Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.01.2005, Az.: 7 TaBV 40/04
Einführung einer Videoüberwachung am Arbeitsplatz ; Berücksichtigung der Belange des Betriebes ; Zweifel an der Einhaltung der Ermessensgrenzen
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 20.01.2005
- Aktenzeichen
- 7 TaBV 40/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 38186
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2005:0120.7TABV40.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Nienburg - 16.04.2004 - AZ: 1 BV 7/03
Rechtsgrundlagen
- § 76 Abs. 5 BetrVG
- § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG
Fundstelle
- AiB 2005, 687-690 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
In dem Beschlussverfahren
...
hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
aufgrund der Anhörung am 20. Januar 2005
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Leibold,
den ehrenamtlichen Richter Gerking und
die ehrenamtliche Richterin Bergmann
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Nienburg vom 16.04.2004, 1 BV 7/03, abgeändert:
Der Antrag der Arbeitgeberin wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs, mit dem die Einführung einer Videoüberwachung am Arbeitsplatz für unzulässig erklärt worden ist.
Die Antragstellerin ist ein Unternehmen der Automobilzuliefererindustrie mit circa 180 Beschäftigten. Antragsgegner ist der bei ihr gebildete Betriebsrat.
Die Arbeitgeberin stellt in erster Linie Kunstleder und Schaumfolien her, die in der Automobilindustrie für Verkleidungen und Laderaumabdeckungen verwendet werden. Die Herstellung dieser Produkte erfolgt auf zwei Produktionsstraßen, die 50 bis 60 beziehungsweise 30 bis 40 Meter lang sind. Vor- und nachgeordnet sind weitere Produktionsabteilungen wie Lager, Stanzerei sowie Anlagen für Energieversorgung, Werkstatt und Büroräume. An den Produktionsstraßen sind jeweils circa vier bis fünf Mitarbeiter im 3-Schichtbetrieb tätig. Die Mitarbeiter an diesen Maschinenstraßen haben keinen festen Arbeitsplatz, sondern bewegen sich entlang der Straße, um ihren Überwachungs-, Kontroll- und sonstigen Tätigkeiten nachzukommen. Das Büro des Produktionsleiter befindet sich in einem Bürotrakt, von dem aus kein unmittelbarer Sichtkontakt zu den Produktionsanlagen besteht. Der Produktionsleiter kann die Produktionsdaten, die die Mitarbeiter an den Maschinen eingeben, mittels EDV in seinem Büro einsehen.
Anfang 2003 ließ die Arbeitgeberin in ihrem Betrieb ein Videoüberwachungssystem installieren, das aus insgesamt 13 Videokameras besteht, die fest an den Betriebswänden installiert und nicht beweglich sind. Die Kameras schalten sich mittels eines Sensors ein, wenn ein Mitarbeiter den von der Videokamera erfassten Bereich betritt. Die Bilder werden direkt in das Büro des Produktionsleiter und nach der Planung der Arbeitgeberin auch in das Büro des Geschäftsführers übermittelt sowie auf einem Server gespeichert. Die gespeicherten Daten werden nach einem Zeitraum von etwa einer Woche jeweils überschrieben.
Vor der Installation der Videokameras wurde der Betriebsrat nicht beteiligt. In der Folgezeit verhandelten Arbeitgeber und Betriebsrat über den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Nutzung der installierten Videoanlage, ohne dass eine Einigung erzielt werden konnte. Wegen der Einzelheiten der wechselseitigen Vorstellungen wird Bezug genommen auf die Entwürfe des Betriebsrats für eine Betriebsvereinbarung vom 17.02.2003, 21.03.2003 und 22.04.2003 (Bl. 9, 10, 5-7 der beigezogenen Akte 1 BV 6/03, Arbeitsgericht Nienburg) sowie den Vorschlag der Arbeitgeberin (Bl. 40, 41 der Akte).
Es wurde sodann die Einigungsstelle angerufen, die erstmals am 06.10.2003 tagte. In dieser Sitzung teilte der Betriebsrat nach einer Zwischenberatung mit, dass aus seiner Sicht eine Videoüberwachung in der Produktion nicht erforderlich sei. Es sei deshalb nicht beabsichtigt, der technischen Überwachung per Videoanlage in der Produktion zuzustimmen. Die Einigungsstelle vertagte sich sodann mit der Stimmenmehrheit der Stimmen der Arbeitgeberseite und des unparteiischen Vorsitzenden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf das Protokoll des Einigungsstellenverfahrens vom 06.10.2003 (Bl. 16, 17 der Akte).
Arbeitgeberin und Betriebsrat legten sodann dem Vorsitzenden der Einigungsstelle ihre wechselseitigen Standpunkte vor (Bl. 18-33 der Akte), wobei die Arbeitgeberin u.a. einen neuen Vorschlag unterbreitete.
In einer weiteren Sitzung der Einigungsstelle vom 23.10.2003, wegen deren Verlauf auf das Protokoll von diesem Tag Bezug genommen wird (Bl. 14-17 der Akte), konnte eine Einigung zwischen den Parteien nicht erzielt werden. Die Einigungsstelle fasste daraufhin den Beschluss, die Einführung eines Videosystems im Betrieb bezüglich der Produktionsanlagen für unzulässig zu erklären. Dieser Spruch wurde mit Begründung des Vorsitzenden am 07.11.2003 der Arbeitgeberin zugestellt (Blatt 11-13 der Akte).
Mit ihrem am 17.11.2003 bei dem Arbeitsgericht Nienburg eingegangenen Antrag begehrt die Arbeitgeberin die Feststellung, dass dieser Beschluss rechtsunwirksam ist.
Das Arbeitsgericht hat durch einen dem Betriebsrat am 21.04.2004 zugestellten Beschluss vom 16.04.2004, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 87-94 der Akte), festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 23.10.2003 zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung Videoüberwachung bei der Antragstellerin, mit dem die Einführung eines Videosystems im Betrieb der Produktionsanlagen für unzulässig erklärt werde, rechtsunwirksam sei.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Einigungsstelle habe mit diesem Spruch die Grenzen des ihr zustehenden Ermessens überschritten. Die Ermessensüberprüfung habe die Frage zum Gegenstand, ob die Regelung im Ergebnis die Belange des Betriebes und der betroffenen Arbeitnehmer angemessen berücksichtigt und zu einem billigen Ausgleich gebracht habe. Ein Verstoß sei dann anzunehmen, wenn der Spruch deutlich erkennbar keine sachgerechte Interessenabwägung enthalte, etwa weil die Einigungsstelle die Belange der einen Seite völlig übergangen habe.
Der Spruch der Einigungsstelle übergehe die Belange der Arbeitgeberin völlig. Die Einigungsstelle habe Mechanismen entwickeln müssen, die die beschäftigten Arbeitnehmer vor den besonderen Gefahren des Einsatzes der Überwachungstechnik insbesondere im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer schützten. Der Anspruch auf freie Entfaltung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers schließe nicht jegliche Betriebsvereinbarung aus, die zu einer Einschränkung des Persönlichkeitsrechts führe. Vielmehr könne der Einsatz von technischen Überwachungseinrichtungen durch überwiegende betriebliche Interessen gerechtfertigt sein.
Das Anliegen der Arbeitgeberin, den Produktionsfluss zeitnah zu überblicken und Probleme gegebenenfalls durch sofortige korrigierende Anweisungen zu beseitigen, stelle ein berechtigtes betriebliches Interesse dar, welches die Einführung einer Videoüberwachung grundsätzlich rechtfertigen könne. Zu berücksichtigen sei insoweit, dass das Büro des Produktionsleiters sich nicht in der Nähe der Produktionsanlagen, sondern in dem Bürotrakt befinde. Es sei nachvollziehbar, dass dem Produktionsverantwortlichen die Möglichkeit verschafft werden müsse, den Produktionsfluss visuell wahrnehmen zu können. Die rechnergestützte Datenerfassung sei demgegenüber nicht geeignet, zeitnah und vergleichbar mit einer optischen Darstellung Störungen oder sich anbahnende Störungen im Produktionsfluss aufzuzeigen. Auch der Vorfall im Pigmentlager, wo es aus ungeklärten Umständen zu einem Brand gekommen sei, verdeutliche die Sinnhaftigkeit eines Videosystems, auch wenn dort zur fraglichen Zeit keine Kamera installiert gewesen sei.
Die Augenscheinseinnahme der Kammer habe zudem gezeigt, dass Ziel des Einsatzes des Videosystems in erster Linie die Steuerung des Produktionsflusses sei. Die Videokameras seien zum größten Teil auf Produktionsbereiche gerichtet, wo sich die Mitarbeiter in der Regel nicht aufhielten oder nur zufällig beim Passieren ins Blickfeld geraten könnten. Zwar seien auch einzelne Kameras direkt auf einen Arbeitsplatz gerichtet und insoweit geeignet, eine umfassende Überwachung der dort beschäftigten Mitarbeiter herbeizuführen. Der Arbeitgeberin sei jedoch zuzustimmen, dass durch die Reduzierung der Zahl oder durch einfache Neuausrichtung der Kameras eine unzulässige Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer vermieden und trotzdem den berechtigten Belangen der Antragstellerin an der Überwachung ihres Produktionsflusses hätte Rechnung getragen werden können. Insoweit sei es ureigenste Aufgabe der Einigungsstelle, kamerabezogen einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen durch die Festlegung des Standortes der Kameras sowie der Blickausschnitte herbeizuführen. Dies sei unterblieben, indem die Einigungsstelle generell die Einführung des Videosystems für unzulässig erklärt habe. Diese Nichtausübung des Ermessens und der unterbliebene Versuch, einen konkreten Abgleich der widerstreitenden Anliegen herbeizuführen, sei ermessensfehlerhaft und führe zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
Hiergegen richtet sich die am 06.05.2004 eingelegte und nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 22.07.2004 am 09.07.2004 begründete Beschwerde des Betriebsrats.
Der Betriebsrat ist der Auffassung, die Einigungsstelle habe ihren Beschluss vom 23.10.2003 unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebes und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen gefasst. Die Einigungsstelle habe nicht die Belange der Arbeitgeberin völlig übergangen, sondern im Rahmen des dem Betriebsrat zustehenden Mitbestimmungsrechts dem Persönlichkeitsschutz der Beschäftigten höherwertigen Rang eingeräumt als dem Interesse der Arbeitgeberin an der Einführung des Videoüberwachungssystems. Dabei sei dem Zweck der Mitbestimmung Rechnung getragen worden, der in erster Linie als präventiver Schutz rechtlich unzulässige Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich der Beschäftigten bereits im Vorfeld verhindern sollte.
Ziel des Einsatzes des Videoüberwachungssystems sei nicht in erster Linie die Steuerung des Produktionsflusses. Auch seien die Videokameras nicht zum größeren Teil auf Produktionsbereiche gerichtet, an denen sich Mitarbeiter in der Regel nicht aufhielten oder nur zufällig beim Passieren ins Blickfeld geraten könnten. Vielmehr habe die Augenscheinseinnahme des Arbeitsgerichts unter Beteiligung der Verfahrensbeteiligten ergeben, dass bei sämtlichen Videokameras auch die Beschäftigten mit ins Blickfeld geraten könnten.
Zudem könnten die von der Arbeitgeberin angegebenen Zwecke zur Installierung der Videokameras nicht erzielt werden. Die produzierten Folien seien nur ungenau zu erkennen und es sei unmöglich, sämtliche Fehler im Produktionsbereich wahrzunehmen, allenfalls seien grobe Fehler erkennbar. Die Arbeitsbereiche, die Produktionsabläufe sowie die daran beteiligten Arbeitnehmer seien demgegenüber zu erkennen. Wegen der schlechten Bildqualität könne eine Überprüfung des Produktionsflusses kaum vorgenommen werden. Die Arbeitgeberin habe ferner selbst dargelegt, dass ihr Produktionsleiter nur zeitweise während seiner Arbeitszeit an dem Bildschirm sitze und diese beobachte. Eine Überprüfung des Produktionsflusses könne jedoch nur dann gewährleistet werden, wenn bei entsprechender Bildqualität eine ständige Überprüfung vorgenommen werde. Der Arbeitgeberin gehe es offensichtlich nicht um eine ständige Überprüfung des Produktionsflusses, sondern um stichprobenhafte Überprüfung der mit den Videokameras ebenfalls aufgenommenen Beschäftigten, ob diese sich am Arbeitsplatz befänden oder sich woanders aufhielten.
Hinzu komme, dass die Produktionsleitung derzeit auch ohne die Videoerfassung bereits EDV-gestützt die Möglichkeit habe, die für den jeweiligen Tag beziehungsweise die jeweilige Schicht und Abteilung vorgesehenen Produktionsdaten an einem Bildschirm aufzurufen. Hinzu komme ferner eine computergestützte Prozessdatenerfassung. Hierzu würden in der Produktion von den Mitarbeitern EDV-gestützte Eingaben zu den jeweiligen auf den Produktionsanlagen gefahrenen Produkten getätigt. Die Arbeitgeberin verfüge mithin bereits über vorhandene Kontrolleinrichtungen bezüglich der Produktionsabläufe und der jeweiligen Produktqualität und könne bei auftretenden Störungen unverzüglich Gegenmaßnahmen einleiten. Einer zusätzlichen Videoüberwachung der Produktionsabläufe sowie der Produktqualität bedürfe es daher nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertrages des Betriebsrats im Beschwerdeverfahren wird Bezug genommen auf die Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten vom 07.07.2004 und 08.12.2004.
Der Betriebsrat beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Nienburg, 1 BV 7/03, vom 16.04.2004 den Antrag der Antragstellerin/Beschwerdegegnerin zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss nach Maßgabe des Schriftsatzes ihrer Prozessbevollmächtigten vom 09.09.2004.
II.
Die Beschwerde des Betriebsrats ist gemäß § 87 Absatz 1 ArbGG statthaft und, da sie gemäß den §§ 66 Absatz 1, 87 Absatz 2, 89 Absatz 1 und 2 ArbGG form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, auch im Übrigen zulässig.
Sie ist auch begründet.
Die Einigungsstelle hat gemäß § 76 Absatz 5 BetrVG ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebes und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen zu fassen. Ob der Spruch die Grenzen des der Einigungsstelle eingeräumten Ermessens gewahrt hat, beurteilt sich danach, ob sich die getroffene Regelung als solche innerhalb dieser Grenzen hält. Es kommt nicht darauf an, ob die dem Spruch zu Grunde liegenden Erwägungen der Einigungsstelle folgerichtig waren und eine erschöpfende Würdigung zum Inhalt haben (BAG vom 27. Oktober 1992, 1 ABR 4/92, AP Nr. 29 zu § 95 BetrVG 1972). Ausgehend von den festgestellten Belangen des Betriebes und der Arbeitnehmer sowie deren Gewichtigkeit ist vom Gericht zu prüfen, ob die von der Einigungsstelle getroffene Regelung noch als billiger Ausgleich dieser Belange gelten kann. Es kommt weder auf eine "grobe Ermessensüberschreitung" noch eine "offenbare Unbilligkeit" des Spruchs an. Andererseits genügen Zweifel an der Einhaltung der Ermessensgrenzen nicht. Erforderlich ist vielmehr die Überzeugung, dass die Grenzen überschritten sind. Ein Verstoß in diesem Sinne ist etwa dann anzunehmen, wenn der Beschluss der Einigungsstelle deutlich erkennbar keine sachgerechte Interessenabwägung mehr enthält, weil zum Beispiel die Einigungsstelle die Interessen der einen oder der anderen Seite überhaupt nicht berücksichtigt hat oder weil die Regelung nicht nur unzweckmäßig, sondern objektiv ungeeignet ist (BAG vom 21. September 1993, 1 ABR 16/93, AP Nr. 62 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit; BAG vom 9. Mai 1995, 1 ABR 56/94, AP Nr. 2 zu § 76 BetrVG 1972 Einigungsstelle).
Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen konnte vorliegend nicht festgestellt werden, dass die Einigungsstelle die ihr gesetzten Ermessensgrenzen überschritten hat.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass die Betriebsparteien und damit auch die Einigungsstelle grundsätzlich befugt sind, Regelungen über die Einführung einer Videoüberwachung zu treffen. Dies folgt aus § 87 Absatz 1 Nr. 6 BetrVG. Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Ein Mitbestimmungsrecht besteht mithin sowohl bei der Einführung, also bei der Frage, ob überhaupt technische Einrichtungen in diesem Sinne installiert werden sollen, als auch bei der Anwendung, also Durchführung der technischen Einrichtungen.
Die Betriebsparteien und die Einigungsstelle haben bei ihrer Entscheidung allerdings höherrangiges Recht zu beachten. Sie haben gemäß § 75 Absatz 2 Satz 1 BetrVG die Pflicht, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.
Nach der neuen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom 29.06.2004, 1 ABR 21/03, NZA 2004, 1278-1284), der sich die erkennende Kammer anschließt, ist dabei von folgenden Grundsätzen auszugehen:
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch das Recht am eigenen Bild. Ebenso wie beim gesprochenen Wort gehört es zum Selbstbestimmungsrecht jedes Menschen, darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht kann durch Betriebsvereinbarungen eingeschränkt werden, die von den Betriebsparteien im Rahmen ihrer Regelungskompetenz abgeschlossen werden. Der Eingriff muss aber, sofern er nicht durch eine ausdrückliche gesetzliche Regelung gestattet ist, durch schutzwürdige Belange anderer Grundrechtsträger, beispielsweise des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Bei einer Kollision des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit den schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers ist eine Güterabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles erforderlich. Das zulässige Maß einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bestimmt sich dabei nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Danach muss die von der Einigungsstelle getroffene Regelung geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen.
Geeignet ist eine Regelung dann, wenn mit ihrer Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann. Dabei steht den Betriebsparteien und der Einigungsstelle ein gewisser Beurteilungsspielraum zu.
Erforderlich ist eine Regelung, wenn kein anderes, gleich wirksames, aber das Persönlichkeitsrecht weniger einschränkendes Mittel zur Verfügung steht. Auch hier besteht eine gewisser Beurteilungsspielraum der Einigungsstelle.
Angemessen ist eine Regelung schließlich, wenn sie verhältnismäßig im engeren Sinne erscheint. Hier bedarf es einer Gesamtabwägung zwischen der Intensität des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe. Die Grenze der Zumutbarkeit darf nicht überschritten werden. Die hierbei erforderliche Rechtsgüterabwägung kann nicht abstrakt vorgenommen werden. Vielmehr sind jeweils die Gesamtumstände maßgeblich. Für die Angemessenheit einer grundrechtsbeschränkenden Maßnahme ist die Eingriffsintensität mitentscheidend.
Eine Anwendung dieser Grundsätze ergibt vorliegend, dass eine Ermessensüberschreitung der Einigungsstelle nicht festgestellt werden kann.
Die Einführung einer Videoüberwachungsanlage ist allerdings dazu geeignet, den von der Arbeitgeberin erstrebten Erfolg zu fördern. Die Arbeitgeberin hat dargelegt, dass es ihr in erster Linie darum geht, den Produktionsfluss auf den Anlagen und zwischen den Abteilungen in Echtzeit verfolgen zu können, um eventuelle Engpasssituationen schnell zu erkennen und Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Es solle erfasst werden, ob und welche Anlage laufe und wo gegebenenfalls Störungen zu erwarten seien. Dies sind Ziele, die mit der Installation der Videokameras gefördert werden können.
Die Kammer hat offen gelassen, ob die geplante Regelung grundsätzlich auch erforderlich ist, ob also ein anderes, gleich wirksames, aber das Persönlichkeitsrecht weniger einschränkendes Mittel nicht zur Verfügung steht.
Es ist jedenfalls nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Einigungsstelle im Rahmen einer Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer höher bewertet hat als das Interesse der Arbeitgeberin an einer videounterstützten Überwachung der Produktion und zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die beabsichtigte Einführung der Videoüberwachungsanlage nicht angemessen ist.
Durch die Videoüberwachung wird in schwerwiegender Weise in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer eingegriffen. Zwar sind die Videokameras sichtbar angebracht und es ist für die Arbeitnehmer auch erkennbar, wann sie aufgenommen werden. Die Arbeitnehmer wissen jedoch nicht, wann sie tatsächlich gerade von einem Vorgesetzten vor dem Bildschirm beobachtet werden. Sie müssen sich deshalb bei jeder ihrer Bewegungen und Handlungen kontrolliert fühlen.
Die Einigungsstelle hat den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum nicht überschritten, wenn sie für diesen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht keine hinreichende Rechtfertigung durch die Interessen der Arbeitgeberin gesehen hat. Zwar ist der Tenor des Beschlusses der Einigungsstelle insofern missverständlich, als die Einführung eines Videosystems für "unzulässig" erklärt worden ist. Der Verlauf der Verhandlungen vor der Einigungsstelle, insbesondere die Vertagung nach der ersten Sitzung und die zwischen den beiden Einigungsstellenterminen gewechselten Schriftsätze sowie die Begründung des Spruches durch den Vorsitzenden, zeigen jedoch, dass die Einigungsstelle das ihr zustehende Ermessen tatsächlich ausgeübt hat.
Das Arbeitsgericht weist zwar zu Recht darauf hin, dass durch eine Reduzierung der Zahl oder durch eine Neuausrichtung der Kameras eine unzulässige Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer vermieden oder eingeschränkt und den Belangen der Arbeitgeberin an der Überwachung ihres Produktionsflusses Rechnung hätte getragen werden können. Richtig ist auch, dass es Aufgabe der Einigungsstelle ist, kamerabezogen einen Abgleich der widerstreitenden Interessen durch Festlegung der Standorte der Kameras sowie der Blickausschnitte herbeizuführen. Den Protokollen der Einigungsstelle und insbesondere dem Vorschlag der Arbeitgeberin für eine Betriebsvereinbarung kann jedoch nicht entnommen werden, dass die Arbeitgeberin bereits im Einigungsstellenverfahren bereit war, die Zahl der Kameras und deren Standorte zur Disposition zu stellen. Eine fehlerhafte Vorgehensweise der Einigungsstelle kann deshalb nicht festgestellt werden.
Allein der Umstand, dass die Einigungsstelle die Einführung des Videosystems für unzulässig erklärt hat, lässt nicht den Schluss zu, dass die Belange der Arbeitgeberin völlig übergangen worden sind und dass die Einigungsstelle das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt hat. Wie bereits ausgeführt, besteht das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Absatz 1 Nr. 6 BetrVG nicht nur für die Frage, wie eine Videoüberwachungsanlage angewendet wird, sondern auch gerade hinsichtlich deren Einführung. Die Einigungsstelle durfte deshalb grundsätzlich die Interessen der Arbeitnehmer an der Nichteinführung der Videoüberwachung höher bewerten als das entgegenstehende Interesse der Arbeitgeberin.
Denn durch die Installation von Videokameras wird eine Vielzahl von Arbeitnehmern der dauerhaften Überwachung unterzogen, ohne hierfür einen konkreten Anlass gegeben zu haben. Darin ist ein schwerwiegender Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dieser Arbeitnehmer zu sehen. Für einen Arbeitnehmer besteht nämlich gerade nicht die Möglichkeit, sich der Überwachung durch Verlassen der überwachten Räumlichkeiten zu entziehen.
Auf die Beschwerde des Betriebsrates war der Beschluss des Arbeitsgerichts deshalb abzuändern und der Antrag der Arbeitgeberin zurückzuweisen.
Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, bestehen nicht. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 92 a ArbGG wird hingewiesen.
Gerking
Bergmann