Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.11.2012, Az.: 11 PA 299/12

Vorliegen eines "ungerechtfertigen Alamierens der Polizei" nach der Allgemeinen Gebührenordnung (AllGO) bei Schilderung einer vermeintlichen Bedrohungslage deutlich schwerwiegender als von der meldenden Person wahrgenommen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.11.2012
Aktenzeichen
11 PA 299/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 28242
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:1127.11PA299.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 29.10.2012 - AZ: 5 A 151/12

Fundstellen

  • FStNds 2013, 238-240
  • NVwZ-RR 2013, 6
  • NVwZ-RR 2013, 145-146
  • NordÖR 2013, 275

Amtlicher Leitsatz

Ein "ungerechtfertiges Alamieren der Polizei" nach der Allgemeinen Gebührenordnung - AllGO -, dort Nr. 108.1.3, ist auch dann gegeben, wenn die meldende Person eine vermeintliche Bedrohungslage deutlich schwerwiegender als von ihm wahrgenommen schildert. In einem solchen Fall ist die Erhebung von Verwaltungskosten für eine Amtshandlung der Polizei rechtmäßig.

Gründe

1

Die zulässige Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2012 keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und dem Kläger deshalb nach§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden kann.

2

Rechtsgrundlage für die von der Beklagten erhobenen Kosten sind die §§ 1, 3 ff. NVwKostG i.V.m. Nr. 108.1.3.1 AllGO. Nach der letztgenannten Vorschrift werden für das "Ungerechtfertigte Alarmieren der Polizei durch eine Person" bei einem Einsatz von zwei Bediensteten mit einem Kraftfahrzeug - wie hier - Mindestkosten in der geltend gemachten Höhe von 71, 50 EUR erhoben. In der Anmerkung Nr. 108.1.3 a) zu Nr. 108.1.3.1 wird näher erläutert, dass eine Alarmierung ungerechtfertigt ist, wenn "... die für die Alarmierung verantwortliche Person hätte erkennen, dass keine Gründe für ein polizeiliches Einschreiten vorlagen...". Objektiv darf also kein Grund für ein polizeiliches Einschreiten vorgelegen haben und dies muss subjektiv für den Betroffenen erkennbar gewesen sein, d.h. ihn muss an der ungerechtfertigten Alarmierung ein Verschulden treffen. Im Interesse einer rechtzeitigen Benachrichtigung der Polizei durch die Bevölkerung soll also ein Informant wegen einer für ihn nicht zu erkennenden Fehlinformation nicht das Kostenrisiko tragen (vgl. Sailer, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl., N 106). Nach dem Sinn und Zweck der Regelung bezieht sich der Schutz des Informanten nur auf die Richtigkeit des von ihm mitgeteilten Sachverhaltes und der daraus abzuleitenden Gefahr; kann er hingegen erkennen, dass der von ihm mitgeteilte Sachverhalt nicht zutrifft, so handelt er schuldhaft und trägt das Kostenrisiko. Dies gilt auch, wenn er eine tatsächliche oder vermeintliche Bedrohungslage deutlich schwerwiegender als tatsächlich wahrgenommen schildert. Denn die Polizei soll auch vor solchen überzogenen Schilderungen geschützt werden, die nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen (§ 5 Nds. SOG) ggf. ein Einschreiten gar nicht, nicht sofort oder nicht mit der gleichen Personal- oder Sachstärke erfordern als bei Angabe des tatsächlichen Geschehens. Hiernach beurteilt sich auch, ob mehrfache Anrufe bei der Polizei nur ein oder ein mehrfaches Alarmieren i.S.d. Kostenrechts darstellen. Soweit unterschiedliche Sachverhalte angezeigt werden, liegt dem Grunde nach eine mehrfache Alarmierung vor.

3

Gemessen an diesen Vorgaben ist es nicht zu beanstanden, dass die am 24. Mai 2012 um ca. 12.28 Uhr erfolgte zweite Alarmierung durch den Kläger sinngemäß vom Verwaltungsgericht kostenrechtlich eigenständig beurteilt, ohne weitere Beweisaufnahme als mutmaßlich ungerechtfertigt und hierfür die Erhebung der Mindestkosten in der streitigen Höhe von 71, 50 EUR als rechtmäßig angesehen worden ist. Denn anders als bei der ersten Alarmierung um 12.15 Uhr, bei der sich der Kläger auf Angst vor einem bevorstehenden tätlichen Angriff durch einen um den gemeinsam bewohnten Gebäudekomplex schleichenden, namentlich benannten Nachbarn berief, meldete der Kläger nachfolgend um 12.28 Uhr, dass dieser Nachbar nunmehr die Tür zu seiner Wohnung (der des Klägers) eintreten würde; d.h. er schilderte eine konkrete, bereits eingetretene Bedrohungslage, die sich deutlich von der vorherigen Schilderung einer nur möglichen unbestimmten Bedrohungslage unterschied. Wie sich aus den eigenen Wahrnehmungen der auf Grund der ersten Alarmierung zwischenzeitlich eingetroffenen Polizeibeamten sowie der von ihnen befragten Zeugen ergibt, trat im Zeitpunkt der zweiten Alarmierung jedoch tatsächlich weder der namentlich bezeichnete Nachbar des Klägers noch eine andere Person gegen die Wohnungstür des Klägers; es war dort überhaupt keine Person anwesend, d.h. die vom Kläger insoweit geschilderte Gefahrenlage war objektiv nicht gegeben.

4

Diese objektiv fehlerhafte Alarmierung erfolgte auch schuldhaft. Auf Grund der Angaben des Klägers ist schon unklar, ob er sich überhaupt darauf berufen will, bei seinem zweiten Anruf die geschilderten Tritte des Nachbarn gesehen zu haben. Jedenfalls ist von ihm nicht erklärt worden und auch sonst nicht zu erklären, wie er eine tatsächlich nicht anwesende Person vor seiner Wohnungstür als Urheber von Tritten erkannt haben will. Sein Verweis darauf, dass der von ihm als Zeuge benannte Herr C. innerhalb der Wohnung des Klägers die Tritte gegen die Tür akustisch wahrgenommen habe, aber durch die geschlossene Tür die Tritte nicht habe sehen können, spricht vielmehr entschieden dafür, dass dies auch ihm, dem Kläger, selbst nicht möglich war. Dann hätte er aber lediglich angeben dürfen, was er tatsächlich wahrgenommen hat, nicht aber daraus von ihm gezogene, deutlich weitergehende Schlussfolgerungen als Tatsachen, dass nämlich die vermeintlich an der Tür gehörten Töne von Tritten gegen die Tür stammten, und zwar von seinem namentlich benannten Nachbarn. Auch bei Berücksichtigung einer gewissen Anspannung angesichts der vermuteten Bedrohung kann und muss erwartet werden, dass bei der Alarmierung der Polizei zwischen tatsächlichen Wahrnehmungen und daraus gezogenen Schlussfolgerungen unterschieden wird, zumal die Bedeutung möglichst detaillierter Angaben bei einem Notruf allgemein bekannt ist und der Kläger nach Aktenlage schon öfters Kontakt zur Polizei aufgenommen hatte. Die vom Kläger für erforderlich erachtete Vernehmung von Herrn C. als Zeugen ist angesichts dessen zuvor angeführter, nur sehr eingeschränkter Wahrnehmungsmöglichkeiten daher weder zur Feststellung geboten, dass die vom Kläger bei der zweiten Alarmierung geschilderte Bedrohungslage objektiv nicht gegeben war, noch für die weitere Feststellung, dass der Kläger die Unrichtigkeit seiner Angaben bei der gebotenen Sorgfalt auch leicht hätte erkennen können. Als Rechtsfolge hat der Kläger als Kostenschuldner nach § 5 NVwKostG unabhängig von dem im konkreten Fall erforderlichen Aufwand die von der Beklagten für einen Einsatz von zwei Polizeibeamten mit einem Einsatzfahrzeug geltend gemachten Mindestkosten in Höhe von zusammen 71,50 EUR zu tragen.

5

Ob die Beklagte im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers oder sonst aus Billigkeitsgründen, d.h. etwa wegen der ggf. kostenrechtlich nicht "ungerechtfertigt" erfolgten ersten Alarmierung und der insoweit ohnehin angefallenen Kosten, die (Mindest-)Kosten für die zweite Alarmierung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG ermäßigt oder von ihrer Erhebung absieht, ist nicht Gegenstand dieses Klageverfahrens (vgl. Senatsurt. v. 26.1.2012 - 11 LB 226/11 -, [...], Rn. 19, 28, m.w.N.).