Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.04.2024, Az.: 4 ME 73/24

Streit um artenschutzrechtliche Ausnahmeregelung zur Tötung eines Wolfs; Anforderungen an das Absehen von einer Beteiligung von auf Landesebene anerkannten Naturschutzverbänden durch Allgemeinverfügung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.04.2024
Aktenzeichen
4 ME 73/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 14545
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0412.4ME73.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 05.04.2024 - AZ: 5 B 969/24

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ein Absehen von einer Beteiligung von auf Landesebene anerkannten Naturschutzverbänden gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG in Verbindung mit § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG vor der Zulassung einer Ausnahme nach § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG durch Allgemeinverfügung erfordert eine Abwägung aller für und gegen den Verzicht auf die Beteiligung sprechenden Gesichtspunkte sowie einer Begründung durch die Naturschutzbehörde.

  2. 2.

    Die Anzahl und zeitliche Frequenz sowie der räumliche Zusammenhang von bisherigen Rissereignissen, die Anzahl und Art der dabei gerissenen Weidetiere (insbesondere Pferde und Rinder als große Weidetiere) und der wirtschaftliche Wert der gerissenen Tiere können für einen drohenden ernsten wirtschaftlichen Schaden im Sinne des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG sprechen.

  3. 3.

    Gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG ist eine abschließende individuelle Identifizierung des Tieres, von dem ein ernster wirtschaftlicher Schaden droht, nur dann geboten, wenn dies für den Zweck der Ausnahmeregelung wirklich erforderlich ist, und für die jeweilige Wildtierart in ihrem Lebensraum innerhalb der (Kultur-)Landschaft mit zumutbaren Aufwand geleistet werden kann. Ist das nicht der Fall, so genügt es, wenn sich die Ausnahmegenehmigung auf ein oder mehrere Tiere bezieht, von denen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gefahr des ernsten wirtschaftlichen Schadens ausgeht. Bei § 45a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG handelt es sich um keine abschließende Sondervorschrift zu § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG für den Fall, dass der schadensverursachende Wolf nicht abschließend identifiziert werden kann.

  4. 4.

    Gemäß § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG darf eine letale Entnahme eines Wolfs nur zugelassen werden, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind und dies mit der Ausnahmegenehmigung ausreichend begründet und nachgewiesen ist. Hierzu muss sich die Behörde nachvollziehbar an den Vorgaben orientieren, die sich aus dem von der Umweltministerkonferenz im Oktober 2021 beschlossenen Praxisleitfaden zur Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen nach §§ 45 und 45 a BNatSchG beim Wolf, insbesondere bei Nutztierrissen, ergeben.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 5. Kammer - vom 5. April 2024 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die nicht erstattungsfähig sind.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtschutzes über eine vom Antragsgegner verfügte artenschutzrechtliche Ausnahmeregelung zur Tötung eines Wolfs.

Mit Beschluss vom 1. Dezember 2023 verständigte sich die Umweltministerkonferenz auf eine neue Vorgehensweise für "Schnellabschüsse" von Wölfen, die trotz Herdenschutz Weidetiere gerissen haben. Danach soll zukünftig in Gebieten mit erhöhtem Rissaufkommen bereits nach erstmaligem Überwinden des zumutbaren Herdenschutzes und dem Riss von Weidetieren durch einen Wolf die Erteilung einer Abschussgenehmigung möglich sein. Diese Abschussgenehmigung soll zeitlich für einen Zeitraum von 21 Tagen nach dem Rissereignis gelten und die Tötung eines Wolfs im Umkreis von bis zu 1.000 m um die betroffene Weide im betroffenen Gebiet zulassen. Gebiete mit erhöhtem Rissaufkommen sollen von den Ländern festgesetzt werden. Sie können sich zum Beispiel an Wolfsterritorien, naturräumlichen Gegebenheiten oder raumordnerischen (z. B. kommunalen) Grenzen orientieren (vgl. dazu die Presseinformationen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz vom 13. Dezember 2023, abrufbar unter www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Naturschutz/umk_wolf_handout_bf.pdf)

In Umsetzung dieser von der Umweltministerkonferenz verabredeten Verfahrensweise für die Genehmigungen zur Tötung von Wölfen im "Schnellabschussverfahren" erteilte der Antragsgegner, eine niedersächsische Landesoberbehörde, die zugleich Fachbehörde für Naturschutz ist, auf der Grundlage einer vom Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz ausgesprochenen Zuständigkeitsübertragung mit Bescheid vom 26. März 2024 eine Ausnahmegenehmigung zur Tötung ("letalen Entnahme") eines Wolfsindividuums. Die Genehmigung wurde räumlich beschränkt auf einen Radius von 1 km um einen Weideort in der zur Region Hannover gehörenden Stadt E., wo am 23. März 2024 ein mehr als zwölf Monate altes Rind von einem Wolf getötet wurde. Befristet beschränkt wurde die Ausnahmegenehmigung bis zum Ablauf des 12. April 2024, was einem Zeitraum von 21 Tagen seit dem Rissereignis vom 23. März 2024 entspricht. Der zeitliche und räumliche Geltungsbereich des Bescheides folgt somit der von der Umweltministerkonferenz verabredeten Vorgehensweise für "Schnellabschüsse" von Wölfen. Außerdem ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung des Bescheides an.

Die Antragstellerin, eine vom Umweltbundesamt anerkannte Naturschutzvereinigung, legte gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 27. März 2024 Widerspruch ein, über den der Antragsgegner bisher nach Kenntnis des Senats nicht entschieden hat.

Dem von der Antragstellerin parallel gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gab das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. April 2024 statt und ordnete die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs an. Der Bescheid vom 26. März 2024 erweisen sich bei summarischer Prüfung voraussichtlich als rechtswidrig. Die vom Antragsgegner herangezogene und auch einzig in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG erlaube im Grundsatz ausschließlich die Entnahme eines als Schadensverursacher identifizierten Wolfsindividuums. Eine solche Individualisierung habe der Antragsgegner hier aber im Rahmen der Anwendung des in der Umweltministerkonferenz verabredeten "Schnellabschussverfahrens" bewusst nicht vorgenommen.

Hiergegen richtet sich die vom Antragsgegner fristgemäß eingelegte Beschwerde, der die Antragstellerin entgegengetreten ist.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet. Denn das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass sich die vom Antragsgegner mit Bescheid vom 26. März 2024 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung ausgesprochene Ausnahmezulassung für die zielgerichtete letale Entnahme eines Individuums der streng geschützten Tierart Wolf (Canis Lupus) bei summarischer Prüfung als rechtswidrig erweist.

1. Der Bescheid ist bereits aus formellen Gründen rechtswidrig, weil sich aus den vorgelegten Verwaltungsvorgängen und dem Vorbringen des Antragsgegners im gerichtlichen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes keine Hinweise darauf ergeben, dass im Verwaltungsverfahren die vom Land Niedersachsen anerkannten Naturschutzvereinigungen, die gemäß ihrer Satzung landesweit tätig sind, angehört worden sind. Zu dieser Anhörung war der Antragsgegner aber nach § 63 Abs. 2 Nr. 4b BNatSchG grundsätzlich verpflichtet.

a. Gemäß § 63 Abs. 2 Nr. 4b BNatSchG ist vor der Zulassung einer Ausnahme nach § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG durch Rechtsverordnung oder durch Allgemeinverfügung den von einem Land anerkannten Naturschutzvereinigungen, die nach ihrer Satzung landesweit tätig sind, Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben. Als Mindestanforderung an diese Verfahrensbeteiligung regelt § 38 Abs. 1 Satz 1 NNatSchG, dass die anerkannten Naturschutzvereinigungen über den Inhalt und den Ort des Vorhabens in Kenntnis zu setzen und auf ihre Rechte hinzuweisen sind. Für den Senat ist nicht ersichtlich, dass dieser Verfahrensschritt hier durchgeführt worden ist.

Dies war aber erforderlich, weil es sich bei dem angefochtenen Bescheid um eine Allgemeinverfügung handelt und deshalb die Voraussetzungen nach § 63 Abs. 2 Nr. 4b BNatSchG für die Verfahrensbeteiligung der Naturschutzvereinigungen vorliegen. Gemäß § 35 Satz 2 VwVfG (i.V.m. § 1 Abs. 1 NVwVfG) ist ein Verwaltungsakt unter anderem dann als Allgemeinverfügung zu qualifizieren, wenn er sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet. Das ist hier der Fall, soweit der Bescheid in Ziffer 5 Satz 1 regelt, dass ausschließlich geeignete Personen die letale Entnahme des Wolfs vollziehen dürfen. In der Begründung des Bescheides wird dies unter Hinweis auf die Regelung in § 45a Abs. 4 BNatSchG dahingehend präzisiert, dass die zur Jagd befugten Personen im Entnahmegebiet, die hierzu ihr Einverständnis erteilen, als geeignete Personen die Tötung des Wolfs vollziehen dürfen. Damit wird der Kreis derjenigen, die die Ausnahmezulassung ausführen dürfen, nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmt (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 17.1.2024 - 28 L 3333/23 -, juris Rn. 6). Das gilt umso mehr, weil sich auch aus den Verwaltungsvorgängen keine Hinweise darauf ergeben, dass der Antragsgegner vor Erlass des Bescheides bereits abschließend ermittelt hat, welche der örtlichen Jagdausübungsberechtigten ihr Einverständnis erklärt haben, die Tötung des Wolfs zu vollziehen.

b. Die unterbliebene Beteiligung der auf Landesebene anerkannten Naturschutzverbände ist auch nicht nach § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG in Verbindung mit § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG entbehrlich gewesen. Zwar kann nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG von der Anhörung dann abgesehen werden, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug oder im öffentlichen Interesse notwendig erscheint. Es spricht auch Überwiegendes dafür, dass diese Voraussetzungen hier gegeben sind. Denn die in Umsetzung des von der Umweltministerkonferenz verabredeten "Schnellabschussverfahrens" erteilte Ausnahmegenehmigung beruht auf der wissenschaftlich gestützten Annahme, dass Wölfe nach einem erfolgreichen Weidetierriss häufig versuchen, weitere Tiere derselben Herde zu reißen und deshalb in der unmittelbaren Zeit nach einem Rissvorfall das Risiko eines erneuten Angriffs auf die Weidetiere deutlich erhöht ist, am höchsten während der ersten Woche nach dem Rissvorfall (siehe dazu unten 3.b.). Die mit der Beteiligung von Naturschutzvereinigungen vor der Erteilung der Ausnahmezulassung unweigerlich eintretende Verzögerung würde die Effektivität dieser Gefahrenabwehrmaßnahme daher nicht unerheblich mindern. Das wäre im Übrigen auch dann der Fall, wenn die nach § 38 Abs. 4 Satz 1 NNatSchG den zu beteiligenden Naturschutzvereinigungen für die Abgabe der Stellungnahme einzuräumende Frist von einem Monat nach Übersendung der Unterlagen wegen des öffentlichen Interesses an der Effektivität der Gefahrenabwehrmaßnahme deutlich verkürzt werden würde, da - wie aufgezeigt - nach wissenschaftlichen Untersuchungen gerade in den ersten Tagen nach einem Rissvorfall das Risiko eines erneuten Angriffs am höchsten ist.

Ein Absehen von einer Beteiligung von auf Landesebene anerkannten Naturschutzverbänden gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG in Verbindung mit § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG kommt hier jedoch deshalb nicht in Betracht, weil der Antragsgegner dies in dem angefochtenen Bescheid hätte begründen müssen. Nach § 28 Abs. 2 VwVfG kann unter den dort geregelten Voraussetzungen von der Anhörung abgesehen werden. Es handelt sich somit um eine Ermessensentscheidung der Behörde (BVerwG, Urt. v. 15.12.1983 - 3 C 27.82 -, juris Rn. 63; Urt. v. 22.2.2022 - 4 A 7.20 -, juris Rn. 21). Sie bedarf daher einer Abwägung aller für und gegen den Verzicht auf die Anhörung sprechenden Gesichtspunkte sowie einer Begründung, die erkennen lässt, auf welchen Erwägungen das Absehen von der Anhörung beruht (BVerwG, Urt. v. 21.8.2023 - 6 A 3.21 -, juris Rn. 76 m.w.N.; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.12.2022 - 11 PA 384/21 -, juris Rn. 18; Schneider in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand November 2023, § 28 VwVfG Rn. 54; Schwarz in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 28 VwVfG Rn. 40). Demnach hätte der Antragsgegner sich in der Begründung des angefochtenen Bescheids dazu äußern müssen, aus welchen Erwägungen er von der Anhörung bzw. Beteiligung von auf Landesebene anerkannten Naturschutzverbänden absieht. Daran fehlt es aber hier.

c. Der zur formellen Rechtswidrigkeit des Bescheides führende Verfahrensmangel ist auch nicht gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich. Das wäre nach dieser Norm nur dann der Fall, wenn offensichtlich ist, dass die unterbliebene Beteiligung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Das ist nicht der Fall. Die Entscheidung über die Erteilung einer Ausnahme von den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten liegt gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG im Ermessen der zuständigen Naturschutzbehörde. Bei Ermessensentscheidungen kann im Regelfall die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Behörde bei Beachtung des Verfahrensrechts zu einer anderen Entscheidung in der Sache gekommen wäre (Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.12.2022 - 11 PA 384/21 -, juris Rn. 22; Hessischer VGH, Beschl. v. 23.9.2011 - 6 B 1701/11 -, juris Rn. 32; Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 46 Rn. 60; Schwarz in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 46 VwVfG Rn. 27). Hinzu kommt, dass das Mitwirkungsrecht von Vereinigungen nach § 63 BNatSchG nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs dient, sondern die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung fördern soll (Bayerischer VGH, Beschl. v. 30.11.2023 - 14 NE 23.1503, 14 NE 23.1658 -, juris Rn. 60). Es besteht daher hier kein Raum für die Annahme, dass die unterbliebene Beteiligung die Entscheidung in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst hat.

d. Offenlassen kann der Senat dabei, ob auch die Antragstellerin - wie sie meint - vor dem Erlass der artenschutzrechtlichen Ausnahmeregelung hätte angehört werden müssen. Bei der Antragstellerin handelt es sich um eine Naturschutzvereinigung mit einem Tätigkeitsbereich, der über das Gebiet eines einzigen Bundeslandes hinausgeht und die entsprechend gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 UmwRG vom Umweltbundesamt anerkannt worden ist. Das Recht zur Abgabe einer Stellungnahme (und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten) besteht in den Fällen des § 63 Abs. 2 BNatSchG aber nur für eine von einem Land anerkannte Naturschutzvereinigung, also eine inländische Vereinigung mit einem Tätigkeitsbereich, der nicht über das Gebiet eines Landes hinausgeht (vgl. § 3 Abs. 3 UmwRG). Vom Bund anerkannte Naturschutzvereinigungen wie die Antragstellerin haben demgegenüber nur in den Fällen des § 63 Abs. 1 BNatSchG ein Mitwirkungsrecht.

Die Antragstellerin meint allerdings, dass die in § 63 Abs. 2 BNatSchG geregelten Beteiligungserfordernisse im Rahmen einer europarechts- und völkerrechtskonformen erweiternden Auslegung zwingend auch zugunsten vom Bund anerkannte Naturschutzvereinigungen gelten müssen. Dies ergebe sich aus Art. 6, Art. 8 und Art. 9 Abs. 2 des völkerrechtlichen Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (sog. Aarhus-Konvention). Der Senat braucht dies hier nicht abschließend zu prüfen, weist aber auf Folgendes hin:

Art. 8 Aarhus-Konvention ist nicht einschlägig, weil dieser nur eine Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Vorbereitung exekutiver Vorschriften und sonstiger allgemein anwendbarer rechtsverbindlicher Bestimmungen regelt, was hier ersichtlich nicht der Fall ist. Dasselbe gilt im Ergebnis auch für Art. 9 Abs. 2 Aarhus-Konvention. Denn dieser Artikel betrifft, wie sich bereits aus seiner Überschrift ergibt, nur den "Zugang zu Gerichten". Der Rechtsschutz, der von den Vertragsstaaten gemäß Art. 9 Aarhus-Konvention zu eröffnen ist, knüpft damit an eine Entscheidung an, die erst am Ende eines Verwaltungsverfahrens ergangen ist (vgl. zu Art. 9 Abs. 3 u. 4 Aarhus-Konvention: BVerwG, Urt. v. 1.4.2015 - 4 C 6.14 -, juris Rn. 36). Für Mitwirkungsrechte bereits während des Verwaltungsverfahrens lässt sich aus Art. 9 Aarhus-Konvention daher nichts ableiten.

Eine günstige Rechtsfolge ließe sich hier für die Antragstellerin daher allenfalls aus Art. 6 Aarhus-Konvention herleiten, der eine Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten regelt und dessen Abs. 7 vorsieht, dass die Öffentlichkeit die Möglichkeit hat, zu der geplanten Tätigkeit schriftlich oder während einer öffentlichen Anhörung Stellung zu nehmen. Der Anwendungsbereich dieser Norm ist allerdings nur eröffnet bei - erstens - Entscheidungen darüber, ob die in Anhang I der Aarhus-Konvention aufgeführten geplanten Tätigkeiten zugelassen werden (Art. 6 Abs. 1 Buchstabe a Aarhus-Konvention), sowie - zweitens - in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht auch bei Entscheidungen über nicht in Anhang I aufgeführte geplante Tätigkeiten, die eine erhebliche Auswirkung auf die Umwelt haben können. Es kann dahinstehen, ob es sich bei dem Erlass einer artenschutzrechtlichen Ausnahmeregelung, die nicht zu den in Anhang I aufgeführten Tätigkeiten zählt, um eine "geplante Tätigkeit" im Sinne dieser Norm handelt und ob die in dem hier angefochtenen Bescheid zugelassene Tötung eines einzigen Wolfs eine Entscheidung darstellt, die eine "erhebliche Auswirkung auf die Umwelt" haben kann. Denn jedenfalls eröffnet Art. 6 Abs. 1 Buchstabe b Aarhus-Konvention den Anwendungsbereich der Norm für nicht in Anhang I aufgeführte Tätigkeiten ausdrücklich nur in Übereinstimmung mit dem innerstaatlichen Recht. Es obliegt somit in diesen Fällen den Vertragsstaaten der Aarhus-Konvention, in ihrem innerstaatlichen Recht die Modalitäten der Öffentlichkeitsbeteiligung zu regeln. Daher haben die Vertragsstaaten bei der Durchführung dieser Bestimmung einen Gestaltungsspielraum. Anderes gilt nur dann, wenn das innerstaatliche Recht Kriterien bestimmt, die derart streng sind, dass es für Umweltorganisationen praktisch unmöglich ist, bei den von Art. 6 Abs. 1 Buchstabe b Aarhus-Konvention erfassten Entscheidungsverfahren die in den weiteren Absätzen der Norm genannten Verfahrensrechte auszuüben (vgl. zur Wendung "Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen" in Art. 9 Abs. 3 Aarhus-Konvention: EuGH, Urt. v. 20.12.2017 - C-664/15 -, juris Rn. 48 und Urt. v. 8.11.2022 - C-873/19 -, juris Rn. 69).

Der Senat geht nicht davon aus, dass die differenzierende Regelung in § 63 Abs. 1 und 2 BNatSchG, wonach in bestimmten Fällen nur vom Bund anerkannte Naturschutzvereinigungen und in anderen Fällen nur von einem Land anerkannte Naturschutzvereinigungen an der Vorbereitung von Verwaltungsentscheidungen beteiligt werden, es den Naturschutzvereinigungen generell praktisch unmöglich macht, die in Art. 6 Aarhus-Konvention vorgesehenen Mitwirkungsrechte wahrzunehmen. Denn die Naturschutzvereinigungen haben es selbst in der Hand, in ihrer Satzung zu bestimmen, ob sich ihr Tätigkeitsbereich auf das Gebiet eines Bundeslandes beschränkt oder hierüber hinausgeht. Entsprechend können Sie es auch selbst steuern, ob sie die Beteiligungsvoraussetzungen nach § 63 Abs. 1 oder Abs. 2 BNatSchG erfüllen. Außerdem können Sie sich föderal organisieren mit Landesverbänden und einem Bundesdachverband, wie es die großen deutschen Naturschutzvereinigungen auch tun, und auf diese Weise sowohl die Anerkennung vom Bund als auch von den Ländern erlangen. Auf diese Weise können sie die Mitwirkungsrechte sowohl nach Abs. 1 als auch nach Abs. 2 des § 63 BNatSchG ausüben.

Im Übrigen hat die Antragstellerin auch keine Gesichtspunkte vorgetragen, die dafürsprechen, dass es ihr praktisch unmöglich ist, sich in Landesverbänden zu organisieren und dadurch die rechtliche Voraussetzung dafür zu schaffen, dass sie das Mitwirkungsrechte nach § 63 Abs. 2 Nr. 4b BNatSchG ausüben kann.

2. Der angegriffene Bescheid ist darüber hinaus auch aus materiellen Gründen rechtswidrig.

a. Der Antragsgegner hat die Ausnahmezulassung auf § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG gestützt, mit dem Art. 16 Abs. 1 Buchstabe b FHH-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt worden ist. Bei Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie handelt es sich um eine Ausnahmeregelung zu den artenschutzrechtlichen Zugriffsverboten des Art. 12 FFH-Richtlinie (im deutschen Recht umgesetzt in § 44 BNatSchG), die eng auszulegen ist und bei der die Beweislast für das Vorliegen der für jede Abweichung erforderlichen Voraussetzungen diejenige Stelle der öffentlichen Verwaltung trifft, die darüber entscheidet (EuGH, Urt. v. 10.10.2019 - C-674/17 -, juris Rn. 30). Deshalb müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass jeder Eingriff, der die geschützten Arten betrifft, nur auf der Grundlage von Entscheidungen genehmigt wird, die mit einer genauen und angemessenen Begründung versehen sind, in der auf die in Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie genannten Gründe, Bedingungen und Anforderungen Bezug genommen wird (EuGH, Urt. v. 14.6.2007 - C-342/05 -, juris Rn. 25). Eine auf Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie gestützte Ausnahme kann nämlich nur eine konkrete und punktuelle Anwendung sein, mit der konkreten Erfordernissen und besonderen Situationen begegnet wird (EuGH, Urt. v. 10.10.2019, a.a.O., Rn. 41). Besteht über einzelne der in Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie geregelten Voraussetzungen für eine Ausnahmeregelung nicht ohne weiteres in tatsächlicher Hinsicht Gewissheit, so hat die zuständige Behörde unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse sowie der Umstände des konkreten Falls zu begründen und nachzuweisen, dass sie gegeben sind (vgl. EuGH, Urt. v. 10.10.2019, a.a.O., Rn. 45, 49-51, 66, 71). Wenn nach der Prüfung der besten verfügbaren wissenschaftlichen, technischen und sonstigen Daten Ungewissheit darüber bleibt, ob die Voraussetzungen des Artikels 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie gegeben sind, ist von dem Erlass einer solchen Ausnahmeregelung abzusehen (EuGH, Urt. v. 10.10.2019, a.a.O., Rn. 66 zur Wahrung des günstigen Erhaltungszustands der Populationen der betroffenen Art in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet).

In diesem Konzept der FFH-Richtlinie zur Begründungs- und Nachweispflicht liegt eine unionsrechtliche artenschutzrechtliche Spezialregelung im Hinblick auf die Bedeutung sowohl der behördlichen Amtsermittlungspflicht im Verwaltungsverfahren als auch der Pflicht zur Begründung des Verwaltungsakts mit vorentscheidender Bedeutung auch für das verwaltungsgerichtliche Prüfprogramm und den daraus folgenden Gegenstand und die Reichweite der verwaltungsgerichtlichen Amtsermittlung (Bayerischer VGH, Beschl. v. 23.5.2023 - 14 B 22.1696 -, juris Rn. 33). Das muss erst recht im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gelten, da der Antragsgegner mit Bescheid vom 26. März 2024 eine Ausnahmezulassung ausgesprochen hat, die auflösend bis zum Ablauf des 12. April 2024 befristet ist. Innerhalb des damit gesteckten knappen zeitlichen Rahmens von nur 18 Tagen wäre eine weitere Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts durch das für den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zuständige Verwaltungsgericht und/oder die Beschwerdeinstanz ohnehin nur in ganz eingeschränkten Umfang möglich.

b. Hiervon ausgehend erweist sich die in Streit stehende Ausnahmegenehmigung bei summarischer Prüfung jedenfalls deshalb als rechtswidrig, weil gemäß § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG eine Ausnahme vom strengen Artenschutz nur zugelassen werden darf, wenn zumutbare Alternativen nicht gegeben sind, und der Antragsgegner nicht ausreichend begründet und nachgewiesen hat, dass dies hier der Fall ist.

Gemäß der dem Bescheid als Anlage 3 beigefügten Riss-Tabelle beruht die Schadensprognose des Antragsgegners auf sechs Rissereignissen zwischen dem 16. Juli 2023 und dem 23. März 2024. Von diesen sechs Rissvorfällen betrifft nur einer den Einbruch in eine Schafherde, die übrigen fünf aber Risse, von denen jeweils Rinder betroffen waren. Somit drängt es sich auf, dass der Antragsgegner im Rahmen der Prüfung zumutbarer Alternativen zur Erteilung der Ausnahmezulassung insbesondere in den Blick zu nehmen hatte, ob in dem von den Rissereignissen betroffenen Gebiet eine Verbesserung des Herdenschutzes für Rinderherden in Betracht kommt. Das betrifft insbesondere den Schutz von neugeborenen Kälbern während der ersten 14 Lebenstage, da bei vier der fünf Rinderrisse jeweils ein bzw. in einem Fall zwei Kälber in dieser frühen Lebensphase getötet worden sind.

aa. Als Mindestanforderung, die an die Begründungs- und Nachweispflicht der Behörde zu stellen ist, dass es an einer zumutbaren Alternative für die Erteilung der Ausnahmezulassung fehlt, ist nach Ansicht des Senats jedenfalls zu verlangen, dass sich die Behörde nachvollziehbar an den Vorgaben orientiert, die sich hierzu in dem von der Umweltministerkonferenz im Oktober 2021 beschlossenen Praxisleitfaden zur Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen nach §§ 45 und 45 a BNatSchG beim Wolf, insbesondere bei Nutztierrissen (im Folgenden: Praxisleitfaden Wolf) orientiert. Dort heißt es zur Alternativenprüfung bei großen Huftieren (a.a.O., S. 27 f.):

"3.2.4.3. Rinder und Pferde

Rinder und insbesondere Pferde in einem funktionierenden Herdenverband sind einem ungleich geringeren Risiko von Wolfsübergriffen ausgesetzt als Schafe und Ziegen beziehungsweise Gatterwild. Nach dem Bericht der DBBW zu wolfsverursachten Schäden, Präventions- und Ausgleichszahlungen in Deutschland 2018, der nach den Angaben der Länder erstellt wurde, treten Übergriffe auf Rinder in bestimmten Gebieten vermehrt auf, während in anderen Gebieten nahezu keine Übergriffe festgestellt werden. Überwiegend sind Kälber bzw. Fohlen von Übergriffen betroffen. So waren 2018 63 % der durch Wölfe getöteten Rinder unter 14 Tage alt, 10% zwischen 2 Wochen und 2 Monaten und 9% zwischen drei und sechs Monaten alt. Nur 12% der Rinder waren zum Zeitpunkt des Übergriffs älter als 12 Monate. Die Daten aus dem Jahr 2019 zeigen ein ähnliches Bild. Pferde sind noch seltener von Wolfsübergriffen betroffen. Von den seit 2000 bis 2019 registrierten 2973 Übergriffen auf Nutz- und Haustiere waren Pferde in 21 (0,7 %) Fällen betroffen, wobei nicht in allen Fällen der Wolf sicher als Verursacher feststeht. In mindestens 14 Fällen handelte es sich um Fohlen. Bei reinen Abkalbe- beziehungsweise Fohlungsweiden stellen daher in der kritischen Zeit der Geburt und bis zu einem Lebensalter von zwei Wochen die bei Schafen und Ziegen empfohlenen Herdenschutzmaßnahmen (s. C 3.2.4.1) nach Prüfung des Einzelfalles i. d. R. eine zumutbare Alternative im Sinne des § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG dar. Mehrere Bundesländer fördern Präventionsmaßnahmen bei Rindern und Pferden, wenn es nachweislich zu Übergriffen durch Wölfe gekommen ist.

Obwohl fast nur Kälber und Fohlen betroffen sind, kann nicht in jedem Fall davon ausgegangen werden, dass sich erwachsene Rinder und Pferde selbst vor Übergriffen schützen können und deshalb keines Herdenschutzes bedürfen (z.B. Mutterkühe, die zum Teil hornlos gezüchtet werden). Vor jeder Ausnahmegenehmigung zur Entnahme eines Wolf zur Abwendung (drohender) ernster wirtschaftlicher Schäden bei Rindern und Pferden ist daher ebenso wie bei Schafen und Ziegen und anderen kleinen Weidetieren zu prüfen, ob die Anwendung von Herdenschutzmaßnahmen (u.a. stromführende Zäune und/oder Herdenschutzhunde oder Änderungen im Herdenmanagement) eine zumutbare Alternative im Sinne von § 45 Abs. 7 S. 2 BNatSchG bzw. eine "anderweitige zufriedenstellende Lösung" im Sinne von Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie sind.

Welche Schutzmaßnahmen für große Huftiere zumutbar sind, bevor eine Entnahme im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung erfolgen kann, ist von der zuständigen Naturschutzbehörde im Einzelfall zu entscheiden. Hierbei müssen insbesondere die sehr unterschiedlichen agrarstrukturellen und landschaftlichen Gegebenheiten in Deutschland, die Vielzahl an Nutztierrassen und ggf. deren jeweilige Wehrhaftigkeit gegenüber Wölfen sowie spezifische Haltungs- und Betriebskonzepte (u.a. Anzahl und Altersstruktur der Haus- und Nutztiere, Herdenmanagement, Größe der Weideflächen) Berücksichtigung finden."

bb. Hinter diesen fachlichen Anforderungen bleibt die Begründung des Bescheides ersichtlich zurück. Die gemäß dem Praxisleitfaden Wolf erforderliche Einzelfallprüfung, die insbesondere die örtlichen agrarstrukturellen und landschaftlichen Gegebenheiten, die dort anzutreffenden Rinderrassen und deren jeweilige Wehrhaftigkeit sowie die spezifischen Haltungs- und Betriebskonzepte zu berücksichtigen hat, leistet die Begründung des Bescheides gerade nicht. Diese zitiert zwar aus den genannten Vorgaben des Praxisleitfadens Wolf. Sie beschränkt sich aber im Übrigen auf die generalisierende Annahme, dass zu einer Rinderherde mindestens die gleiche Anzahl von Tieren mit einem Körpergewicht von über 250 kg gehören müssen wie Tiere mit einem geringeren Gewicht, um einen selbstschutzfähigen Herdenverband zu gewährleisten; dieser zumutbare Herdenschutz in Form der wehrfähigen Herdenzusammensetzung sei hier viermal von Wölfen überwunden worden; außerdem seien von den Rissereignissen auch keine (reinen) Abkalbe- bzw. Fohlungsweiden betroffen gewesen.

Damit hat der Antragsgegner letztlich nur relativ schematisch auf die Zusammensetzung der Rinderherden abgestellt und eine darüberhinausgehende Einzelfallprüfung der Zumutbarkeit von Alternativmaßnahmen gerade nicht vorgenommen. Eine darüberhinausgehende Prüfung, ob eine Verbesserung des Herdenschutzes - z. B. durch eine Ertüchtigung der Einzäunungen oder ein geändertes Herdenmanagement - in Betracht kommt, hätte aber aus den folgenden Gründen nahegelegen:

Erstens deuten die in der Anlage 3 des Bescheides genannten vier Rissereignisse, bei denen jeweils Kälber in den ersten zwei Lebenswochen getötet worden sind, darauf hin, dass in der betroffenen Region Haltungsformen verbreitet sein könnten, die eine Separierung der neugeborenen Tiere von den erwachsenen Rindern durch angreifende Wölfe begünstigen. Zweitens waren die Rinder bei den insgesamt fünf Rissereignissen, die Rinderherden betreffen, nur in zwei Fällen durch stromführende Zäune geschützt, wobei diese aber jeweils nur eine stromführende Litze hatten. Bei den anderen drei Rissvorfällen waren die Zäune dagegen nicht stromführend. In zwei Fällen bestand der nicht stromführende Zaun darüber hinaus auch nur aus einer einzigen Litze bzw. einer einzigen Stacheldraht-Litze. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass eine Verbesserung des Herdenschutzes durch Zäunungen mit mehreren stromführenden Litzen eine erfolgversprechende Alternative zu einer Entnahme eines Wolfs sein könnte. Drittens könnte für die wirtschaftliche und praktische Durchführbarkeit dieser Alternativmaßnahmen außerdem sprechen, dass von den Rissereignissen mit einer Ausnahme nur Jungkälber in den ersten 14 Lebenstagen betroffen waren. Der erhöhte Aufwand für ein wachsameres Herdenmanagement oder etwa eine Verbringung der Herde in besser geschützte Nachtpferche würde somit nicht zwingend das ganze Jahr über anfallen, sondern nur während der Abkalbezeit und der ersten Lebenswochen der neugeborenen Kälber. Ob derartige möglicherweise in Betracht kommende Alternativmaßnahmen hier in der betroffenen Region als zumutbar i.S.d. § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG hätten angesehen werden können, wäre von dem Antragsgegner jedenfalls zu prüfen gewesen.

Der Senat verweist hierzu außerdem auf die folgenden Ausführungen in den vom Bundesamt für Naturschutz herausgegebenen und zusammen mit der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) erstellten Empfehlungen zum Schutz von Weidetieren und Gehegewild vor dem Wolf - konkrete Anforderungen an die empfohlenen Präventionsmaßnahmen - (BfN-Skripten 530, 2019, S. 9), wo es heißt:

"Da bei den seltenen Fällen von Wolfsübergriffen auf Rinder und Pferde häufig Jungtiere getötet werden, muss der Schutz der Jungtiere besondere Aufmerksamkeit erhalten. Zur Abwendung von Wolfsübergriffen auf Rinder und Pferde kann auf die bei Schafen und Ziegen genannten Schutzmaßnahmen (s.o.) zurückgegriffen werden. Der Fokus kann hier bei der Umsetzung der Herdenschutzmaßnahmen auf die Weideflächen gelegt werden, auf denen Herden mit Kälbern bzw. Fohlen bis zum zweiten Lebensmonat bzw. reine Jungtierherden gehalten werden. Im Einzelfall kann auch das tägliche Verbringen der Herde in Nachtpferche, die den o.g. empfohlenen Standards bei Schafen und Ziegen entsprechen, eine Lösung sein. In Fällen, bei der der Bulle ganzjährig auf der Weide in der Mutterkuhherde gehalten wird, könnte beispielsweise durch eine Trennung und regelmäßige Zuführung des Bullen eine Periodizität in der Abkalbung erreicht werden. So können über Änderungen im Herdenmanagement die Übergriffe auf die Nutztiere reduziert werden."

cc. Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 22. Februar 2019 - 4 ME 48/19 - demgegenüber bei der Prüfung zumutbarer Alternativen noch davon ausgegangen ist, dass es offenkundig die Grenzen des Zumutbaren überschreite, die Rinderherden in einer von vermehrten Wolfsübergriffen betroffenen Region durch weitere Maßnahmen wie die Errichtung höherer Elektrozäune, Behirtung oder Verbringung der Tiere in Nachtpferche zu schützen (a.a.O., juris Rn. 7), hält er hieran nicht weiter fest. Zum einen fehlt dem Senat für einen so weitreichenden Schluss die fachliche und wirtschaftliche Sachkunde und die Kenntnis über die hierfür relevanten Gegebenheiten in der betroffenen Region. Zum anderen würde die Fortsetzung dieser Rechtsprechung dazu führen, dass bei einer Häufung von Rinderrissen in einer bestimmten Region Niedersachsens zumutbare Alternativen zur Tötung eines oder mehrerer Wölfe ohne weiteres generell zu verneinen wären. Damit würde die von Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie und § 45 Abs. 7 Satz 2 BNatSchG angeordnete einzelfallbezogene strenge Alternativenprüfung, für die die zuständige Behörde begründungs- und beweispflichtig ist, aber praktisch entfallen. Mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), wonach Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie eine restriktiv auszulegende Ausnahmeregelung ist und eine darauf gestützte Behördenentscheidung nur eine konkrete und punktuelle Anwendung sein darf, mit der konkreten Erfordernissen und besonderen Situationen begegnet wird (EuGH, Urt. v. 10.10.2019 - C-674/17 -, Rn. 30, 41), wäre das nicht in Einklang zu bringen.

dd. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass bereits die generalisierende Grundannahme des Antragsgegners, wonach Rinderherden mit einem ausgeglichenen Anteil von Tieren mit einem Körpergewicht von über 250 kg und leichteren Tieren gegenüber Wölfen einen selbstschutzfähigen Herdenverband bilden, nicht außer Zweifel steht.

Die Antragsteller in den parallelen Verfahren 4 ME 74/24 und 4 ME 75/24 haben hierzu ein durch den Biologen, Tiermediziner und Hochschullehrer Prof. Dr. Dr. F. erstelltes Parteigutachten vom 27. November 2019 vorgelegt. Darin heißt es, dass keinerlei aussagekräftige Studien zur allgemeinen Wehrhaftigkeit von Rindern in der Weidehaltung und im Herdenverband existieren würden; daher basiere die generelle Annahme der Wehrhaftigkeit von Rindern gegenüber Wölfen nur auf Mutmaßungen. Der Umstand, dass es Wölfen immer wieder gelinge, vor allem Jungtiere von Rindern zu erbeuten, lasse den Schluss zu, dass das Feindvermeidungsverhalten von Rindern in der Weidehaltung insgesamt nicht ausreichend effektiv sei. Auch für Jungtiere, die mit mehreren erwachsenen Tieren gemeinsam gehalten werden, sei wissenschaftlich nicht geklärt, ob und ggfs. welche Rinderrassen in welcher Zusammenstellung ein ausreichendes Feindvermeidungsverhalten aufweisen könnten.

Die in diesem Gutachten jedenfalls in Bezug auf Jungtiere formulierten Zweifel an der - abhängig von der Zusammensetzung der jeweiligen Herde - bestehenden allgemeinen Wehrhaftigkeit von Rindern gegenüber Wölfen sind aus Sicht des Senats auch deshalb nicht von vornherein von der Hand zu weisen, weil sich aus den auf der Webseite www.wolfsmonitoring.com allgemein zugänglichen Ergebnissen des Wolfsmonitorings in Niedersachsen ersehen lässt, dass es in Niedersachsen in jüngerer Zeit nicht nur vereinzelt zu Angriffen von Wölfen auf Rinderherden gekommen ist. So vermelden die vier Quartalsberichte für 2023, dass es in diesem Jahr zu immerhin 52 Rissvorfällen mit betroffenen Rindern gekommen ist, bei denen Wölfe als Verursacher nachgewiesen sind (auf die einzelnen Quartale des Jahres 2023 bezogen: 1/10/23/18).

Der Senat hat allerdings nicht abschließend geprüft, ob die somit jedenfalls in Bezug auf Jungtiere bestehenden Zweifel an der allgemeinen Wehrhaftigkeit von Rinderherden, die mindestens zur Hälfte aus Tieren mit einem Körpergewicht von mehr als 250 kg bestehen, durch die vom Antragsgegner zum Beleg für seine fachliche Einschätzung in Fußnote 39 des Bescheides angeführten Beiträge aus der Fachliteratur entkräftet werden. Dies war hier nicht erforderlich, weil der Bescheid - wie oben ausgeführt - unabhängig davon bereits deshalb rechtswidrig ist, weil es an einer ausreichenden einzelfallbezogenen Prüfung fehlt, ob als Alternative zur Tötung eines Wolfsindividuums eine Ertüchtigung des Herdenschutzes erfolgversprechend ist und mit zumutbarem Aufwand durchgeführt werden kann.

c. Darüber hinaus begegnet die in dem Bescheid enthaltene Begründung des Antragsgegners für die Prognose, dass künftig ein ernster wirtschaftlicher Schaden im Sinne von § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG zu erwarten ist, rechtlichen Bedenken.

aa. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass es im Rahmen der Anwendung von § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG nicht darauf ankommt, ob bereits ein ernster Schaden eingetreten ist, sondern ob ein solcher Schaden droht (Senatsbeschl. v. 26.6.2020 - 4 ME 116/20 -, juris Rn. 24 u.v. 22.2.2019 - 4 ME 48/19 -, juris Rn. 6; siehe auch EuGH, Urt. v. 14.6.2007 - C-342/05 - Rn. 40). Es ist somit eine Gefahrenprognose erforderlich. Ferner ist für die Prüfung der Erheblichkeit des drohenden Schadens nicht von einem rein wirtschaftlich-monetären Schadensverständnis auszugehen. Denn die Regelung dient der Umsetzung von Art. 16 Abs. 1 Buchstabe b FFH-Richtlinie, wonach Ausnahmen unter anderem vom artenschutzrechtlichen Tötungsverbot zur Verhütung ernster Schäden insbesondere an Kulturen und in der Tierhaltung sowie an Wäldern, Fischgründen und Gewässern sowie an sonstigen Formen von Eigentum zugelassen werden können. Die Richtlinie trägt damit dem grundrechtlichen Schutz des Privateigentums im Unionsrecht Rechnung, so dass für § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG Entsprechendes zu gelten hat (Senatsbeschl. v. 26.6.2020, a.a.O., u. v. 22.2.2019, a.a.O., m.w.N.).

Zur Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen der drohende Eigentumsschaden als ernst anzusehen ist, kann auf die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 9 Abs. 1 Buchstabe a) 3. Spiegelstrich Vogelschutzrichtlinie zurückgegriffen werden. Denn § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG dient auch der Umsetzung dieser Vorschrift, die zudem im Wesentlichen den gleichen Wortlaut hat wie Art. 16 Abs. 1 Buchstabe b FFH-Richtlinie. Nach Ansicht des EuGH bezweckt die Bestimmung der Vogelschutzrichtlinie nicht, die Gefahr von Schäden geringeren Umfangs abzuwenden; verlangt ist das Vorliegen von Schäden eines gewissen Umfangs (EuGH, Urt. v. 8.7.1987 - 247/85 -, juris Rn. 56). Ausgeschlossen ist eine Ausnahme vom europäischen Artenschutz somit, wenn lediglich geringfügige Schäden für Eigentumsgüter drohen. Es kommt aber nicht darauf an, dass der drohende Schaden eine betriebswirtschaftlich beachtliche Größenordnung erreicht, der den Gewinn der betroffenen Betriebe unter die Rentabilitätsschwelle drücken kann (Senatbeschl. v. 24.11.2020 - 4 ME 199/20 -, juris Rn. 25; a. A. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 22.11.2017 - 2 K 127/15 -, NuR 2019, 45).

Außerdem hat die an diesen rechtlichen Vorgaben auszurichtende Schadensprognose nicht schematisch zu erfolgen und hängt daher nicht pauschal von einer bestimmten Mindestzahl von Rissvorfällen innerhalb eines bestimmten Zeitraums ab (Senatsbeschl. v. 24.11.2020 - 4 ME 199/20 -, juris Rn. 15). Entsprechend genügt die in Anknüpfung an den Beschluss der Umweltministerkonferenz vom 1. Dezember 2023 zur Einführung des sogenannten Schnellabschussverfahrens von der niedersächsischen Naturschutzverwaltung praktizierte Klassifizierung von bestimmten Regionen als Gebiete mit erhöhten Rissvorkommen, wenn dort innerhalb von sechs Monaten drei bzw. innerhalb von neun Monaten vier von Wölfen verursachte Nutztierschäden zu verzeichnen sind, nicht, um alleine deshalb davon auszugehen, dass in dem betroffenen Gebiet ein ernster wirtschaftlicher Schaden droht. Erforderlich ist für die Schadensprognose vielmehr eine einzelfallbezogene Würdigung der konkreten Umstände (Senatsbeschl. v. 24.11.2020, a.a.O.). Indizien, die im Rahmen dieser Würdigung für einen drohenden ernsten wirtschaftlichen Schaden sprechen können, sind etwa Anzahl, zeitliche Frequenz und räumlicher Zusammenhang der bisherigen Rissereignisse, die Anzahl und Art der dabei gerissenen Weidetiere (insbesondere Pferde und Rinder als große Weidetiere) und der wirtschaftliche Wert der gerissenen Tiere (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 9.2.2024 - 21 B 74/24 -, juris Rn. 19 m.w.N.; Praxisleitfaden Wolf, S. 17).

bb. Hiervon ausgehend ergeben sich rechtliche Zweifel an der vom Antragsgegner in der Begründung des Bescheides angestellten Schadensprognose.

(1.) Gemäß der Riss-Tabelle in Anlage 3 des Bescheides ist der einzige hohe bezifferte wirtschaftliche Schaden von 16.065 € bei dem Rinderriss am 12. September 2023 entstanden. Dieser Riss kann er aber nicht in die Schadensprognose einbezogen werden, weil er von einem Wanderwolf verübt worden ist, der sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr im örtlichen Umfeld des Rissereignisses aufhält. Daher ist die örtlich beschränkte Ausnahmeregelung nicht geeignet, die Tötung dieses Wolfs zur Vorbeugung weiterer Schäden zu erreichen. Wie sich aus der Riss-Tabelle ergibt, ist der Nutztierschaden vom 12. September 2023 von dem genetisch identifizierten Wolf GW2306m verübt worden. Bei diesem Wolf handelt es sich gemäß der von der Antragstellerin im erstinstanzlichen Verfahren als Anlage A 17 vorgelegten Auskunft des Wolfsbüros des Antragsgegners aber nicht um ein zum lokalen R. Rudel gehörendes Tier, sondern um einen von einem Rudel aus Sachsen-Anhalt abstammenden Wolf. Der Senat geht nicht davon aus, dass dieser Wolf sich noch im räumlichen Umfeld des Rissereignisses vom 12. September 2023 und der weiteren in der Anlage 3 des Bescheides aufgeführten Rissvorfälle aufhält. Denn wandernde Jungwölfe legen oft erhebliche Wanderstrecken zurück und schaffen dabei sogar bis zu 80 km am Tag, bevor sie mit einem Partner ein eigenes Rudel gründen (vgl. zu diesem sog. Dispersionsverhalten junger Wölfe: www.wolfsmonitoring.com/dispersion und www.deutschewildtierstiftung.de/wildtiere/wolf#:~:text=Frei%20lebende%20Rudel%20bestehen%20aus,bestimmt%2C%20die%20in%20ihm%20vorkommen.) Dieses Wanderverhalten wird vorliegend auch dadurch belegt, dass der Wolf GW2306m gemäß dererwähnten Auskunft des Wolfsbüros bereits sieben Tage nach dem Nutztierschaden vom 12. September 2023 einen weiteren Weidetierriss im Landkreis Harburg begangen hat.

Von den weiteren fünf Rissereignissen wird in der Anlage 3 die Schadenssumme nur für die Risse am 16. Juli 2023 und 22. August 2023 mit 452 € bzw. 828 € beziffert, wobei es sich um eher geringe Schadensbeträge handelt. Für die weiteren drei Rissereignisse sind keine Schadensbeträge angegeben, nicht einmal vorläufige Schätzungen. Betroffen waren bei diesen Rissereignissen ein Heckrind, das älter als zwölf Monate war, zwei Kälber aus der Rasse der Hochlandrinder sowie ein Kalb aus der Rasse der Schwarzbunten. Aufgrund fehlender eigener Sachkunde und wegen der dem Antragsgegner obliegenden Begründungs- und Nachweispflicht muss der Senat hinsichtlich dieser Rissereignisse von einer Schadensschätzung absehen. Die Anzahl der von den einzelnen Rinderrissen betroffenen ein bis zwei Tiere bewegt sich am unteren Rand. Allerdings handelt es sich bei Rindern um große Weidetiere, was ein Indiz ist, das für einen ernsten Schaden spricht. Hinzu kommt außerdem das weitere Rissereignis vom 22. August 2023, bei dem vier Schafe getötet und sieben weitere verletzt worden sind. In Addition sämtlicher Rissvorfälle und der davon betroffenen Tiere sieht es der Senat daher jedenfalls als möglich an, dass bei einer Gesamtbetrachtung bei einer drohenden Fortsetzung des bisherigen Rissgeschehens die Schwelle zu einem ernsten Schaden erreicht ist. Davon geht gemäß der Begründung des Bescheides der Antragsgegner jedoch ausdrücklich selbst nicht aus (wobei er allerdings in erster Linie auf den monetären Verlust und dessen nach seiner Einschätzung nicht signifikanten Einfluss auf das Betriebsergebnis der betroffenen landwirtschaftlichen Betriebe abstellt).

(2.) Der Antragsgegner stützt seine Schadensprognose gemäß der Begründung des Bescheids im Weiteren vielmehr maßgeblich darauf, dass bei erfolgreicher Fortsetzung der festgestellten Risstätigkeit eine Tradition des Erwerbs und der Erweiterung von Erfahrungen im Angreifen von durch den empfohlenen Herdenschutz ausreichend geschützten Nutztieren begründet werde, die innerhalb des Rudels und über die Generationen an dessen Nachverfahren weitergegeben werde. Im Hinblick auf diese Argumentation ergeben sich rechtliche Bedenken.

Zwar hat auch der Senat in der Vergangenheit bei der Prüfung einer rechtmäßigen Schadensprognose ergänzend darauf abgestellt, dass Wölfe Rudeltiere sind, für das soziale Lernen eine große Rolle spielt und es deshalb als möglich angesehen, dass die Elterntiere eines Rudels ihr erlerntes und gefestigtes Beuteverhalten an jüngere Tiere weitergeben (Senatsbeschl. v. 26.6.2020 - 4 ME 116/20 -, juris Rn. 29). Allerdings hat der Senat Zweifel daran, ob allein auf diesen Gesichtspunkt eine Schadensprognose gestützt werden kann, wenn die zuständige Naturschutzbehörde, wie es hier der Fall ist, allein durch die Fortsetzung des bisherigen Rissgeschehens in naher Zukunft noch nicht von einem ernsten wirtschaftlichen Schaden ausgeht. Dabei kann der Senat offenlassen, ob er der Ansicht folgt, wonach der Zeithorizont der Schadensprognose im Rahmen von § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG auf die nahe Zukunft beschränkt ist und sich daher nicht über mehrere Jahre in die Zukunft erstrecken darf (so OVG NRW, Beschl. v. 9.2.2024 -21 B 74/24 -, juris Rn. 22). Jedenfalls müsste eine derartig mittel- bis langfristig ausgerichtete Schadensprognose auf valide wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt sein, die es nahelegen, dass es durch die Weitergabe des problematischen Jagdverhaltens an weitere Wolfsgenerationen künftig zu einer signifikanten Ausweitung oder gar Potenzierung von Rissvorfällen bei Weidetieren im näheren und weiteren Umfeld selbst dann kommt, wenn bei den drohenden künftigen Schadensfällen die Weidetiere jeweils durch ausreichende bzw. zumutbare Herdenschutzmaßnahmen gesichert sind. Für diese Annahme sind die vom Antragsgegner in der Fußnote 23 des angegriffenen Bescheides angeführten wissenschaftlichen Belege nicht hinreichend aussagekräftig. Der von Diederek van Liere und anderen verfasste Beitrag "Conflicts with wolves can originate from parent packs" (veröffentlicht in Animals 2021, 11, 1801; abrufbar unter https://doi.org/10.3390/ani11061801) berichtet darüber, dass von 22 zwischen 2015 und 2019 in die Niederlande eingewanderten Wölfen 14 Einzeltiere genetisch identifiziert und mit ihren (deutschen) Herkunftsrudeln in Verbindung gebracht werden konnten. Von diesen 14 Wanderwölfen zeigten zehn im Hinblick auf die beiden untersuchten Parameter "Schafsrisse" und "auffällige Nähe zu Menschen" Verhaltensweisen, die denjenigen ihres jeweiligen Elternrudels entsprachen. Der Beitrag liefert damit zwar einen deutlichen Hinweis darauf, dass problematische Verhaltensweisen von Wölfen, die u. a. die Jagd auf Schafe betreffen, von Elterntieren an Nachkommen weitergegeben werden. Wie in dem Fachbeitrag selbst klargestellt wird, war die untersuchte Anzahl der Wölfe aber begrenzt (a.a.O., S. 13). Auch finden sich in der Studie keine Angaben dazu, ob und in welcher Form die von den in die Niederlande eingewanderten Einzelwölfen gerissenen Schafe durch Herdenschutzmaßnahmen gesichert waren. Es könnte sich daher bei den Schafen gegebenenfalls auch um unzureichend gesicherte "leichte Beute" für den Wolf gehandelt haben, was die Aussagekraft des Fachbeitrags aus Sicht des Senats erheblich schmälern würde. Außerdem enthält die Studie keine Aussagen dazu, wie sich die Zahl der Weidetierrisse im Untersuchungsraum mittelfristig und langfristig entwickelt hat. Erst recht ergeben sich aus dem Beitrag daher auch keine Hinweise darauf, dass die problematischen Angriffe auf Weidetiere selbst dann längerfristig erheblich zugenommen haben, wenn die Viehherden durch zumutbare Herdenschutzmaßnahmen gesichert waren. Angaben hierzu finden sich auch nicht in den beiden anderen vom Antragsgegner als Beleg angeführten und in seinen Verwaltungsvorgängen enthaltenen Fachbeiträgen (Mech/Boitani, Wolf social ecology, 2003; Packard, Wolf social intelligence, in: Maia/Crussi, Wolves: Biology, behavior and conservation, 2012, S. 1 ff.). Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass auch gemäß dem Praxisleitfaden Wolf für die Annahme, dass das von einem Wolf individuell gelernte, gezielte Überwinden von zumutbaren Herdenschutzmaßnahmen auch an andere Wolfsindividuen weitergegeben wird, bisher noch keine wissenschaftlichen Belege vorliegen (a.a.O., S. 16).

3. Im Hinblick darauf, dass es künftig möglicherweise zu weiteren Rechtsstreitigkeiten zwischen Naturschutzvereinigungen und der niedersächsischen Naturschutzverwaltung über die Rechtmäßigkeit von Ausnahmeregelungen zur Tötung von Wölfen kommen wird, gibt der Senat im Übrigen folgende Hinweise zur Rechtslage:

a. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der von der Antragstellerin angefochtene Bescheid bereits deshalb rechtswidrig sei, weil er nicht auf die als Rechtsgrundlage herangezogene Regelung des § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG gestützt werden könne. Diese Regelung erlaube im Grundsatz ausschließlich die Entnahme eines als Schadensverursacher identifizierten Wolfindividuums. Eine solche Individualisierung habe der Antragsgegner hier aber bewusst nicht vorgenommen. Dieser Rechtsansicht schließt sich der Senat nicht an.

aa. Allein die Liste der streng zu schützenden Tierarten gemäß Anhang IV Buchstabe a FFH-Richtlinie, auf die sich § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG unter anderem bezieht, umfasst eine längere Aufzählung von sehr unterschiedlichen Tierarten, die Wirbeltiere (Säugetiere, Reptilien, Amphibien, Fische) und wirbellose Tiere (Gliederfüßler, Weichtiere) umfasst. Die streng geschützten Tierarten weisen damit eine enorme Bandbreite auf, was u. a. ihre Körpergröße, ihre Ernährungs- und Lebensraumansprüche sowie ihr Sozialverhalten betrifft. Deshalb sieht der Senat es als fernliegend an, dass sich Art. 16 Abs. 1 Buchstabe b FHH-Richtlinie und dessen deutsche Umsetzung in § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG generell nur auf Ausnahmeregelungen in Bezug auf einzelne, als Schadensverursacher abschließend identifizierte Individuen der jeweiligen streng geschützten Art bezieht. Eine solche Auslegung würde von der Naturschutzverwaltung, die § 45 Abs. 7 BNatSchG anzuwenden hat, zum Teil Unmögliches verlangen. Der Senat geht daher davon aus, dass im Rahmen der Anwendung von § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG eine abschließende individuelle Identifizierung des Tieres, von dem ein ernster wirtschaftlicher Schaden droht, nur dann geboten ist, wenn dies für den Zweck der Ausnahmeregelung wirklich erforderlich ist (woran bei Schäden, die von in großen Herden, Völkern oder Schwärmen lebenden Wildtieren drohen, Zweifel bestehen können) und für die jeweilige Wildtierart in ihrem Lebensraum innerhalb der niedersächsischen (Kultur-)Landschaft mit zumutbaren Aufwand geleistet werden kann. Ist das nicht der Fall, so genügt es, wenn sich die Ausnahmegenehmigung auf ein oder mehrere Tiere bezieht, von denen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gefahr des ernsten wirtschaftlichen Schadens ausgeht (vgl. zu § 45 a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG: Senatsbeschl. v. 26.6.2020 - 4 ME 116/20 -, juris, Rn. 40).

Das gilt auch für die streng geschützte Tierart des Wolfs. Denn obwohl in Niedersachsen bei Nutztierrissen regelmäßig genetische Untersuchungen zur Identifizierung des schadensverursachenden Tieres stattfinden, ist eine genetische Bestimmung des angreifenden Tieres nicht durchgängig möglich. Das ist dem Senat bereits aus früheren Verfahren bekannt, und auch aus der gemäß Anlage 3 zum Bescheid gehörenden Riss-Tabelle ergibt sich, dass bei zwei von sechs Rissvorfällen eine genetische Bestimmung des schadensverursachenden Tiers trotz einer Untersuchung von am Rissort entnommenen Proben nicht gelungen ist. Im Übrigen weist auch der EuGH darauf hin, dass der Wolf ein Tier ist, dass im Allgemeinen im Rudel lebt und sich Abschussgenehmigungen daher nicht immer auf die Exemplare beziehen können, die ernste Schäden verursachen (EuGH, Urt. v. 14.6.2007 - C-342/05 -, Rn. 41).

bb. Soweit das Verwaltungsgericht das von ihm vertretene restriktive Verständnis von § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG auch darauf stützt, dass der Gesetzgeber mit § 45a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG eine abschließende Ausnahme von dem Grundsatz geregelt habe, dass ausschließlich die Entnahme des als Schadensverursacher identifizierten Wolfsindividuums rechtlich möglich sei, teilt der Senat auch diesbezüglich den Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts nicht. § 45 a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG regelt, dass § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG mit der Maßgabe gilt, dass, wenn Schäden bei Nutztierrissen keinen bestimmten Wolf eines Rudels zugeordnet worden sind, der Abschuss von Einzelmitgliedern des Wolfsrudels in engem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit bereits eingetretenen Rissereignissen auch ohne Zuordnung der Schäden zu einem bestimmten Einzeltier bis zum Ausbleiben von Schäden fortgeführt werden darf. Gemäß der Begründung des zugrundeliegenden Gesetzentwurfs wird damit klargestellt, dass zur Abwendung drohender ernster landwirtschaftlicher Schäden durch Nutztierrisse erforderlichenfalls auch mehrere Tiere eines Rudels oder auch ein ganzes Wolfsrudel entnommen werden können (BT-Drs. 19/10899, S. 10). Da es sich bei § 45a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG somit gemäß dem Willen des Gesetzgebers lediglich um eine gesetzliche Klarstellung hinsichtlich der Tötung von gegebenenfalls auch mehreren Wölfen eines Rudels handelt, spricht das gegen das Rechtsverständnis des Verwaltungsgerichts, wonach es sich um eine abschließende Sondervorschrift zu § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG für den Fall handelt, dass der schadensverursachende Wolf nicht abschließend identifiziert werden kann.

b. Genügt es somit im Rahmen von § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG, dass sich die Ausnahmezulassung mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Wolfsindividuum bezieht, von dem weitere Nutztierrisse drohen, so sieht der Senat diese Vorgabe hier als erfüllt an.

Der angegriffene Bescheid beschränkt die Ausnahmezulassung individuenbezogen auf die Tötung eines einzigen Wolfs, zeitlich auf die Spanne bis zum Ablauf des 12. April 2024, was einem Zeitraum von drei Wochen ab dem 23. März 2024, dem Datum des letzten in der Anlage 3 des Bescheides aufgeführten Rissvorfälle entspricht, und räumlich auf den Radius von einem Kilometer um den Ort des Rissereignisses vom 23. März 2024. Gemäß der Begründung des Bescheides beruht diese Regelung auf der Annahme, dass ein Wolf nach erfolgreicher Überwindung des Grundschutzes und Jagderfolg mit hoher Wahrscheinlichkeit versucht, weitere Tiere derselben Herde zu reißen. In einer Untersuchung aus Schweden sei festgestellt worden, dass es eine signifikante Häufung erneuter Übergriffe in einem nahen Umkreis zeitnah nach einem Übergriff gibt.

Der Antragsgegner bezieht sich dabei auf den auch in seinen Verwaltungsvorgängen enthaltenen Beitrag "Predictability of repeated carnivore attacks on livestock favours reactive use of mitigation measures" von Jens Karlssohn und Örjan Johansson (Quelle: Journal of applied ecology, 2010, 47, 166-171). In dieser Studie werden Untersuchungsergebnisse aus Schweden dargestellt, wonach die Wahrscheinlichkeit, dass große Beutegreifer (Wölfe, Luchse, Braunbären) erneut Weidetiere reißen, in der unmittelbaren Zeit nach einem derartigen Rissvorfall und in einem Radius von einem Kilometer um den Ort des zurückliegenden Angriffs auf Weidetiere deutlich erhöht ist. Sie sei in den ersten zwölf Monaten nach dem zurückliegenden Rissvorfall 55mal höher im Vergleich zu anderen Weidetierhaltungen in derselben Region (a.a.O., S. 168). Dabei sinke das Risiko eines erneuten Angriffs innerhalb von Wochen nach der ersten Attacke deutlich. 30% der erneuten Angriffe hätten sich in der ersten Woche nach der ersten Attacke ereignet und 60% innerhalb von fünf Wochen (a.a.O.). In einem Diagramm (Fig. 1, S. 168) wird das Risiko wiederholter Angriffe von Wölfen auf Weidetiere bezogen auf die einzelnen Wochen nach dem ersten Rissvorfall dargestellt. Danach ist das Risiko eines erneuten Angriffs durch Wölfe in den ersten drei Wochen nach dem ersten Rissvorfall am Höchsten, wobei es von der ersten bis zur dritten Woche bereits in kleinen Schritten sinkt. Gemäß einem weiteren Diagramm (Fig. 4, S. 169) ist in absoluten Zahlen gerechnet die Anzahl erneuter Angriffe von Wölfen auf Weidetiere in der ersten Woche nach einem Rissereignis mit Abstand am höchsten.

Auf der Grundlage dieser Untersuchungsergebnisse ergeben sich für den Senat keine begründeten Einwände gegen die Annahme des Antragsgegners, dass ein innerhalb von drei Wochen nach dem Rissereignis vom 23. März 2024 in einem Radius von einem Kilometer um den Ort des Rissvorfalls herum angetroffener Wolf mit hoher Wahrscheinlichkeit dasjenige Tier ist, dass für Angriff verantwortlich bzw. daran beteiligt war und sich dort aufhält, um erneut Weidetiere zu reißen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nach allgemein zugänglichen Informationen die Territorien von Wolfsrudeln etwa 150 bis 200 km2 groß sind (siehe: www.deutschewildtierstiftung.de/wildtiere/wolf#:~:text=Frei%20lebende%20Rudel%20bestehen%20aus,bestimmt%2C%20die%20in%20ihm%20vorkommen.), während bei dem gewählten Radius von einem Kilometer die Fläche, auf die sich die Ausnahmeregelung beschränkt, nur 3,14 km2 beträgt. Somit umfasst die von der Ausnahmezulassung erfasste Fläche nur etwa 1,5 bis 2% des Territoriums des ansässigen Wolfsrudels. Auch diese Flächenverhältnisse sprechen für eine nur geringe Wahrscheinlichkeit, dass innerhalb des zeitlichen und räumlichen Geltungsbereichs des Bescheides dort möglicherweise ein zufällig durchziehender Wolf angetroffen und abgeschossen wird, der an dem Rissvorfall vom 23. März 2024 nicht beteiligt war.

c. Ein weiterer Grund für die Rechtswidrigkeit des Bescheides ergibt sich ferner nicht daraus, dass kein von einem Nutztierriss betroffenen Weidetierhalter einen Antrag auf Erlass dieses Verwaltungsakts gestellt hat. Die Ansicht, dass eine naturschutzrechtliche Ausnahme gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG nur auf Antrag erteilt werden darf (so OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 27.7.2018 - 2 M 61/18 -, juris Rn. 7), teilt der Senat nicht. Weder der Wortlaut von § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG noch der von § 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie regeln ein derartiges Antragserfordernis. Die in den einzelnen Ziffern von § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG genannten Ausnahmegründe legen es auch nicht nahe, dass der Erlass einer Ausnahmezulassung in erster Linie den individuellen Interessen von Einzelnen dient, was für die Annahme eines mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakts sprechen könnte. Die in Nr. 2 bis Nr. 5 genannten Ausnahmegründe liegen gänzlich oder überwiegend im öffentlichen Interesse, wie es für § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 5 BNatSchG auch bereits der Wortlaut ausdrücklich wiedergibt. Und § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG gilt zwar dem Schutz von privaten Eigentumsinteressen. Im Hinblick darauf, dass es hierbei um die Abwehr von Schäden geht, die von in der Natur freilebenden Wildtieren ausgehen, ist es aber naheliegend, dass davon häufig nicht nur ein einziger, sondern mehrere Eigentümer betroffen sind. So bedrohen auch die von Wölfen verursachten Nutztierrisse nicht nur eine einzige, sondern sämtliche lokalen Weidetierhaltungen. Auch dies spricht dagegen, dass die Ausnahmeregelung nur den Interessen eines einzeln individualisierbaren Betroffenen dient und deshalb zwingend nur auf dessen Antrag ergehen kann. Gegen die Annahme eines mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakts, der den Interessen eines Einzelnen dient, spricht im Übrigen, dass eine Ausnahmezulassung nach § 63 Abs. 2 Nr. 4b BNatSchG auch als Allgemeinverfügung ergehen kann, wie es hier auch geschehen ist (siehe oben 1.a.), und sich in diesem Fall an einen nur nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet. Darüber hinaus kann die Ausnahmezulassung sogar in der Form einer Rechtsverordnung geregelt werden (§ 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG) und richtet sich in diesem Fall an eine unbestimmte Vielzahl von Adressaten.

d. Da es sich bei der angegriffenen Ausnahmeregelung nicht um einen antragsabhängigen Verwaltungsakt handelt, führt es im Übrigen auch nicht zu einem Rechtsfehler, dass der Antragsgegner diesen Bescheid nicht an einen von Nutztierrissen betroffenen Weidetierhalter, sondern an den Beigeladenen als einen Akteur mit jagdrechtlichen Aufgaben adressiert hat.

e. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass der Senat nach der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht festzustellen vermag, dass mit der erteilten Ausnahmegenehmigung die bundesjagdrechtlichen Vorgaben des § 22 Abs. 4 Satz 1 BJagdG zum Elterntierschutz hinreichend beachtet worden sind.

Aus den Verwaltungsvorgängen des Antragsgegners ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass innerhalb der niedersächsischen Verwaltung Unsicherheit und Meinungsverschiedenheiten darüber bestanden haben, inwieweit bei der Ausnahmeregelung für die Tötung eines Wolfs jagdrechtliche Vorgaben über den Schutz von Elterntieren umzusetzen gewesen sind. Im Ergebnis hat der Antragsgegner sich entschieden, in Ziffer 6 Satz 2 des Bescheides zu regeln, dass die Entnahme einer laktierenden Fähe auszuschließen ist. Der Senat weist hierzu auf folgendes hin:

Nach § 22 Abs. 4 Satz 1 BJagdG dürfen in den Setz- und Brutzeiten bis zum Selbstständigwerden der Jungtiere die für die Aufzucht notwendigen Elterntiere, auch die von Wild ohne Schonzeit, nicht bejagt werden. Die Regelung gilt auch für den Wolf, der gemäß § 5 Satz 1 Nr. 6 NJagdG in der seit dem 21. Mai 2022 geltenden Fassung zu den Tierarten zählt, die dem Jagdrecht unterliegen. Das Bejagungsverbot nach § 22 Abs. 4 Satz 1 BJagdG soll verhindern, dass Jungtiere dadurch leiden oder gar sterben, dass in den Setz- und Brutzeiten die zu ihrer Aufzucht notwendigen Elternteile bejagt werden (OLG Hamm, Beschl. v. 9.6.2015 - 5 RVs 64/15 -, juris Rn. 13; Welp in: Schuck, BJagdG, 3. Aufl. 2019, § 22 Rn. 13). Die Setzzeit ist dabei wildtierartenspezifisch nach wildbiologischen Erkenntnissen und jahreszeitlichen Besonderheiten zu bestimmen (Lorz/Metzger, Jagdrecht, Fischereirecht, 5. Aufl. 2023, § 22 BJagdG Rn. 7 m.w.N.). Beginn und Ende der Schonzeit für Elterntiere richten sich somit nicht schematisch nach der in § 33 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b NWaldLG getroffenen Regelung über die vom 1. April bis zum 15. Juli dauernde allgemeine Brut-, Setz- und Aufzuchtzeit, während der Hunde in der freien Landschaft an der Leine zu führen sind. Entsprechend hatte der Antragsgegner dem Schutz von Elterntieren nicht bereits deshalb Rechnung zu tragen, weil die zeitliche Geltung der Ausnahmeregelung zur Tötung eines Wolfs hier bis zum 12. April 2024 auflösend befristet ist und damit über den 1. April 2024 hinausreicht. Da der Begriff der Setzzeit an das Setzen, also Gebären von Jungtieren anknüpft, dürfte der gesetzliche Schutz von Elterntieren nach § 22 Abs. 4 Satz 1 BJagdG nicht vor dem Zeitpunkt beginnen, ab dem im Allgemeinen mit dem Wurf von Wolfswelpen zu rechnen ist. Weder im Bescheid noch in den Verwaltungsvorgängen findet sich hierzu jedoch eine konkrete Bestimmung des Zeitpunkts unter Benennung wildbiologischer Erkenntnisse. Gemäß den auf der Homepage des niedersächsischen Wolfsmonitorings veröffentlichten wildbiologischen Angaben werden Wolfswelpen zwischen Mitte April und Mitte Mai geboren (abrufbar unter www.wolfsmonitoring.com/biologie- und- lebensweise/reproduktion unter Hinweis auf Erkenntnisse aus Polen, die in dem Beitrag Schmidt et al., Reproductive behaviour of wild-living wolves in Bialowieza Primeval Forest (2007) veröffentlicht worden sind). Das spricht dafür, dass bei der Erteilung einer Ausnahmeregelung zur Tötung eines Wolfs dem jagdrechtlichen Elterntierschutz erst etwa ab dem 15. April eines Jahres Rechnung getragen werden muss.

Gemäß § 22 Abs. 4 Satz 1 BJagdG dürfen zudem "die für die Aufzucht notwendigen Elterntiere" nicht bejagt werden. Das schließt gegebenenfalls auch den Schutz des männlichen Elterntieres ein, soweit dieser für die Versorgung der Welpen eine notwendige Rolle spielt (vgl. Welp in: Schuck, BJagdG, 3. Aufl. 2019, § 22 Rn. 15). Soweit der Antragsgegner, der in dem angegriffenen Bescheid nur eine Regelung zur Schonung einer laktierenden Fähe getroffen hat, offenbar davon ausgeht, dass das Überleben des männlichen Elterntiers für die Aufzucht der Wolfswelpen nicht erforderlich ist, fehlt es für diese Annahme bisher in der Begründung des Bescheides und auch in den Verwaltungsvorgängen an einer nachvollziehbaren wildbiologischen Begründung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen auf § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht aus Gründen der Billigkeit für erstattungsfähig zu erklären, weil er im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt und sich damit nicht einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 Halbs. 1 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und Nr. 1.2 und 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11). Eine Halbierung des Streitwerts ist nicht angezeigt, weil die Entscheidung des Senats im einstweiligen Rechtsschutz die Hauptsache vorwegnimmt (vgl. Senatsbeschl. v. 26.6.2020 - 4 ME 116/20 -, juris Rn. 43).

Der Senat hat die schriftlichen Gründe des Beschlusses, der den Beteiligten aufgrund der gegebenen Eilbedürftigkeit zunächst als Tenorbeschluss bekannt gegeben worden ist, nachträglich abgefasst (zur Zulässigkeit einer solchen Vorgehensweise vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 23.3.2023 - 6 B 308/23 -, juris Rn 48 f. m.w.N.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).