Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.04.2024, Az.: 14 ME 48/24

Einstellung des Verfahrens nach übereinstimmender Erledigungserklärung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.04.2024
Aktenzeichen
14 ME 48/24
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 13803
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2024:0418.14ME48.24.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 30.01.2024 - AZ: 3 B 241/24

Fundstellen

  • AnwBl 2024, 238
  • FA 2024, 186
  • FA 2024, 187

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Für die Frage fehlenden Verschuldens in den Blick zu nehmen ist u.a., ob die Partei mit den nach der jeweiligen prozessualen Lage gegebenen Möglichkeiten und zumutbaren Anstrengungen die Wahrung ihres rechtlichen Gehörs zu erlangen vermocht hätte.

  2. 2.

    Die Versäumung der Zulassungsbegründungsfrist durch einen Rechtsanwalt stellt sich als verschuldet dar, wenn dieser es unterlässt, den Begründungsschriftsatz per Telefax zu übersenden, nachdem sich im Laufe des Abends zeigt, dass eine elektronische Übersendung über das besondere Behördenpostfach unmöglich ist.

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt.

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 30. Januar 2024 wird für unwirksam erklärt, soweit die beiden Hilfsanträge abgelehnt worden sind.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und der Beschluss des Verwaltungsgerichts insoweit für wirkungslos zu erklären (§ 173 VwGO, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO), als die beiden Hilfsanträge abgelehnt worden sind. Die erstinstanzliche Ablehnung des Hauptantrags ist dagegen mit der Beschwerde nicht angegriffen worden und daher bereits rechtskräftig.

Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden. In der Regel entspricht es billigem Ermessen, gemäß dem Grundsatz des § 154 Abs. 1 VwGO dem Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre.

Nach diesen Grundsätzen sind die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen, denn diese wäre im maßgeblichen Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses mit ihren - mit der Beschwerde noch weiterverfolgten - Anträgen voraussichtlich unterlegen.

Die Beschwerde dürfte nämlich zum Zeitpunkt der Erledigung bereits unzulässig gewesen sein. Die Antragstellerin hat die Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO versäumt, demzufolge die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes innerhalb von einem Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen ist.

Der vollständige und mit einer zutreffenden Rechtsmittelbelehrung versehene Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 30. Januar 2024 ist dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin ausweislich des in der Akte befindlichen Empfangsbekenntnisses am 31. Januar 2024 zugestellt worden. Die vorstehend genannte Frist ist daher am 29. Februar 2024 abgelaufen (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 und 3 BGB).

Innerhalb dieser Frist hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine Begründung der am 14. Februar 2024 erhobenen Beschwerde jedoch weder als elektronisches Dokument (§ 55d Satz 1 VwGO) noch ersatzweise nach den allgemeinen Vorschriften (§ 55d Sätze 3 und 4) übermittelt. Diese Begründung und ein Wiedereinsetzungsantrag sind vielmehr erst am 1. März 2024 als elektronisches Dokument beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht eingegangen.

Die beantragte Wiedereinsetzung in die Begründungsfrist wäre wohl nicht in Betracht gekommen. Die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt gemäß § 60 Abs. 1 VwGO voraus, dass der Betroffene ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Ein Verschulden, das eine Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO ausschließt, liegt vor, wenn ein Beteiligter diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falls zuzumuten war. Wird die Frist bis zum letzten Tag ausgeschöpft, so treffen den Verfahrensbeteiligten erhöhte Sorgfaltspflichten; d. h. er muss alle gebotenen und zumutbaren Maßnahmen treffen, um die Gefahr einer Fristversäumnis zu vermeiden (BVerwG, Beschl. v. 25.9.2023 - BVerwG 1 C 10. 23 -, juris Rn. 12 und 15 m.w.N.).

Für die Frage fehlenden Verschuldens ist u.a. in den Blick zu nehmen, ob die Partei mit den nach der jeweiligen prozessualen Lage gegebenen Möglichkeiten und zumutbaren Anstrengungen die Wahrung ihres rechtlichen Gehörs zu erlangen vermocht hätte. Nach dieser Maßgabe ist zwar grundsätzlich nicht zu verlangen, dass ein Rechtsanwalt bzw. eine Behörde innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte Zugangsart sicherstellt, wenn die Übersendung auf dem ursprünglich intendierten Weg aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grund scheitert. Zumutbar ist ihnen indes die Inanspruchnahme solcher Übermittlungsalternativen, die sich aufdrängen und deren Nutzung mit einem nur geringfügigen Aufwand verbunden ist (zum Ganzen: BGH, Beschl. v. 29.9.2021 - VII ZB 12/21 -, juris Rn. 29 f. m.w.N.; zur damals noch freiwilligen Nutzung des elektronischen Anwaltspostfachs bei Telefaxausfall).

Nach dieser Maßgabe dürfte sich die Versäumung der Zulassungsbegründungsfrist durch den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin im vorliegenden Fall als verschuldet darstellen, weil dieser es unterlassen hat, den Begründungsschriftsatz per Telefax zu übersenden, nachdem sich seinen Angaben zufolge am Abend des 29. Februar 2024 gezeigt hatte, dass eine elektronische Übersendung über das besondere Anwaltspostfach unmöglich war. Eine solche Übermittlung hätte unter den Voraussetzungen des § 55d Sätze 3 und 4 VwGO die Begründungsfrist gewahrt. Dass eine solche Übersendungsmöglichkeit tatsächlich gegeben war, ergibt sich aus der Homepage des Prozessbevollmächtigten. Dort wird unter "Kontaktdaten" auch eine Faxverbindung angegeben. Auf seinen Schriftsätzen ist ebenfalls eine Faxnummer angegeben. Auch hat der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin nicht dargetan, dass eine Nutzung dieses Telefaxanschlusses vorliegend nicht bzw. nicht rechtzeitig möglich oder mit einem unzumutbaren Aufwand verbunden gewesen wäre. Schließlich musste sich die Inanspruchnahme der Telefaxoption für den Prozessbevollmächtigten des Klägers auch aufdrängen (vgl. auch OVG Berl.-Bbg., Beschl. v. 2.11.2023 - 10 N 53/23 -, juris Rn. 8; LArbG Berl.-Bbg, Beschl. v. 8.5.2023 - 5 Sa 143/23 -, juris Rn. 9; BayVGH, Beschl. v. 11.1.2023 - 11 CS 22.2308 -, juris Rn. 6; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.12.2019 - 19 U 98/19 -, BeckRS 2019, 55344 Rn. 7).

Hinsichtlich des in erster Instanz abgelehnten Hauptantrags verbleibt es ohnedies bei der Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts, nach der auch insoweit die Antragstellerin die Verfahrenskosten zu tragen hat.

Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 158 Abs. 2, § 152 Abs. 1 VwGO).