Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.01.2013, Az.: 2 LB 186/12

Anspruch eines Ausländers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis bei Leben in einer Lebensgemeinschaft mit Familienangehörigen deutscher Staatsangehörigkeit; Folgen des Fehlens der Sicherung des Unterhalts für den Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.01.2013
Aktenzeichen
2 LB 186/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 10497
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0109.2LB186.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 15.04.2011 - AZ: 2 A 2108/10

Redaktioneller Leitsatz

1.

Ein Ausländer hat trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 AufenthG keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, wenn sein Lebensunterhalt nicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert ist und kein Anlass besteht, ausnahmsweise von dieser Regelerteilungsvoraussetzung abzusehen.

2.

Der Umstand, dass eine ausländische Staatsangehörige rechtlich oder faktisch Alleinerziehende von kleinen Kindern ist, begründet keine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 28 Abs. 2 AufenthG.

3.

Die fehlende Vorbereitung eines Termins infolge eines Anwaltswechsels stellt nur dann einen erheblichen Grund für eine Vertagung dar, wenn der Anwaltswechsel ohne Verschulden der Partei erfolgte.

Gründe

1

I.

Die Klägerin, eine syrische Staatsangehörige, begehrt die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.

2

Die 19 geborene Klägerin heiratete im Frühjahr 19 in Syrien den 19 geborenen syrischen Staatsangehörigen D., der schon damals in Deutschland lebte und seit dem 3. April 2001 eingebürgert ist. Ein Antrag der Klägerin auf Erteilung eines Visums zum Zwecke der Familienzusammenführung blieb ohne Erfolg, weil ihr Ehemann, der bereits damals unter erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen litt, ergänzende Sozialhilfe bezog. Sie reiste (daher) mit ihrem im März 19 geborenen Sohn im Mai 19 als Asylsuchende in das Bundesgebiet ein. Das Asylverfahren blieb erfolglos. In der Folgezeit wurde sie zunächst geduldet, u.a. weil sie keinen Pass besaß, ab 20 - nach Vorlage eines Passes - wurde ihr eine Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG), später wurden jeweils befristete Aufenthaltserlaubnisse als Ehegattin eines Deutschen (§ 28 Abs. 1 AufenthG) erteilt. Aus der Ehe sind drei weitere 20 , 20 und 20 im Bundesgebiet geborene Kinder hervorgegangen. Die beiden ältesten Kinder besitzen die syrische, die beiden jüngsten Kinder (auch) die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Ehemann ist seit 20 zu 100 % schwerbehindert und bezieht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von monatlich ca. 227,00 EUR sowie Landesblindengeld in Höhe von ca. 265,-- EUR.

3

Den Antrag der Klägerin vom 11. Januar 20 auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. März 20 mit der Begründung ab, die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sei nicht erfüllt; denn der Lebensunterhalt der Klägerin sei nicht gesichert, da sie Leistungen nach dem SGB II beziehe; von der Regelerteilungsvoraussetzung könne auch nicht abgesehen werden.

4

Die Klägerin hat daraufhin Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, seit der Geburt ihres dritten Kindes habe sie einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen können. Sie habe inzwischen jedoch mehrere Deutschkurse belegt und strebe eine Halbtagsbeschäftigung an, sobald das jüngste Kind eingeschult sei.

5

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 25. März 20

zu verpflichten, ihr eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen.

6

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie hat die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid vertieft.

8

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruch der Klägerin folge aus § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Die dort genannten Voraussetzungen seien erfüllt. Die Klägerin sei seit drei Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, lebe in familiärer Gemeinschaft mit deutschen Staatsangehörigen und könne sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen. Ein Ausweisungsgrund liege nicht vor, insbesondere stelle der Bezug von Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II keinen Ausweisungsgrund dar. Allerdings fordere § 28 Abs. 2 i. V. m. § 5 Abs. 1 AufenthG in der Regel einen gesicherten Lebensunterhalt. Ausnahmsweise sei indes von dieser Regelerteilungsvoraussetzung abzusehen. Als Besonderheit des Einzelfalles sei insoweit zu berücksichtigen, dass der Ehemann der Klägerin aufgrund seiner Behinderung für die Betreuung der Kinder weitgehend ausfalle, die Klägerin mithin selbst die Kinder zur Schule, zum Arzt oder vergleichbaren Stellen begleiten müsse, so dass eine Erwerbstätigkeit durch sie derzeit nicht leistbar sei. Die Klägerin habe daher einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.

9

Dagegen richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung der Beklagten.

10

Die Beklagte führt aus, der Lebensunterhalt der Klägerin sei weder in den zurückliegenden Jahren noch gegenwärtig gesichert. Dies stehe gemäß §§ 28 Abs. 2, 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis entgegen. Es bestehe kein Anlass, von der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts eine Ausnahme zuzulassen. Trotz der vier Kinder sei der Klägerin eine Arbeitsaufnahme zumutbar; denn der Ehemann könne die Kinder zumindest teilweise beaufsichtigen. Und selbst wenn die Klägerin keine Beschäftigung finden oder durch Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung den Lebensunterhalt nicht in zureichendem Maße aufbringen könne, begründe dies keine Ausnahmesituation; denn vergleichbare Verhältnisse gebe es in einer Vielzahl von Familien mit ausländischen Mitgliedern.

11

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

12

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat schriftsätzlich den Antrag gestellt,

Berufung zurückzuweisen.

13

Er verweist auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil.

14

Im Laufe des Zulassungsverfahrens/Berufungsverfahrens hat die Klägerin zunächst vorgetragen, ihr Ehemann habe sich von ihr getrennt und falle daher für die Betreuung der Kinder aus. Später hat sie mitgeteilt, ihr Ehemann habe sich bereit erklärt, die Kinderbetreuung zu übernehmen, falls sie eine Arbeit finde; sie habe auch vorübergehend in einem Imbiss arbeiten können. Ende 2012 hat sie schließlich erklärt, sie lebe seit über einem Jahr dauerhaft von ihrem Ehemann getrennt, das Scheidungsverfahren laufe. Sie sei als arbeitssuchend gemeldet. Ihr sei allerdings vom Job-Center geraten worden, einen weiteren Deutschkurs zu belegen. Von ihren Kindern besuche E. (geb. 19 ) eine Förderschule, F. (geb. 20 ) und G. (geb. 20 ) gingen zum Gymnasium, H. (geb. 20 ) besuche die Grundschule. E. habe nach den Weihnachtstagen 2012 entschieden, bei seinem Vater zu bleiben.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

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II.

1) Der Senat konnte in der Sache entscheiden, obwohl für die Klägerin (Berufungsbeklagte) niemand zur mündlichen Verhandlung erschienen war; denn die Beteiligten sind ordnungsgemäß geladen und darauf hingewiesen worden, dass auch bei einem Ausbleiben verhandelt wird. Zureichende Gründe für eine Vertagung (§§ 173 VwGO, 227 Abs. 1 ZPO) sind nicht geltend gemacht worden. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Eingang vom 3. Januar 2013 sein Mandat niedergelegt und mit Eingang vom 8. Januar um Aufhebung des auf den 9. Januar 2013 anberaumten Verhandlungstermins gebeten hat, weil die Beklagte ihn am 28. Dezember 2012 von allen Aufgaben entbunden habe, rechtfertigt dies eine Vertagung nicht. Zum einen ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin (Berufungsbeklagte) mit Verfügung vom 4. Januar 2013 mitgeteilt worden, dass das Erlöschen einer Prozessvollmacht gem. §§ 173 VwGO, 87 ZPO erst nach Anzeige der Bestellung eines anderen Prozessbevollmächtigten rechtliche Wirksamkeit erlangt. Ein anderer Prozessbevollmächtigter hat sich für die Klägerin indes nicht gemeldet. Der Aufhebungsantrag ist auch nicht damit begründet worden, die Klägerin wolle einen neuen Prozessbevollmächtigten beauftragen. Zum anderen stellt die fehlende Vorbereitung eines Termins infolge eines Anwaltswechsels nur dann einen erheblichen Grund für eine Vertagung dar, wenn der Anwaltswechsel ohne Verschulden der Partei erfolgte (vgl. hierzu Sen., Beschl. v. 5.11.2012 - 2 LA 177/12 -; BayVGH, Beschl. v. 17.3.2009 - 3 ZB 07.2219 -, [...]; BGH, Beschl. v. 3.3.2008 - II ZR 251/01 -, NJW-RR 2008, 876). Auch diese Voraussetzung liegt nicht vor; denn nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin hat diese ihm am 28. Dezember 2012, also kurz vor dem Verhandlungstermin und damit zur Unzeit das Mandat gekündigt, ohne dass dafür ein tragfähiger Anlass ersichtlich ist.

17

2) Auf die Berufung der Beklagten ist das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. März 20 ist vielmehr als rechtmäßig anzusehen.

18

Gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist Ausländern, die in Lebensgemeinschaft mit Familienangehörigen deutscher Staatsangehörigkeit leben, in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn sie drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind, die Lebensgemeinschaft mit dem oder den Familienangehörigen deutscher Staatsangehörigkeit fortbesteht, kein Ausweisungsgrund vorliegt und sie sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen können.

19

Diese Voraussetzungen sind zwar erfüllt: Die Klägerin ist seit drei Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, auch besteht die Familiengemeinschaft mit deutschen Staatsangehörigen, nämlich mit den deutschen Kindern fort, zudem kann sie sich nach den Erkenntnissen des Verwaltungsgerichts auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen, schließlich stellt die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II an die Klägerin und ihre vier Kinder keinen Ausweisungsgrund dar (BVerwG, Urt. v. 16.11.2010 - 1 C 20.09 -, BVerwGE 138,135; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: August 2012, § 55 Rnr. 69).

20

Es fehlt indes an der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, nämlich der Sicherung des Lebensunterhalts (a) und es besteht auch kein Anlass, ausnahmsweise von dieser Regelerteilungsvoraussetzung abzusehen (b).

21

a) Das Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts gilt auch bezogen auf die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis; denn mit der Normierung der Sicherung des Lebensunterhalts in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass er darin bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln im Ausländerrecht eine Voraussetzung von grundlegendem staatlichen Interesse sieht (BT-Drs. 15/420 zu § 5, S. 70). Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf eine Niederlassungserlaubnis aus humanitären Gründen (§ 26 Abs. 4 AufenthG) unter anderem ausgeführt (Urt. v. 16.11.2010 - 1 C 21.09 -, BVerwGE 138, 148 = ZAR 2011, 233):

"Nach der ausdrücklichen Wertung des Gesetzgebers ist die Sicherung des Lebensunterhalts bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln im Aufenthaltsrecht als eine Voraussetzung von grundlegendem staatlichem Interesse anzusehen. Diese bereits im Ausländergesetz 1990 getroffene Wertung wurde durch die Neuregelung des Aufenthaltsrechts im Zuwanderungsgesetz generell noch verstärkt, indem die Sicherung des Lebensunterhalts nunmehr nicht nur bei der Erteilung von Titeln zum Daueraufenthalt, sondern für alle Aufenthaltstitel von einem (Regel-)Ver-sagungsgrund zu einer (Regel-)Erteilungsvoraussetzung heraufgestuft worden ist. Damit sollen die fiskalischen Interessen noch weitergehend geschützt werden ... Lebt der Ausländer im Bundesgebiet ... mit Familienangehörigen zusammen, führt die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis typischerweise auch zu einer tatsächlichen Verfestigung des Aufenthalts der Angehörigen. Die Option, die eheliche oder familiäre Lebensgemeinschaft im Herkunftsland zu führen, rückt damit jedenfalls in die Ferne. Ist die Familie ... auf Sozialleistungen angewiesen, folgt aus der Aufenthaltsverfestigung eine Perpetuierung der Inanspruchnahme von Sozialleistungen. Zugleich entfällt der aufenthaltsrechtliche Anreiz für die übrigen Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft, eine eigene Erwerbstätigkeit aufzunehmen und dadurch die öffentlichen Kassen zu entlasten ...

Die Ablehnung der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis verstößt ... weder gegen Art. 6 GG noch gegen Art. 8 EMRK. Der Kläger wird durch die Versagung der begehrten Niederlassungserlaubnis nicht daran gehindert, weiter mit seiner Ehefrau und den beiden Kindern in Deutschland zusammenzuleben. Es geht nicht um die Beendigung des Aufenthalts, sondern allein um die Frage, ob der Kläger seinen Aufenthalt im Bundesgebiet - und damit die Fortsetzung seiner familiären Lebensgemeinschaft - auf einen befristeten Aufenthaltstitel oder eine auf Dauer angelegte Niederlassungserlaubnis stützen kann ..."

22

Diese Einschätzung hat es auch bezogen auf eine Niederlassungserlaubnis aus familiären Gründen (§ 28 Abs. 2 AufenthG) - wie vorliegend im Streit - bestätigt (Urt. v. 16.8.2011 - 1 C 12.10 -, [...], v. 22.5.2012 - 1 C 6.11 -, DVBl. 2012, 1167). Im zuletzt genannten Urteil hat es ausgeführt

"... das Ziel des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, neue Belastungen für die öffentlichen Haushalte zu vermeiden, setzt sich auch gegenüber dem Begehren eines Ausländers durch, aus dem Zusammenleben mit deutschen Familienangehörigen einen Anspruch auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis ableiten zu können, weil diese nach der Konzeption des Gesetzes eine gelungene wirtschaftliche Integration nicht vorbereitet, sondern voraussetzt. Die Verfestigung des Aufenthaltsstatus soll deshalb erst dann durch eine Niederlassungserlaubnis weiter befördert werden, wenn die betroffenen Ausländer den Lebensunterhalt für sich und die familiäre Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören, ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel (§ 2 Abs. 3 AufenthG) sichern können.

Allerdings ist die Sicherung des Lebensunterhalts - abweichend von § 9 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG - nur im Regelfall Tatbestandsvoraussetzung für einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG. Verfassungs-, unions- oder völkerrechtliche Gewährleistungen sowie atypische Umstände des Einzelfalles, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, können Ausnahmen vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG rechtfertigen (Urteile vom 16. August 2011 a.a.O. Rnr. 18 sowie vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rnr. 27). Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, unterliegt keinem Einschätzungsspielraum der Behörde, sondern ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar (Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 1 C 3.08 - Buchholz 402.242 § 5 AufenthG Nr. 5 Rnr. 14)."

23

Der Lebensunterhalt der Klägerin und ihrer Kinder ist vorliegend unstreitig nicht sichergestellt. Grundsätzlich ist dabei maßgebend, ob für die jeweilige Bedarfsgemeinschaft in ihrer Gesamtheit der Lebensunterhalt gesichert ist. Deutsche Familienmitglieder sind bei der Berechnung dieses Bedarfs indes nicht zu berücksichtigen (BVerwG, Urt. v. 16.8.2011 - 1 C 12.10 -, [...]). Im vorliegenden Fall kommt es daher auf den Unterhaltsbedarf der Klägerin und der beiden ältesten Kinder als syrische Staatsangehörige bzw. - da der älteste Sohn seit Weihnachten 2012 bei seinem Vater leben soll - auf den Unterhaltsbedarf der Klägerin und ihres zweitältesten Kindes an. Jedoch ist auch der Unterhalt dieser (kleineren) Bedarfsgemeinschaft nicht gesichert, da die Klägerin (weiterhin) keiner Arbeit nachgeht und die Rente des Ehemannes in Verbindung mit dem Landesblindengeld den Lebensunterhalt nicht sichern kann, wobei zudem fraglich ist, ob der Ehemann nach der Trennung die Klägerin überhaupt finanziell unterstützt.

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b) Von der zwingenden Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts kann weder durch den Rückgriff auf die Regelung des § 5 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG (aa) noch ausnahmsweise auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls abgesehen werden (bb).

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aa) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor; denn die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG wird in § 5 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht erwähnt. Zudem ist die Norm abschließend. Ihr liegt die Überlegung zu Grunde, dass von Flüchtlingen die Erfüllung der Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 des § 5 AufenthG nicht verlangt werden kann. Zu dieser Personengruppe gehört die Klägerin indes nicht.

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Ebenso wenig ist das Ermessen nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffnet; denn bei der in § 28 Abs. 2 AufenthG geregelten Niederlassungserlaubnis handelt es sich nicht um die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes (humanitärer Aufenthaltstitel), sondern um eine solche nach Kapitel 2 Abschnitt 6 (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 22.2.2011 - 12 B 20/08 -, [...]).

27

bb) Ein Ausnahmefall, in dem von einer Prüfung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Rahmen des § 28 Abs. 2 AufenthG abzusehen wäre, liegt nicht vor.

28

Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu in seinem o.a. Urteil vom 22.5.2012 (- 1 C 6.11 -, DVBl. 2012, 1167) ausgeführt:

(1) "Aus Art. 6 Abs. 1 GG kann die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ohne Sicherung des Lebensunterhalts nicht ableiten. Zwar ist die verfassungsrechtliche Wertentscheidung für Ehe und Familie bei der Auslegung und Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Rahmen des § 28 Abs. 2 AufenthG zu berücksichtigen (Urteil vom 27. Januar 2009 - BVerwG 1 C 40.07 - BVerwGE 133, 72 Rnr. 20, 25). Doch vermag sie in aller Regel einen Anspruch auf Erteilung eines bestimmten Aufenthaltstitels - insbesondere eines unbefristeten an Stelle eines vorhandenen befristeten Titels - nicht zu begründen (vgl. Urteil vom 28. Oktober 2008 - BVerwG 1 C 34.07 - Buchholz 402.242 § 26 AufenthG Nr. 3 Rnr. 24). Der Schutz von Ehe und Familie ist durch die Erteilung bzw. Ausstellung eines befristeten Aufenthaltstitels regelmäßig sichergestellt. Der Vortrag der Klägerin zur Anzahl und Betreuungsbedürftigkeit ihrer Kinder ... stellt dies nicht in Frage ..."

(2) "Die Klägerin kann sich für den geltend gemachten Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis ohne Sicherung des Lebensunterhalts auch nicht auf Art. 8 EMRK stützen.

(3) Art. 8 EMRK gewährleistet das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Dabei ist unter Privatleben die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu verstehen, die für das Leben eines Menschen in der Gesellschaft konstitutiv sind und denen - angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen - bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (Urteil vom 26. Oktober 2010 - BVerwG 1 C 18.09 - Buchholz 402.242 § 104a AufenthG Nr. 5, Rnr. 14). Eingriffe in die Ausübung dieses Rechts sind nur zulässig, soweit sie gesetzlich vorgesehen und aus Gründen notwendig sind, die in Art. 8 Abs. 2 EMRK im Einzelnen aufgeführt sind.

(4) Es ist bereits zweifelhaft, ob die im Hinblick auf die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts ausgesprochene Verweigerung eines unbefristeten Aufenthaltstitels an Stelle befristeter Aufenthaltserlaubnisse in diesem Sinne einen Eingriff in das Recht auf Privatleben darstellt. Denn der Aufenthalt der Klägerin in Deutschland ist rechtlich gesichert und wird durch die ihr jeweils ausgestellte Aufenthaltserlaubnis dokumentiert. Die Verweigerung eines unbefristeten Aufenthaltstitels wirkt sich vor diesem Hintergrund auf ihr Recht, ihre Konventionsrechte ungehindert auszuüben, allenfalls geringfügig - etwa im Bereich der wirtschaftlichen Integration - aus.

(5) Jedenfalls aber ist die Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG im Rahmen des § 28 Abs. 2 AufenthG durch hinreichende Gründe im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Sie ist gesetzlich vorgesehen, da das Zusammenspiel von § 28 Abs. 2 und § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG diese Entscheidung als Regelfall vorsieht, und verfolgt das legitime Ziel, die öffentlichen Haushalte zu schonen. Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit bestehen im vorliegenden Fall nicht (zu diesem Erfordernis vgl. EGMR, Urteil vom 13. Oktober 2011 - 41548/06, Trabelsi - Newsletter Menschenrechte 2011, 300 Rnr. 53 ff. m.w.N., BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Mai 2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275, Rnr. 33). Denn der Aufenthalt der Klägerin ist unabhängig davon, ob sie über eine Niederlassungserlaubnis verfügt, dauerhaft gesichert und steht nicht in Frage; die Klägerin unterliegt lediglich dem Erfordernis periodischer Verlängerung der ihr jeweils ausgestellten Aufenthaltserlaubnis. Dies ist ihr auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass sie nicht straffällig geworden ist und dass angesichts ihrer Verweildauer in Deutschland von einer stabilen Verwurzelung im Aufenthaltsstaat auszugehen ist, zumutbar. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte überlässt die Konvention den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Konvention in innerstaatliches Recht die Wahl der dafür am besten geeigneten Mittel, so dass Art. 8 EMRK grundsätzlich nicht dahin verstanden werden kann, dass er ohne Weiteres einen bestimmten Aufenthaltstitel unter mehreren zur Verfügung stehenden garantiert (EGMR, Urteil der Großen Kammer vom 15. Januar 2007, 60654/00, Sisojeva - NVwZ 2008, 979 Rn [EGMR 15.01.2007 - 60654/00]r. 90, 91)."

29

(3) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stellt auch die familiäre Situation der Klägerin als Mutter von vier Kindern keinen atypischen Sachverhalt dar. Insoweit ist ebenfalls auf das soeben genannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu verweisen:

"Schließlich liegt auch keine Ausnahme vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, der die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis unabhängig vom Erfordernis einer Sicherung des Lebensunterhalts erzwingen würde. Von einem solchen Einzelfall ist bei besonders atypischen Umständen auszugehen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen (vgl. Urteil vom 16. August 2011 - BVerwG 1 C 12.10 - Rnr. 18). Die Klägerin hat jedoch neben den bereits genannten Gesichtspunkten derartige atypische Umstände nicht vorgetragen. Zwar sind zumindest zwei ihrer Kinder deutsche Staatsangehörige, deren Anteil an der familiären Bedarfsgemeinschaft bei der Prüfung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG außer Betracht zu bleiben hat (vgl. Urteil vom 16. August 2011 a.a.O. Rnr. 18, 19). Dies ändert indes nichts daran, dass auch der Lebensunterhalt der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, insbesondere der Klägerin selbst sowie ihres Ehemannes und derjenigen Kinder, die keine deutschen Staatsangehörigen sind, ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nicht gesichert werden kann. Die von der Klägerin hierfür geltend gemachten Gründe - vor allem Anzahl und besondere Betreuungsbedürftigkeit der Kinder und die gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Bedeutung der Kindererziehung - weisen den vorliegenden Fall nicht als eine atypische Konstellation aus, bei der davon auszugehen wäre, dass sie dem Gesetzgeber bei Erlass der maßgeblichen Vorschriften nicht vor Augen gestanden hätte."

30

Diese Überlegungen gelten entsprechend für das vorliegende Verfahren.

31

Keine wesentliche Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass die Klägerin mittlerweile in Scheidung lebt. So ist daraus nicht zwangsläufig abzuleiten, dass sich der Ehemann nicht in die Betreuung der Kinder einbringt, um der Klägerin eine den Bedarf sichernde Arbeitsaufnahme zu ermöglichen. Gerade der aktuelle Vortrag der Klägerin, wonach der älteste Sohn seit Weihnachten 2012 vollständig bei dem Ehemann/Vater leben soll, belegt vielmehr, dass der Ehemann dem Grunde nach (doch) Betreuungsleistungen erbringen kann. Unabhängig davon gibt es - wie dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt ist - eine große Zahl von familiären Gemeinschaften mit teilweise ausländischen Mitgliedern, bei denen der (frühere) Partner - sei es aus gesundheitlichen oder sonstigen Gründen wie u.a. Trennung oder Scheidung - nicht zum Einkommen beiträgt und sich auch nicht in die Betreuung der Kinder einbringt. Derartige familiäre Gemeinschaften stellen also gerade keinen atypischen Sachverhalt dar, der dem Gesetzgeber bei Erlass der maßgeblichen Vorschriften nicht vor Augen gestanden hätte. Würde bereits der Umstand, dass eine ausländische Staatsangehörige rechtlich oder faktisch Alleinerziehende von kleinen Kindern ist, eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 28 Abs. 2 AufenthG begründen, würde die mit dieser Vorschrift beabsichtigte Anreizfunktion, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, um eine Niederlassungserlaubnis zu erhalten, in einer großen Zahl von Fällen leerlaufen.