Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.04.2024, Az.: 14 ME 66/24

Antrag auf vorläufige Gewährung von Wohngeld im Wege der einstweiligen Anordnung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.04.2024
Aktenzeichen
14 ME 66/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 13804
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0418.14ME66.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 12.03.2024 - AZ: 4 B 4717/23

Amtlicher Leitsatz

Eine vorläufige Gewährung von Wohngeld im Wege der einstweiligen Anordnung kommt nur dann in Betracht, wenn ohne dessen Leistung der Teilbetrag der Miete oder der Belastung, der andernfalls durch Wohngeld finanziert würde, vom Antragsteller nicht mehr aufgebracht werden könnte und deshalb zu dem Zeitpunkt, zu dem das Gericht entscheidet, mit dem Verlust der Wohnung zu rechnen wäre.

Tenor:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 12. März 2024 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist unbegründet. Die Beschwerde hat nicht die nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt.

2. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

a) Die entscheidungstragende Annahme des Verwaltungsgerichts, es fehle an einem Anordnungsgrund, da sich die Antragstellerin nicht in einer finanziellen Notsituation befinde, aufgrund der die Fortsetzung des Mietverhältnisses nur durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung gesichert werden könne, ist unter Berücksichtigung der vom Senat allein zu prüfenden Beschwerdegründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) nicht zu beanstanden.

Wenn die Antragstellerin zusammengefasst vorträgt, ihr blieben im Monat nur 200,00 Euro zum Leben, davon könne sie sich nur das Nötigste zu Essen kaufen, sie habe keinerlei finanziellen Reserven und kein Geld für neue Kleidung und spätestens, wenn einmal die Waschmaschine oder der Kühlschrank kaputtgehen sollte, müsse sie sich entscheiden, ob sie in diesem Monat die vollständige Miete zahle oder das Elektrogerät ersetze, führt dies nicht auf einen Anordnungsgrund.

Das Verwaltungsgericht hat die Auffassung vertreten, dass mit einer vorläufigen Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Zahlung von Wohngeld eine Vorwegnahme der Hauptsache verbunden ist. Dies wird von der Antragstellerin mit dem Beschwerdevorbringen nicht in Zweifel gezogen. Streng genommen handelt es sich sogar um eine Überschreitung der Hauptsache, da gegen die Versagung einer Sozialleistung wegen fehlender Mitwirkung - wie hier - grundsätzlich nur die (reine) Anfechtungsklage gegeben ist (vgl. Spellbring in: Rolfs (geschf.)/Körner/Krasney/Mutschler, Kasseler Kommentar, SGB I, Stand: 1.8.2019, § 66 Rn. 46 m.w.N.). Soweit die Antragstellerin meint, dass auch bei einer Vorwegnahme der Hauptsache keine gesteigerten Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes zu stellen sind, ist dies unzutreffend. Eine (vorläufige) Vorwegnahme der Hauptsache (und erst recht eine Überschreitung der Hauptsache) kommt nur in Betracht, wenn ohne Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.4.2008 - 2 BvR 338/08 -, juris Rn. 3; Beschl. v. 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -, juris Rn. 17; BVerwG, Beschl. v. 10.2.2011 - 7 VR 6/11 -, juris Rn. 6; Senatsbeschl. v. 23.6.2022 - 14 ME 243/22 -, juris Rn. 12; SächsOVG, Beschl. v. 8.5.2018 - 4 B 20/18 -, juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, Beschl. v. 14.11.2017 - 12 CE 17.2012 -, juris Rn. 3 m.w.N.; NdsOVG, Beschl. v. 12.5.2010 - 8 ME 109/10 -, juris Rn. 14).

Wohngeld wird gemäß § 1 Wohngeldgesetz (WoGG) zur wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens als Mietzuschuss oder Lastenzuschuss für den selbst genutzten Wohnraum geleistet. Eine vorläufige Gewährung von Wohngeld im Wege der einstweiligen Anordnung kommt daher nur dann in Betracht, wenn ohne dessen Leistung der Teilbetrag der Miete oder der Belastung, der andernfalls durch Wohngeld finanziert würde, vom Antragsteller nicht mehr aufgebracht werden könnte und deshalb zu dem Zeitpunkt, zu dem das Gericht entscheidet, mit dem Verlust der Wohnung zu rechnen wäre (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 7.5.2021 - 12 B 520/21 -, juris Rn. 10 m.w.N. und Beschl. v. 14.2.2013 - 12 B 107/13 -, juris Rn. 4 ff.; SächsOVG, Beschl. v. 8.5.2018 - 4 B 20/18 -, juris Rn. 7; BayVGH, Beschl. v. 14.11.2017 - 12 CE 17.2012 -, juris Rn. 3).

Dass zum Zeitpunkt der Beschlussfassung der Antragstellerin der Verlust der Wohnung droht, hat sie - auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens - nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere hat sie nicht dargelegt, dass sie mit ihren Mieten in einer eine Kündigung rechtfertigenden Weise im Rückstand ist (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 549 Abs. 1, § 569 Abs. 3 BGB), so dass auch nichts dafür streitet, dass mit einer baldigen Räumungsklage zu rechnen wäre (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 7.5.2021 - 12 B 520/21 -, juris Rn. 19 f. m.w.N.). Soweit die Antragstellerin vorträgt, ihr verblieben im Monat lediglich ca. 200,00 Euro für die Bestreitung ihres Lebensunterhalts, rechtfertigt dies keine vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners. Denn es ist nicht Aufgabe des Wohngeldes, den allgemeinen Lebensunterhalt sicherzustellen, dies kann allenfalls im Wege ergänzender Sozialhilfeleistungen erfolgen (OVG NRW, Beschl. v. 7.5.2021 - 12 B 520/21 -, juris Rn. 21 f. m.w.N.; SächsOVG, Beschl. v. 8.5.2018 - 4 B 20/18 -, juris Rn. 7).

b) Davon abgesehen hat die Antragstellerin die selbständig tragende Annahme des Verwaltungsgerichts, sie habe auch einen Anordnungsanspruch auf die vorläufige Zahlung von Wohngeld nicht hinreichend glaubhaft gemacht, mit dem Beschwerdevorbringen nicht durchgreifend in Zweifel gezogen. Wegen der begehrten Vorwegnahme (bzw. Überschreitung, s.o.) der Hauptsache muss im Hinblick auf das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs ein hoher Grad der Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.8.1999 - 2 VR 1.99 -, juris Rn. 24 f.).

Die Antragsgegnerin hat die Versagung der Gewährung des Mietzuschusses im Bescheid vom 2. Mai 2023 auf die fehlende Mitwirkung der Antragstellerin (§ 66 Abs. 1 SGB I) gestützt. Nach dieser Vorschrift kann der Leistungsträger die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen, wenn der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird. Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, hat nach § 60 Abs. 1 Nr. 1 SGB I alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind und nach § 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen. Die Antragsgegnerin hat im Versagungsbescheid ausgeführt, die Antragstellerin habe trotz mehrfacher Aufforderungen mit Fristsetzung und trotz des Hinweises auf die Rechtsfolge der Versagungsmöglichkeit nicht mitgeteilt, in welchem Umfang sie durch ihren Lebenspartner, durch Familie sowie durch Freunde finanziell unterstützt werde. Sie habe lediglich angegeben, solche Unterstützung von verschiedenen Personen zu erhalten.

Dem hat sich das Verwaltungsgericht angeschlossen und ausgeführt, dass sich auch unter Berücksichtigung der eidesstattlichen Versicherung vom 2. Januar 2024 zu Art und Umfang der Unterstützung durch Familie, Freunde und Bekannte kein plausibles und nachvollziehbares Bild bezüglich der finanziellen Situation der Antragstellerin ergebe. Diesen Ausführungen tritt die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde nicht substantiiert entgegen.

Soweit die Antragstellerin mit der Beschwerde lediglich vorträgt, die in ihrer eidesstattlichen Versicherung konkret genannten Personen seien weder bereit noch dazu verpflichtet, sie bis auf weiteres finanziell zu unterstützen, die in der Vergangenheit geleistete Unterstützungen seien daher kein Einkommen im Sinne des Wohngeldgesetzes, entspricht dies nicht der Gesetzeslage. Beim gemäß § 14 WoGG für die Bemessung des Wohngeldes maßgeblichen Jahreseinkommen werden gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 19 Hs. 1 WoGG auch die Unterhaltsleistungen nach § 22 Nr. 1 EStG, die der wohngeldberechtigten Person von einer natürlichen oder juristischen Person gewährt werden, die nicht Haushaltsmitglied ist, eingerechnet. Dies gilt gemäß Hs. 2 entsprechend, wenn anstelle von wiederkehrenden Unterhaltsleistungen Unterhaltsleistungen als Einmalbetrag gewährt werden. Damit sind beim Wohngeld gerade auch freiwillige, freiwillig vereinbarte und einer gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechende (einmalige oder wiederkehrende) Unterhaltszahlungen als Einkommen zu berücksichtigen (vgl. Winkler, in: BeckOK Sozialrecht, 72. Edition, Stand: 1.3.2024, WoGG, § 14 Rn. 35 f.; vgl. auch Teil A Nr. 14.21.19 der Wohngeld-Verwaltungsvorschrift - WoGVwV). Die Antragstellerin hat auch nicht geltend gemacht, dass die freiwillige Unterstützung durch die von ihr benannten Personen bereits beendet worden wäre oder bereits absehbar demnächst beendet werde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).