Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.11.2012, Az.: 2 LA 177/12
Berücksichtigung eines bereits in der ersten Instanz möglichen Vortrags im Berufungszulassungsverfahren bzgl. Bewertung einer Hausarbeit in der 2. Staatsprüfung für das Lehramt
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 05.11.2012
- Aktenzeichen
- 2 LA 177/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 27066
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:1105.2LA177.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 08.03.2012 - AZ: 6 A 4932/11
Rechtsgrundlage
- § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
Gründe
Nachdem die 19 in B. geborene Klägerin als Note für ihre Hausarbeit (§ 13 PVO-Lehr II v. 18.10.2001, Nds. GVBl. 2001, 655) im Fach "Textiles Gestalten" und als Ausbildungsnote (§ 9 Abs. 5 PVO-Lehr II) jeweils ein "mangelhaft" erhalten hat, hat das beklagte Amt mit Bescheid vom 9. März 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2011 festgestellt, dass sie den ersten Versuch der 2. Staatsprüfung für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen nicht bestanden hat. Dagegen richtet sich die Klage der Klägerin, mit der sie sich - was allerdings erst im Zulassungsverfahren deutlich wurde, vgl. unten 2c) - gegen die Bewertung ihrer Hausarbeit wendet.
Im Rahmen der Wiederholungsprüfung (an einem anderen Ausbildungsort) sind die Hausarbeits- und Ausbildungsnote erneut mit "mangelhaft" festgesetzt worden. Die Prüfung ist daher mit Bescheid vom 13. September 2011 endgültig als nicht bestanden erklärt worden (BA A Bl.97). Dagegen ist - soweit ersichtlich - derzeit ein Widerspruchsverfahren anhängig.
1) Dem Begehren der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren und das anschließende Berufungsverfahren war zu entsprechen, weil die dafür erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht (§§ 166 VwGO, 114 ff. ZPO) zu bejahen ist, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt.
2) Es bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, vgl. dazu c)), dagegen kann sich die Klägerin auf Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, vgl. a)) und den Zulassungsgrund der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, vgl. b)) nicht berufen.
a) Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegen nicht vor. Insbesondere stellt es keinen Verstoß gegen den Grundsatz auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 124 Abs. 2 Nr. 5 iVm. 138 Nr. 3 VwGO) dar, dass das Verwaltungsgericht weder dem Vertagungsantrag der Klägerin entsprochen noch von sich aus das Verfahren vertagt hat, nachdem keiner der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen war.
aa) Allerdings hat die Klägerin mit Fax vom 8. März 2012 (Eingang 9.21 Uhr), also unmittelbar vor dem am selben Tag für 10.30 Uhr festgesetzten Verhandlungstermin, die Verschiebung des Termins wegen "gesundheitlicher gravierender Probleme" beantragt und eine von einem Facharzt für Allgemeinmedizin unterzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den 8. bis 10. März 2012 beigefügt. Das Verwaltungsgericht war indes nicht verpflichtet, diesem Begehren zu entsprechen.
Eine Terminsänderung nach § 173 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 ZPO setzt voraus, das hierfür "erhebliche Gründe" vorliegen. Dies sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschl. v. 14. 9.1999 - 5 B 54.99 -, [...], m.w.N..) nur solche Umstände, die auch und gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des im Falle der Aufhebung bzw. Verlegung des Termins berührten Beschleunigungs- und Konzentrationsgebotes erfordern. Ein ausreichender Grund kann u.a. darin liegen, dass ein Beteiligter oder sein Prozessbevollmächtigter erkrankt sind. Jedoch ist nicht jegliche Erkrankung ein ausreichender Grund für eine Terminsverlegung; eine solche ist vielmehr nur dann geboten, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass die Wahrnehmung des Termins nicht erwartet werden kann (BVerwG, Beschl. v. 19.1.1999 - 8 B 186.98 -, NVwZ-RR 1999, 408; BFH, Beschl. v. 23.2.2012 - VI B 114/11 -, [...], u. v. 26.11.2009 - VIII B 162/09 -, [...]). Grundsätzlich ist die Verhandlungsunfähigkeit durch Vorlage eines ärztlichen Attestes nachzuweisen, aus dem sich die Unmöglichkeit der Teilnahme an der Verhandlung ergibt (BVerwG, Beschl. v. 9.8.2007 - 5 B 10.07 u.a. -, Buchholz 303, § 227 ZPO Nr. 35). Wird eine Terminsverlegung erst unmittelbar vor der anberaumten mündlichen Verhandlung beantragt und mit einer Erkrankung begründet, so muss der Verhinderungsgrund so dargelegt und untermauert sein, dass das Gericht ohne weitere Nachforschungen selbst beurteilen kann, ob Verhandlungs- bzw. Reiseunfähigkeit besteht. Dies erfordert, dass das Gericht aus den Unterlagen Art, Schwere und voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen und so die Frage der Verhandlungsunfähigkeit selbst beurteilen kann. Gerade bei kurzfristig gestellten Anträgen auf Terminsverlegung bestehen hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit (vgl.OVG NRW, Beschl. v. 05.06.2012 - 17 E 196/12 -, [...], v. 11.3.2011 - 12 A 1436/10 -, [...]; erk. Ger., Beschl. v. 20.4.2011 - 11 LA 57/11 -, [...] m.w.N.). Die Vorlage nur einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung reicht generell nicht aus (BFH, Beschl. v. 23.2.2012 - VI B 114/11 -, [...]; Eyermann, VwGO, 13. Aufl., § 102 Rnr. 7; Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl., § 102 Rnr. 7).
Vorliegend genügt das von der Klägerin am Verhandlungstage übermittelte Fax mit dem bloßen Hinweis, sie könne wegen "gesundheitlicher gravierender Probleme" den Termin nicht wahrnehmen, iVm. der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung diesen Anforderungen offensichtlich nicht.
Darüber hinaus hat die Klägerin auch nicht dargetan, aus welchen Gründen ihre Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung erforderlich sein soll (erk. Ger., Beschl. v. 13.8.2003 - 11 LA 147/03 -; GK-AsylVfG, Stand: Aug. 2012, § 78 Rdnr. 312-314). Hierzu bestand aber umso mehr Anlass, als die Klägerin zu jenem Zeitpunkt weder ihren Widerspruch noch - trotz gerichtlicher Aufforderung - ihre seit November 2011 anhängige Klage begründet hatte.
bb) Entgegen der Behauptung im Zulassungsantrag hat die Klägerin den Vertagungsantrag nicht zusätzlich auch damit begründet, sie wolle einen neuen Prozessbevollmächtigten beauftragen. Im Übrigen stellt die fehlende Vorbereitung eines Termins infolge eines Anwaltwechsels nur dann einen erheblichen Grund für eine Vertagung dar, wenn der Anwaltwechsel ohne Verschulden der Partei erfolgte (BGH, Beschl. v. 3.3.2008 - II ZR 251/01 -, NJW-RR 2008, 876 [BGH 03.03.2008 - II ZR 251/06]). Auch diese Voraussetzung liegt nicht vor; denn ausweislich der vorliegenden Unterlagen hat die Klägerin selbst einen Tag vor dem angesetzten Verhandlungstermin ihrem Anwalt das Mandat entzogen (vgl. hierzu auch BayVGH, Beschl. v. 17.3.2009 - 3 ZB 07.2219 -, [...]).
cc) Das Nichterscheinen aller Beteiligter zur mündlichen Verhandlung musste das Gericht ebenfalls nicht zu einer Vertagung veranlassen; denn die Beteiligten sind mit der Ladung darauf hingewiesen worden, dass auch bei ihrem Ausbleiben entschieden werden kann (vgl. VG München, Urt. v. 27.5.2008 - M 4 K 06.2085 -, [...]).
b) Das Verfahren weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf. Es handelt sich vielmehr um eine typische Fallgestaltung aus dem Prüfungsrecht.
c) Der Zulassungsantrag hat indes Erfolg, soweit die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) rügt.
Allerdings zeichnet sich das Verfahren durch die Besonderheit aus, dass die Klägerin weder ihren Widerspruch noch im erstinstanzlichen Verfahren ihre Klage begründet hat, so dass das Verwaltungsgericht von seinem Erkenntnisstand aus die Klage zu Recht als unbegründet ansehen durfte. Erstmals im Rahmen des Berufungszulassungsverfahrens hat sich die Klägerin (über ihre neue Prozessbevollmächtigte) mit der Bewertung ihrer Hausarbeit durch die Gutachter auseinandergesetzt. In Literatur und Teilen der Rechtsprechung ist umstritten, inwieweit im Zulassungsverfahren neu vorgebrachte "alte" Tatsachen und Beweismittel, die bereits in erster Instanz hätten vorgetragen werden können, zu berücksichtigen sind (zum Streitstand vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 124 Anm. 86 f m.w.N..; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl., § 124 Rnr. 7b m.w.N..). In Anlehnung an die höchstrichterliche Rechtsprechung (BVerwG, Beschl. v. 14.6.2002 - 7 AV 1.02 -, DVBl. 2002, 1556 = NVwZ-RR 2002, 894) geht der Senat davon aus, dass bei der Prüfung, ob der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliegt, auch solche nach materiellem Recht entscheidungserheblichen und von dem jeweiligen Kläger erstmals innerhalb der Zulassungsbegründungsfrist vorgetragenen Tatsachen zu berücksichtigen sind, die vom Verwaltungsgericht (nur) deshalb im Zeitpunkt seiner Entscheidung außer Betracht gelassen wurden, weil sie von den Beteiligten nicht vorgetragen und mangels entsprechender Anhaltspunkte auch nicht von Amts wegen zu ermitteln gewesen waren (ebenso Sen., Beschl. v. 12.11.2007 - 2 LA 423/07 -, [...]; a.A. noch Sen., Beschl. v. 10.2.2003 - 2 LA 2953/01 -, [...]; Neuhäuser, Die Zulassung der Berufung im Verwaltungsprozess unter den Einwirkungen des Verfassungs- und des Unionsrechts, Schriften zum öffentl. Recht, Bd. 1210, S. 116, 127 ff).
Ausgeschlossen wäre die Klägerin allerdings gleichwohl mit ihren erstmalig im Zulassungsverfahren aufgeführten materiell-rechtlichen Einwendungen gegen die Bewertung ihrer Hausarbeit, wenn dieses Vorbringen über § 87 b in Verbindung mit§ 128 a VwGO präkludiert wäre (vgl. Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 87 b Anm. 5; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 128 a Rnr. 2 ff.). Vorliegend kommen diese Vorschriften indes nicht zum Zuge. Das Verwaltungsgericht hat zwar durch die zeitgleich mit der Ladung erfolgte Fristsetzung (vgl. GA Bl. 30 ff.) materiell-rechtlich von der Vorschrift des § 87 b VwGO Gebrauch gemacht, die entsprechende Verfügung ist jedoch nicht mit dem vollen Namen des Richters, sondern nur mit dessen Paraphe unterzeichnet, so dass ein Verweis auf § 87 b VwGO nicht zulässig ist (vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG, Beschl. v. 4.3.1993 - 8 B 186.92 -, NJW 1994, 746; Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 87 b Rnr. 10; Posser/Wolff, VwGO, 1. Aufl., 2008, § 87 b Rnr. 9).
Der demnach zu berücksichtigende Vortrag im Zulassungsverfahren führt bezogen auf die Bewertung der Hausarbeit zur Annahme ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.
Für den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel des § 124 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist für die Darlegung als Mindestvoraussetzung zu verlangen, dass geltend gemacht wird, die verwaltungsgerichtliche Entscheidung sei im Ergebnis unrichtig; hierfür müssen die Sachgründe bezeichnet und erläutert werden. Ernstliche Zweifel sind dann anzunehmen, wenn bei der Überprüfung im Zulassungsverfahren, also aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten, aus denen sich ergibt, dass ein Erfolg der erstrebten Berufung mindestens ebenso wahrscheinlich ist wie ein Misserfolg. Das ist dann der Fall, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 -, [...], v.21.12.2009 - 1 BvR 812/09 -, NJW 2010, 1062 = [...], jeweils m.w.N.., v.23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163).
Nach diesen Kriterien war die Berufung zuzulassen, weil die in den beiden Gutachten zur Hausarbeit enthaltenen fach- und prüfungsspezifischen Ausführungen Bedenken begegnen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 17.4.1991 - 1 BvR 419/91 u. 213/83 -, BVerfGE 84, 34 = NJW 1991, 2005 sowie - 1 BvR 1529/84 u. 138/87 -, BVerfGE 84, 59 = NJW 1991, 2008) unterliegt die fachspezifische Wertung durch die Prüfer in der Regel einer vollen gerichtlichen Überprüfung. Dies betrifft u.a. die Frage, ob die Prüfungsaufgabe durch den Prüfer zutreffend als fachlich falsch, richtig oder als zumindest vertretbar beantwortet bewertet worden ist; denn ob eine Prüfungsaufgabe falsch, richtig oder zumindest vertretbar gelöst worden ist, lässt sich im allgemeinen zuverlässig beantworten, wenn es um Fachfragen geht. Unter Fachfragen sind alle Fragen zu verstehen, die fachwissenschaftlicher Erörterung zugänglich sind. Hierunter fallen sowohl Fragen, die fachwissenschaftlich geklärt sind, als auch solche, die in der Fachwissenschaft kontrovers behandelt werden (Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl., S. 224 Rdn. 633; Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl., S. 421 Rdn. 838 ff). Soweit die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmbar sind, die Beurteilung vielmehr unterschiedlichen Ansichten Raum lässt, muss dem Prüfling ein angemessener Antwortspielraum zugestanden werden. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf mithin nicht als falsch gewertet werden. Dabei obliegt es zunächst dem Prüfling, einen Fehler im Rahmen dieses Bewertungsbereichs darzulegen und substantiiert vorzubringen, dass seine Lösung entgegen der Meinung des Prüfers zumindest vertretbar sei. Der Prüfling muss mithin die fachwissenschaftliche Richtigkeit bzw. Vertretbarkeit seiner Lösung durch Bezug auf qualifizierte fachwissenschaftliche Äußerungen im Schrifttum deutlich machen. Gegebenenfalls hat das Gericht aufgrund hinreichend substantiierter Einwendungen des Prüflings notfalls mit sachverständiger Hilfe darüber zu befinden, ob die von dem Prüfer als falsch bewertete Lösung im Gegenteil richtig oder jedenfalls vertretbar ist (BVerwG, Urteil vom 21.10.1993 - BVerwG 6 C 12.92 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 320 S. 307; v. 17.12.1997 - 6 B 55/97 -, NVwZ 1998, 738 [BVerwG 17.12.1997 - 6 B 55/97]; Sen., Urt. v. 24.5.2011 - 2 LB 158/10 -, Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl., S. 421 Rn. 838 ff). Die Untersuchungsmaxime verpflichtet das Verwaltungsgericht dagegen nicht, das gesamte Prüfungsgeschehen gleichsam von sich aus auf Fehler zu überprüfen (Niehues/Fischer, a.a.O.., S. 331 Rdn. 886).
Die im Anschluss an diese fachspezifische Wertung folgende prüfungsspezifische Wertung, also die Zuordnung der festgestellten Leistungen zu einem standardisierten Leistungsbild im Gesamtzusammenhang des Prüfungsverfahrens, eröffnet dem Prüfer dagegen (nach wie vor) einen Bewertungsspielraum. Diese prüfungsspezifische Wertung erstreckt sich unter anderem auf den Schwierigkeitsgrad der Aufgabe, die Erfassung des Problems, die Geordnetheit der Darlegungen, die Qualität der Darstellung, die Überzeugungskraft der Argumente, die Gewichtung der Schwere einzelner Fehler, den Gesamteindruck der Leistung und schließlich auch auf die durchschnittlichen Anforderungen als Maßstab für die Differenzierungen bei der Notenvergabe (BVerwG, Beschl. v. 17.12.1997 - 6 B 55/97 -, NVwZ 1998, 738 [BVerwG 17.12.1997 - 6 B 55/97]; Sen., Beschl. v. 19.2.2007 - 2 ME 695/08 -, m.w.N..; Niehues/Fischer, a.a.O.., S. 224 Rn. 635). Der Beurteilungsspielraum der Prüfer im Rahmen dieser prüfungsspezifischen Wertung beruht darauf, dass Prüfungsnoten nicht isoliert gesehen werden dürfen, sondern in einem Bezugssystem zu finden sind, das durch persönliche Erfahrungen und Vorstellungen der Prüfer beeinflusst wird. Die Prüfer müssen bei ihrem wertenden Urteil von den Erfahrungen ausgehen, die sie im Laufe ihrer Examenspraxis bei vergleichbaren Prüfungen entwickelt haben. Diese durch die Prüfer gesammelten Erfahrungen können im gerichtlichen Verfahren nicht völlig aufgeklärt und gleichsam übernommen werden. Würden im gerichtlichen Verfahren dagegen eigene Bewertungskriterien für die prüfungsspezifische Wertung entwickelt, würden wiederum die Maßstäbe verzerrt und die Chancengleichheit gegenüber allen Prüflingen infrage gestellt. Da dem Prüfer bei prüfungsspezifischen Wertungen (nach wie vor) ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist, kann im Rahmen der gerichtlich insoweit nur eingeschränkten Prüfung grundsätzlich nur ermittelt werden, ob der Prüfer von falschen Tatsachen ausgegangen ist, sachfremde Erwägungen angestellt hat, allgemein anerkannte Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet oder willkürlich gehandelt hat (BVerwG, Urt. v. 21.10.1993 - 6 C 12/92 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 320, v. 16.3.1994 - 6 C 5.93 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 329; Beschl. v. 11.8.1998 - 6 B 49/98 -, DVBl. 1998, 1351; Sen. Urt. v. 24.5.2011 - 2 LB 158/10 -, Beschl. v.19.2.2007 - 2 ME 695/06 -; Niehues/Fischer, a.a.O.., S. 330 Rdn. 882).
Da die Bewertung durch den Prüfer sowohl fachwissenschaftliche als auch prüfungsspezifische Wertungen enthält, sind die Gerichte gehalten, die mit der prüfungsspezifischen Bewertung häufig verflochtene fachwissenschaftliche Beurteilung herauszufiltern und auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (BVerwG, Beschl. v. 17.12.1997 - 6 B 55/97 -, NVwZ 1998, 738 [BVerwG 17.12.1997 - 6 B 55/97]). Erweist sich danach eine für die Prüfungsentscheidung erhebliche fachwissenschaftliche Beurteilung als unrichtig, weil zum Beispiel die Antwort des Prüflings auf eine Fachfrage entgegen der Meinung des Prüfers objektiv vertretbar ist, ist in der Regel auch den sich daran anschließenden prüfungsspezifischen Wertungen die Grundlage entzogen (Niehues/Fischer, a.a.O.., S. 330 Rnr. 884). Generell sind die Prüfer zudem gehalten, sich zu bemühen, die Darlegungen des Prüflings zu verstehen und auf dessen Gedankengänge einzugehen (BVerwG, Urt. v. 20.9.1984 - 7 C 57.83 -, BVerwGE 70, 143).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist ernstlich zweifelhaft, ob die Bewertung der Hausarbeit durch die beiden Gutachterin (bewertungs-)fehlerfrei erfolgt ist.
(1) Bewertung durch die Erstgutachterin:
(1.1) Bedenken ergeben sich u.a. hinsichtlich folgender dem fachspezifischen Bereich zuzuordnenden Rügen der Erstgutachterin:
- Der Anmerkung der Gutachterin, bereits beim Lesen des Titelblattes der Hausarbeit frage man sich, warum für das Sticken einer Weihnachtsdecke ein halbjähriges Projekt notwendig sei (BA A Gutachten Bl. 1), hält die Klägerin mit nach derzeitiger Prüfung beachtlichen Gründen entgegen, dass das von ihr in dem Prüfungsfach "Textiles Gestalten" gewählte Hausarbeits-Thema "Kreative Gestaltung einer Weihnachtsdecke in Gemeinschaftsarbeit mit der Technik des "freien Stickens" in einer 6. Hauptschulklasse: Planung, Durchführung und Reflexion eines halbjährigen Projekts" ausweislich des Verwaltungsvorgangs ohne weitere Beanstandungen von der Erstgutachterin genehmigt worden sei (BA A Bl. 6). Die Erstgutachterin hat zwar in ihrem Gutachten ausgeführt, sie habe die Klägerin schon bei der Themenfindung auf die zu lange Zeitspanne hingewiesen (BA A Gutachten Bl. 1); dieser Vortrag wird indes durch den Verwaltungsvorgang nicht belegt. Unabhängig davon ist dem Gutachten auch nicht zu entnehmen, warum die gewählte Zeitspanne (von ca. August bis Dezember 2010) zu lang sein soll. Dies erschließt sich vor dem Hintergrund, dass in der Regel nur ein- bis zweimal in der Woche Handarbeitsunterricht erteilt wurde und die Kinder zunächst vier verschiedene Stiche lernen sollten, bevor die Weihnachtsdecke in einer Gemeinschaftsarbeit erstellt werden sollte, auch nicht ohne Weiteres.
- Nach den Ausführungen der Klägerin sollte bei ihrem Projekt die "sinnliche Wahrnehmung des freien Stickens im Mittelpunkt des ästhetischen Prozesses als Voraussetzung für die Entwicklung eigener Kreativität" stehen (BA A, Hausarbeit Bl. 1). Diese Vorgabe hat sie mit einem Zitat aus dem Buch "Helmhold, H. und De Boer, Schmutzige Technik: Filzen in Förderarbeit und Therapie" belegt (BA A, Hausarbeit Bl. 1 Fußnote 2). Die Rüge der Erstgutachterin, es ließen sich sicherlich geeignetere Quellen für das Sticken finden (BA A Gutachten Bl. 1), dürfte unter fachspezifischen Gesichtspunkten Bedenken begegnen. Maßgeblich ist, dass die Klägerin das von ihr angestrebte Ziel mit einem zutreffenden Zitat belegt hat. Dass die Erstgutachterin andere, der Stickerei nähere Zitate gewählt hätte, vermag die eher negative Aussagekraft der Bemerkung voraussichtlich nicht zu rechtfertigen.
- Soweit die Erstgutachterin die Ausführungen der Klägerin "Der Aufwand, solch ein Projekt durchzuführen, ist mit ziemlich hohen finanziellen Ausgaben verbunden" (BA A, Hausarbeit Bl. 1) unter Hinweis darauf, dass das Sticken weniger materialintensiv sei als viele andere Techniken und die benötigten Materialen für die Weihnachtsdecke zudem aus dem Schuletat ohne Weiteres bezahlt werden könnten, als falsch bezeichnet hat (BA A Gutachten Bl. 1), hat die Klägerin diese Wertung durch ihren Vortrag im Zulassungsverfahren, an der Schule sei kein Etat für die notwendigen Materialien im Fach Textiles Gestalten vorhanden gewesen und aus ihrer finanziellen Situation heraus (alleinstehend, zwei Kinder) seien die angefallenen Material- und Ausflugskosten durchaus "ziemlich hoch" gewesen (GA Bl. 111), plausibel in Frage gestellt.
- Soweit die Erstgutachterin geltend macht, der von der Klägerin als Stickgrundlage gewählte Jutestoff sei wegen seiner rauen Oberfläche kein geeignetes Material für eine Weihnachtstischdecke, sondern eigne sich eher für einen Wandbehang, ist diese fachspezifische Kritik zwar berechtigt. Mit der weiteren Einschätzung, eine Weihnachtsdecke fördere nicht die Motivation von Kindern in der 6. Klasse zum Sticken, ein Wandbehang mit Gestaltungsfreiheit habe viele Vorteile gegenüber einer Weihnachtsdecke (BA A, Gutachten Bl. 2), dürfte die Gutachterin indes ihre Auffassung über einen sinnvollen Unterricht als Maßstab ansetzen, ohne diese allerdings näher zu begründen und ohne den Antwortspielraum des Prüflings (hier: Gestaltungsspielraum) zu beachten. Dem Hinweis der Gutachterin, es begeistere die Kinder mehr, wenn sie ein eigenes Kleidungsstück mit Stickereien verzieren könnten, dies passe auch zum beginnenden pubertären Wunsch, etwas Besonderes zu sein/zu tragen, hat die Klägerin das - zumindest nach der in diesem Zulassungsverfahren nur gebotenen Prüfung - plausible Argument entgegengestellt, die Jungen in der (6.) Klasse dürften kaum geneigt sein, Kleidung mit eigener Stickerei zu tragen.
- Soweit die Gutachterin die von der Klägerin in ihrer Hausarbeit aufgeworfene Frage, ob der Lernzuwachs mit nur vier Sticharten ausreichend sei (BA A, Hausarbeit Bl. 2), als überflüssig bezeichnet hat, da bereits in der Grundschule gestickt werde, die Schüler in der 6. Klasse mithin Stickgrundlagen mitbrächten (BA A, Gutachten Bl. 2), hat die Klägerin diese Feststellung plausibel mit dem Hinweis in Frage gestellt, nur zwei der insgesamt 15 Schüler hätten Erfahrungen mit dem Sticken aus der Grundschule mitgebracht (GA Bl. 105).
- Der Vorhalt, die "Stickereien-Vielfalt (werde) leider gar nicht erwähnt" (BA A, Gutachten Bl. 2), dürfte in dieser Pauschalität nicht zutreffen. Zum einen bestand das Ziel der Klägerin (lediglich) darin, den Kindern vier Grundstickarten beizubringen (BA A, Hausarbeit Bl. 2) und im Anschluss daran im freien Sticken gemeinsam einer Weihnachtsdecke zu erstellen. Zum anderen hat die Klägerin in ihrer Hausarbeit (Bl. 32) die Vielfalt der Stickmöglichkeiten zumindest kurz angesprochen.
- Der Rüge, die Klägerin habe nicht auffindbare Zitate von Bleckwenn und Geburek genannt (BA A, Gutachten Bl. 2), ist die Klägerin plausibel mit einer Stellungnahme von Frau Geburek, Universität Münster, vom 14. April 2011 entgegengetreten, wonach die in der Hausarbeit (S. 3/4, siehe auch S.3 Fußnote 19) genannten Zitate aus dem von der Klägerin zitierten Buch, wenn teilweise auch mit Flüchtigkeitsfehlern übernommen worden seien (GA Bl. 110).
(1.2) Auch soweit es um prüfungsspezifische Wertung geht, bei denen dem Prüfer nach wie vor ein Bewertungsspielraum einzuräumen ist, stellt der Zulassungsantrag einzelne Wertungen in dem Gutachten schlüssig in Frage.
- Die Ausführungen in dem Gutachten "Durch die langwierigen Erklärungen der einzelnen Stiche ist eher zu vermuten, dass die Schülerinnen und Schüler in ihrem natürlichen Erfinder- und Entdeckergeist gehemmt wurden" (BA A, Gutachten Bl. 6), belegen schon nach der Wortwahl (zu vermuten), dass die Gutachterin nicht von den tatsächlichen Gegebenheiten in jenem Klassenverband ausgegangen ist, sondern von ihren Vorstellungen.
- Weiter werden in dem Gutachten zahlreiche Fragen aufgeworfen, u.a.:
"Verdirbt die Lehrerin (Klägerin) mit diesem Test nach dem Museumsbesuch jegliche Freude an erneuten Teilnahmen zu außerschulischen Lernorten?" (BA A, Gutachten Bl. 5)
"Eine Bestrafung/Auszeit ... wird für C. angedacht. Durfte C. mit in das Stickereimuseum? (BA A, Gutachten Bl. 5) ... In der 17. Unterrichtsstunde soll C. (Anm.: wegen seines aggressiven Verhaltens) die Regeln für die Gemeinschaftsarbeit vorlesen. Soll das eine Lösung darstellen?" (BA A, Gutachten Bl. 6).
Diese Fragen enthalten eine negative Komponente, werden von der Gutachterin aber nicht beantwortet, so dass offen bleibt, ob die in den Fragen enthaltene negativ-kritische Wertung vom tatsächlichen Ablauf her gerechtfertigt war, zumal die Entscheidung der Klägerin, nach dem Besuch des deutschen Stickmuseums in D. eine Lernstandskontrolle durchzuführen, (wohl) auch den Schüler C. in das Museum mitzunehmen und ihn zur Disziplinierung die Gemeinschaftsregeln vorlesen zu lassen, zumindest nicht als offensichtlich fehlerhaft anzusehen sein dürfte. Insoweit dürften daher allgemein anerkannte Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet worden sein.
- Die zu der Finanzierung (BA A, Hausarbeit Bl. 40) aufgeworfene Frage, "Will (die Klägerin) sagen, dass sie die restlichen 21,50 EUR (Anm.: Differenz aus dem u.a. von den Eltern eingesammelten Betrag für den Museumsbesuch zu den tatsächlichen Kosten des Besuchs) einbehält, weil sie 74,90 EUR für Materialien ausgegeben hat?" (BA A, Gutachten Bl. 7) lässt auf sachfremde Überlegungen schließen; denn die Gutachterin hätte die Frage, was mit den verbliebenen 21,50 EUR (richtig: 11,50 EUR) passiert ist, durch Rücksprache mit der Klägerin klären können. Diese hat im Rahmen des Zulassungsverfahrens vorgetragen, die Differenz zwischen dem eingesammelten (einschl. Klassenkasse) und dem tatsächlich für den Museumsbesuch ausgegebenen Geld habe sie nach Rücksprache mit dem Schulleiter und dem Klassenlehrer behalten können, da sie das Material für das Sticken der Weihnachtsdecke (74,90 EUR abz. 20,00 EUR aus der Klassenkasse) auf eigene Kosten beschafft habe (GA Bl. 111).
Wenn in dem Gutachten auch zahlreiche fach- und prüfungsspezifische Bewertungen enthalten sind, die - zumindest nach bisheriger Einschätzung - keinen Bedenken begegnen dürften (z.B.: die Ausführungen zu den kultur-historischen Aspekten des Stickens seien sehr kurz geraten, die vier Stiche seien teilweise zu umständlich erläutert worden, eine Begründung für die Auswahl der Stiche fehle, die Hausarbeit verhalte sich nicht dazu, ob in der Klasse Linkshänder seien, in die Lernausgangslage seien teilweise reflektierende Passagen eingeflossen, der ebenfalls verwendete "überwendliche Stich" sei in der Hausarbeit nicht erwähnt worden, die Vorgabe von nur vier zu erlernenden Stichen und die Gleichschrittigkeit des Vorgehens stehe einem echten Lernzuwachs entgegen, Ausführungen zu dem Vernähen des Garns zum Ende der Stickarbeit seien in der Hausarbeit nicht enthalten), kann im Hinblick auf die Vielzahl der oben angeführten schlüssig gerügten Beurteilungsfehler nicht ausgeschlossen werden, dass die Erstgutachterin bei einer ordnungsgemäßen Bewertung zu einer anderen Benotung gekommen wäre.
(2) Soweit die Zweitgutachterin in ihrem ebenfalls auf "mangelhaft" lautenden Gutachten anstelle der gewählten Weihnachtsdecke einen Wandbehang, T-Shirts oder Jeans als angemessenere Stickgrundlage und als Motiv Kleinmotive aus der Graffitti-Kunst (anstelle weihnachtlicher Motive) ins Spiel bringt (BA A, Gutachten Bl. 1), berücksichtigt auch diese Kritik - wie bereits oben ausgeführt - nicht hinreichend den "Antwortspielraum" der Klägerin.
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, oder Postfach 2371, 21313 Lüneburg, einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 124 a Abs. 3 Sätze 3 bis 5 und Abs. 6 Satz VwGO).