Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 02.04.2024, Az.: 14 LC 156/22
Entschädigungsanspruch des Arbeitgebers nach einer COVID-19-bedingten Quarantäneanordnung gegenüber einer Auszubildenden
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 02.04.2024
- Aktenzeichen
- 14 LC 156/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 13057
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2024:0402.14LC156.22.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 13.01.2022 - AZ: 7 A 3387/21
Rechtsgrundlagen
- § 19 Abs. 1 BBiG
- § 56 IfSG
Fundstellen
- GesR 2024, 436-437
- NordÖR 2024, 396-399
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Der Arbeitgeber hat gegenüber der zuständigen Behörde keinen Anspruch auf Erstattung der von ihm an den Arbeitnehmer getätigten Zahlungen, wenn diesem kein Entschädigungsanspruch gegenüber der Behörde zusteht, weil der Arbeitgeber trotz der Absonderungsanordnung zur Lohnfortzahlung verpflichtet gewesen ist.
- 2.
Die Quarantäne nach dem Infektionsschutzgesetz stellt ein persönliches Leistungshindernis i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. 2 lit. B BBiG dar.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 7. Kammer - vom 13. Januar 2022 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Beschlusses vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 577,54 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin, die ein Krankenhaus betreibt, begehrt Entschädigung nach einer Quarantäneanordnung gegenüber einer Auszubildenden.
Eine Auszubildende zur medizinischen Fachangestellten (Arzthelferin) der Klägerin hatte Kontakt zu einem COVID-19-bestätigten Fall. Mit Verfügung vom 19. Februar 2021 ordnete der Landkreis E. ihr gegenüber für die Zeit vom 19. Februar 2021 bis zum 5. März 2021 (15 Tage) die häusliche Absonderung an. Aufgrund dieser Anordnung war es ihr nicht gestattet, ihre Wohnung zu verlassen. Ihrer Ausbildung im Krankenhaus der Klägerin konnte sie daher während dieses Zeitraums nicht nachgehen. Sie selbst erkrankte in der Folge nicht. Die Klägerin zahlte der Auszubildenden für die Dauer der Absonderung die Vergütungsansprüche.
Im zwischen der Klägerin und der Auszubildenden geschlossenen Berufsausbildungsvertrag vom 17. Mai 2018 (Anl. K 4, GA Bl. 16 f.) war unter anderem vereinbart, dass der Auszubildenden die Vergütung bis zur Dauer von sechs Wochen auch dann gezahlt wird, wenn sie aus einem sonstigen, in ihrer Person liegenden Grund unverschuldet verhindert ist, ihre Pflichten aus dem Berufsausbildungsverhältnis zu erfüllen (§ 4 Abs. 4 lit. b dritter Spiegelstrich des Ausbildungsvertrages).
Am 23. September 2021 beantragte die Klägerin beim Landkreis E. den Ausgleich des Verdienstausfalls aufgrund eines behördlich angeordneten Tätigkeitsverbot oder einer Absonderung nach § 56 Abs. 1 IfSG a.F. Der Verdienstausfall wurde für die Dauer der Absonderung auf 577,54 Euro beziffert.
Mit Bescheid vom 4. Oktober 2021 lehnte der Landkreis E. den Antrag ab. Zur Begründung verwies er darauf, dass ein Anspruch nach § 56 IfSG a.F. nur bei einem Verdienstausfall des von der Anordnung Betroffenen bestehe. Daran fehle es aber, da der Auszubildenden ein Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 19 Abs. 1 Pflegeberufegesetz (PflBG) zugestanden habe, der analog den Regelungen im Berufsausbildungsgesetz (BBiG) gemäß § 24 PflBG auch nicht habe abbedungen werden können. Dieser Lohnfortzahlungsanspruch sei vorrangig gegenüber einer Entschädigungszahlung nach § 56 IfSG.
Am 28. Oktober 2021 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat geltend gemacht, ausweislich des vorgelegten Ausbildungsvertrages seien die Richtlinien für Arbeitsverträge des Deutschen Caritasverbandes (AVR) in ihrer jeweils geltenden Fassung anwendbar. Nach § 10 AVR Allgemeiner Teil seien die Fälle, in denen im Bereich der AVR eine vom Arbeitgeber zu tragende Ausbildungsbefreiung zu leisten sei, abschließend aufgeführt. Da die Anordnung häuslicher Quarantäne dort nicht genannt werde, sei § 19 BBiG bereits nicht einschlägig. Bei der Corona-Pandemie und den dadurch eingetretenen Beschränkungen handele es sich zudem um ein objektives Leistungshindernis, dass eine Entgeltfortzahlung ausschließe. Ein Anspruch auf Fortzahlung der Ausbildungsvergütung nach § 19 Abs. 1 Nr. 2 lit. b BBiG scheide auch deshalb aus.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid des Landkreises E. vom 4. Oktober 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, an sie 577,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, dass Entgeltfortzahlungsansprüche von Auszubildenden und Arbeitnehmern einen Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG ausschlössen. Der Auffassung der Klägerin, § 10 AVR regele abschließend die tragenden Tatbestände einer Arbeitsbefreiung für den Auszubildenden und § 19 BBiG finde keine Anwendung, sei nicht zu folgen. Die Regelung des § 19 BBiG sei gemäß § 25 BBiG unabdingbar. § 19 Abs. 1 Nr. 2 lit. b BBiG kodifiziere einen Lohnfortzahlungsanspruch der Auszubildenden für einen Zeitraum von bis zu sechs Wochen. Eine amtlich angeordnete Quarantäne stelle zudem ein subjektives Leistungshindernis dar, da sich bei der Anordnung der Absonderung ein personenbezogener Gefahrenverdacht verwirkliche.
Mit Urteil vom 13. Januar 2022 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid des Landkreises E. vom 4. Oktober 2021 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin daher auch nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO). Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Entschädigungsleistungen nach § 56 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 IfSG für ihre Auszubildende für den Zeitraum der behördlicherseits angeordneten Quarantäne vom 19. Februar 2021 bis 5. März 2021 zu. Die materiellen Anspruchsvoraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs gemäß § 56 Abs. 1 IfSG lägen nicht vor. Die Auszubildende habe keinen Verdienstausfall im Sinne des § 56 Abs. 1 IfSG erlitten, den die Klägerin durch ihre Zahlung ausgeglichen hätte. Denn die Klägerin sei im streitgegenständlichen Zeitraum gemäß § 4 Abs. 4 lit. b dritter Spiegelstrich des Ausbildungsvertrages zur Fortzahlung der Ausbildungsvergütung verpflichtet gewesen.
Aufgrund dieser - dem § 19 Abs. 1 Nr. 2 lit. b BBiG gleichlautenden - individualvertraglichen Regelung komme es in diesem Fall nicht darauf an, ob § 10 AVR Allgemeiner Teil die Anordnung häuslicher Quarantäne als einen Fall der vom Arbeitgeber zu tragenden Arbeitsbefreiung des Auszubildenden benenne oder nicht. Ebenso wenig komme es deshalb darauf an, ob § 56 IfSG dem § 19 BBiG als spezielle Norm vorgehe.
Das hier von der Klägerin infrage gestellte Tatbestandsmerkmal des subjektiven Leistungshindernisses ("aus einem ... in ihrer Person liegenden Grund") sei erfüllt. Die amtlich angeordnete Absonderung nach § 30 IfSG sei ein solches subjektives Leistungshindernis, da sich bei der Anordnung der Absonderung ein personenbezogener Gefahrenverdacht verwirkliche. Auch wenn es sich bei der Corona-Pandemie um ein weltweites Ereignis gehandelt habe, durch das ein vergleichbares Leistungshindernis zur selben Zeit für mehrere Beschäftigte habe bestehen können, liege in einer Absonderung wegen eines individuellen Ansteckungs- oder Krankheitsverdachts stets ein subjektives Leistungshindernis, da die besonderen persönlichen Verhältnisse des Beschäftigten derart betroffen seien, dass Rückwirkungen auf seinen körperlichen oder seelischen Zustand bestünden, womit ein personenbedingter Grund anzunehmen sei. Grund der Leistungsverhinderung sei die von einer ansteckungs- oder ausscheidungsverdächtigen ausgehenden Ansteckungsgefahr.
Dies werde auch durch eine systematische Betrachtung der Arbeitgeberpflichten gestützt: Aufgrund der Fürsorgepflicht seien gegenüber Arbeitnehmern aus § 618 BGB und der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht gegenüber jedermann aus § 823 BGB Ansteckungsgefahren - und damit ausscheidungs- und ansteckungsverdächtige Personen - aus Betrieben fernzuhalten. Eine behördlich verfügte Infektionsschutzmaßnahme sei insofern lediglich die staatliche Reaktion auf die vom Adressaten ausgehende Gefahr.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Klägerin. Zur Begründung der Berufung führt sie im Wesentlichen aus, die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die amtlich angeordnete Absonderung nach § 30 IfSG ein subjektives Leistungshindernis sei, verkenne, dass der Beklagte aufgrund eines einheitlichen Sachverhaltes gleichlautende Quarantäneanordnungen gegenüber einer großen Anzahl von Personen erlassen habe. Die objektiven Leistungshindernisse grenzten sich von den subjektiven vornehmlich dadurch ab, dass Sachverhalte vorlägen, in denen von vornherein eine nicht näher bestimmte Mehrzahl von Beschäftigten betroffen sei oder betroffen sein könne (Glatteis, Überschwemmungen, Verkehrshindernisse). Zutreffend gehe daher das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 13. Oktober 2021 (- 5 AZR 211/21 -, juris) davon aus, dass bei coronabedingten Pandemiemaßnahmen die Ursache für die fehlende Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers in einer staatlichen Schutzmaßnahme zu sehen sei, die nach dem Verständnis des zu verteilenden (wirtschaftlichen) Risikos gerade nicht von den Arbeitgebern zu tragen sei, sondern letztlich dem Staat obliege.
Dies gelte hier ebenfalls. Die gegenüber der Auszubildenden angeordnete Quarantäne sei nicht aufgrund der besonderen betrieblichen Besonderheiten durch den Beklagten ausgesprochen worden, sondern die Quarantäneanordnung sei eine behördlich verfügte Maßnahme im Rahmen allgemeiner Maßnahmen staatlicher Stellen zur Pandemiebekämpfung und habe - betriebsübergreifend - dem Schutz der Bevölkerung insgesamt vor schweren Krankheitsverläufen dienen sollen. Diese Fälle würden (auch) von § 616 BGB und/oder § 19 BBiG und damit auch von der individuellen ausbildungsvertraglichen Regelung gerade nicht erfasst. Somit könne sie, weil sie im unstreitigen Umfang die Vergütung der Auszubildenden getragen habe, die Erstattung gemäß § 56 IfSG von der Beklagten verlangen.
Die Klägerin beantragt,
die angefochtene Entscheidung abzuändern und den Bescheid des Landkreises E. vom 4. Oktober 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, an sie 577,54 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, die Auszubildende habe vorliegend keinen Verdienstausfall erlitten, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Entschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG nicht erfüllt seien. Bei dem von der Klägerin an ihre Auszubildende gezahlten Entgelt handele es sich schon nicht um eine Verdienstausfallentschädigung i.S.d. § 56 IfSG, sondern um eine aus § 19 Abs. 1 Nr. 2 lit. b BBiG resultierende Entgeltfortzahlungspflicht. Eine amtliche Absonderung stelle ein subjektives Leistungshindernis dar, da sich bei der Anordnung der Absonderung ein personenbezogener Gefahrenverdacht verwirkliche.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die Beiakte verwiesen.