Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.04.2024, Az.: 14 LC 358/22

Einstellung und Rückforderung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz im Falle der Alleinerziehung und dem Aufenthalt eines Elternteils im Ausland

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.04.2024
Aktenzeichen
14 LC 358/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 13306
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0410.14LC358.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 02.11.2022 - AZ: 3 A 675/19

Fundstellen

  • FuR 2024, 434-435
  • NZFam 2024, 622

Amtlicher Leitsatz

Der Fortbestand einer häuslichen Gemeinschaft mit einem der Elternteile gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG richtet sich bei einer vorübergehenden Trennung nicht nach einer schematischen Betrachtung, ob der Aufenthalt kürzer oder länger als sechs Monate sei, sondern nach einer Einzelfallbetrachtung. In deren Rahmen ist zu beurteilen, ob der ansonsten bestehende Betreuungszusammenhang durch die vorübergehende Abwesenheit aufgehoben wird. Dabei ist auf die konkreten Umstände des Einzelfalles im Wege einer Gesamtbetrachtung abzustellen (Anschluss an OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 14.6.2019 - OVG 6 B 8.18 -, juris).

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 3. Kammer - vom 2. November 2022 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

[Tatbestand]

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Einstellung und Rückforderung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) für den Zeitraum ab dem 1. September 2018.

Für den am ... 2002 geborenen Kläger wurden mit an seine Mutter gerichtetem Bescheid vom 10. Januar 2018 Unterhaltsvorschussleistungen in Höhe von monatlich 273,00 Euro rückwirkend ab dem 1. November 2017 bewilligt. Mit Bescheid vom 10. Dezember 2018 - ebenfalls adressiert an die Mutter des Klägers - wurde der Bescheid vom 10. Januar 2018 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2019 (im Bescheid ist hier versehentlich der 1. Januar 2018 benannt) aufgehoben, die Leistungsgewährung rückwirkend zum 31. August 2018 eingestellt und die Mutter des Klägers zur Erstattung der geleisteten Zahlungen in Höhe von 819,00 Euro für den Zeitraum vom 1. September 2018 bis 31. Dezember 2018 aufgefordert. Zur Begründung führte die Beklagte aus, sie habe erfahren, dass der Kläger seit dem 1. September 2018 nicht mehr in einer häuslichen Gemeinschaft mit seiner Mutter lebe, da er ein Auslandsschuljahr in Amerika absolviere. Der Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen entfalle von diesem Zeitpunkt an. Da die Änderung nicht rechtzeitig mitgeteilt worden sei, sei für die Zeit vom 1. September 2018 bis zum 31. Dezember 2018 eine Überzahlung der Unterhaltsvorschussleistungen in Höhe von 819,00 Euro entstanden. Nach § 5 UVG sei die Mutter des Klägers verpflichtet, diese Überzahlung zu erstatten.

Den von der Mutter des Klägers gegen den Bescheid vom 10. Dezember 2018 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2019 zurück. Voraussetzung für die Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen sei unter anderem nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG die häusliche Gemeinschaft zwischen dem alleinerziehenden Elternteil und dem Kind. In den aktuellen Richtlinien zur Durchführung des UVG sei in Unterpunkt 1.3.1. eindeutig geregelt, dass bei einer ausbildungsbedingten Abwesenheit des Kindes von mehr als einem halben Jahr keine häusliche Gemeinschaft mehr bestehe. Das Auslandsschuljahr des Klägers dauere zehn Monate, der Einstellungs- und Rückforderungsbescheid sei daher rechtmäßig ergangen.

Der Kläger hat am 5. März 2019 - bis zu seiner Volljährigkeit am ... 2020 noch gesetzlich vertreten durch seine Mutter - Klage erhoben. Er hat vorgetragen, durch das Auslandsschuljahr sei die häusliche Gemeinschaft mit seiner Mutter nicht aufgehoben worden. Eine dauerhafte Trennung sei nicht geplant gewesen, es habe auch keine Entlastung seiner Mutter stattgefunden. Seine Mutter habe die Kosten für das Auslandsschuljahr getragen. Nach wie vor hätten zudem die Versorgung, Fürsorge und Unterhaltsgewährung bei ihr gelegen. Auch hätte seine Mutter täglich mit ihm in Kontakt und Austausch gestanden. Mit zunehmendem Alter rücke die unmittelbare Betreuung in den Hintergrund und die Unterstützung beschränke sich auf Hilfestellung bei der konkreten Lebensplanung und Entscheidungsfindung.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2019 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Kläger sei nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit klagebefugt. Die für den Zeitraum 1. September bis 31. Dezember 2018 gewährten Leistungen seien gemäß § 5 Abs. 1 UVG von der Mutter des Klägers und nicht vom Kläger zurückgefordert worden.

Zudem hätten die Voraussetzungen für die Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen für den Zeitraum des Auslandsschuljahres nicht vorgelegen. In den aktuellen Richtlinien zur Durchführung des UVG in der ab 1. Januar 2019 geltenden Fassung (UVG-Richtlinien) sei in Ziff. 1.3.1 geregelt, dass bei einer ausbildungsbedingten Abwesenheit des Kindes von mehr als sechs Monaten von Beginn der Abwesenheit an in der Regel keine häusliche Gemeinschaft mehr bestehe. Der Begriff der häuslichen Gemeinschaft stelle allein darauf ab, wo das Kind seinen Lebensmittelpunkt habe. Maßgeblich für die Bestimmung des Lebensmittelpunktes sei u.a., wer im Wesentlichen für die Pflege, für die Verköstigung, für Kleidung und für die ordnende Gestaltung des Tagesablaufs sorge und wo das Kind im Wesentlichen seine emotionale Zuwendung erhalte. Insbesondere durch das beträchtliche Ausmaß der räumlichen Trennung könnten diese elementaren Lebensbedürfnisse des Klägers während des Auslandsaufenthalts nicht im Wesentlichen von der Kindesmutter sichergestellt werden. Es finde eine fast ausschließliche Betreuung durch die Gastfamilie im Ausland statt. Für eine Ausnahme vom Regelfall sei hier nichts ersichtlich, insbesondere sei der Kläger während seines Auslandsschuljahres nicht (regelmäßig) nach Hause gekommen.

Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat mit Urteil vom 2. November 2022 den Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Januar 2019 aufgehoben, soweit die laufenden Unterhaltsvorschussleistungen eingestellt und der Bewilligungsbescheid vom 10. Januar 2018 aufgehoben worden ist. Im Übrigen - hinsichtlich der Rückforderung - hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei teilweise unzulässig. Dem Kläger fehle die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO, soweit die Erstattung der bereits erbrachten Unterhaltsvorschussleistungen für die Monate September, November und Dezember 2018 in Höhe von insgesamt 819,00 Euro angeordnet worden sei (für den Monat Oktober habe die Beklagte bereits eine Erstattung von dritter Seite erhalten). Die Beklagte habe die Rückforderung auf § 5 Abs. 1 UVG gestützt. Diese Vorschrift ermächtige die zuständige Stelle im Zuge der "Rückabwicklung" der hoheitlichen Leistungsgewährung, den Elternteil, bei dem der Berechtigte lebe, durch Leistungsbescheid in Anspruch zu nehmen. Dies habe die Beklagte hier auch getan. Eine Klagebefugnis des Klägers in Bezug auf die Rückforderung sei somit nicht gegeben, da eine mögliche Verletzung in eigenen Rechten nicht ersichtlich sei.

Die Klage sei hingegen zulässig, soweit die Zahlung der Unterhaltsvorschussleistungen ab dem 1. September 2018 eingestellt und der Bescheid ab dem 1. Januar 2019 aufgehoben worden sei. Dem Kläger stehe insoweit die erforderliche Klagebefugnis zu. Die Einstellung der Leistungen beträfe den originären Anspruch des Klägers auf den Erhalt von Unterhaltsvorschussleistungen als Berechtigter im Sinne des § 1 Abs. 1 UVG.

Soweit die Klage zulässig sei, sei sie auch begründet. Der Bescheid vom 10. Dezember 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2019 sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Denn der Kläger habe für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum einen Anspruch auf den Erhalt von Unterhaltsvorschussleistungen.

Die Anforderungen des § 1 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 1a UVG seien hier unproblematisch gegeben. Der Kläger habe im streitgegenständlichen Zeitraum das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt. Er habe keine Leistungen nach dem SGB II bezogen und habe keinen Unterhalt von seinem Vater erhalten. Auch die hier streitige Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG, ob der Kläger während seines Auslandsschuljahrs in den USA bei einem seiner Elternteile lebte, sei für den Zeitraum des Auslandsaufenthalts des Klägers erfüllt gewesen. Ein Kind lebe im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhalte, in der es auch betreut werde. Dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend sei das Merkmal nur dann erfüllt, wenn der alleinstehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen habe. Soweit vorübergehende Unterbrechungen oder Abwesenheitszeiten in Rede stünden, komme es darauf an, ob der Betreuungszusammenhang zwischen dem alleinerziehenden Elternteil und dem Kind oder Jugendlichen unterbrochen sei. Danach sei in Fällen wie dem vorliegenden bei einem bis zu zwölf Monate dauernden, von vorherein auf Rückkehr in den gemeinsamen Haushalt ausgerichteten Auslandsaufenthalt eines Schülers für einen dortigen Schulbesuch das Merkmal "im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt" regelmäßig erfüllt.

Soweit die Beklagte sich unter Bezugnahme auf Ziffer 1.3.1. der UVG-Richtlinien darauf stütze, dass der Schulaufenthalt in den USA von Anfang an für eine Dauer von mehr als sechs Monaten geplant gewesen sei und daher seit Beginn des Auslandsaufenthaltes keine häusliche Gemeinschaft mehr bestanden habe, verkenne sie, dass sich die Frage des Fortbestandes einer häuslichen Gemeinschaft im Sinne des Lebens bei einem der Elternteile gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einer vorübergehenden Trennung nicht nach einer schematischen Betrachtung, ob der Aufenthalt kürzer oder länger als sechs Monate sei, richte, sondern nach einer Einzelfallbetrachtung. In Ziffer 1.3.1. der - das Gericht nicht bindenden - UVG-Richtlinien sei ausgeführt, dass eine zeitweise ausbildungsbedingte Abwesenheit des Kindes die häusliche Gemeinschaft mit dem Elternteil nicht unterbreche, soweit das Kind seinen Lebensmittelpunkt weiterhin bei dem Elternteil habe; dies gelte insbesondere, wenn es sich in den verbleibenden Zeiten bei dem Elternteil aufhalte und dieser weiterhin den überwiegenden Teil der altersentsprechenden Erziehungsverantwortung (z.B. Klärung wichtiger Ausbildungsfragen, Stellung von Anträgen, Gesundheitsfragen, zumindest teilweise Haushaltsführung auch für das Kind, gegebenenfalls Finanzierung der Ausbildung usw.) wahrnehme. Bei voraussichtlich mehr als sechs Monaten Abwesenheit bestehe in der Regel von Beginn der Abwesenheit an keine häusliche Gemeinschaft mehr. Soweit die UVG-Richtlinien darauf abstellten, dass bei mehr als sechs Monaten Abwesenheit "in der Regel" keine häusliche Gemeinschaft mehr vorliege, lassen sie Raum für die hier angezeigte Einzelfallbetrachtung.

Aus den Umständen des vorliegenden Falles ergebe sich, dass der Auslandsaufenthalt des Klägers die Zugehörigkeit zum Haushalt seiner Mutter und den dadurch begründeten Betreuungszusammenhang nicht unterbrochen habe. Für dessen Fortbestand spreche bereits, dass der Aufenthalt in den USA und der Besuch der ausländischen Schule von Anfang an auf eine Rückkehr nach zehn Monaten angelegt gewesen sei und daher nur vorübergehenden Charakter gehabt habe. Die Dauer von zehn Monaten erreiche auch noch keine Länge, die für sich genommen bereits geeignet wäre, den Betreuungszusammenhang zu einem Jugendlichen zu unterbrechen. Die Mutter des Klägers habe auch während des Auslandsaufenthaltes ihres Sohnes rechtlich, tatsächlich und in finanzieller Hinsicht weiterhin die Verantwortung für diesen getragen. Auch die Gesundheitsversorgung des Klägers sei durch die von seiner Mutter abgeschlossene und finanzierte Auslandskrankenversicherung abgesichert gewesen. Eine weitergehende Betreuung durch die Gastfamilie des Klägers sei nach seinen glaubhaften und angesichts seines Alters während seines USA-Aufenthalts auch nachvollziehbaren Angaben nicht erforderlich gewesen und nicht erfolgt; vielmehr habe er demnach nahezu täglich mit seiner Mutter in Kontakt gestanden. Die Mutter des Klägers habe zudem das von ihm in der gemeinsamen Wohnung bewohnte Zimmer für diesen vorgehalten und auch sämtliche den Kläger mitumfassende Familienversicherungen weitergetragen.

Dass die Mutter des Klägers für den streitgegenständlichen Zeitraum gewisse alltägliche Betreuungsleistungen (z.B. Wäsche waschen, Verköstigung) nicht habe übernehmen müssen und insoweit entlastet gewesen sei, stehe dem grundsätzlichen Fortbestand des Betreuungszusammenhangs ebenfalls nicht entgegen. Gerade aufgrund des damaligen Alters des Klägers zu Beginn seines Auslandsjahres (16 Jahre) und seiner insofern zu unterstellenden Selbstständigkeit in alltäglichen Angelegenheiten sei nicht anzunehmen, dass der Betreuungsaufwand während des Auslandsschulaufenthaltes des Klägers im Vergleich zur vorherigen Zeit ganz erheblich verringert gewesen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Beklagten. Zur Begründung der Berufung führt sie im Wesentlichen aus, mit dem Unterhaltsvorschussgesetz stelle der Gesetzgeber Sozialleistungen für die Kinder derjenigen Elternteile bereit, die auf sich gestellt allein den Alltag und Erziehung des/der Kinder bewältigen müssen (vgl. BT-Drucks. 8/1952 S. 6 f.). Grundvoraussetzung für einen Anspruch auf Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz sei daher, dass das Kind im Geltungsbereich des Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebe, also mit diesem eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhalte. Dem Sinn und Zweck des UVG entsprechend sei das Merkmal nur dann erfüllt, wenn der alleinstehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen habe.

Während des Auslandsaufenthalts des Klägers hätten diese Voraussetzungen nicht vorgelegen. Gerade die Belastung durch eine altersentsprechende Erziehungsarbeit verringere sich durch den Auslandsaufenthalt eines Kindes enorm. Von einer Alleinerziehung könne nicht die Rede sein, wenn das Kind im Rahmen eines Auslandschuljahrs lediglich aus der Ferne "überwacht" werde und sich die Betreuung und Erziehung auf regelmäßige Kontakte über Telefonate reduziere. Der Kläger habe während seines Auslandsaufenthaltes in ein- und derselben Gastfamilie gelebt. Bei einem 10-monatigen Aufenthalt sei davon auszugehen, dass sich der Gastschüler in den familiären Rahmen der Gastfamilie einfüge, eingliedere und Teil dessen werde und diese währenddessen auch die wesentliche altersentsprechende Erziehungsarbeit übernehme.

Entgegen der Argumentation des Verwaltungsgerichts könne es auch nicht relevant sein, wer die Kosten für den Auslandaufenthalt trägt. Die finanzielle Verantwortung selbst begründe nicht das Vorliegen einer häuslichen Gemeinschaft.

Die Beklagte beantragt,

das am 2. November 2022 verkündete Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg (Az. ) abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, die Beklagte verkenne, dass sich die Frage des Fortbestandes einer häuslichen Gemeinschaft im Sinne des Lebens bei einem der Elternteile gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einer vorübergehenden Trennung nicht nach einer schematischen Betrachtung, ob der Auslandsaufenthalt kürzer oder länger als sechs Monate sei, richte, sondern durch eine Einzelfallbetrachtung zu klären sei. Dabei sei auf die konkreten Umstände des Einzelfalles im Wege einer Gesamtbetrachtung abzustellen. Vorliegend habe seine Mutter auch während seines Auslandsaufenthaltes rechtlich und tatsächlich weiterhin die Verantwortung für ihn getragen. Auch die finanzielle Verantwortung für ihn und die Sicherung seines Lebensunterhalts während des Auslandsaufenthalts habe allein ihr oblegen. Sie habe das von ihm in der gemeinsamen Wohnung bewohnte Zimmer für ihn vorgehalten und auch insoweit die Kosten weitergetragen. Soweit die Beklagte auf die Betreuungssituation im Gastland abstelle, sei ein morgendliches Frühstück oder das Zeitverbringen mit der Gastfamilie nicht als relevante Betreuungsleistung zu werten. Ein 16-jähriger bedürfe keiner engmaschigen Betreuung oder Hilfe zur Bewältigung seines Alltages mehr. Die alltäglichen Verrichtungen wie Körperpflege, Be- und Entkleiden, Zubereitung der Mahlzeiten, Einkaufen, Wäsche waschen, Schulaufgabenbetreuung, Transport zu Freizeitaktivitäten etc., träten mit zunehmendem Alter des Jugendlichen in den Hintergrund. Die Betreuung beschränke sich dann zunehmend und regelmäßig auf die Unterstützung und Hilfestellung bei der konkreten Lebensplanung und Entscheidungsfindung.

Dem entspreche, dass in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Heraufsetzung der Altersgrenze für den Bezug von Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz von der Vollendung des zwölften Lebensjahres auf die Vollendung des 18. Lebensjahres weniger auf den Ausfall der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils als vielmehr auf das Bedürfnis, für den von dem anderen Elternteil geschuldeten Unterhalt aufkommen zu müssen, abgestellt werde (BT-Drs, 18/12589, S. 154). Daher sei in diesem Zusammenhang entgegen der Ansicht der Beklagten weiter von erheblicher Bedeutung, wer den Auslandsaufenthalt und die laufenden Kosten für Bekleidung, Taschengeld und ggf. Freizeit- sowie weitere Aktivitäten finanziere und damit letztlich die Verantwortung für die Sicherung des Lebensunterhalts des Kindes trage.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu angehört worden.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht im tenorierten Umfang stattgegeben. Die Klage ist insoweit zulässig (I.) und begründet (II.)

I. Die Klage ist zulässig, soweit sie in der Berufungsinstanz noch anhängig ist.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Klage als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft ist. Bei der Bewilligung von Unterhaltsvorschuss handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Er erschöpft sich nicht in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage, sondern begründet ein auf Dauer berechnetes Rechtsverhältnis, indem nach seinem Wortlaut nicht etwa eine auf einen bestimmten Zeitabschnitt bezogene, sondern - ausdrücklich - eine laufende Unterhaltsleistung für eine gewisse Dauer gewährt wird. Wird die Bewilligung von Unterhaltsvorschuss eingestellt, ist Rechtsschutz deshalb durch eine Anfechtungsklage gegen den Einstellungs- und Aufhebungsbescheid zu gewähren, denn bei einer gerichtlichen Aufhebung des Einstellungsbescheides lebt der ursprüngliche Bewilligungsbescheid wieder auf (vgl. ausführlich: SächsOVG, Urt. v. 24.5.2023 - 5 A 590/21 -, juris Rn. 29 ff. m.w.N.; vgl. auch NdsOVG, Beschl. v. 4.7.2019 - 4 PA 124/19 -, juris Rn. 2 und 4; VGH BW, Beschl. v. 2.1.2006 - 7 S 468/03 -, juris Rn. 33).

Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist der Kläger gemäß § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt, denn er kann als anspruchsberechtigtes Kind geltend machen, durch die Einstellung der Unterhaltsvorschussleistungen (gegenüber seiner Mutter) und Aufhebung des entsprechenden (an seine Mutter gerichteten) Bewilligungsbescheids in eigenen Rechten verletzt zu sein. Insoweit wird gemäß § 130b Satz 2 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen.

II. Die Klage ist, soweit in der Berufungsinstanz noch anhängig, auch begründet. Der angegriffene Bescheid vom 10. Dezember 2018 ist, soweit er infolge der erstinstanzlichen Entscheidung noch nicht bestandskräftig ist (hinsichtlich der Rückforderung), rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Als Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Einstellung der Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und Aufhebung des Bewilligungsbescheids kommt nur § 48 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Nr. 2 SGB X in Betracht. Hiernach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist.

Die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage sind hier nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt das vom Kläger ab 1. September 2018 absolvierte zehnmonatige Auslandsschuljahr keine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse dar. Der Kläger kann auch für diesen Zeitraum Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz beanspruchen.

Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 1 Abs. 1 und Abs. 1a des Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse und -ausfallleistungen in der Fassung vom 17. Juli 2007 (BGBl. I S. 1446), zuletzt geändert mit Gesetz vom 14. August 2017 (BGBl. I S 3122) - UVG -. Danach hat Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen, wer das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat (Absatz 1 Nummer 1), im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt (Absatz 1 Nummer 2), und nicht oder nicht regelmäßig Unterhalt von dem anderen Elternteil oder Waisenbezüge erhält (Absatz 1 Nummer 3). Nach Abs. 1a Satz 1 Nr. 1, 1. Fall der Norm besteht Anspruch auf Unterhaltsleistung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Kindes, wenn das Kind keine Leistungen nach dem SGB II bezieht.

Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger auch im streitgegenständlichen Zeitraum. Er hatte im streitgegenständlichen Zeitraum das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet, bezog keine Leistungen nach dem SGB II und erhielt auch keinen Unterhalt von seinem Vater. Zudem lebte der Kläger bis zum Beginn seines Auslandsschuljahres in den USA bei einem seiner Elternteile, nämlich bei seiner Mutter. Das alles ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Im Streit steht lediglich die Frage, ob der Kläger auch während seines Auslandsschuljahres in den USA im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG "bei einem seiner Elternteile lebte".

1. Ein Kind lebt in diesem Sinne bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält, in der es auch betreut wird. Dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend ist das Merkmal erfüllt, wenn der alleinstehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.10.2012 - 5 C 20.11 -, juris Rn. 20). Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn sich das Kind zwar grundsätzlich und auf Dauer bei einem Elternteil aufhält, es aber - ständig für bestimmte Zeiträume, z.B. unter der Woche, ggf. für begrenzte Zeiten auch ganz - woanders wohnt (Engel-Boland, in: BeckOK Sozialrecht, 71. Edition, Stand: 1.12.2023, UVG, § 1 Rn. 11 m.w.N.). Nicht jeder vorübergehende Aufenthalt des Kindes außerhalb der Wohnung des Elternteils beendet bereits die häusliche Gemeinschaft (vgl. Koppenfels-Spies, in: Knickrehm/Roßbach/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, UVG, § 1 Rn. 7 m.w.N.; vgl. auch Ziff. 1.3.1. der von der Beklagten angeführten Richtlinien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes).

Das Vorliegen des Merkmals "bei einem seiner Elternteile lebt" ist dabei auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung des Einzelfalles zu beurteilen (vgl. bereits BVerwG, Urt. v. 11.10.2012 - 5 C 20.11 -, juris Rn. 21). Es ist aufgrund der Umstände des konkreten Falles zu ermitteln, ob das Kind trotz seines Aufenthaltes außerhalb der Wohnung des Elternteils seine wesentliche Betreuung und Versorgung weiterhin durch den Elternteil erfährt. Zu den maßgeblichen Kriterien bei einem Auslandsaufenthalt des Kindes hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 14. Juni 2019 (OVG 6 B 8.18 -, juris Rn. 18) ausgeführt:

"Zu berücksichtigen sind zum einen der Planungshorizont und die Dauer des Auslandsaufenthalts. Es ist danach zu fragen, ob von vornherein nur ein vorübergehender Auslandsaufenthalt beabsichtigt ist oder ein dauerhafter Verbleib im Ausland erwogen wird. Mit Blick auf die Erziehungsverantwortung spielt auch das Alter des Kindes eine Rolle. Während bei jüngeren Kindern eine relativ engmaschige Betreuung erforderlich ist, die alltägliche Verrichtungen wie Körperpflege, Be- und Entkleiden, Zubereitung der Mahlzeiten, Einkaufen, Wäsche waschen, Schulaufgabenbetreuung, Transport zu Freizeitaktivitäten etc. einschließt, tritt dieser Aspekt mit zunehmendem Alter des Kindes oder Jugendlichen in den Hintergrund. Es liegt dann in der Hand des jeweiligen Erziehungsberechtigten, die Selbstständigkeit eines Jugendlichen nach seinen oder ihren erzieherischen Vorstellungen und den Bedürfnissen und Fähigkeiten des oder der Jugendlichen zu fördern und ihn oder sie in bestimmtem Maß dazu anzuhalten, mehr oder weniger selbstständig den Alltag zu bewältigen. Die Betreuung beschränkt sich dann zunehmend und regelmäßig auf die Unterstützung und Hilfestellung bei der konkreten Lebensplanung und Entscheidungsfindung. Dies bleibt nicht ohne Auswirkungen bei der Auslegung und Anwendung der Anspruchsvoraussetzungen des Unterhaltsvorschussgesetzes. Die mit der Alleinerziehung typischerweise einhergehenden Einschränkungen, etwa hinsichtlich der Berufsausübung sowie sozialer und sonstiger Aktivitäten, deren Kompensation die Unterhaltsvorschussleistungen u.a. dienen sollen, treten mit zunehmendem Alter des Kindes mehr und mehr in den Hintergrund. Dem entspricht, dass in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Heraufsetzung der Altersgrenze für den Bezug von Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz von der Vollendung des zwölften Lebensjahres auf die Vollendung des 18. Lebensjahres weniger auf den Ausfall der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils als vielmehr auf das Bedürfnis, für den von dem anderen Elternteil geschuldeten Unterhalt aufkommen zu müssen, abgestellt wird (BT-Drs. 18/12589, S. 154). Daher ist in diesem Zusammenhang weiter von Bedeutung, wer den Auslandsaufenthalt und die laufenden Kosten für Bekleidung, Taschengeld und ggf. Freizeit sowie weitere Aktivitäten finanziert und damit letztlich die Verantwortung für die Sicherung des Lebensunterhalts des Kindes trägt. Darüber hinaus ist in den Blick zu nehmen, inwieweit sich infolge des Auslandsaufenthalts die grundlegenden Lebensbeziehungen des Kindes oder Jugendlichen ändern. Dabei kommt es darauf an, inwieweit in der heimischen Wohnung Zimmer vorgehalten werden und inwieweit die Verbindung zum Haushalt des Elternteils aufrecht erhalten bleibt. Schließlich kann auch die (Betreuungs-) Situation im Gastland und dabei die Frage eine Rolle spielen, wer und auf welche Weise den konkreten Betreuungsbedarf des Kindes oder Jugendlichen deckt."

Diesen Ausführungen schließt sich der erkennende Senat ausdrücklich an. Auf diese Kriterien stellen letztlich auch die von der Beklagten angeführten Richtlinien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes ab. In Ziffer 1.3.1. heißt es u.a.:

"Eine zeitweise ausbildungsbedingte Abwesenheit des Kindes unterbricht die häusliche Gemeinschaft mit dem Elternteil nicht, soweit das Kind seinen Lebensmittelpunkt weiterhin bei dem Elternteil hat; dies gilt insbesondere, wenn es sich in den verbleibenden Zeiten bei dem Elternteil aufhält und dieser weiterhin den überwiegenden Teil der altersentsprechenden Erziehungsverantwortung (z.B. Klärung wichtiger Ausbildungsfragen, Stellung von Anträgen, Gesundheitsfragen, zumindest teilweise Haushaltsführung auch für das Kind, gegebenenfalls Finanzierung der Ausbildung usw) wahrnimmt."

Unter Berücksichtigung der maßgeblichen Kriterien, ist das Verwaltungsgericht hier zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger auch während seines Auslandsschuljahres in den USA i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei seiner Mutter lebte. Dafür spricht zunächst, dass der Besuch der ausländischen Schule von Anfang an auf eine Rückkehr nach zehn Monaten, d.h. nach dem Ende des Schuljahres, angelegt war und daher nur vorübergehenden Charakter hatte. Ein dauerhafter Verbleib in den USA wurde nicht in Erwägung gezogen. Die Dauer von zehn Monaten erreicht auch noch nicht eine Länge, die für sich genommen geeignet wäre, den Betreuungszusammenhang zu einem Jugendlichen zu unterbrechen (vgl. OVG Berl.-Bbg, Urt. v. 14.6.2019 - OVG 6 B 8.18 -, juris Rn. 20). Vielmehr handelt es sich bei einem Auslandsschuljahr um einen üblichen Auslandsaufenthalt eines Kindes während seiner Schulzeit. Während des vorübergehenden Auslandsaufenthalts ist die Betreuung des Klägers durch seine Mutter nicht entfallen. Die Mutter des Klägers trug auch während dessen Auslandsaufenthaltes rechtlich und tatsächlich weiterhin die Verantwortung für ihn. Es lag in ihrer Hand, diesen weiter durchzuführen oder abzubrechen. Sofern Fragen auftraten, die der Entscheidung eines Erziehungsberechtigten bedurften (Teilnahme an Schulausflügen, Klassenfahrten, besonderen Veranstaltungen, Arztbesuchen etc.), war es an der Mutter des Klägers, hierzu ihre Zustimmung zu erteilen oder diese zu verweigern. Die Gasteltern hatten keinerlei sorgerechtliche Entscheidungen zu treffen. Auch die finanzielle Verantwortung für den Kläger und die Sicherung seines Lebensunterhalts während des Auslandsaufenthalts oblag allein seiner Mutter. Sie leistete zunächst den Programmpreis für die Unterbringung in der Gastfamilie, den Schulbesuch und das Basketballprogramm, an welchem der Kläger teilnahm. Der Programmpreis umfasste auch die Kosten für das Schulessen. Ebenso finanzierte die Mutter dem Kläger die laufenden weiteren Kosten für Verpflegung und Kleidung sowie für Schulmaterialien, Sportausrüstung, Ausflüge und Taschengeld. Die Gesundheitsversorgung des Klägers war durch die von seiner Mutter abgeschlossene und finanzierte Auslandskrankenversicherung abgesichert. Schließlich hielt die Mutter des Klägers zudem das von diesem in der gemeinsamen Wohnung bewohnte Zimmer für diesen vor und trug auch insoweit die Kosten.

Dass die Mutter des Klägers während seines Auslandsjahres von der Versorgung mit Essen und gegebenenfalls vom Wäsche waschen und anderen Verrichtungen des täglichen Lebens, die sie im gemeinsamen Haushalt für ihren Sohn bei dessen Anwesenheit vorgenommen haben mag, entlastet war, und die Kontakte vorrangig mittels verschiedener Kommunikationsmittel (Telefon, Messengerdienste) erfolgten, rechtfertigt insbesondere angesichts dessen damaligen Alters - zu Beginn des Auslandsjahres war er bereits 16 Jahre alt - und seiner insofern zu unterstellenden Selbstständigkeit keine andere Einschätzung. Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich daher nicht annehmen, dass der Betreuungsaufwand während des Auslandsschulaufenthaltes des Klägers "enorm verringert" gewesen sei (vgl. für einen entsprechenden Fall OVG Berl.-Bbg, Urt. v. 14.6.2019 - OVG 6 B 8.18 -, juris Rn. 19 ff.; OLG B-Stadt, Urt. v. 15.6.2010 - 4 UF 16/10-, juris Rn. 12 mit der Entscheidung, dass ein zehnmonatiger Aufenthalt des minderjährigen Kindes im Rahmen eines Schüleraustauschs in den USA die Betreuungsleistung der Kindesmutter nicht vorübergehend entfallen lasse, diese würden durch Kommunikation und Fürsorge erbracht; dazu auch Viefhues, in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl. 2023, Stand: 7.2.2024, § 1610 Rn. 327 m.w.N.; SächsFinanzG, Urt. v. 5.10.2005 - 5 K 43/03 -, juris Rn. 27 zum vergleichbaren Begriff der Haushaltszugehörigkeit für den Kindergeldbezug unter Hinweis auf die BFH-Rechtsprechung).

Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus Ziffer 1.3.1. der Richtlinien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes, soweit dort ausgeführt wird, dass bei voraussichtlich mehr als sechs Monaten ausbildungsbedingter Abwesenheit des Kindes in der Regel von Beginn der Abwesenheit an keine häusliche Gemeinschaft mehr bestehe. Die (norminterpretierenden) Richtlinien sind allein behördeninterne Regelungen und für das Gericht nicht bindend (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.3.2018 - 5 C 14.17 -, juris Rn. 38). Zudem gehen die Richtlinien auch nur von einer Regelvermutung aus und lassen durchaus Raum für die angezeigte Einzelfallbetrachtung. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die zitierte Formulierung aus der Zeit vor der aktuellen Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes mit Gesetz vom 14. August 2017 (BGBl. I S. 3122), mit dem der Gesetzgeber die Altersgrenze erstmals von 12 auf 18 Jahre angehoben hat, stammt und daher aus einer Zeit, in der die Frage eines mehr als sechs Monate währenden Auslandsschulaufenthaltes (eines unter 12 Jahre alten Kindes ohne Begleitung eines Elternteils) nicht relevant gewesen sein dürfte (vgl. VG Berlin, Urt. v. 11.9.2018 - 21 K 258/18 -, juris Rn. 20).

Auch aus der vom Beklagten im Schriftsatz vom 9. April 2024 zitierten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. November 2011 (Az. 12 B 99.586 - juris) ergibt sich nichts anderes. In dieser Entscheidung wurde ein "Leben bei dem alleinerziehenden Elternteil" im Einzelfall bejaht, wenn ein behindertes Kind während der Woche von Montag bis Freitag in einem einer privaten Schule für Gehörlose und Schwerhörige angeschlossenen Internat ganztägig untergebracht ist und insoweit Eingliederungshilfe erhält. Daraus lässt sich für den vorliegenden Fall nichts herleiten.

2. Auch die weitere Voraussetzung des Lebens "im Geltungsbereich dieses Gesetzes" ist vorliegend erfüllt.

Hinsichtlich dieses Begriffs stellt der Senat auf die Vorschrift des § 30 Abs. 1 SGB I ab. Sie findet sich im Dritten Teil des Sozialgesetzbuches I, der gemeinsame Vorschriften für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuches enthält. Gemäß § 68 Nr. 14 SGB I gilt das Unterhaltsvorschussgesetz als besonderer Teil des Sozialgesetzbuches (vgl. OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 14.6.2019 - OVG 6 B 8.18 -, juris Rn. 27 m.w.N.).

Nach § 30 Abs. 1 SGB I gelten die Vorschriften dieses Gesetzbuchs für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. Gemäß Absatz 3 Satz 1 der Vorschrift hat jemand einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts steht eine vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort der Beibehaltung eines Wohnsitzes nicht entgegen. Dementsprechend beeinträchtige der Aufenthalt eines Kindes im Ausland zum Zwecke der Schul- oder Berufsausbildung den Anspruch des weiterhin in Deutschland lebenden Elternteils auf Gewährung von Kindergeld, für den ebenfalls auf § 30 SGB I abzustellen sei, nicht, wenn der Aufenthalt zeitlich begrenzt und die Rückkehrmöglichkeit gegeben sei (BSG, Urteil vom 28. Mai 1997 - 14/10 RKg 14/94 -, juris Rn. 14). Bei Auslandsaufenthalten, die auf eine Dauer von nicht mehr als einem Jahr angelegt seien, könne im Regelfall davon ausgegangen werden, dass ein Schwerpunkt der Lebensverhältnisse weiterhin am bisherigen Wohnort liege, sofern Vorsorge dafür getroffen sei, dass eine dauerhafte Rückkehr in die Wohnung jederzeit möglich sei. Eine zwischenzeitliche Anwesenheit des Betroffenen in der Wohnung, etwa im Urlaub und in den Ferien, sei insoweit nicht erforderlich (BSG, Urt. v. 28.5.1997 - 14/10 RKg 14/94 -, juris Rn. 15).

Dass der Kläger bei Anwendung dieser Maßstäbe seinen Wohnsitz im Haushalt seiner Mutter im Geltungsbereich des Gesetzes auch während seines Auslandsschulaufenthaltes beibehalten hat, ergibt sich aus den bereits dargelegten Gründen (vgl. für einen entsprechenden Fall: OVG Berl.-Bbg., Urt. v. 14.6.2019 - OVG 6 B 8.18 -, juris Rn. 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht ersichtlich. Insbesondere liegt hier die vom Beklagten angenommene grundsätzliche Bedeutung nicht vor. Wie bereits ausgeführt, ist das Vorliegen des Merkmals "bei einem seiner Elternteile lebt" nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung des Einzelfalles zu beurteilen (vgl. bereits BVerwG, Urt. v. 11.10.2012 - 5 C 20.11 -, juris Rn. 21).