Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.05.1997, Az.: 14 Sa 2388/96
Anspruch auf Zahlung der Lehrgesellenzulage bei vorübergehender Übertragung einer Tätigkeit eines Angestellten auf einen Arbeiter
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 22.05.1997
- Aktenzeichen
- 14 Sa 2388/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 10762
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1997:0522.14SA2388.96.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Celle - 30.09.1996 - AZ: 2 Ca 220/96
Rechtsgrundlagen
- § 4 I TVLohngrV
- § 2 IV b TVLohngrV
Prozessführer
...
Prozessgegner
...
Amtlicher Leitsatz
Ein Anspruch auf Zahlung der Lehrgesellenzulage gem. § 4 I TVLohngrV besteht auch dann, wenn dem anspruchsberechtigten Arbeiter gem. § 2 IV b TVLohngrV vorübergehend die Tätigkeit eines Angestellten übertragen wird und er daneben weiterhin mit weniger als der Hälfte seiner regelmäßigen Arbeitszeit Tätigkeiten eines Lehrgesellen ausübt.
hat die ... Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 22.05.1997
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Celle vom 30.09.1996, Az.: 2 Ca 220/96, abgeändert.
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger auch über den 24.05.1995 hinaus die Lehrgesellenzulage gem. § 4 I TV LohngrV zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Tatbestand
Der Kläger ist seit 1972 bei der Beklagten als Flugbetriebsmechaniker beschäftigt.
Im Arbeitsvertrag ist die Geltung des Manteltarifvertrags für Arbeiter des Bundes (MTB II, jetzt MTArb) und der diesen ergänzenden Tarifverträge vereinbart.
Seit dem 17.06.1991 ist der Kläger als Lehrgeselle in der Ausbildungswerkstatt im Bereich der Standortverwaltung Faßberg tätig gewesen.
Dabei ist er in die LGr. 9 Fallgr. 8 a SV 2 a TV LohngrV eingestuft und hat eine Lehrgesellenzulage gemäß § 4 I TV LohngrV erhalten, die 1995 monatlich DM 387,53 brutto betragen hat.
Mit Wirkung ab 27.04.1995 ist dem Kläger die Tätigkeit eines Lehrmeisters in der Ausbildungswerkstatt bis zur Wiederbesetzung des entsprechenden frei gewordenen Dienstpostens übertragen worden.
Für die Dauer dieser Tätigkeit erhält der Kläger gemäß § 2 IV b TV LohngrV eine Zulage in Höhe von 10 % des Monatstabellenlohns seiner LGr. 9, die Zulage hat 1995 monatlich DM 383,73 brutto betragen.
Neben der Tätigkeit als Lehrmeister übt der Kläger weiterhin auch Tätigkeiten eines Lehrgesellen aus, und zwar nach seiner Behauptung mit einem zeitlichen Anteil von 20 bis 25 % und nach der Behauptung der Beklagten mit einem zeitlichen Anteil im Bereich von 10 % seiner regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit.
Mit Schreiben vom 13.10.1995 hat die Beklagte die Auffassung vertreten, daß die Voraussetzungen für die Zahlung der Lehrgesellenzulage wegen der zeitlich überwiegenden Tätigkeit als Lehrmeister nicht mehr vorliegen würden und hat wegen der über den 25.05.1995 hinaus zunächst weitergezahlten Lehrgesellenzulage in der Lohnabrechnung für November 1995 die entsprechenden Beträge einbehalten.
Der Kläger hat demgegenüber geltend gemacht, daß ihm ein Anspruch auf Zahlung der Lehrgesellenzulage auch während der Dauer der vorübergehenden Übertragung der Tätigkeit eines Lehrmeisters zustehe, durch den Entzug der Lehrgesellenzulage werde sein allgemeiner Lohnstand verschlechtert.
Der Kläger hat beantragt,
- 1.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.796,94 DM brutto zu zahlen,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ab 01/96 dem Kläger die Lehrgesellenzulage nach § 4 Abs. 1 Tarifvertrag Lohngruppe 6 in Höhe von derzeit monatlich 387,53 DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, daß dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung der Lehrgesellenzulage entsprechend § 4 II TV LohngrV ab dem 25.05.1995 nicht mehr zustehen würde, da er seit dem 27.04.1995 nicht mehr überwiegend als Lehrgeselle tätig sei.
Das Arbeitsgericht, auf dessen Urteil auch wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes verwiesen wird, wie er in erster Instanz zur Entscheidung vorgelegen hat, hat die Klage abgewiesen.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Klagziel in der Weise weiter, daß er die Feststellung einer Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der Lehrgesellenzulage über den 24.05.1995 hinaus verlangt.
Zur Begründung macht der Kläger weiterhin geltend, daß sich ein Anspruch auf Zahlung der Lehrgesellenzulage daraus ergebe, daß er auch nach der vorübergehenden Übertragung der Tätigkeit eines Lehrmeisters, wenn auch in geringerem Umfang Tätigkeiten eines Lehrgesellen weiterhin ausübt.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Celle festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger auch über den 24.05.1995 hinaus die Lehrgesellenzulage nach § 4 I TV LohngrV zu zahlen.
Die Beklagte hat der Klagänderung zugestimmt und beantragt,
die Berufung auch hinsichtlich des geänderten Antrags zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und meint, für die Dauer der Übertragung der überwiegend ausgeübten Tätigkeit eines Lehrmeisters entfalle der Anspruch auf Zahlung der Lehrgesellenzulage, da dieser Anspruch seinerseits eine überwiegende Tätigkeit als Lehrgeselle erfordern würde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist begründet.
Der im Wege der gemäß §§ 523, 263, 264 ZPO zulässigen Antragsänderung vom Kläger in der Berufungsverhandlung gestellte und seinerseits gemäß § 256 ZPO zulässige Feststellungsantrag ist begründet.
Auch nach der vorübergehenden Übertragung der Tätigkeit eines Lehrmeisters ab dem 27.04.1995 steht dem Kläger über den 24.05.1995 hinaus gemäß § 4 I des hier als Vertragsrecht geltenden TV LohngrV ein Anspruch auf Zahlung der Lehrgesellenzulage zu.
Der Kläger erfüllt auch nach der vorübergehenden Übertragung der ihn überwiegend in Anspruch nehmenden Tätigkeit eines Lehrmeisters weiterhin die Anspruchsvoraussetzungen des § 4 I TV LohngrV, da er weiterhin in die LGr. 9 Fallgr. 8 a SV 2 a TV LohngrV eingestuft ist und nach dem insoweit unstreitigen Sachverhalt, wenn auch in erheblich unter 50 % liegendem Umfang, weiterhin eine Lehrgesellentätigkeit ausübt.
Die vorübergehende Übertragung der Angestelltentätigkeit eines Lehrmeisters führt zu keiner Änderung der Einstufung des Klägers in die LGr. 9 Fallgr. 8 a SV 2 a TV LohngrV. Dies liegt der Regelung des § 2 IV b Tv LohngrV insoweit zugrunde, als der Kläger danach eine Zulage zur Lohnstufe "seiner Lohngruppe" erhält, die sich weiter nach der für ihn auf der Grundlage der bisherigen Tätigkeit zutreffenden Lohngruppe ergibt.
Ferner übt der Kläger auch nach der vorübergehenden Übertragung der Tätigkeit eines Lehrmeisters weiterhin Lehrgesellentätigkeit aus, wenn auch in einem nach dem Sachvortrag beider Parteien unter 50 % liegenden Anteil seiner Arbeitszeit.
Dies steht jedoch dem Anspruch auf Zahlung der Lehrgesellenzulage nicht entgegen, da in § 4 I TV LohngrV ein bestimmter zeitlicher Anteil der Ausübung der Lehrgesellentätigkeit nicht verlangt wird.
Die Regelung des § 2 I TV LohngrV, nach der für die Einreihung in die Lohngruppen die mit mindestens der Hälfte der vereinbarten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auszuübende Tätigkeit maßgebend ist, sofern sich aus den Tätigkeitsmerkmalen nichts anderes ergibt, ist hier nicht anwendbar, weil die Zahlung der Lehrgesellenzulage keine Frage der Einreihung in eine Lohngruppe ist.
Hinzu kommt, daß in den Lohngruppen, aus denen aufgrund der Aufzählung in § 4 I TV LohngrV ein Anspruch auf Zahlung der Lehrgesellenzulage möglich ist, ihrerseits hinsichtlich des zeitlichen Maßes der Lehrgesellentätigkeit eine vom Grundsatz des § 2 I TV LohngrV abweichende Regelung enthalten ist, als dort die Lehrgesellentätigkeit "neben" ihrer handwerksmäßigen Tätigkeit ausgeübt wird bzw., die vom Ausgangspunkt der Lehrgesellentätigkeit her "daneben" handwerksmäßige Arbeiten verrichten. In diesen Fällen braucht die Lehrgesellentätigkeit als Voraussetzung über eine Einreihung in die betreffende Lohngruppe nicht die Hälfte der Arbeitszeit zu beanspruchen (vgl. Scheuring-Steingen MTArb Bund Erläuterung 11 zu § 2 TV LohngrV).
Auch dies belegt, daß entsprechend dem Wortlaut des § 4 I TV LohngrV der zeitliche Umfang der Lehrgesellentätigkeit die Hälfte der Arbeitszeit durchaus unterschreiten kann und gleichwohl ein Anspruch auf Zahlung der Lehrgesellenzulage besteht. Der Anspruch entfällt gem. § 4 II TV LohngrV erst vier Wochen nach der - vollständigen - Unterbrechung der Ausübung der Lehrgesellentätigkeit.
Die Rechtslage entspricht insoweit der Situation im Bereich der Vorhandwerkerzulage, wo die Tarifvertragsparteien die Auslegung befürworten, daß ein Vorhandwerker die Vorhandwerkerzulage auch dann behält, wenn er vorübergehend einen Meister im Angestellten Verhältnis vertritt und daneben seine Funktion als Vorhandwerker weiterhin ausübt (zitiert nach Scheuring-Steingen MTArb Bund Erläuterung 6 zu § 9).
Aus der Regelung in § 4 I 2. Halbsatz TV LohngrV ergibt sich, da eine Unvereinbarkeit zwischen der Lehrgesellenzulage und einer Zulage gemäß § 2 IV b TV LohngrV nicht besteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 II Nr. 1 ArbGG.