Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.04.2024, Az.: 14 LA 53/23

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumen der Widerspruchsfrist

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.04.2024
Aktenzeichen
14 LA 53/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 14026
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0425.14LA53.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 13.03.2023 - AZ: 13 A 4482/18

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Zu den Darlegungsanforderungen bei neuem Tatsachenvortrag im Zulassungsverfahren.

  2. 2.

    Lehnt die Widerspruchsbehörde die beantragte Wiedereinsetzung ab und weist sie den Widerspruch wegen Versäumen der Widerspruchsfrist als unzulässig zurück, ist das Gericht ist im Klageverfahren befugt, über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden.

  3. 3.

    Zur Reichweite des Untersuchungsgrundsatzes bei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumnis der Widerspruchsfrist.

Tenor:

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichterin der 13. Kammer - vom 13. März 2023 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens.

Gründe

I. Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 23. August 2017, mit dem diese ihren Bescheid vom 29. Mai 2017 über die Bewilligung von Leistungen nach dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (AFBG) für die Zeit von Januar bis Juni 2017 aufgehoben und von dem Kläger einen Betrag in Höhe von insgesamt 6.682,00 Euro zurückgefordert hat.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit am 13. Juni 2018 bei der Beklagten eingegangen Schreiben vom 9. Juni 2018 Widerspruch ein und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung der Fristversäumnis führte er familiäre und gesundheitliche Gründe an, die es ihm unmöglich gemacht hätten, sich um seine Post zu kümmern. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 27. November 2018 als unzulässig zurück und begründete dies damit, dass der Kläger die Widerspruchsfrist versäumt habe und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund der geltend gemachten familiären und gesundheitlichen Probleme nicht zu gewähren sei. Die hiergegen erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 13. März 2023 als unzulässig ab. Der Kläger habe das nach § 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 3 NJG erforderliche Vorverfahren nicht durchgeführt. Er habe den Widerspruch nicht fristgerecht bis zum 26. September 2017 eingelegt. Die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 SGB X, wonach ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt werde, am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gelte, habe der Kläger nicht durch entsprechenden Tatsachenvortrag erschüttert. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 27 Abs. 1 SGB X sei nicht zu gewähren, weil der Kläger nicht innerhalb der Zweiwochenfrist vorgetragen habe, dass er den Bescheid der Beklagten vom 23. August 2017 erst am 9. Juni 2018 gefunden habe. Dies habe er erst im Klageverfahren geltend gemacht. Bei diesem Vortrag handele es nicht um eine bloße Ergänzung des ursprünglichen Vortrages, sondern um andere Tatsachen.

Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung.

II. Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg. Dabei geht der Senat zugunsten des Klägers davon aus, dass dieser mit seinem fristgerecht eingelegten und begründeten Antrag auf Zulassung der Berufung (ausschließlich) ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend macht. Die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes lassen sich den Ausführungen des Klägers indessen nicht entnehmen.

1. Das Vorbringen des Klägers genügt noch den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, wonach innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des vollständigen Urteils die Gründe darzulegen sind, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Es obliegt zunächst nicht dem Oberverwaltungsgericht, sondern dem Rechtsbehelfsführer, einzelne Zulassungsgründe ausdrücklich oder konkludent zu bezeichnen und ihnen dann jeweils diejenigen Elemente seiner Kritik an der erstinstanzlichen Entscheidung klar zuzuordnen, mit denen er das Vorliegen des jeweiligen Zulassungsgrundes darlegen möchte (BVerfG, Beschl. v. 24.8.2010 - 1 BvR 2309/09 -, juris Rn. 12 m.w.N.; NdsOVG, Beschl. v. 4.2.2010 - 5 LA 37/08 -, juris Rn. 7). Das Gericht ist nicht gehalten, sich aus dem Zulassungsantrag etwaige Zulassungsgründe bzw. die hierzu tragenden Erwägungen selbst herauszusuchen (vgl. etwa BayVGH, Beschl. v. 20.10.2011 - 4 ZB 11.1187 -, juris Rn. 6 m.w.N). Dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügt es unter Berücksichtigung des Art. 19 Abs. 4 GG aber noch, wenn durch Auslegung zu ermitteln ist, welche Zulassungsgründe der Sache nach geltend gemacht werden und welche Einwände welchen Zulassungsgründen zuzuordnen sind (BVerfG, Beschl. v. 16.4.2020 - 1 BvR 2705/16 -, juris Rn. 18; Happ in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 57; Rudisile in: Schoch/Schneider, VwGO, 44. EL März 2023, § 124a Rn. 92). Ist der Zulassungsgrund nicht ausdrücklich bezeichnet worden, muss sich aus der Begründung mit hinreichender Deutlichkeit ergeben, dass gerade und nur dieser Grund geltend gemacht werden soll (vgl. OVG SH, Beschl. v. 23.1.2020 - 4 LA 211/18 -, juris Rn. 6; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 24.8.2010 - 1 BvR 2309/09 -, juris Rn. 14).

Ein einzelner Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 VwGO wird vom Kläger zwar nicht konkret benannt. Soweit der Kläger ausführt, dass die Annahmen des erkennenden Gerichts, die zum Erlass des angegriffenen Urteils geführt hätten, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unzutreffend seien, macht er jedoch noch hinreichend deutlich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend. Dass sich der Kläger mit seinen Ausführungen auch auf andere Zulassungsgründe im Sinne des § 124 Abs. 2 VwGO beruft, ist hingegen nicht erkennbar.

2. Dem Vorbringen des Klägers, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO beschränkt ist, lässt sich nicht entnehmen, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung aufgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts vorliegen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zu bejahen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, Beschl. v. 18.6.2019 - 1 BvR 587/17 -, juris Rn. 32 und v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, juris Rn. 96). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, juris Rn. 9). Eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung dieses Zulassungsgrundes erfordert, dass im Einzelnen unter konkreter Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung ausgeführt wird, dass und warum Zweifel an der Richtigkeit der Auffassung des erkennenden Verwaltungsgerichts bestehen sollen. Hierzu bedarf es regelmäßig qualifizierter, ins Einzelne gehender, fallbezogener und aus sich heraus verständlicher Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 17.6.2015 - 8 LA 16/15 -, juris, Rn. 10; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 206 jeweils m.w.N.). Hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Gründe gestützt, kann ein Berufungszulassungsantrag nur dann Erfolg haben, wenn für jedes der die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts selbständig tragenden Begründungselemente ein Zulassungsgrund dargelegt worden ist und vorliegt (NdsOVG, Beschl. v. vom 28.6.2022 - 10 LA 234/20 -, juris Rn. 2, u. v. 1.8.2022 - 10 LA 14/22 -, juris Rn. 3 m.w.N.).

Nach diesem Maßstab begründen die Einwände des Klägers keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Durchgreifende Einwände gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Widerspruch des Klägers nicht fristgerecht erfolgt ist (unter a)) und ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren ist (unter b)) hat der Kläger nicht vorgetragen.

a) Der Kläger hat die Annahme des Verwaltungsgerichts, er habe den Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 23. August 2017 nicht fristgerecht bis zum 26 September 2017 eingelegt, nicht erschüttert. Dies gilt sowohl hinsichtlich der für den Fristbeginn maßgeblichen Zugangsvermutung des § 37 Abs. 2 SGB X (unter aa)) als auch im Hinblick auf die Geltung der Monatsfrist zur Einlegung des Widerspruchs (unter bb)).

aa) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass der Kläger gegen den Bescheid der Beklagten vom 23. August 2017 spätestens bis zum 26. September 2017 hätte Widerspruch einlegen müssen. Nach § 37 Abs. 2 SGB X gelte ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt werde, am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Das sei hier der 26. August 2017 gewesen. Die Zugangsfiktion gelte aber nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen sei; im Zweifel habe die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Im vorliegenden Fall obliege der Beklagten die Beweislast für den Zugang des angegriffenen Bescheides aus den nachfolgenden Gründen indes nicht. Bestreite der Empfänger - wie hier - den (rechtzeitigen) Zugang, müsse die Behörde den Zugang nur nachweisen, wenn der Empfänger die Vermutung durch entsprechenden Tatsachenvortrag erschüttere. Gefordert sei ein substantiiertes Bestreiten in der Weise, dass der Betreffende einen abweichenden Geschehensablauf schlüssig vortrage und zumindest Zweifel begründe. Der Vortrag des Klägers begründe keine berechtigten Zweifel an der Zugangsvermutung, denn er sei nicht schlüssig und nachvollziehbar, insbesondere nicht in sich widerspruchsfrei. Der Kläger und die Zeugin hätten das Gericht in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit des Vorbringens des Klägers nicht überzeugen können.

Dem tritt der Kläger in seiner Antragsbegründung vom 15. Mai 2023 lediglich hinsichtlich der Subsumtion des Verwaltungsgerichts und nicht in Bezug auf den aufgestellten Rechtssatz, dass die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 SGB X durch substantiierten Tatsachenvortrag zu erschüttern sei, entgegen. Er führt im Einzelnen aus, dass sein Vortrag schlüssig sei und auch die Zeugin widerspruchsfrei und nachvollziehbar dargelegt habe, dass er, der Kläger, erst am 9. Juni 2018 Kenntnis von dem streitgegenständlichen Bescheid erlangt habe.

Wird - wie hier - die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung angegriffen, kommt eine Zulassung der Berufung nicht schon dann in Betracht, wenn der beschließende Senat die vom Verwaltungsgericht nach zutreffenden Maßstäben gewürdigte Sachlage nach einer eigenen etwaigen Beweisaufnahme möglicherweise anders beurteilen könnte als das Verwaltungsgericht selbst. Denn sonst wäre die Berufung gegen Urteile, die auf einer Sachverhalts- oder Beweiswürdigung beruhen, regelmäßig nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, was mit Sinn und Zweck der Zulassungsbeschränkung nicht vereinbar wäre (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 1.3.2022 - 13 LA 368/21 -, juris Rn. 11; Beschl. v. 31.8.2017 - 13 LA 188/15 -, juris Rn. 34; Beschl. v. 18.1.2017 - 8 LA 162/16 -, juris Rn. 27; Sächs. OVG, Beschl. v. 8.1.2010 - 3 B 197/07 -, juris Rn. 2). Eine Sachverhalts- oder Beweiswürdigung kann deshalb nur mit Erfolg angegriffen werden bei einer Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, von Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder wenn sie offensichtlich sachwidrig und damit willkürlich ist (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 2.5.2019 - 13 LA 131/19 -, juris Rn. 6; Beschl. v. 17.5.2016 - 8 LA 40/16 -, juris Rn. 25; OVG NRW, Beschl. v. 30.3.2022 - 6 A 1776/20 -, juris Rn. 8 f.; Bay. VGH, Beschl. v. 11.4.2017 - 10 ZB 16.2594 -, juris Rn. 5; Rudisile in: Schoch/Schneider, VwGO, 44. EL März 2023, § 124 Rn. 26g jeweils m.w.N.).

Angesichts dieser Vorgaben sind nach den Ausführungen in der Antragsbegründung keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts im Hinblick auf den vom Kläger behaupteten späteren Zugang des Bescheides zu erkennen. Der Kläger macht keine Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen geltend. Ebenso wenig folgt aus seinem Vortrag, dass das Verwaltungsgericht den Sachverhalt aktenwidrig wahrgenommen hätte oder die Sachverhalts- oder Beweiswürdigung offensichtlich sachwidrig und damit willkürlich wäre. Der Kläger beruft sich schlichtweg darauf, dass sowohl seine als auch die Angaben der Zeugin anders zu werten seien. Dies reicht nach dem dargestellten Maßstab jedoch nicht aus.

bb) Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, dass eine "ordnungsgemäße Belehrung" durch die Beklagte nicht erfolgt sei. Insofern wendet er sich sinngemäß gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass zur Einlegung des Widerspruchs die Monatsfrist nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO gelte. Zwar hat das Verwaltungsgericht sich nicht ausführlich mit der Frage befasst, ob die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben ist und die Einlegung des Widerspruchs daher gemäß § 70 Abs. 2 i.V.m. 58 Abs. 2 VwGO noch innerhalb eines Jahres seit Zustellung zulässig gewesen - und vorliegend fristgerecht erfolgt - wäre. Das Verwaltungsgericht hat jedoch im Rahmen der Prüfung der Zugangsvermutung nach § 37 Abs. 2 SGB X ausgeführt, dass der Kläger das Original des Bescheides weder seinem Prozessbevollmächtigtem noch dem Gericht vorlegt habe und eine Inaugenscheinnahme daher nicht möglich gewesen sei. Auch spreche nicht viel dafür, dass der Kläger und die Zeugin nur die erste Seite des Bescheides hätten auffinden können. Denn der in den Verwaltungsvorgängen befindliche Bescheid sei auf Vorder- und Rückseite bedruckt, ebenso wie alle übrigen Bescheide und Schreiben der Beklagten an den Kläger. Dies mache es wenig wahrscheinlich, dass der Rückforderungsbescheid an den Kläger in zwei Seiten übersandt worden sein solle.

Soweit der Kläger zum einen - wie bereits im Klageverfahren - geltend macht, dass der Bescheid nach seiner Erinnerung nur einseitig bedruckt gewesen sei, genügt diese Wiederholung den Darlegungsanforderungen nicht (vgl. Happ in: Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 124 Rn. 59). Unabhängig davon genügt dem Darlegungsgebot auch die bloße Behauptung nicht, die Tatsachen seien anders als vom Verwaltungsgericht angenommen (vgl. Happ in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 67).

Zum anderen genügt auch sein Vortrag, er habe das Original einem bekannten Rechtsanwalt zur Überprüfung gegeben und es von diesem trotz mehrfacher Aufforderung nicht zurückerhalten, nicht dem Darlegungsgebot. Diesbezüglich handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der grundsätzlich auch im Zulassungsverfahren Beachtung finden kann. Dabei sind nämlich grundsätzlich auch solche Tatsachen zu berücksichtigen, die vom Verwaltungsgericht deshalb im Zeitpunkt seiner Entscheidung außer Betracht gelassen wurden, weil sie von den Beteiligten nicht vorgetragen und mangels entsprechender Anhaltspunkte auch nicht von Amts wegen zu ermitteln waren (BVerwG, Beschl. v. 14.6.2002 - 7 AV 1/02 -, juris Leitsatz u. Rn. 7). Ernstliche Zweifel in tatsächlicher Hinsicht sind allerdings nur dann ausreichend dargelegt, wenn der dargelegte andere Sachverhalt jedenfalls ernsthaft in Betracht zu ziehen ist (Happ in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 67). Es genügt nicht, einen veränderten Sachverhalt gleichsam ins "Blaue" zu behaupten, sondern er ist, als solcher in substantiierter Weise darzulegen (OVG RP, Beschl. v. 16.2.1998 - 2 A 11966/97 -, juris Rn. 13). Daran fehlt es vorliegend. Das neue Vorbringen ist unsubstantiiert und erschöpft sich in einer bloßen Behauptung. Der Kläger benennt den ihm bekannten Rechtsanwalt nicht oder legt dar, wann er diesen zur Rückgabe konkret aufgefordert habe. Es ist auch nicht nachzuvollziehen und dargelegt worden, weshalb der anwaltlich vertretene Kläger dies nicht bereits im Klageverfahren vorgetragen hat, obgleich das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hat, dass das Original nicht vorliegt.

b) Ohne Erfolg greift der Kläger die Auffassung des Verwaltungsgerichts an, er hätte binnen einer Frist von 14 Tagen ausführen müssen, dass er den Bescheid erst am 9. Juni 2018 gefunden habe. Er trägt hierzu vor, dass die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu förmlich sei und dass er und seine Lebensgefährtin als juristische Laien nicht hätten wissen können, was in einen Wiedereinsetzungsantrag gehöre. Die Beklagte hätte auf diese Problematik hinweisen und entsprechende Informationen abfragen müssen. Der Kläger wendet sich damit gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass er nach § 27 Abs. 2 Satz 2 SGB X die zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages dienenden Tatsachen binnen zwei Wochen hätte benennen müssen, diese mit dem Tag des Auffindens des Bescheides am 9. Juni 2018 beginnende Frist aber nicht eingehalten habe.

Der Senat hat an dieser Stelle bereits erhebliche Zweifel daran, ob der Vortrag des Klägers aus dem Klageverfahren, er habe den Bescheid der Beklagten vom 23. August 2017 erst am 9. Juni 2018 in dem zuvor von seiner Ex-Frau bewohnten Haus unter einer Adresse, die nicht in dem Bescheid angegeben war, aufgefunden, überhaupt einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen könnte. Hätte das Gericht diesen Vortrag für glaubhaft befunden, hätte der Kläger - die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zugrunde gelegt - erfolgreich die Zugangsfiktion im Sinne des § 37 Abs. 2 SGB X in Zweifel gezogen und nach diesem Vortrag noch innerhalb der Monatsfrist Widerspruch erhoben. Einer Wiedereinsetzung hätte es somit nicht bedurft. Inwieweit dieser Vortrag gleichwohl überhaupt noch geeignet sein könnte, einen Wiedereinsetzungsgrund darzustellen, ist zweifelhaft.

Ungeachtet dessen begründet der Vortrag des Klägers, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO beschränkt ist, keine ernstlichen Zweifel an der Auffassung des Verwaltungsgerichts, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren. Wenn der von dem Kläger vorgetragene Sachverhalt einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen könnte, hätte er ihn jedenfalls - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - nicht fristgerecht vorgetragen.

Das Gericht ist grundsätzlich befugt, über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden. Lehnt die Widerspruchsbehörde - wie hier - die beantragte Wiedereinsetzung ab und weist sie den Widerspruch als unzulässig zurück, kann der Widerspruchsführer Klage mit seinem Hauptsachebegehren erheben. Das Gericht hat von Amts wegen die Zulässigkeitsvoraussetzungen zu prüfen, damit auch die Rechtzeitigkeit des Widerspruchs bzw. bei Fristversäumung die Wiedereinsetzung. Liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung vor, gewährt das Gericht nach dem Grundsatz der Konnexität die Wiedereinsetzung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.3.1981 - 6 CB 91.80 -, juris Rn. 2; Porsch in: Schoch/Schneider, VwGO, 44. EL März 2023, § 70 Rn. 33; Wöckel in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 70 Rn. 14 m.w.N.).

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts und der Beklagten (in dem Widerspruchsbescheid vom 27. November 2018) richtet sich die Frage, ob dem Kläger wegen der Versäumnis der Widerspruchsfrist (§ 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, nicht nach der das Sozialverwaltungsverfahren betreffenden Regelung in § 27 SGB X, sondern gemäß § 70 Abs. 2 VwGO nach den entsprechend anzuwendenden Regelungen in § 60 Abs. 1 bis 4 VwGO (vgl. BayVGH, Beschl. v. 4.6.2021 - 12 ZB 21.1168 -, juris Rn. 2; Hüttenbrink in: BeckOK VwGO, 68. Ed. 1.4.2023, § 70 Rn. 14). Dies ist vorliegend jedoch unschädlich, weil die Tatbestandsvoraussetzungen für die Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO und die Regelung über die Glaubhaftmachung der Tatsachen zur Begründung des Antrages in § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X und § 27 Abs. 2 Satz 2 SGB X abweichen.

Gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist nach § 60 Abs. 2 Satz 1 erster Halbs. VwGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen.

Dass sich die in § 60 Abs. 2 Satz 1 erster Halbs. VwGO bestimmte Zweiwochenfrist, die nach § 70 Abs. 2 VwGO auch für die Versäumung der Widerspruchsfrist gilt, nicht nur auf den Wiedereinsetzungsantrag selbst bezieht, sondern auch auf die Angabe der ihn rechtfertigenden Tatsachen, ist dem Sinnzusammenhang des § 60 Abs. 1 und 2 VwGO zu entnehmen. Danach muss der Kläger die Gründe, die eine Wiedereinsetzung wegen unverschuldeter Fristversäumung rechtfertigen sollen, mit dem Antrag oder jedenfalls innerhalb der Antragsfrist geltend machen; die Glaubhaftmachung kann er dagegen im Verfahren über den Antrag nachholen. Er kann deshalb seine Antragsgründe im Falle der Nachholung des versäumten Widerspruchs nicht erst nach Ablauf der Zweiwochenfrist vorbringen und auch keine Wiedereinsetzungsgründe mehr nachschieben (BVerwG, Beschl. v. 19.3.1981 - 6 CB 91.80 -, juris Rn. 2). Diese nicht verlängerbare Frist beginnt entweder mit dem tatsächlichen Wegfall des Hindernisses oder mit dem Zeitpunkt, von dem an das Weiterbestehen des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann, zu laufen (Hoppe in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 60 Rn. 39). Insofern ist die nicht weiter begründete Behauptung des Klägers, das Verwaltungsgericht habe zu förmlich argumentiert, nicht nachzuvollziehen.

Dies zugrunde gelegt hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass der Vortrag des Klägers, er habe erst am 9. Juni 2018 von dem streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 23. August 2017 Kenntnis erlangt, nicht fristgerecht - ausgehend von seinen Angaben mithin binnen zwei Wochen ab dem 9. Juni 2018 - erfolgt sei. Diese Annahme hat der Kläger nicht erschüttert. In erster Linie obliegt es nach § 70 Abs. 2 i.V.m. 60 Abs. 2 Satz 1 erster Halbs. VwGO dem Kläger, die in seiner Sphäre liegenden Tatsachen zu benennen, aus denen er unverschuldet gehindert war, die Widerspruchsfrist einzuhalten. Dies hat der Kläger im Hinblick auf die von ihm behauptete spätere Kenntnisnahme des Bescheides vom 23. August 2017 nicht rechtzeitig getan. Im gesamten Widerspruchsverfahren hat er sich dazu, wann er Kenntnis von dem Bescheid erlangt haben will, nicht konkret geäußert. Er hat sich vielmehr auf den Vortrag beschränkt, dass er aus familiären und gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, sich um seine Post zu kümmern. Erst in der Klagebegründung vom 4. Januar 2019 hat er zunächst vage angegeben, dass er den Bescheid erst Anfang Juni 2018 gefunden habe. Mit weiterem Schriftsatz vom 21. März 2021 hat er konkretisiert, dass er den Bescheid am 9. Juni 2018 gefunden habe, nachdem die Gerichtsvollzieherin im Mai 2018 den zurückgeforderten Betrag von ihm verlangt habe. Ebenso wie das Verwaltungsgericht wertet der Senat dies als neuen Tatsachenvortrag und nicht als bloße Ergänzung bereits vorgetragener Tatsachen. Denn zur Kenntnisnahme des konkreten Bescheides hatte sich der Kläger zuvor nicht geäußert. Etwas anderes gilt auch nicht im Hinblick darauf, dass der Kläger im Widerspruchsverfahren die verbrannte Post erwähnt hat, die er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin im Spätsommer bzw. September 2017 in dem von seiner Ex-Frau zuvor bewohnten Haus gefunden haben will. Den streitgegenständlichen Bescheid hat er in diesem Zusammenhang nicht erwähnt.

Es ändert es auch nichts, dass es sich bei dem Kläger (und seiner Lebensgefährtin) um juristische Laien handelt. Auf eine entsprechende Hinweispflicht der Beklagten kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Grundsätzlich sind im Falle der Aufstiegsausbildungsförderung nach § 27a AFBG die Verfahrensvorschriften des SGB X anzuwenden, soweit das Aufstiegsausbildungsförderungsgesetz keine abweichenden Regelungen enthält. So gilt nach § 62 SGB X für das Widerspruchsverfahren der Untersuchungsgrundsatz im Sinne des 20 Abs. 1 SGB X (Heße in: BeckOK SozR, SGB X, 71. Ed. 1.12.2023, § 62 Rn. 12; vgl. zum inhaltsgleichen § 79 VwVfG: Kunze in: BeckOK VwVfG, 62. Ed. 1.1.2024, § 79 Rn. 22). Nichts anderes kann vorliegend für das Wiedereinsetzungsverfahren gelten, das Teil des Widerspruchsverfahrens ist. So gilt der Untersuchungsgrundsatz auch bei einer Entscheidung der Ausgangsbehörde über die Wiedereinsetzung im Sozialverwaltungsverfahren nach § 20 Abs. 1 SGB X bzw. des Gerichts nach § 86 Abs. 1 VwGO (vgl. Mutschler in: BeckOGK, 1.3.2020, § 27 SGB X Rn. 15; Peters in: BeckOK VwGO, 68. Ed. 1.1.2024, § 60 Rn. 37). Die Widerspruchsbehörde hat danach den Sachverhalt einschließlich der Verschuldensfrage von Amts wegen zu erforschen und den Betroffenen ggf. zu veranlassen, Angaben tatsächlicher Art zu machen (vgl. Peters in: BeckOK VwGO, VwGO, 68. Ed. 1.1.2024, § 60 Rn. 37). Die Pflicht zur Sachaufklärung der Behörde nach § 20 Abs. 1 SGB X erstreckt sich aber nicht auf Tatsachen, für deren Bestehen die Umstände des Einzelfalls keine Anhaltspunkte bieten; d. h. es bedarf keiner Ermittlungen in Blaue (BSG, Urt. v. 17.12.1997 - 11 RAr 61/97 -, juris Rn. 17; LSG Berl.-Brb., Urt. v. 26.3.2013 - L 19 AS 727/11 -, juris Rn. 47; BeckOGK/Mutschler, SGB X, 1.6.2019, § 20 Rn. 6a m.w.N.). Ebenso entbindet die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung den Betroffenen nicht von der Pflicht, überhaupt die wesentlichen Tatsachen zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages vorzutragen. Anderenfalls liefe die Regelung in § 60 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 erster Halbs. VwGO, wonach die Tatsachen zur Begründung des Antrages bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses glaubhaft zu machen sind, ins Leere.

Dies zugrunde gelegt besteht entgegen der Auffassung des Klägers im konkreten Fall keine (weitergehende) Hinweispflicht der Beklagten. Der Kläger hat sich mit Schreiben vom 9. Juni 2018 noch innerhalb der Zweiwochenfrist an die Beklagte gewandt und zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages familiäre und gesundheitliche Gründe für das unverschuldete Fristversäumnis vorgebacht. Auch die nachfolgenden Schreiben des Klägers vom 17. Juli 2018 und vom 20. August 2018 sowie die nicht datierten und unterschriebenen eidesstattlichen Versicherungen des Klägers und seiner Lebensgefährtin enthielten keinen Hinweis darauf, dass der Kläger von dem Bescheid der Beklagten vom 23. August 2017 erst am 9. Juni 2018 Kenntnis erlangt haben will.

Für die Beklagte lagen vor diesem Hintergrund keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Kläger der Bescheid erst nach dem 26. September 2017 zugegangen sein soll. Es ist von der Beklagten im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes und mit Blick auf die gesetzliche Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 SGB X daher nicht zu erwarten gewesen, dass sie den Kläger ohne jeden Anlass, quasi ins Blaue hinein, nach einem (möglicherweise verspäteten) Zugang des von ihr versendeten Bescheides befragt, um auf diese Weise weitere mögliche Gründe für ein unverschuldetes Fristversäumnis des Klägers zu ermitteln. Insofern sind die weiteren Nachfragen der Beklagten zu den von dem Kläger bis dahin vorgetragenen Gründen mit Schreiben vom 13. Juni 2018 und 23. Juli 2018 als ausreichend zu bewerten. Dass aus der Sicht des Klägers die von ihm vorgetragenen Gründe nicht vollständig gewesen sein mögen, liegt damit ausschließlich in seinem Verantwortungsbereich.

Darauf, dass der Grund für die Rückforderung weggefallen sein mag, weil der Kläger das fehlende Formblatt F nachgereicht und er den geförderten Abschluss erworben habe, kommt es nicht mehr an. Eine gesetzliche Grundlage, wonach diese Umstände bei der Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - unabhängig von den Regelungen über die fristengebundene Geltendmachung der Tatsachen für die Fristversäumung - Berücksichtigung fänden, existiert nicht. Anderenfalls würden gerade diese Regelungen ins Leere laufen.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 188 Satz 1 VwGO nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).