Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.05.2024, Az.: 14 PA 42/24

Anwendbarkeit der Zugangsvermutung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X auch bei der Versendung eines Bescheides als E-Postbrief mit klassischer Zustellung; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen vorübergehender Ortsabwesenheit und wegen Rechtsirrtums über den Fristbeginn

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.05.2024
Aktenzeichen
14 PA 42/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 14868
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0508.14PA42.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Osnabrück - 04.01.2024 - AZ: 4 A 34/23

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Zugangsvermutung des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist auch bei der Versendung eines Bescheides als E-Postbrief mit klassischer Zustellung anwendbar.

  2. 2.

    Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen vorübergehender Ortsabwesenheit und wegen Rechtsirrtums über den Fristbeginn

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 4. Januar 2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die zulässige Beschwerde der Klägerin gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des erstinstanzlichen Klageverfahrens, in dem sie sich gegen die Einstellung von Unterhaltsvorschussleistungen mit Bescheid des Beklagten vom 14. Oktober 2022 wendet, ist nicht begründet.

Gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Dabei dürfen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht nicht überspannt werden, um den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen, nicht deutlich zu verfehlen (BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 -, juris Rn. 29 m.w.N.). Hinreichende Aussicht auf Erfolg bedeutet bei einer an Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Auslegung des Begriffs einerseits, dass Prozesskostenhilfe nicht erst dann bewilligt werden darf, wenn der Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung gewiss ist, andererseits aber auch, dass Prozesskostenhilfe zu versagen ist, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 - 2 BvR 94/88 -, juris Rn. 26).

Nach diesem Maßstab bestehen keine hinreichenden Erfolgsaussichten i.S.v. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO, weil die Klage voraussichtlich unzulässig ist.

1. Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss vom 4. Januar 2024 zunächst zutreffend festgestellt, dass es an der ordnungsgemäßen Durchführung des Vorverfahrens fehle. Der Widerspruch sei nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO binnen eines Monats nach Bekanntgabe einzulegen. Der Verwaltungsakt sei bekanntgegeben, wenn er mit Wissen und Wollen der Behörde, die den Verwaltungsakt erlasse, dem Betroffenen eröffnet werde. Dazu sei es entsprechend der Regelung des § 130 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ausreichend aber auch erforderlich, dass er so in den Machtbereich des Betroffenen gelange, dass dieser bei gewöhnlichem Verlauf und unter normalen Umständen die Möglichkeit der Kenntnisnahme habe. Auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntnisnahme komme es nicht an. Die Klägerin habe mit ihrem Schreiben vom 21. November 2022 nicht rechtzeitig bis zum 17. November 2022 Widerspruch eingelegt. Der Bescheid gelte gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X als am 17. Oktober 2022, drei Tage nach Aufgabe zur Post, als bekanntgegeben. Der Beklagte habe im Klageverfahren eine Dokumentation vorgelegt, aus der zu entnehmen sei, dass der Bescheid als Brief am 14. Oktober 2022 um 11:47 Uhr zur Post gegeben worden sei. Diese Zugangsvermutung sei von der Klägerin nicht erschüttert worden. Dass der Bescheid vom 14. Oktober 2022 nach der Absendung durch den Beklagten "in den Machtbereich" der Klägerin gekommen sei, werde von ihr nicht in Abrede gestellt. Es bestünden auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Zugang des Bescheides in den "Machtbereich" der Klägerin zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt sei. Auf ihre tatsächliche spätere Kenntnisnahme aufgrund der urlaubsbedingten Abwesenheit während der Herbstferien komme es nicht an.

Die hiergegen mit der Beschwerde vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.

a) Soweit die Klägerin zunächst geltend macht, aus der von dem Beklagten vorgelegten Dokumentation folge nicht, dass der Bescheid bereits am 14. Oktober 2022 zur Post gegeben worden sei, sondern nur, wann der Bescheid erstellt worden sei, vermag dies die Zugangsvermutung nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht zu erschüttern. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Diese Zugangsfiktion greift aber nur ein, wenn der Tag der Aufgabe zur Post in den Behördenakten vermerkt wurde (BSG, Urt. v. 28.11.2006 - B 2 U 33/05 R -, juris Rn. 15). Ein Schriftstück ist zur Post gegeben, wenn es beim Postamt abgegeben worden ist; beim Einwurf in den Briefkasten ist dessen Leerung maßgeblich (Engelmann in: Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 37 Rn. 29).

Diesen Zeitpunkt hat der Beklagte durch den im Klageverfahren vorgelegten und in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Screenshot ausreichend nachgewiesen. Er hat im Beschwerdeverfahren hierzu vertiefend ausgeführt, dass er den Bescheid mittels E-Post-System versendet hat. Bei der sog. hybriden Variante des E-Postbriefes wird ein Bescheid über das E-Post Mailboxsystem elektronisch an die Post übermittelt, dort ausgedruckt, kuvertiert, frankiert und schließlich wie ein gewöhnlicher Brief befördert (Schröder in: Schoch/Schneider, 4. EL November 2023, VwVfG § 37 Rn. 56). Aus dem als "Dokumentation" bezeichneten Screenshot ist ersichtlich, dass der Bescheid am 14. Oktober 2022 um 11:47:08 Uhr elektronisch an die Post übermittelt wurde. Entgegen der Behauptung der Klägerin handelt es sich damit nicht um einen Screenshot, der belegt, wann der Bescheid von dem Beklagten erstellt wurde. Der Senat hat nach derzeitiger Würdigung des Sach- und Streitstandes keine Zweifel daran, dass der die Schriftform noch wahrende Bescheid in dem Moment der elektronischen Übermittlung im Sinne des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X (ggf. in analoger Anwendung) "zur Post aufgebeben" worden ist (vgl. Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, 10. Aufl. 2023, VwVfG § 41 Rn. 113-113a, 118c; zur Wahrung der Schriftform: Schröder in: Schoch/Schneider, 4. EL November 2023, VwVfG § 37 Rn. 56). Es bestehen ebenfalls keine grundlegenden Zweifel daran, dass solch ein Bescheid auch binnen drei Tagen (vgl. § 2 Nr. 3 Satz 1 Post-Universaldienstleistungsverordnung) durch die Post zugestellt wird (zum Angebot in 2022: https://........; siehe auch die Nr. 3.2 4. Absatz der aktuellen Leistungsbeschreibung "E-POST MAILER" unter https://www.deutschepost.de/....).

b) Entgegen der weiteren Behauptung der Klägerin ist aus dem in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Aufhebungsvermerk des Beklagten vom 17. Oktober 2022 nicht zu schließen, dass der Bescheid frühestens am 17. Oktober 2022 versandt worden ist. Der Beklagte hat hierzu schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt, dass es sich lediglich um einen internen Verwaltungsvermerk für die Aufhebung der Leistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz handele. Es stelle einen Ablaufplan der internen Schritte (Buchungen in Fach- und Kassenprogrammen, Archivierung etc.) dar, die bei einer Aufhebung durchzuführen seien. Der Vermerk sei am 17. Oktober 2022 von dem Sachbearbeiter unterzeichnet worden. Dieses sei immer der letzte interne Arbeitsschritt bei einer Aufhebung und diene der internen Kontrolle. Einen Nachweis darüber, dass der Bescheid frühestens am 17. Oktober 2022 zur Post gegeben worden sei, stellt der Aufhebungsvermerk somit nicht dar.

c) Soweit die Klägerin noch ausführt, der Beklagte habe nicht in Abrede gestellt, dass ihr der Bescheid vor ihrer Abreise nicht vorgelegen habe und sie nach ihrer Rückkehr von einer (frühesten!) Zustellung am 17. November 2022 habe ausgehen dürfen, bleibt unklar, was genau sie damit ausdrücken will. Weshalb die Klägerin von einer (frühesten) Zustellung am 17. November 2022 ausgeht, ist vor dem Hintergrund, dass sie den Bescheid nach ihrer Rückkehr am 29. Oktober 2022 erstmals zur Kenntnis genommen hat, nicht nachzuvollziehen. Selbst wenn hier ein Schreibfehler (November statt Oktober) unterstellt wird, könnte die Klägerin daraus für sich nichts herleiten. Des Weiteren hat sie einen Zugang des Bescheides nach dem 17. Oktober 2022 bisher nicht nachvollziehbar geltend gemacht. Soweit sie darauf abstellt, dass sie selbst den Bescheid erst nach Rückkehr aus dem Urlaub zur Kenntnis genommen hat, liegt hierin keine Bekanntgabe. Denn auf die tatsächliche Kenntnisnahme der Klägerin kommt es, wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, nicht an.

2. Der Klägerin dürfte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Widerspruchsfrist nicht zu gewähren sein.

a) In Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass eine gerichtliche Entscheidung über die Wiedereinsetzung zulässig ist. Das Gericht hat von Amts wegen die Zulässigkeitsvoraussetzungen zu prüfen, damit auch die Rechtzeitigkeit des Widerspruchs bzw. bei Fristversäumung die Wiedereinsetzung. Liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung vor, gewährt das Gericht nach dem Grundsatz der Konnexität die Wiedereinsetzung (Senatsbeschl. v. 25.4.2024 - 14 LA 53/23 -, juris Rn. 21 m.w.N.). Hierfür kommt es nicht darauf an, ob die Behörde im Widerspruchsbescheid über einen bereits gestellten Wiedereinsetzungsantrag befunden hat oder den nach Erlass des Widerspruchsbescheides gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung - wie hier mit Schreiben vom 16. Januar 2023 - formlos abgelehnt hat (Bl. 165 des Verwaltungsvorgangs). Denn selbst ohne die Entscheidung der Behörde wäre das Gericht zu einer Entscheidung über die Wiedereinsetzung befugt (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.3.1983 - 1 C 34.80 -, juris Rn. 17; Funke-Kaiser in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Auflage 2021, 2. Wiedereinsetzung, Rn. 31; a.A.: NdsOVG, Entscheidung v.10.7.1962 - III B 18.62 -, juris; OVG RP, Urt. v. 5.6.1974 - 2 A 18/74 -, juris; VGH BW, Urteil vom 26. Oktober 1981 - 5 S 1387/80 -, juris; Porsch in: Schoch/Schneider, 44. EL März 2023, VwGO § 70 Rn. 33a; zum Streitstand im Allgemeinen: Geis in: NK-VwGO, 5. Aufl. 2018, § 70 Rn. 56 ff).

b) Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung dürften nicht vorliegen.

Gemäß § 70 Abs. 2 i.V.m. § 60 Abs. 1 VwGO ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, die einmonatige Widerspruchsfrist nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist nach § 60 Abs. 2 Satz 1 erster Halbs. VwGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Ein Verschulden, das eine Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO ausschließt, liegt vor, wenn ein Beteiligter diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten war (BVerwG, Beschl. v. 25.9.2023 - BVerwG 1 C 10. 23 -, juris Rn. 12).

aa) Dies zugrunde gelegt ist von der Klägerin allerdings aufgrund ihrer urlaubsbedingten Abwesenheit während der Herbstferien, nämlich vom 17. Oktober 2022 bis zum 29. Oktober 2022 entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht zu erwarten gewesen, dass sie dafür Sorge trägt, dass ihr Posteingang kontrolliert wird. Das Bundesverfassungsgericht hat in der auch vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung hervorgehoben, dass es dem Bürger nicht als ein die Wiedereinsetzung ausschließender Umstand zugerechnet werden dürfe, wenn er wegen einer nur vorübergehenden Abwesenheit von seiner ständigen Wohnung keine besonderen Vorkehrungen wegen der möglichen Zustellung eines Bußgeldbescheids oder Strafbefehls getroffen habe. Es komme nicht darauf an, ob die urlaubsbedingte Abwesenheit in die "allgemeine Ferienzeit" oder eine sonstige Jahreszeit falle. Entscheidend sei allein, dass die Abwesenheit eine nur vorübergehende und relativ kurzfristige - längstens etwa sechs Wochen - von einer sonst ständig benutzten Wohnung sei. Das gelte auch dann, wenn er wisse, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren anhängig sei, oder er als Beschuldigter oder Betroffener vernommen worden sei (Beschl. v. 18.10.2012 - 2 BvR 2776/10 -, juris Rn. 17; siehe auch Hoppe in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 60 Rn. 30 m.w.N.).

Hiernach hätte die Klägerin keine besonderen Vorkehrungen etwa in Form einer Posteingangskontrolle durch andere Personen organisieren oder gar einen Vertreter bestellen müssen. Die Klägerin war zum einen nur vorübergehend, und zwar nicht einmal zwei Wochen, ortsabwesend. Zum anderen liegen auch nach Aktenlage keine besonderen Umstände vor, die solche Vorkehrungen angezeigt erscheinen ließen. So musste die Klägerin Mitte Oktober 2022 nicht konkret mit der Zusendung eines die Unterhaltsvorschussleistungen einstellenden Bescheides durch den Beklagten rechnen. Zwar fand am 9. September 2022 im Nachgang zur schriftlichen Anhörung mit Schreiben vom 2. September 2022 ein Anhörungstermin bei dem Beklagten mit der Klägerin statt. Dem Protokoll dieses Anhörungstermins ist jedoch zu entnehmen, dass noch keine Entscheidung gefallen sei, ob der Anspruch weiterhin bestehe oder nicht, sowie dass dies im Laufe der nächsten Zeit vom zuständigen Sachbearbeiter geprüft werde und die Klägerin dann per Schreiben informiert werden würde. Ein konkreter Zeitraum für eine Entscheidung ist dem Protokoll nicht zu entnehmen. Dass die Klägerin insofern strenger zu behandeln sein soll als ein bereits vernommener Beschuldigter in einem Strafverfahren ist nicht zu rechtfertigen.

bb) Das Verwaltungsgericht hat jedoch zu Recht darauf abgestellt, dass die Klägerin auch ungeachtet dessen nicht die Sorgfalt hat walten lassen, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und zumutbar ist. Denn die Klägerin hat von dem Inhalt des Bescheides nach ihrem eigenen Vorbringen noch während der laufenden Widerspruchsfrist Kenntnis genommen; die verspätete Einlegung des Widerspruchs beruhte allein auf einem vermeidbaren Irrtum bei der Fristberechnung. Soweit die Klägerin nämlich darauf verweist, sie sei davon ausgegangen, dass die Widerspruchsfrist erst ab dem Tag zu laufen beginne, an dem sie den Bescheid nach ihrer Urlaubsrückkehr zur Kenntnis genommen habe - mithin am 29. Oktober 2022 -, entschuldigt ein solcher Rechtsirrtum nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Versäumen der Widerspruchsfrist regelmäßig nicht (BVerwG, Beschl. v. 15.8.2017 - 4 B 38.17 -, juris Rn. 6). Ein juristisch nicht vorgebildeter Bürger muss sich bei ihm nicht geläufigen Rechtsfragen grundsätzlich in geeigneter Weise juristischen Rat holen (BVerwG, Beschl. v. 14.9.1998 - 8 B 154.98 -, juris Rn. 5; Hoppe in: Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO § 60 Rn. 23). Dies hat die Klägerin zu spät getan. Zwar hat sie sich juristischen Rat gesucht und einen Prozessbevollmächtigten bereits vor Einlegung des Widerspruchs am 21. November 2022 bestellt. Dies geschah laut Vollmacht jedoch erst am 18. November 2022, mithin drei Wochen, nachdem sie von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat. Der Klägerin hätten zumindest Zweifel kommen müssen, dass die Bekanntgabe, auf die in der Rechtsmittelbelehrung des Bescheides verwiesen wurde, nicht von einem in ihrem "Belieben" stehenden Tag abhängig sein kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.9.1998 - 8 B 154.98 -, juris Rn. 5).

cc) Die weiteren Ausführungen der Klägerin unter Ziffer 3) ihrer Beschwerdebegründung sind bei der Entscheidung über den von ihr gestellten Wiedereinsetzungsantrag nicht von Belang. Die Klägerin hat diesen Antrag mit Schreiben vom 22. Dezember 2022 damit begründet, dass ihr der Bescheid erst nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub am 29. Oktober 2022 bekannt gegeben worden sei. Als ursächlich für die Fristversäumnis ist daher auch nach ihrem eigenen Vortrag die falsche Berechnung der Monatsfrist für den Widerspruch, insbesondere des Fristbeginns. Um die Frage, unter welchen Umständen dem Adressaten eines Bescheides nach verspäteter Kenntnisnahme von dem Bescheid noch eine 14-tägige Überlegungs- und Beratungsfrist zusteht, womit sich wiederum die von ihr zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts - allerdings in Bezug auf die Frist des § 60 Abs. 2 VwGO - befassen, kommt es hier nicht an.

Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).