst ab 01.04.2003 eine Gehaltserhöhung von 2,4 %.
Am 19.11.2003 wurden die im Streit stehenden Vergütungserhöhungen durch den 23. Tarifvertrag zur Änderung des Tarifvertrages über Arbeitsbedingungen für Angestellte, Arbeiter und Auszubildende des D. übernommen. Der späte Tarifabschluss war unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Tarifvertragsparteien zunächst keine Einigung hinsichtlich der so genannten Arbeitszeitverkürzungstage und der vereinbarten Einmalzahlungen erzielen konnten.
Mit ihrer Zahlungsklage über 322,48 € brutto begehrt die Klägerin für die Monate Januar bis April 2004 die Weitergewährung der Lohnerhöhung von 2,4 % (monatlich 56,51 €) sowie die weitere Lohnerhöhung von 1 % (monatlich 24,11 €).
Das Arbeitsgericht hat durch ein der Klägerin am 25.10.2004 und dem Beklagten am 22.10.2004 zugestelltes Urteil vom 24.08.2004, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 70-80 d.A.), den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 226,04 € brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von jeweils 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils 56,51 € seit dem 01.02.2004, 01.03.2004, 01.04.2004 bzw. 01.05.2004. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten zu 70,1 % und der Klägerin zu 29,9 % auferlegt und die Berufung zugelassen.
Hiergegen richten sich die am 19.11.2004 eingelegte "Anschlussberufung" des Beklagten, die nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28.02.2005 am 24.02.2005 begründet wurde, sowie die am 31.03.2005 eingelegte gleichzeitig begründete Anschlussberufung der Klägerin.
Die Klägerin ist der Auffassung, der Anspruch auf die geltend gemachten Vergütungserhöhungen folge aus Ziffer 3 des Arbeitsvertrages. Hierin sei eine dynamische Verweisung auf die D.-Arbeitsbedingungen in ihrer jeweiligen Fassung zu sehen. Unklarheiten müsste der Beklagte als Verwender des Formulararbeitsvertrages gegen sich gelten lassen.
Der Vertragsklausel stehe auch nicht ihr vermeintlicher Charakter als "Gleichstellungsabrede" entgegen. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts finde keine rechtliche Stütze.
Der Anspruch der Klägerin folge schließlich aus § 3 der Rahmenvereinbarung, der gemäß § 3 Abs. 3 TVG nachwirke.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abzuändern und festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, an sie seit dem 01.01.2004 eine Gehaltserhöhung von 2,4 % fortzuentrichten, seit dem 01.01.2004 eine weitere Gehaltserhöhung von 1 % sowie ferner seit dem 01.05.2004 eine Gehaltserhöhung von 1 % zu zahlen und die monatlichen Differenzbeträge zwischen gezahlter und beantragter Vergütung ab jeweiliger Fälligkeit in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Der Beklagte erklärt, einem Feststellungsurteil Folge leisten zu wollen, und beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen sowie
das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, er sei nicht an den Übernahmetarifvertrag gebunden, der zwischen der Tarifgemeinschaft des D. und der Gewerkschaft ver.di Ende des Jahres 2003 abgeschlossen worden sei. Da seine Mitgliedschaft in der Landestarifgemeinschaft des D. am 31.03.2003 geendet habe, scheide eine Tarifbindung aus.
Auch aus der im Jahre 1984 unterzeichneten "Vereinbarung über Rahmenbedingungen für den Abschluss von Tarifverträgen" lasse sich eine Bindung nicht ableiten. Die Tarifgebundenheit über § 3 Abs. 3 TVG habe zeitgleich mit dem Abschluss des Übernahmetarifvertrages geendet. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stehe die Änderung des Tarifvertrages, auf den verwiesen werde, wertungsmäßig der Änderung des verweisenden Tarifvertrages gleich.
Eine Bindung folge schließlich auch nicht aus Ziffer 3 des Arbeitsvertrages, die eine Gleichstellungsabrede beinhalte. Diese Vertragsklausel wirke nach dem Austritt des Beklagten aus der Landestarifgemeinschaft des D. nur noch als statische Verweisung auf den bei Ende der Tarifgebundenheit geltenden Tarifvertrag.
Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht einen Anspruch auf Lohnerhöhung in Höhe von 2,4 % aus einer betrieblichen Übung bejaht. Das Verhalten des Beklagten sei schon objektiv nicht geeignet, eine entsprechende betriebliche Übung zu begründen. Demjenigen, der zur Erfüllung einer irrtümlich angenommenen Verbindlichkeit handele, könne nicht unterstellt werden, dass er diese Verpflichtung - zumindest nachträglich - rechtswirksam begründen wolle.
Bei der Auszahlung des um 2,4 % erhöhten Gehalts in den Monaten Mai bis Dezember 2003 sei objektiv erkennbar gewesen, dass der Beklagte nach den Änderungen des BAT vom 09.01.2003 verfahren sei und irrtümlich angenommen habe, danach zur Zahlung verpflichtet zu sein. Denn die gewährte Lohnerhöhung habe exakt mit den Vorgaben des BATübereingestimmt. Zudem habe es der Übung der vergangenen Jahre entsprochen, dass die Lohnerhöhungen sich mittelbar nach den Vorgaben des BAT richteten. Dies alles sei für die Klägerin und ihre Arbeitskollegen erkennbar gewesen.
Auch ohne Kenntnis der Umstände, die den Irrtum des Beklagten veranlasst hätten, seien Art und Inhalt des Irrtums durchaus erkennbar gewesen. Für einen sorgfältigen Beobachter aus der Perspektive der Arbeitnehmer sei ohne weiteres ersichtlich gewesen, dass sich die Beklagte an die Tarifvereinbarung vom 09.01.2003 gebunden gefühlt habe.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten ist zulässig.
Dabei ist unschädlich, dass der Beklagte mit dem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 17.11.2004 ausdrücklich lediglich "Anschlussberufung" eingelegt hat. Gemäß § 519 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO muss die Berufungsschrift allerdings die Erklärung enthalten, dass "Berufung" eingelegt wird. Eine Auslegung der Berufungsschrift ergibt vorliegend, dass der Beklagte tatsächlich selbstständig Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts und nicht lediglich eine Anschlussberufung einlegen wollte.
Dies folgt zum einen daraus, dass bei Eingang des Schriftsatzes vom 17.11.2004 eine Berufung der Klägerin nicht vorlag, der sich der Beklagte hätte anschließen können. Ferner wird der Beklagte in diesem Schriftsatz als "Beklagte und Berufungsklägerin" und die Klägerin als "Klägerin und Berufungsbeklagte" bezeichnet, was auf den Willen zu einer selbstständigen Berufungseinlegung schließen lässt. Schließlich hat sich der Beklagte die Berufungsbegründung einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten, was bei einer Anschlussberufung gemäß § 524 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht zulässig ist. Diese Umstände lassen den Schluss zu, dass der Beklagte tatsächlich selbstständig Berufung gegen das arbeitsgerichtliche Urteil einlegen wollte.
Die im Übrigen fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Beklagten ist jedoch nicht begründet.
Das Arbeitsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Klägerin für die Monate Januar bis April 2004 ein Zahlungsanspruch in Höhe von 226,04 € brutto nebst Zinsen gegen den Beklagten zusteht.
Das Arbeitsgericht hat diesen Anspruch mit einer entstandenen betrieblichen Übung begründet. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist unter betrieblicher Übung die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend gemäß § 151 BGB angenommen wird, erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist dabei nicht ein Verpflichtungswille des Arbeitgebers, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen musste und durfte (BAG vom 16. Juni 2004, 4 AZR 417/03).
Ausgeschlossen ist die Entstehung einer betrieblichen Übung, wenn für die vom Arbeitgeber getätigten Leistungen eine andere Rechtsgrundlage besteht. Ihrer Begründung kann aber auch entgegenstehen, dass der Arbeitgeber aufgrund einer vermeintlichen Verpflichtung aus einer anderen Rechtsgrundlage die Leistung erbringt. Deshalb kann eine irrtümliche Leistung des Arbeitgebers eine betriebliche Übung dann nicht begründen, wenn der Arbeitnehmer aus den Umständen den Irrtum erkennen konnte und der Arbeitgeber den Irrtum nach Kenntniserlangung korrigiert (BAG vom 04.05.1999, 10 AZR 569/98). Die Bindung des Arbeitgebers setzt voraus, dass die Arbeitnehmer aufgrund seines Verhalten darauf vertrauen dürfen, die Leistung solle auch in Zukunft gewährt werden (BAG vom 16.06.2004, 4 AZR 417/03).
Vorliegend durfte die Klägerin wie auch ihre Arbeitskollegen darauf vertrauen, dass der Beklagte ihr tatsächlich ab 01.04.2003 auf Dauer eine Gehaltserhöhung von 2,4 % gewähren wollte.
Dies folgt zunächst daraus, dass der Beklagte ab April 2004 der Klägerin über einen Zeitraum von mehr als 3 Monaten hinaus monatlich eine um 2,4 % erhöhte Vergütung gezahlt hat ohne jeglichen Vorbehalt. Er hat durch diese regelmäßige Wiederholung der neuen Vergütung objektiv zu erkennen gegeben, der Klägerin eine entsprechende Gehaltserhöhung gewähren zu wollen.
Die Klägerin konnte aus den Umständen nicht objektiv erkennen, dass diese Zahlungen in Folge der irrtümlichen Annahme des Beklagten, hierzu aufgrund der tariflichen Regelung verpflichtet zu sein, erfolgten. Unstreitig war der Klägerin das Rundschreiben vom 23.01.2003 nicht bekannt. Sie wusste also nicht, dass der Landesverband Niedersachsen dem Beklagten mitgeteilt hatte, dass er aufgrund des Tarifergebnisses des öffentlichen Dienstes die dort vereinbarten Steigerungen automatisch weitergeben müsse.
Der Beklagte hat auch nicht auf andere Weise gegenüber seinen Mitarbeitern deutlich gemacht, dass er sich zu der Gewährung der Lohnerhöhung aufgrund des Tarifergebnisses im öffentlichen Dienst verpflichtet fühlt. Insbesondere fehlt ein entsprechender Vorbehalt, der auf oder mit der monatlichen Gehaltsabrechnung hätte ausgesprochen werden können.
Bekannt war den Mitarbeitern demgegenüber, dass der Beklagte zum 31.03.2004 seine Mitgliedschaft in der Landestarifgemeinschaft des D. gekündigt hatte. Zudem war in der Vergangenheit niemals der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst automatisch übernommen worden, vielmehr wurde jedes Mal ein gesonderter Übernahmetarifvertrag zwischen der Gewerkschaft und dem D. abgeschlossen. Ein derartiger Übernahmetarifvertrag lag allerdings objektiv im Zeitpunkt der mehrfachen Gewährung der Gehaltserhöhung von 2,4 % nicht vor. Wenn aber der Beklagte trotz Nichtvorlage eines Übernahmetarifvertrages und trotz Kündigung der Mitgliedschaft in der Landestarifgemeinschaft seinen Mitarbeitern ab 01.04.2004 eine Gehaltserhöhung von 2,4 % tatsächlich gewährt, durften die Arbeitnehmer objektiv darauf vertrauen, dass diese Zahlungen unabhängig von einer tariflichen oder vertraglichen Verpflichtung des Beklagten erfolgen sollen.
Unschädlich ist, dass die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit die Auffassung vertritt, tatsächlich bestehe eine tarifliche Zahlungsverpflichtung des Beklagten. Dass dies rechtlich nicht der Fall ist, hat das Arbeitsgericht zutreffend entschieden, wie noch auszuführen sein wird. Für die Entstehung des im Streit stehenden Anspruches kommt es nicht auf den subjektiven Willen der Parteien an. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Arbeitnehmer aus der regelmäßigen Wiederholung einer bestimmten Verhaltensweise des Arbeitgebers objektiv einen entsprechenden Verpflichtungswillen entnehmen konnten, ihnen solle die Leistung auf Dauer eingeräumt werden. Die betriebliche Übung hat damit einen kollektiven Bezug (BAG vom 24.09.2003, 5 AZR 591/02, NZA 2003, 1387, 1388).
Die Berufung des Beklagten war deshalb zurückzuweisen.
Die Anschlussberufung der Klägerin ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, § 524 ZPO, 64, 66 ArbGG.
Sie ist teilweise begründet, soweit die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die Gehaltserhöhung um 2,4 % auch in der Zeit nach April 2004 weiter gewährt wird.
Gegen die Zulässigkeit der erstmals im Berufungsverfahren geltend gemachten Feststellungsklage bestehen keine Bedenken.
Die Klägerin hat das nach § 256 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung. Sie ist nicht gehalten, die im Streit stehenden Ansprüche monatlich durch Leistungsklage geltend zu machen. Aufgrund der Erklärung des Beklagten zu Protokoll vom 28.07.2005 kann vielmehr davon ausgegangen werden, dass der Beklagte einem Feststellungsurteil Folge leisten wird. Die Feststellungsklage ist zudem geeignet, den Streit der Parteien insgesamt beizulegen.
Die Klageänderung ist auch gemäß § 533 ZPO zulässig. Sie ist sachdienlich, da hierdurch der Streit der Parteien umfassend und abschließend entschieden wird. Sie wird zudem auf Tatsachen gestützt, die das Berufungsgericht ohnehin seiner Entscheidung zu Grunde zu legen hat.
Der Beklagte ist auch verpflichtet, der Klägerin ab Januar 2004 und über April 2004 hinaus die im Jahre 2003 gewährte Gehaltserhöhung von 2,4 % weiterzuzahlen. Der Anspruch folgt dabei entsprechend den Grundsätzen einer betrieblichen Übung, wie dies bereits ausführlich dargelegt worden ist.
Der Entscheidung über die zugesprochenen Zinsen beruht auf den §§ 286 Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB.
Soweit die Klägerin mit ihrer Berufung die Gewährung weiterer Gehaltserhöhungen von jeweils 1 % ab dem 01.01.2004 und dem 01.05.2004 begehrt, ist die Berufung unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass ein entsprechender Anspruch nicht besteht. Die erkennende Kammer folgt dabei in der Begründung im Wesentlichen den Urteilen des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 17.06.2005 (3 Sa 193/05) in einem Parallelverfahren sowie des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 13.05.2005 (12 Sa 850/04, anhängig beim BAG: 4 AZR 272/05) und fasst die wesentlichen Entscheidungsgründe wie folgt zusammen:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen tariflichen Anspruch auf die begehrte Vergütungserhöhung.
Die Klägerin kann die begehrte Tariflohnerhöhung nicht aus der Bezugnahmeklausel in dem Arbeitsvertrag verlangen. Bei dieser vertraglichen Bezugnahme auf den D.-Tarifvertrag handelt es sich um eine Gleichstellungsabrede im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Der Zweck einer derartigen Bezugnahme auf die einschlägigen Tarifverträge in einem von dem tarifgebundenen Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag besteht regelmäßig darin, dass auf das Arbeitsverhältnis unabhängig von der Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers die in Bezug genommenen Tarifverträge gelten sollen. Die Gleichstellungsabrede ersetzt nur die durch die Mitgliedschaft in der zuständigen Gewerkschaft begründete Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers. Deshalb nimmt der Arbeitnehmer mit einer Gleichstellungsabrede nur solange an der Tarifentwicklung teil wie ein tarifgebundener Arbeitnehmer. Nach dem Verbandsaustritt des Arbeitgebers gelten neu abgeschlossene Tarifverträge ebenso wie bei tarifgebundenen Arbeitnehmern nicht mehr.
Das Bundesarbeitsgericht rechtfertigt diese nicht auf den Wortlaut der Bezugnahmeklausel abstellende Auslegung damit, dass der Arbeitgeber bei Vertragsschluss die durch die Mitgliedschaft in der zuständigen Gewerkschaft begründete Tarifgebundenheit des Arbeitnehmers nicht kenne und auch nicht erfragen dürfe. Dies habe zur Folge, dass der Arbeitgeber, um eine von ihm erstrebte Gleichstellung von tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Arbeitnehmern zu erreichen, in alle Arbeitsverträge die Bezugnahmeklausel aufnehmen müsse.
Einem solchen Verständnis der Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag steht nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch nicht die Unklarheitenregel der §§ 310 Abs. 4 Satz 2, 350 Abs. 2 BGB entgegen (BAG vom 19.3.2003, 4 AZR 331/02, NZA 2003, 1207, 1208; BAG vom 04.08.1999, 5 AZR 642/98, NZA 2000, 154, 155).
Die Kammer schließt sich dieser Rechtsprechung, die das Bundesarbeitsgericht trotz der Kritik in Rechtsprechung und Literatur mehrfach bestätigt hat (BAG vom 01.12.2004, 4 AZR 50/04; BAG vom 26.01.2005, 10 AZR 331/04) im vorliegenden Fall an. Dies hat zur Folge, dass der Übernahmetarifvertrag vom 19.11.2003, der erst mit der letzten Unterschrift unter den Tarifvertrag am 19.12.2003 wirksam geworden ist, von der Bezugnahmeklausel nicht mehr erfasst wird, weil der Beklagte bereits vor diesem Zeitpunkt durch den erfolgten Verbandsaustritt nicht mehr tarifgebunden war.
Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung ist die Tariferhöhung für den öffentlichen Dienst auch nicht aufgrund § 3 der Rahmenbedingungen und § 67 Abs. 3 D.-TV ohne weiteren Übertragungsakt Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden. Zwar sehen diese Bestimmungen eine Übernahme der im Anwendungsbereich des BAT geltenden Normen vor, eine Geltung ohne förmliche Übernahme im Sinne einer Tarifautomatik normieren sie aber nicht, wie eine Auslegung dieser Regelungen ergibt.
Tarifverträge sind grundsätzlich wie Gesetze auszulegen. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm zu berücksichtigen, sofern und soweit dies in den Tarifnormen seinen Niederschlag gefunden hat. Dabei ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, weil häufig nur aus ihm und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur bei Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck zutreffend ermittelt werden kann. Noch verbleibende Zweifel können ohne Bindung an eine Reihenfolge mittels weiterer Kriterien wie der Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages und gegebenenfalls auch der praktischen Tarifübung geklärt werden. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG vom 22.10.2002, 3 AZR 664/01, AP Nr. 185 zu § 1 TVG Auslegung).
Die Auslegung des schuldrechtlichen Teils eines Tarifvertrages folgt demgegenüber nach den §§ 133, 157 BGB. Auch nach diesen Grundsätzen ist bei der Ermittlung des Willens der Vertragsparteien zunächst vom Wortlaut der getroffenen Bestimmungen auszugehen. Ferner sind zu berücksichtigen der systematische Gesamtzusammenhang, die Entstehungsgeschichte und in die praktische Handhabung.
Der Wortlaut der Rahmenbedingungen spricht gegen eine automatische Übernahme der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes. Vielmehr geht § 1 Abs. 1 ausdrücklich selbst davon aus, dass zwischen den Vertragsparteien noch ein Tarifvertrag abgeschlossen wird. In § 3 Abs. 2 heißt es lediglich, dass "keine Verhandlungen geführt" werden sollen. Eine automatische Übernahme der Vergütungstarifverträge des öffentlichen Dienstes kann darin nicht gesehen werden. Vielmehr ist eine Übernahme der Regelungen erforderlich, das heißt ein Rechtsakt, der dazu führt, dass die für den Bereich des BAT geltenden Bestimmungen auch für die Mitarbeiter des D. Geltung beanspruchen.
§ 67 Abs. 3 D.-Tarifvertrag legt fest, dass es keiner formalen Kündigung des Tarifvertrages bedarf, um die geänderten Vorschriften für den öffentlichen Dienst als Tarifrecht für das D. zu übernehmen. Die Vorschrift setzt mithin ausdrücklich ein "Übernehmen" voraus und schreibt damit gerade nicht eine automatische Übernahme vor.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang. So besagt § 2 der Rahmenbedingungen, dass es übereinstimmendes Ziel der Vertragsparteien ist, Arbeitskämpfe im Bereich der Tarifgemeinschaft des D. zu vermeiden. Diese Absicht erfordert es nicht zwingend, die tarifvertraglichen Regelungen automatisch, das heißt ohne eigenen Rechtssetzungsakt, zu übernehmen. Aus Sicht der Tarifvertragsparteien war es vielmehr ausreichend, das Zu-Stande-Kommen einer Tarifregelung in der Weise zu erleichtern, dass eine vorausgehende Kündigung des Tarifvertrages entbehrlich sein sollte; die Ergebnisse der Tarifvertragsverhandlungen im öffentlichen Dienst sollten abgewartet werden, ohne dass die Tarifvertragsparteien dabei selbst einen Tarifkonflikt mit eventuellen Arbeitskampfmaßnahmen durchstehen müssten. Die Tarifvertragsparteien haben auch gesehen, dass möglicherweise die finanzielle Situation des D. bzw. einzelner Mitglieder der Tarifgemeinschaft einer Übernahme der im Bereich des öffentlichen Dienstes geltenden Regelungen entgegenstehen könnte, wie die Bestimmungen der §§ 7 ff. der Rahmenvereinbarung zeigen. Auch die in § 3 Abs. 2 Satz 2 festgehaltene Möglichkeit, im beiderseitigen Einvernehmen Verhandlungen zu führen, spricht für den Willen der Tarifvertragsparteien, die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst erst aufgrund entsprechender Vereinbarungen zum Inhalt des D.-Tarifvertrages zu machen.
Das gefundene Auslegungsergebnis wird durch die praktische Tarifübung bestätigt. In der Vergangenheit haben die Tarifvertragsparteien des D.-Tarifvertrages stets eigene Übernahmetarifverträge vereinbart, um eine Geltung der Normen des BAT zu erzielen. Sie sind also offenbar selbst nicht von einer Übernahmeautomatik ausgegangen. Eine Regelung, die gewissermaßen für alle Zukunft auch nach Beendigung der Tarifgebundenheit von Arbeitgeber oder Arbeitnehmer im Wege des dynamischen Verweises einer Weitergeltung der Tarifbestimmungen für den öffentlichen Dienst vorsähe, wäre aus Sicht der Tarifvertragsparteien auch wenig vernünftig, weil sie ihnen im Einzelfall die Berücksichtigung veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen ganz erheblich erschweren würde.
Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung folgt eine Anwendbarkeit der im öffentlichen Dienst vereinbarten Vergütungserhöhung schließlich auch nicht aus einer Nachwirkung gemäß § 3 Abs. 3 TVG. Denn eine Nachwirkung kommt nur wegen der bei dem Verbandsaustritt des Beklagten geltenden Tarifnormen in Betracht. Der Übernahmetarifvertrag vom 19.11.2003 war allerdings im Zeitpunkt des Verbandsaustritts noch nicht wirksam vereinbart.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.
Die Revision ist gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen worden.