Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.05.1997, Az.: 5 Sa 2139/93 E

Anspruch eines staatlich anerkannte Erziehers und graduiertem Sozialpädagogen auf Feststellung einer höheren Vergütung; Verstoß eines Eingruppierungserlasses gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz; Anreize für eine höhere Qualifizierung durch Differenzierung der Höhe der Grundvergütung; Durchführung von laufenden Begutachtungen der in Sonderschulen unterrichteten Kinder durch alle Lehrkräfte unabhängig von ihrer jeweiligen Vorbildung

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
05.05.1997
Aktenzeichen
5 Sa 2139/93 E
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 14021
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1997:0505.5SA2139.93E.0A

In dem Rechtsstreit
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht ... und
der ehrenamtlichen Richter ...
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 05. Mai 1997
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung wird das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 24. Juni 1993 - 1 Ca 467/92 E - geändert.

Es wird festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 12. September 1991 anstelle gewährter Vergütung aus der Vergütungsgruppe IV b Vergütung aus der Vergütungsgruppe IV a BAT nebst 4 %

Zinsen auf die Nettodifferenzbeträge ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen.

Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreit tragen die Parteien jeweils die Hälfte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger ab 12. September 1991 Vergütung aus der Vergütungsgruppe III anstelle gewährter Vergütung aus der Vergütungsgruppe IV b BAT zu zahlen. Der Kläger - staatlich anerkannter Erzieher und graduierter Sozialpädagoge - ist seit dem 01. Oktober 1976 als Lehrer an der Sonderschule G in ... tätig. Dem Arbeitsverhältnis liegt der schriftliche Arbeitsvertrag vom 19. September 1976 zugrunde. Danach bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem BAT und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen und den Eingruppierungserlassen des Niedersächsischen Kultusministers in der jeweils geltenden Fassung.

2

Mit Schreiben vom 11. März 1992 (Fotokopie Bl. 8 d.A.) stellte der Kläger einen Antrag auf Höhergruppierung ("aufgrund meiner Tätigkeit an der Sonderschule für Geistigbehinderte in ... beantrage ich, entsprechend meiner Tätigkeitsmerkmale, die sich nicht von denen der Sonderschullehrer an unserer Schule unterscheiden, eine Höhergruppierung nach BAT II b"). Der Antrag wurde mit Schreiben der Bezirksregierung ... vom 24. März 1992 (Fotokopie Bl. 9 d.A.) abgelehnt. Eine Eingruppierung nach Vergütungsgruppe II a BAT sei nur möglich, wenn der Kläger ein entsprechendes Studium an einer wissenschaftlichen Hochschule absolviert hätte. Nach dem anzuwendenden Eingruppierungserlaß werde die Zuordnung zu einer bestimmten Vergütungsgruppe wesentlich durch die Ausbildungsvoraussetzungen und nicht durch die Tätigkeitsmerkmale bestimmt.

3

Der Kläger meint, ihm stehe ein Anspruch auf Vergütung aus der Vergütungsgruppe III BAT, mindestens aber aus der Vergütungsgruppe IV a BAT zu, während das beklagte Land den Kläger für richtig eingruppiert hält. Zur Darstellung der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 24. Juni 1993 (Bl. 57 bis 63 d.A.) Bezug genommen.

4

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und den Streitwert auf 39.442,00 DM festgesetzt.

5

Zur Begründung dieser Entscheidung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, ein Anspruch auf Höhergruppierung ergebe sich nicht direkt aus dem BAT und dessen Vergütungsordnung, da gemäß Nr. 5 der Vorbemerkung zu allen Vergütungsgruppen der Anlage 1 a zum BAT diese nicht für Angestellte gelte, die als Lehrkräfte beschäftigt werden.

6

Ein Anspruch auf Eingruppierung in die Vergütungsgruppe III ergebe sich nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Beide geböten, daß Gleiches nicht ungleich und Ungleiches nicht gleichbehandelt werden dürfe, ohne daß dafür ein sachlicher Grund gegeben sei. Ein Verstoß gegen diesen Grundsatz liege nicht vor.

7

Wie das BAG in der Entscheidung AP Nr. 8 zu §§ 22, 23 BAT Lehrer ausgeführt habe, könne eine unterschiedliche Ausbildung einen sachlichen Grund für die Differenzierung von Vergütungsregelungen darstellen. So könnten die Tarifvertragsparteien einen bestimmten Vergütungsanspruch nicht nur von der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, sondern auch von weiteren persönlichen Voraussetzungen, wie einer besonderen Ausbildung, abhängig machen. In einem solchen Fall sei es unerheblich, wenn ein Angestellter trotz fehlender formaler Qualifikation über dieselben Kenntnisse und Fähigkeiten verfüge. Der Kläger verfüge weder über eine Prüfung für das Lehramt an Sonderschulen noch über eine Befähigung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Es stelle deshalb keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz oder den Gleichheitsgrundsatz dar, wenn das beklagte Land den Kläger vergütungsmäßig anders als Mitarbeiter behandele, die die genannten Abschlüsse erworben haben.

8

Der Kläger habe nach dem Eingruppierungserlaß keinen Anspruch auf höhere Vergütung. Er erfülle nicht die Voraussetzungen des Eingruppierungserlasses für eine Eingruppierung in die Vergütungsgruppe III oder höher. Die Voraussetzungen der Nr. 20 des Eingruppierungserlasses seien nicht gegeben, da er nicht über die Befähigung für das Lehramt an Sonderschulen verfüge. Er habe auch nicht die erste staatliche Prüfung für das Lehramt an Sonderschulen abgelegt (Nr. 21) und verfüge auch nicht über die Befähigung für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen (Nr. 22). Nr. 23 sei nicht einschlägig, da der Kläger nicht mindestens zur Hälfte in wissenschaftlichen Fächern unterrichte.

9

Eine Eingruppierung in die Vergütungsgruppe IV a scheide ebenfalls aus. Nr. 24 des Eingruppierungserlasses erfordere insoweit, daß Lehrkräfte als Gruppen- oder Klassenleiter für Geistigbehinderte über die Befähigung gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1 Nr. 5 der Besonderen Niedersächsischen Laufbahnverordnung (Bes. NLVO) verfügen und eine abgeschlossene zusätzliche sonderpädagogische, sozialtherapeutische oder sozialpsychiatrische Ausbildung sowie sechsjährige Bewährung haben. An einer derartigen Zusatzausbildung fehle es bei dem Kläger. Welche Wertigkeit eine derartige Zusatzausbildung im Verhältnis zur Ausbildung des Klägers habe, sei für die Eingruppierung unerheblich. Unerheblich sei es auch, ob der Kläger sich möglicherweise durch langjährige Tätigkeit gleichwertige Kenntnisse angeeignet habe. Etwas anderes könne allenfalls dann gelten, wenn die Ausbildung zum Sozialpädagogen die geforderte abgeschlossene zusätzliche sonderpädagogische, sozialtherapeutische oder sozialpsychiatrische Ausbildung mit enthalten würde. Dazu sei seitens des Klägers aber nichts vorgetragen worden.

10

Gegen dieses Urteil, das ihm am 23. Dezember 1993 zugestellt worden ist, hat der Kläger mit einem am 14. Dezember 1993 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten Berufung eingelegt, die er mit einem am 14. Januar 1994 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten begründet hat. Der Kläger meint, der Eingruppierungserlaß sei unwirksam, weil er für den Kläger als angestellten Lehrer eine schlechtere Bezahlung vorsehe als für einen in vergleichbarer Position beschäftigten Sozialpädagogen, dessen Vergütung sich nach der Anlage 1 a zum BAT richte und der eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV a, nach Bewährung nach der Vergütungsgruppe III erhalte.

11

Ferner meint der Kläger, es liege eine mittelbare Ungleichbehandlung und Verletzung des Artikels 119 EWG-Vertrag vor. Es sei unstreitig, daß die Tätigkeitsmerkmale der Arbeit des Klägers den Tätigkeitsmerkmalen eines Sonderschullehrers mit Hochschulabschluß entsprächen. In Artikel 119 EWG-Vertrag sei geregelt, daß gleiches Entgelt für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit zu gewähren sei. Eine Verletzung des Artikels 119 EWG-Vertrag liege vor, wenn drei Kriterien gegeben seien:

  1. a)

    Es müsse eine Vergütungsregelung vorliegen, die eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern gegenüber einer anderen Gruppen benachteilige.

  2. b)

    Von dieser Regelung müßten wesentlich mehr Frauen als Männer nachteilig betroffen sein.

  3. c)

    Rechtfertigungsgründe dürften nicht vorliegen.

12

Das erste Tatbestandsmerkmal für eine Verletzung des Artikels 119 EWG-Vertrag sei gegeben. Es gebe zwei Gruppen von Lehrkräften, die bei unstreitig gleicher Art. (gemeint ist wohl: Arbeit) unterschiedlich bezahlt würden. Auch der zweite Tatbestand der Geschlechterdiskriminierung sei für den Kläger mittelbar gegeben, da der Frauen-Anteil der Lehrkräfte mit sozialpädagogischer bzw. sonderpädagogischer Ausbildung 87 % betrage, während nur 13 % der Lehrkräfte Männer seien. Dieser Unterschied sei wesentlich. Rechtfertigungsgründe für die Ungleichbehandlung seien nicht erkennbar. Das beklagte Land habe insoweit bisher keine sachlichen Argumente vorgelegt. Es gebrauche die Leerformel, daß sich "unterschiedliche Ausbildungsqualifikationen in fachlicher und pädagogischer Eignung, Urteilsvermögen sowie breitgefächerten Einsatzbereichen niederschlagen ...". Es sei weder schlüssig noch konkret dargelegt, in welchem Bereich der Kläger pädagogisch weniger geeignet sein solle, geringeres Urteilsvermögen habe oder in welchem Bereich er nicht einsetzbar sei. Der Europäische Gerichtshof habe zu Artikel 119 EWG-Vertrag erkannt, daß bei gleicher Arbeit und unterschiedlicher Bezahlung der Arbeitgeber die Beweislast für die Ungleichbehandlung habe. Danach müßte dem Kläger nachgewiesen werden, daß er minderwertigere Arbeit als die seiner Kollegen mit Hochschulabschluß leiste. Dieser Beweis sei nicht geführt und könne auch nicht geführt werden.

13

Weiteres Vorbringen des Klägers ist in seinen Schriftsätzen vom 25. April 1994 nebst Anlagen (Bl. 98 bis 104 d.A.), 22. Juni 1994 (Bl. 109 f.d.A.), 05. Juli 1994 nebst Anlagen (Bl. 111 bis 114 d.A.), 28. November 1994 (Bl. 117 f.d.A.), 21. Oktober 1996 (Bl. 174 f.d.A.), 14. November 1996 (Bl. 179 f.d.A.) und 11. Dezember 1996 (Bl. 185 f.d.A.) enthalten. Darauf wird Bezug genommen. Der Kläger weist insbesondere darauf hin, daß die dem Kläger unterstellten sogenannten pädagogischen Mitarbeiter bei geringerer Qualifikation und geringerer Verantwortung nicht nur die gleiche Vergütung wie der Kläger, sondern gemäß Fußnote 1) zur Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 16 nach vierjähriger Bewährung in dieser Fallgruppe eine Vergütungsgruppenzulage in Höhe von 7,5 % der Anfangsgrundvergütung der Vergütungsgruppe IV b erhielten, was im Endergebnis einer Bezahlung nach Vergütungsgruppe IV a BAT gleichkomme.

14

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 24. Juni 1993 zu ändern und festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger ab 12. September 1991 Vergütung aus der Vergütungsgruppe III BAT anstelle gewährter Vergütung aus der Vergütungsgruppe IV b BAT nebst 4 % Zinsen auf die Nettodifferenzbeträge ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen.

15

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

16

Das beklagte Land teilt die rechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit der jeweils geltenden Eingruppierungserlasse des Niedersächsischen Kultusministers, die als Vertragsrecht Anwendung fänden, nicht. Eine Anknüpfung an sachfremde Gesichtspunkte bei der Festlegung der Eingruppierungsvoraussetzungen, soweit auf Ausbildungskriterien abgestellt werde, sei nicht vorhanden. Eine Eingruppierungsregelung, die die Höhe der Vergütung von einem bestimmten Ausbildungsabschluß abhängig mache und für andere Ausbildungsabschlüsse bei gleicher Tätigkeit eine niedrigere Vergütung vorsehe, verletze den Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs. 1 GG nicht. Es sei zulässig, den Vergütungsanspruch nicht nur von der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, sondern auch von weiteren persönlichen Voraussetzungen, wie dem Nachweis bestimmter Kenntnisse oder einer speziellen Ausbildung, abhängig zu machen.

17

Die Ausbildung eines Erziehers und eines graduierten Sozialpädagogen und die Hochschulausbildung zum Sonderschullehrer mit nachfolgender Referendarausbildung sei unterschiedlich. Dies ergebe sich bereits aus der verschiedenen Ausbildungsdauer. Es sei ferner davon auszugehen, daß die Hochschulausbildung eine vertiefte wissenschaftliche Ausbildung vermittele. Jedenfalls sei es nicht willkürlich und sachlich ungerechtfertigt, wenn die Hochschulausbildung höher bewertet werde.

18

Es gebe also weder eine Verpflichtung des beklagten Landes, den Eingruppierungserlaß so auszugestalten, daß Unterschiede zu der Vergütung nach BAT nicht bestehen, noch sei durch den Eingruppierungserlaß selbst und die entsprechende Eingruppierung des Klägers der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt.

19

Sein Höhergruppierungsverlangen könne der Kläger auch nicht auf Artikel 119 Abs. 1 EWG-Vertrag stützen. Es sei bereits mehr als fraglich, ob der Kläger als Mann sich überhaupt auf die sogenannte mittelbare Diskriminierung berufen könne. Dem Wortlaut nach verpflichte Artikel 119 Abs. 1 EWG-Vertrag die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft, den Grundsatz gleichen Entgelts für Frauen und Männer bei gleicher Arbeit anzuwenden und zu gewährleisten.

20

Der Eingruppierungserlaß des Niedersächsischen Kultusministers sei keine Vergütungsregelung, die eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern gegenüber einer anderen Gruppe benachteilige.

21

Der Kläger verkenne, daß die Anwendung von Artikel 119 Abs. 1 EWG-Vertrag ferner voraussetze, daß wesentlich mehr Frauen als Männer von der differenzierenden Regelung nachteilig betroffen seien. Da der Anteil der Männer nach dem Vortrag des Klägers nur 13 % betrage, sei also von einer mittelbaren Diskriminierung nicht auszugehen. Inwieweit der Kläger also von dieser Regelung, von der wesentlich mehr Frauen als Männer betroffen seien, benachteiligt werden solle, sei nicht nachvollziehbar. Im übrigen würden die vom Kläger angegebenen Prozentsätze bestritten. Sie seien weder dargelegt noch zutreffend. Sollte der Kläger den Anteil der Angestellten meinen, die Vergütung nach Vergütungsgruppe IV b BAT erhalten, so betrage der Anteil der weiblichen Angestellten in dieser Gruppe 85 % und der Anteil der weiblichen Angestellten, die nach Vergütungsgruppe III BAT Vergütung erhalten, 83 %. Damit sei aber ein etwa gleicher Prozentsatz in beiden Vergütungsgruppen gegeben, so daß auch dieses Tatbestandsmerkmal nicht gegeben sei.

22

Hinsichtlich der Rechtfertigungsgründe argumentiere der Kläger wiederum mehr als pauschal. Auch insoweit werde angeknüpft an die Diskriminierung des weiblichen Geschlechts, die jedoch dann gerechtfertigt wäre, wenn mit einer möglichen Ungleichbehandlung ein sachlicher nicht auf das Geschlecht bezogener Zweck verfolgt würde. Die vom beklagten Land gewählten Eingruppierungsgrundsätze dienten aber den wirklichen Bedürfnissen des beklagten Landes und seien zum Erreichen der gewählten Ziele geeignet und erforderlich. Die Rechtfertigung für die Regelung der Vergütungshöhe nach Gruppenmerkmalen ergebe sich aus der unterschiedlichen Ausbildung. Die Vergütung einer besonderen Berufsausbildung lasse sich dadurch rechtfertigen, daß die geforderte Ausbildung für die Ausführung der dem Arbeitnehmer übertragenen spezifischen Aufgaben von Bedeutung sei. Danach wiesen graduierte Sozial Pädagogen im Verhältnis zu Sonderschullehrern mit 2. Staatsexamen eine geringere Qualifikation auf. Die verschiedenartige Vorbildung schlage sich in unterschiedlichen pädagogischen Urteilsvermögen und Fertigkeiten nieder. Im Rahmen der wissenschaftlichen Hochschulausbildung erwürben zukünftige Sonderschullehrerinnen und -lehrer spezielle Kenntnisse in der Behinderten- und Sonderpädagogik, die diese zu einem höheren Maß wissenschaftlicher Reflektion und Analyse im späteren Berufsleben befähigten und darüber hinaus verschiedenartige Einsätze im Sonderschulbereich ermöglichten. Es würden diagnostische Qualifikationen vermittelt, die Grundlage auch für eine Fertigung sonderpädagogischer Gutachten darstellten, in denen die Möglichkeiten der sonderpädagogischen Förderung unterschiedlich Behinderter geprüft und beurteilt würden. Auch die auf die Erteilung von Unterricht ausgerichtete Ausbildung vermittele weitergehende sonderpädagogische Fähigkeiten, als dies bei der Ausbildung des Klägers der Fall gewesen sei.

23

Weiteres Vorbringen des beklagten Landes ist in den Schriftsätzen vom 27. Mai 1994 (Bl. 105 ff.d.A.), 30. September 1994 (Bl. 115 f.d.A.), 07. März 1995 nebst Anlagen (Bl. 127 bis 138 d.A.), 24. September 1996 (Bl. 154 bis 173 d.A.) und 04. Dezember 1996 (Bl. 183 f.d.A.) enthalten. Darauf wird Bezug genommen.

Gründe

24

Die aufgrund der Höhe des wertes des Beschwerdegegenstandes statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist damit zulässig.

25

Die Berufung hat jedoch nur zum Teil Erfolg. Das beklagte Land schuldet dem Kläger ab 12. September 1991 Vergütung aus der Vergütungsgruppe IV a BAT, nicht aber aus der Vergütungsgruppe III BAT.

26

Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, daß die Klage zulässig ist. Es handelt sich bei dem Feststellungsantrag des Klägers um eine Eingruppierungsfeststellungsklage, die im öffentlichen Dienst allgemein üblich ist und gegen deren Zulässigkeit keine Bedenken bestehen (BAG AP Nr. 114 zu §§ 22, 23 BAT 1975).

27

Zutreffend hat das Arbeitsgericht auch ausgeführt, daß sich der Anspruch auf höhere Vergütung nicht direkt aus dem BAT und dessen Vergütungsordnung ergibt, da gemäß Nr. 5 der Vorbemerkung zu allen Vergütungsgruppen der Anlage 1 a zum BAT die Anlage nicht für Angestellte gilt, die als Lehrkräfte beschäftigt werden. Maßgebend für die Beurteilung des Klageanspruchs ist deswegen zunächst der Arbeitsvertrag der Parteien, nach dessen § 2 sich das Arbeitsverhältnis nach den Eingruppierungserlassen des Niedersächsischen Kultusministers in der jeweils geltenden Fassung bestimmt.

28

Der für die Eingruppierung des Klägers maßgebliche Erlaß des Niedersächsischen Kultusministers in der Fassung vom 11. April 1986 (Nds. MBl. 1986 S. 424) lautet auszugsweise wie folgt:

VergGr.
Lehrkräfte an Sonderschulen
20 - Lehrkräfte mit der Befähigung für das Lehramt an SonderschulenII a
21 - Lehrkräfte mit der ersten staatlichen Prüfung für das Lehramt an SonderschulenIII
nach sechsjähriger BewährungII a
24 - Lehrkräfte als Gruppen-/Klassenleiter für Geistigbehinderte
1.mit der Befähigung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Bes. NLVOIV b
wenn sie eine abgeschlossene zusätzliche sonderpädagogische, sozialtherapeutische oder sozialpsychiatrische Ausbildung und eine nachfolgende sechsjährige Bewährung nachweisenIV a
2.mit staatlicher Prüfung oder staatlicher Anerkennung als Erzieher, Kindergärtnerin oder HortnerinV c
nach dreijähriger BewährungV b
3.mit der unter Nr. 2 genannten Ausbildung und einer abgeschlossenen sonderpädagogischen ZusatzausbildungV b
nach sechsjähriger BewährungIV b
4.ohne die unter 1. bis 3. genannte AusbildungVI b
nach dreijähriger BewährungV c
29

Der Kläger kann als staatlicher anerkannter Sozialpädagoge gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Bes.NLVO (Nds. GVBl. 1979 S. 63) in das Beamtenverhältnis auf Probe eingestellt werden. Seine Eingruppierung in Vergütungsgruppe IV b entspricht deswegen den Bestimmungen des Eingruppierungserlasses vom 11. April 1986.

30

Der Eingruppierungserlaß ist insoweit jedoch unwirksam, weil er gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt. Zwar hat bei der Festlegung der Vergütung der Grundsatz der Vertragsfreiheit Vorrang vor dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dies gilt aber nur für individuell vereinbarte Arbeitsentgelte. Dagegen beansprucht der Gleichbehandlungsgrundsatz nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts uneingeschränkt Geltung, wenn der Arbeitgeber - wie im vorliegenden Fall - Leistungen nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip festlegt (BAG AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung; AP Nr. 102 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; AP Nr. 171 zu §§ 22, 23 BAT Nr. 175). Das beklagte Land hat in dem Eingruppierungserlaß generelle Festlegungen für die Vergütung der im Angestelltenverhältnis beschäftigten Lehrer getroffen.

31

Es ist nicht zu beanstanden, daß das beklagte Land für die Vergütung der an Sonderschulen, auch an Sonderschulen für Geistigbehinderte, tätigen Lehrer Unterschiede vorgesehen und dabei die unterschiedliche Ausbildung dieser Lehrkräfte besonders berücksichtigt hat.

32

Der sachliche Grund für eine Ungleichbehandlung muß sich am Zweck der vom Arbeitgeber gewährten Leistung orientieren. Die Grundvergütung ist regelmäßig Gegenleistung für die ausgeübte Tätigkeit eines Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst. Durch Differenzierungen bei der Höhe der Grundvergütung schafft der Arbeitgeber darüber hinaus Anreize für eine höhere Qualifikation der Arbeitnehmer. Dies ist dann nicht sachwidrig, wenn bei einer typisierenden Betrachtung die bessere Ausbildung zu flexibleren Einsatzmöglichkeiten führt (BAG AP Nr. 106 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Danach begegnet die Differenzierung im Eingruppierungserlaß keinen rechtlichen Bedenken (BAG Urt. vom 23.02.1994 - 4 AZR 218/93 -). Nicht gerechtfertigt ist jedoch eine Vergütungsdifferenz von drei Vergütungsgruppen zwischen einer Lehrkraft mit der Befähigung für das Lehramt an Sonderschulen (Verg.-Gr. II a) einerseits und einem als Gruppen-/Klassenleiter für Geistigbehinderte tätigen staatlich anerkannten Sozialpädagogen andererseits (Verg.-Gr. IV b). Das beklagte Land selbst weist darauf hin, daß die festgelegten Eingruppierungsmerkmale angemessen sein und billigem Ermessen entsprechen müssen. Ein Abstand von drei Vergütungsgruppen kann nur dann billigem Ermessen entsprechen, wenn die zur Erledigung übertragenen Aufgaben es rechtfertigen, ein ganz besonderes Gewicht auf die unterschiedliche Ausbildung der zur Aufgabenerledigung eingesetzten Lehrkräfte zu legen. Das ist jedoch nicht der Fall. Es ist unstreitig, daß die Tätigkeit des Klägers an der Sonderschule für Geistigbehinderte in ... sich nicht von der Tätigkeit der Lehrkräfte mit Befähigung für das Lehramt an Sonderschulen unterscheidet.

33

Ein Unterschied besteht auch nicht insoweit, als die Erstattung von Gutachten in Betracht kommt. Insoweit ist in der mündlichen ... Verhandlung am 05. Mai 1997 von dem beklagten Land eingeräumt worden, daß es sich bei der Erstattung der sonderpädagogischen Gutachten um eine Hilfstätigkeit für die Schulbehörde handelt. Gegenstand dieser Gutachten ist die von der Schulbehörde zu beantwortende Frage, welcher Schule innerhalb der vorhandenen Schulformen ein besonders förderungsbedürftiges Kind zugewiesen werden soll. Die Frage, in welchem Umfang Lehrkräfte mit der Befähigung für das Lehramt an Sonderschulen mit der Erstellung derartiger Gutachten befaßt werden, ist nicht ein für allemal zu beantworten. Wenn nur verhältnismäßig wenige Gutachten zu erstellen sind, werden damit nach der Auskunft des beklagten Landes nur die besonders erfahrenen Sonderschullehrer beauftragt.

34

Die laufende Begutachtung der in den Sonderschulen unterrichteten Kinder obliegt dagegen allen Lehrkräften gleichermaßen ohne Rücksicht auf ihre jeweilige Vorbildung.

35

Unstreitig ist auch, daß nicht nur die Durchführung des Unterrichts, sondern auch seine Vorbereitung und die übrigen Aufgaben (z. B. Eltern- und Behördenkontakte) keine Unterschiede auf weisen. Die Art. der zu erledigenden Aufgaben kann daher eine Differenz von drei Vergütungsgruppen zwischen einer Lehrkraft mit der Befähigung für das Lehramt an Sonderschulen und einem graduierten Sozialpädagogen nicht rechtfertigen.

36

Nachdem das Bundesarbeitsgericht festgestellt hat, es bestehe kein Erfahrungssatz, wonach eine wissenschaftliche Ausbildung regelmäßig zu besseren Arbeitsergebnissen gegenüber Absolventen anderer Ausbildungsformen führe (BAG Urt. vom 23. Februar 1994 - 4 AZR 218/93 -), entspricht es billigem Ermessen, Lehrkräfte als Gruppen-/Klassenleiter für Geistigbehinderte mit der Befähigung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Bes. NLVO nach der Verg.-Gr. IV a BAT zu vergüten. Diese Vergütung entspricht dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Einerseits erscheint es nach wie vor sachgerecht, bei Lehrkräften die Vergütung an das Kriterium einer bestimmten Vorbildung zu knüpfen, und andererseits wird die Vorbildungsvoraussetzung in den Fällen, in denen die geforderte Tätigkeit identisch ist, nicht überbewertet. Ferner wird der Tatsache, daß pädagogische Mitarbeiter an Sonderschulen zusätzlich zu der Vergütung aus der Verg.-Gr. IV b unter Umständen eine Zulage erhalten, harmonisierend Rechnung getragen.

37

Eine Vergütung aus der Vergütungsgruppe III kommt dagegen nicht in Betracht, weil diese Vergütungsgrupe den Lehrkräften mit Befähigung gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Bes. NLVO vorzubehalten ist, die eine abgeschlossene zusätzliche sonderpädagogische, sozialtherapeutische oder sozialpsychiatrische Ausbildung und eine nachfolgende sechsjährige Bewährung nachweisen können.

38

Ein Anspruch auf Vergütung aus der Vergütungsgruppe III BAT ergibt sich auch nicht aus Artikel 119 EWG-Vertrag. Dafür, daß der Kläger als Mann durch die in dem Eingruppierungserlaß vorgesehene unterschiedliche Vergütung von Lehrkräften mit der Befähigung für das Lehramt an Sonderschulen (Nr. 20) und den Lehrkräften als Gruppen-/Klassenleiter für Geistigbehinderte (Nr. 24.1) unmittelbar oder mittelbar diskriminiert sein könnte, sind keine Anhaltspunkte vorhanden. Die vorgesehene unterschiedliche Vergütung ist durch einen objektiven Faktor, nämlich das Ausbildungserfordernis, gerechtfertigt, der nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hat.

39

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91, 92 und 97 ZPO. Der Streitwert ist unverändert.

40

Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) zugelassen worden.