Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.11.1997, Az.: 11 Sa 1367/97
Auslegung des Begriffs "Kündigungstermin"; Auslegung des Sozialplänen
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 17.11.1997
- Aktenzeichen
- 11 Sa 1367/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 10760
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1997:1117.11SA1367.97.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Lingen 12.06.1997 - 3 Ca 91/97
- nachfolgend
- BAG - 17.11.1998 - AZ: 1 AZR 221/98
Prozessführer
...
Prozessgegner
...
Amtlicher Leitsatz
Unter dem Begriff "Kündigungstermin" in einem Sozialplan ist der Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist zu verstehen.
In dem Rechtsstreit
hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 17.11.97
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 12.06.1997 - 3 Ca 91/97 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Höhe einer Sozialplanabfindung. Der Kläger, der vom 28.06.1963 bei der Beklagten als Maschinenführer beschäftigt worden ist, schied am 29.05.1996 aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung aus.
Nach einem am 03.05.1996 zwischen der Beklagten und dem bei ihr bestehenden Gesamtbetriebsrat geschlossenen Sozialplan erhielt der Kläger eine Sozialplanabfindung in Höhe von 66.874,61 DM. Bei Berechnung dieser Abfindungssumme legte die Beklagte nach § 3 Ziffer 3 des Sozialplans das Bruttomonatsentgelt der letzten drei Monate vor Ablauf der Kündigungsfrist zugrunde, also die Monate Oktober, November und Dezember 1996.
§ 3 Ziffer des Sozialplans vom 03.05.1996 lautet:
"Als Bruttomonatsentgelt gilt der Durchschnitt der letzten drei vollen abgerechneten Monate vor dem Kündigungstermin bezogen auf die geleisteten und abgerechneten Stunden ..."
Mit Schreiben vom 11.02.1997 begehrte der Kläger die Berechnung des Bruttomonatsentgelts gemäß § 3 Ziff. 3 des Sozialplans nach den letzten drei gearbeiteten Monaten im Schichtsystem (15-16 Schichten).
Am 03.04.1997 vereinbarten die Beklagte und der Gesamtbetriebsrat der Beklagten ... eine Protokollnotiz zum Sozialplan vom 03.05.1996, die in Absatz 3 folgendes regelten:
"Es besteht Einigkeit, daß in § 3 Ziff. 3 des Sozialplans vom 03.05.1996 der Termin der Zustellung der Kündigung maßgeblich ist. Für die Vergangenheit bleibt die Auslegung von § 3 Ziff. 3 ("Kündigungstermin") streitig."
Der Kläger ist der Auffassung, unter Kündigungstermin in § 3 Ziff. 3 des Sozialplans sei der Tag des Ausspruchs der Kündigung und nicht der Tag des Ablaufs der Kündigungsfrist gemeint gewesen. Er behauptet, darüber habe bei Abschluß des Sozialplans zunächst heftiger Streit geherrscht, dann hätten sich die Betriebspartner aber darauf geeinigt, daß unter Kündigungstermin, der Zugang der Kündigung zu verstehen sei. Deshalb hätten für die Berechnung des Bruttomonatsentgelts die Monate Februar, März und April 1996 nach dem Sozialplan zugrunde gelegt werden müssen, so daß ihm noch 7.144,35 DM nach dem Sozialplan über die bereits ausgezahlte Summe hinaus zustünden.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.144,35 DM nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit als weitere Abfindung aus dem Sozialplan vom 03.05.1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, unter "Kündigungstermin" sei der Ablauf der Kündigungsfrist gemeint. Der Vortrag des Klägers sei zudem widersprüchlich, da sowohl er als auch der Betriebsrat zunächst auf die letzten drei Monate mit voller Schichtarbeit abgestellt hätten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und den Streitwert auf 7.144,35 DM festgesetzt.
Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Kläger habe keine weiteren Ansprüche gemäß § 3 Ziffer 3 des Sozialplans gegenüber der Beklagten. Die Beklagte habe richtig die letzten drei Monate vor Ausspruch der Kündigung für die Berechnung des Bruttomonatsentgeltes herangezogen. Unter Kündigungstermin sei nicht der Zugang der Kündigung sondern der Ablauf der Kündigungsfrist zu verstehen. Dies sei vom Wortlaut her eindeutig.
Gegen dieses ihm am 18.06.1997 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.07.1997 Berufung eingelegt und diese am 18.08.1997 begründet.
Er ist weiterhin der Auffassung, daß unter "Kündigungstermin" der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zu verstehen sei. Da es sich bei Betriebsvereinbarungen um privatrechtliche Verträge handele, fänden die Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB Anwendung, wonach der wirkliche Wille der Betriebsparteien bei Abschluß der Betriebs Vereinbarung zu ermitteln sei. Der Begriff "Kündigungstermin" sei bereits nach seinem Wortlaut keineswegs eindeutig. Es könne sowohl der Ausspruch der Kündigung als auch der Ablauf der Kündigungsfrist gemeint sein. Die Auslegung des Arbeitsgerichts ergebe sich weder aus dem Wortsinn, noch aus dem allgemeinen Sprachgebrauch. Das Arbeitsgericht habe auch nicht durch Bezugnahme auf Wörterbücher seine Ansicht belegt. Etwas andere ergebe sich auch nicht aus der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Lingen vom 12.06.1997 - 3 Ca 91/97 - die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.144,35 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit als weitere Abfindung aus dem Sozialplan vom 03.05.1996 zu zahlen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 22.09.1997 (Bl. 80-84 d. A.), auf den Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch insgesamt zulässige Berufung konnte keinen Erfolg haben.
Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit Zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Auf die Gründe des angefochtenen Urteils wird gemäß § 543 ZPO Bezug genommen. Das Landesarbeitsgericht schließt sich den Ausführungen des Arbeitsgerichts an und macht sie sich zu eigen.
Die Berufung ist nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu gelangen.
Unter dem Begriff "Kündigungstermin" in § 3 Ziff. 3 des Sozialplans vom 03.05.1996 ist der Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist zu verstehen. Dies ergibt die einhellige Meinung sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung.
Das Handwörterbuch des Arbeitsrechts (Bürger/Oehmann/Matthes, Band 2 Seite 1090 Rd.-Nr. 20) definiert als Kündigungstermin den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Davon geht auch das Bundesarbeitsgericht aus, das als Kündigungstermin den Zeitpunkt bezeichnet, zu dem die Kündigung wirksam wird (vgl. BAG, Urteil vom 29.03.1990 - 2 AZR 420/89 - in AP Nr. 56 zu § 102 BetrVG 1972). Davon geht aber auch die einschlägige arbeitsrechtliche Literatur aus (vgl. Schauß, Handbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., § 124 III 1. d; Fittingh/Auffarth, BetrVG, 18. Aufl., § 102 Rd.-Nr. 16 m. w. N.).
Die Auffassung des Klägers, bei der Auslegung des Sozialplans sei auf den wirklichen Willen der Vertragspartner abzustellen, ist unrichtig.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Sozialpläne nicht wie Verträge gemäß §§ 133, 157 BGB, sondern als Betriebsvereinbarungen besonderer Art. wie Tarifverträge auszulegen (vgl. BAG, Urteil vom 17.09.1997 - 10 AZR 38/97 - und BAG in AP Nr. 75 zu § 112 BetrVG 1992 m. w. N.). Maßgeblich ist dabei - entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung - zunächst der Wortlaut. Über den reinen Wortlaut hinaus ist sodann der wirkliche Wille der Betriebspartner und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Regelung mit zu berücksichtigen, sofern und soweit er in der Betriebsvereinbarung erkennbar zum Ausdruck gekommen ist. Abzustellen ist ferner auf den Gesamt Zusammenhang, um Sinn und Zweck der Regelung zu ermitteln.
Ausgehend von diesen Auslegungsgrundsätzen ergibt sich, daß nach dem Willen der Betriebspartner unter Kündigungstermin lediglich der Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist zu verstehen war, denn der Begriff ist eindeutig. Dem steht auch der Sinn und Zweck eines Sozialplans und der darin vereinbarten Abfindungen nicht entgegen. Das Abstellen auf den Ablauf der Kündigungsfrist bezüglich der den Abfindungszahlungen zugrunde liegenden Bruttomonatsentgeltsberechnungen ist sinnvoll. Damit wird erreicht, daß etwaige Entgeltserhöhungen, zum Beispiel durch Änderung der Lohn- und Gehaltstarif vertrage nach Ausspruch der Kündigung, mit erfaßt werden.
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, daß es der wirkliche Wille der Betriebspartner bei Abschluß des Sozialplanes gewesen ist, auf den Zugang der Kündigung abzustellen und daß darüber Einigkeit geherrscht hat. Zum einen hat dieser Wille im Sozialplan keinen Niederschlag gefunden. Dagegen spricht auch, daß die Beklagte und ihr Gesamtbetriebsrat am 03.04.1997 in der Protokollnotiz zu § 3 Ziff. 3 des Sozialplans vom 03.05.1996 zwar Einigkeit darüber erzielt haben, daß in § 3 Ziffer 3 des Sozialplans der Termin der Zustellung der Kündigung maßgeblich ist. Sie haben aber auch für die Vergangenheit festgestellt, daß die Auslegung von § 3 Ziff. 3 ("Kündigungstermin") streitig bleibt. Schon daraus ergibt sich, daß Einigkeit bei den Betriebspartnern bei Abschluß des Sozialplans über die Auslegung des Begriffes nicht bestanden haben kann.
Einer solchen Einigkeit der Betriebspartner bei Abschluß des Sozialplanes widerspricht auch das eigene Verhalten des Klägers im Zusammenwirken mit dem Betriebsrat. Der Kläger hat nämlich mit einem vom Betriebsrat verfaßten Schreiben vom 11.02.1997 zunächst die für die Abfindungszahlung aus dem Sozialplan zugrunde liegende Berechnung des Bruttomonatsentgelts nicht nach dem Bruttoentgelt der letzten 3 Monate vor dem Zugang der Kündigung, also dem Kündigungstermin, sondern nach dem Durchschnitt der letzten drei gearbeiteten Monate im Schichtsystem (15-16 Schichten) verlangt.
Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich auch aus § 3 Ziff. 1 des Sozialplans nicht, daß Kündigungstermin der Zugang der Kündigung sein soll. Zwar wird in § 3 Ziff. 1 ausgeführt, daß Arbeitnehmer Anspruch auf Einbeziehung in die Sozialplanregelung haben, wenn sie im Zeitraum vom 04.04.1996 bis 30.05.1996 ihr Arbeitsverhältnis beendet haben. Damit wird im Sozialplan das Ende der Beschäftigung auch anders bezeichnet als mit dem Begriff "Kündigungstermin".
Daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß deshalb der "Kündigungstermin" der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sein muß. Dem steht schon entgegen, daß in § 3 Ziff. 1 der Geltungsbereich des Sozialplans auch auf Arbeitsverhältnisse ausgedehnt wurde, die durch Aufhebungsvertrag in der Zeit vom 04.04.1996 bis 30.05.1996 geendet haben. Insofern konnte hier der Begriff Kündigungstermin gar nicht verwandt werden. Dies gilt auch hinsichtlich der Regelung in § 3 Ziff. 5 und 6 des Sozialplans, weil diese beiden Regelungen auch für Arbeitnehmer gelten, die nicht aufgrund einer Kündigung sondern aufgrund eines Aufhebungsvertrages ausgeschieden sind.
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG. Die grundsätzliche Bedeutung ergibt sich daraus, daß der Streitgegenstand dieses Verfahrens Streitgegenstand von weiteren 25-30 beim Arbeitsgericht Lingen anhängigen Rechtstreiten ist.