Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 31.05.2005, Az.: 13 Sa 1943/04
Fortbestehen oder Nichtfortbestehen eines Arbeitsverhältnisses bei Bewilligung unbefristeter Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und befristeter Rente wegen voller Erwerbsminderung durch den Rentenversicherungsträger; Folgen der Bewilligung einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung; Auswirkungen des Fehlens der Möglichkeit einer leidensgerechten Weiterbeschäftigung; Rechtfertigung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einen Teilrentenanspruch; Erforderlichkeit einer Zustimmung des Integrationsamtes bei schwerbehinderten Angestellten
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 31.05.2005
- Aktenzeichen
- 13 Sa 1943/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 16559
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2005:0531.13SA1943.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 07.09.2004 - AZ: 11 Ca 416/04 Ö
- nachfolgend
- BAG - 15.03.2006 - AZ: 7 AZR 332/05
Rechtsgrundlagen
- § 59 Abs. 1 BAT
- § 59 Abs. 3 BAT
- § 59 Abs. 4 BAT
Fundstelle
- LAGReport 2005, 288
Amtlicher Leitsatz
Beantragt der Angestellte Rente wegen Erwerbsminderung und bewilligt der Rentenversicherungsträger unbefristet Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und befristeter Rente wegen voller Erwerbsminderung, endet das Arbeitsverhältnis nicht. Vielmehr ruht das Arbeitsverhältnis während der Dauer des Bezugs der befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung.
In dem Rechtsstreit
hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 31. Mai 2005
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Müller,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Ihlenfeld
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 07.09.2004, 11 Ca 416/04Ö, abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht zum 14.07.2004 beendet worden ist.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.500,-- EUR festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht zum 14.07.2004 beendet worden ist. Das beklagte Land begründet die Beendigung gemäß § 59 BAT mit Rentenbewilligung wegen teilweiser Erwerbsminderung.
Die Klägerin war als Krankenschwester seit 1975 in der .... des beklagten Landes beschäftigt, zuletzt mit 50 % der regelmäßigen Arbeitszeit und einem Bruttogehalt von etwa 1.500,-- EUR. Im Arbeitsvertrag ist die Anwendung des Bundesangestelltentarifvertrages vereinbart, es besteht ein Versicherungsverhältnis zur VBL. Gemäß Bescheid der Agentur für Arbeit vom 14.05.2004 (Bl. 32 d.A.) ist die Klägerin ab 08.10.2003 einer Schwerbehinderten gleichgestellt. Die entsprechende Antragstellung war dem beklagten Land seit Oktober 2003 bekannt.
Mit Rentenbescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 03.03.2004 (Bl. 141 ff. d.A.), der Klägerin zugegangen am 12.03.2004, wurde ihr ab 01.06.2002 eine unbefristete Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt. Im Rentenbescheid vom 03.03.2004 ist ausgeführt, dass wegen des geltend gemachten Anspruchs auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ein weiterer Bescheid folgt. Mit Bescheid vom 09.03.2004, zugestellt am 17.03.2004, bewilligte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Rente wegen voller Erwerbsminderung befristet für die Zeit vom 01.12.2002 bis 30.11.2005.
Nachdem sich das beklagte Land ursprünglich mit Schreiben vom 06.04.2004 auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2004 berufen hatte, hat es im Mai 2004 die Zustimmung des Integrationsamtes zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses beantragt. Die Zustimmung wurde mit Bescheid vom 13.07.2004 (Bl. 53 d.A.) erteilt. Das beklagte Land macht nunmehr nur noch geltend, dass das Arbeitsverhältnis zum 14.07.2004 beendet worden ist.
Ein schriftlicher Antrag der Klägerin zur Weiterbeschäftigung ist außerhalb des Klageverfahrens nicht gestellt worden.
Die Klägerin hat vorgetragen, eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 59 BAT sei nicht wirksam erfolgt. Verstehe man diese Vorschrift als Beendigungstatbestand, so würde das Kündigungsschutzrecht umgangen. Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses könne nur durch personenbedingte Kündigung erfolgen. Ihr Ehemann habe am 25.03.2004 bei Übergabe des Rentenbescheides ausdrücklich die Weiterbeschäftigung verlangt. Das beklagte Land sei aufgrund der Fürsorgepflicht verpflichtet gewesen, sie auf die Beendigungswirkung der Rentenbewilligung und die Form und die Frist des Weiterbeschäftigungsverlangens hinzuweisen.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht, wie von der Beklagten im Schreiben vom 21.07.2004 mitgeteilt, zum 14.07.2004 geendet hat.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es vertritt die Auffassung, weil die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung unbefristet bewilligt worden sei und die Zustimmung des Integrationsamtes vorliege, sei das Arbeitsverhältnis beendet. Innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist habe die Klägerin kein Weiterbeschäftigungsverlangen schriftlich gestellt. Im Übrigen bestehe keine Weiter-beschäftigungsmöglichkeit.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Mit Berufung wiederholt die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen. Insoweit wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung.
Die Klägerin beantragt:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 07.09.2004, Aktenzeichen 11 Ca 416/04Ö, wird abgeändert.
Es wird nach den Schlussanträgen des Klägers in I. Instanz erkannt.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es verteidigt nach Maßgabe der Berufungserwiderung das erstinstanzliche Urteil.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG. Die Berufung der Klägerin ist begründet. Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch Bewilligung der unbefristeten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 59 Abs. 1 BAT beendet worden, vielmehr ruht es aufgrund der Bewilligung der befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Besteht wie hier neben der gesetzlichen Rentenversicherung eine Versorgung zu der der Arbeitgeber Mittel beigesteuert hat, so endet gemäß § 59 Abs. 1 BAT grundsätzlich das Arbeitsverhältnis mit Bewilligung einer Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbs-minderung, und zwar mit Ablauf des Monats, in dem der Rentenbescheid zugestellt ist. Die Vorschrift enthält mehrere Einschränkungen. Nach § 59 Abs. 1 Satz 4 und 5 BAT endet das Arbeitsverhältnis nicht bei Bewilligung einer befristeten Rente, es ruht nur während des Rentenbewilligungszeitraumes. Nach § 59 Abs. 3 BAT endet bzw. ruht das Arbeitsverhältnis bei teilweiser Erwerbsminderung nicht, wenn eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht und der Angestellte form- und fristgerecht die Weiterbeschäftigung begehrt. Nach §§ 59 Abs. 4 BAT, 92 SGB IX ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten wegen teilweiser Erwerbsminderung die Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich.
Nicht ausdrücklich geregelt ist die vorliegende Fallkonstellation, nämlich ob bei Zusammentreffen von teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer und befristeter voller Erwerbsminderung das Arbeitsverhältnis endet oder nur ruht. Nach Clemens/Scheuring, BAT, § 59 Erläuterung 4, tritt aufgrund der teilweisen Erwerbsminderung auf Dauer Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein, der nachfolgende befristete Rentenbescheid wegen voller Erwerbsminderung habe keine Auswirkungen und führe nicht zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses.
Die Kammer folgt dieser Auffassung nicht. Bei der vorliegenden Fallkonstellation kommt es zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Zwar wird die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung dauerhaft bewilligt, nach dem Wortlaut des § 59 Abs. 1 BAT käme es damit zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Zu berücksichtigen ist aber, dass die zwei ergangenen Rentenbescheide nicht isoliert betrachtet werden können, vielmehr miteinander verknüpft sind. Im Rentenbescheid zur teilweisen Erwerbsminderung ist der Hinweis enthalten, dass wegen der vollen Erwerbsminderung ein weiterer Bescheid folgt - hier der Bescheid zur befristeten vollen Erwerbsminderung vom 09.03.2004. Renten-versicherungsrechtlich basieren beide Bescheide auf einem Rentenantrag. Deshalb können sie als Einheit bewertet werden mit der Folge, dass der Ruhenstatbestand der befristeten Rente dem Beendigungstatbestand der unbefristeten Rente wegen teilweiser Erwerbs-minderung vorgeht. Jedenfalls ist diese Auslegung unter Berücksichtigung der kündigungsschutzrechtlichen Normen geboten.
Nach der Rechtsprechung des BAG sind die Tatbestände der auflösenden Bedingung nach § 59 BAT unter Berücksichtigung der Kündigungsschutznormen gesetzeskonform auszulegen. Bei teilweiser Erwerbsminderung berücksichtigt § 59 BAT das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn der Arbeitnehmer die geschuldete Leistung nicht mehr erbringen kann. Die Vorschrift dient auch dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers, der ohne zusätzliche Gefährdung seiner Gesundheit die Arbeit nicht erbringen kann. Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist dann aber nur gerechtfertigt, wenn eine leidensgerechte Weiterbeschäftigung nicht möglich ist. Das BAG (Urteil vom 28.06.1995, 7 AZR 555/94, AP Nr. 6 zu § 59 BAT; Urteil vom 09.08.2000, 7 AZR 214/99, AP Nr. 10 zu § 59 BAT) hat deshalb § 59 BAT gesetzeskonform so ausgelegt, dass Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei teilweiser Erwerbsminderung nicht eintritt, wenn der Arbeitnehmer Weiterbeschäftigung verlangt und auf einem freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann oder er einen leidensgerechten Arbeitsplatz inne hat. Die Tarifvertragsparteien sind dieser Rechtsprechung gefolgt mit Vereinbarung des § 59 Abs. 3 BAT, in Kraft getreten zum 01.01.2002.
Als weiterer Gesichtspunkt ist zu berücksichtigen, dass die Erwerbsminderung allein keinen ausreichenden Sachgrund für die auflösende Bedingung darstellt. Wie die Ruhensregelung zur befristeten Rente zeigt, muss hinzutreten ein voraussichtlicher dauerhafter Rentenbezug (BAG vom 03.09.2003, 7 AZR 661/02, AP Nr. 1 zu § 59 BAT-O).
Beim Zusammentreffen von unbefristeter teilweiser Erwerbsminderung und befristeter voller Erwerbsminderung kommen die beiden vorstehenden Gesichtspunkte - Möglichkeit der Weiterbeschäftigung und dauerhafter Rentenbezug - zum Tragen. Weil die volle Erwerbsminderung auf Dauer nicht feststeht, besteht kein dauerhafter Anspruch auf Vollrente. Es besteht wegen teilweiser Erwerbsminderung nur ein gesicherter Anspruch auf Teilrente. Der Teilrentenanspruch kann die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aber nur rechtfertigen, wenn eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit nicht besteht. Dieser Weiterbeschäftigungsanspruch ist nur prüfbar und durchsetzbar, wenn das Ruhen des Arbeitsverhältnisses aufgrund befristeter voller Erwerbsminderung beendet ist und sich der Rentenbezug wegen teilweiser Erwerbsminderung aktualisiert. Ob ein freier Arbeitsplatz vorhanden ist, kann erst zu diesem Zeitpunkt, nicht schon ein oder zwei Jahre vorher festgestellt werden. Ob der zur Verfügung stehende Arbeitsplatz bzw. der bisherige Arbeitsplatz leidensgerecht ist, kann erst bewertet werden nach dem Gesundheitszustand des Angestellten im Zeitpunkt der Beendigung des Ruhens des Arbeitsverhältnisses, nicht bereits im Wege der Prognose ein oder zwei Jahre vorher.
Bei schwerbehinderten Angestellten ist die Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich, §§ 59 Abs. 4 BAT, 92 SGB IX. Sinn und Zweck dieses Zustimmungsverfahrens ist es vor allem, die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz zu prüfen. Auch diese Prüfung kann nicht ein oder zwei Jahre vorher im Wege der Prognose sachgerecht durchgeführt werden.
Weil bei gesetzeskonformer Auslegung des § 59 BAT bei teilweiser Erwerbsminderung der Anspruch auf leidensgerechte Weiterbeschäftigung gewährleistet sein muss, eine sachgerechte Prüfung und Durchsetzung dieses Anspruchs aber nur nach Ablauf der befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung möglich ist, muss der Ruhenstatbestand der befristeten Vollrente dem Beendigungstatbestand der teilweisen Erwerbsminderung vorgehen.
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist damit nicht beendet, es ruht vielmehr derzeit bis zum 30.11.2005. Die Klägerin kann im Ergebnis, sofern die Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht verlängert wird, den Antrag nach § 59 Abs. 3 BAT zu diesem Zeitpunkt stellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Revisionszulassung beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.500,-- EUR festgesetzt.
Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes erfolgt gemäß § 63 Abs. 2 GKG in Anwendung des § 42 Abs. 4 GKG.