Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.09.1997, Az.: 12 Sa 2121/96
Verpflichtung des Landes zur Zahlung von Trennungsgeld aus Anlass einer Abordnung; Berücksichtigung einer tariflichen oder sonstigen Ausschlussklausel in Ausnahmefällen wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unzulässig; Unzulässige Rechtsausübung bei Berufung auf Ausschlussfrist, wenn der Arbeitnehmer von der Geltendmachung des Anspruchs abgehalten wurde
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 09.09.1997
- Aktenzeichen
- 12 Sa 2121/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 20043
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1997:0909.12SA2121.96.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Oldenburg - 28.08.1996 - AZ: 3 Ca 823/95
- nachfolgend
- BAG - 05.08.1999 - AZ: 6 AZR 752/97
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 1 TGV
- § 242 BGB
- § 134 BGB
In dem Rechtsstreit
hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 09. September 1997
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 28. August 1996 - 3 Ca 823/95 - abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Streitwert: unverändert.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung des beklagten Landes zur Zahlung von Trennungsgeld aus Anlaß einer Abordnung des Klägers.
Der in ... wohnhafte Kläger ist als Verwaltungsangestellter in der Straßenbauverwaltung des beklagten Landes beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung.
Durch Verfügung des Niedersächsischen Landesamts für Straßenbau vom 05. Dezember 1988 (Fotokopie Bl. 47 d. A.) wurde der Kläger vom Straßenbauamt ... Straßenmeisterei ... versetzt. In der Versetzungsverfügung heißt es u. a.:
"Durch diese Maßnahme wird ... Ihr neuer Beschäftigungsort. Dienstort verbleibt wie bisher
...
Aus Anlaß der Maßnahme haben Sie keinen Anspruch auf Trennungsgeld, da Ihr neuer Beschäftigungsort im Einzugsbereich ihrer Wohnung liegt (§ 2 Abs. 6 BUKG)."
Später wurde der Kläger durch Verfügung vom 07. Januar 1993 (Fotokopie Bl. 6 d. A.) mit Wirkung vom 18. Januar 1993 an das Straßenbauamt ... abgeordnet. In der Abordnungsverfügung heißt es u. a.:
"Durch diese Maßnahme ändert sich Ihr Dienstort nicht."
Einen schriftlichen Antrag des Klägers vom 28. Juni 1994 (Fotokopie Bl. 7 d. A.) auf Trennungsgeld mit Rückwirkung anläßlich seiner Abordnung lehnte das beklagte Land unter Hinweis auf die Ausschlußfrist des § 9 Abs. 1 Trennungsgeld Verordnung (TGV) ab. Der Kläger hat daraufhin am 28. Dezember 1995 die vorliegende Klage erhoben, mit welcher er rückständiges Trennungsgeld i. H. v. 18.098,04 DM nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrt, daß das beklagte Land verpflichtet ist, an ihn für die Dauer seiner Abordnung an das Straßenbauamt ... Trennungsgeld zu zahlen.
Er hat die Auffassung vertreten, das Berufen des Beklagten auf die Ausschlußfrist sei rechtsmißbräuchlich, denn er - der Kläger - habe auf die Richtigkeit der Angaben in der Abordnungsverfügung vertraut und deshalb zunächst kein Trennungsgeld beantragt. Es könne nicht angehen, daß ihm gegenüber zunächst in rechtswidriger Weise das Erkennen eines Anspruchs vereitelt werde, um ihn dann später darauf hinzuweisen, daß er seinen Anspruch nicht rechtzeitig geltend gemacht habe.
Der Kläger hat beantragt,
- 1.
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger rückständiges Trennungsgeld i. H. v. 18.098,04 DM nebst 4 % Zinsen seit 28. Dezember 1995 zu zahlen;
- 2.
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger für die Dauer seiner Abordnung an das Straßenbauamt Trennungsgeld i. H. v. 22,51 DM je Arbeitstag zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hat geltend gemacht, eine gegen Treu und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung liege in der Verweigerung von Trennungsgeld wegen Verstreichens der Ausschlußfrist nicht vor.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 67 Rückseite, 68 d. A.) sowie den Inhalt der zu den Akten 1. Instanz gelangten Schriftsätze und Anlagen der Parteien verwiesen.
Das Arbeitsgericht Oldenburg hat durch das am 28. August 1996 verkündete, hiermit in Bezug genommene Urteil (Bl. 67 bis 69 Rückseite d. A.) der Klage stattgegeben, die Kosten des Rechtsstreit den beklagten Land auferlegt und den Wert des Streitgegenstandes auf 18.098,04 DM festgesetzt.
Das Arbeitsgericht hat angenommen, das beklagte Land sei verpflichtet, dem Kläger aus Anlaß seiner Anordnung zum Straßenbauamt-Ost Trennungsgeld nach der über § 44 Abs. 1 BAT im Arbeitsverhältnis der Parteien zur Anwendung gelangenden Trennungsgeldverordnung zu zahlen. Unstreitig erfülle der Kläger die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des § 1 TGV. Durch die Abordnung von ... habe sein Dienstort gewechselt. Auch liege seine Wohnung nicht im Einzugsbereich des neuen Dienstortes. Entgegen der Rechtsauffassung des beklagten Landes sei der klägerische Trennungsgeldanspruch auch nicht verfallen. Zwar verlange § 9 Abs. 1 TGV die schriftliche Beantragung des Trennungsgeldes innerhalb einer Ausschlußfrist von einem Jahr, dabei beginne die Frist jeweils mit Ablauf des Kalendermonats, für den Trennungsgeld erstmalig zustehe. Der Kläger habe diese Ausschlußfrist versäumt, denn erstmalig mit Schreiben vom 28. Juni 1994 und damit knapp 5 Monate nach Fristablauf habe er Trennungsgeld verlangt. Indes sei trotz Ablaufs der Verfallfrist sein Anspruch nicht erloschen. Das beklagte Land könne sich hierauf nicht berufen, weil dies eine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) darstelle. Es habe nämlich beim Kläger einen Vertrauenstatbestand dahin geschaffen ihm stehe aus Anlaß seiner Abordnung Trennungsgeld nicht zu.
Gegen das ihm am 23. Oktober 1996 zugestellte Urteil hat das beklagte Land am 25. November 1996 (Montag) Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.
Das beklagte Land trägt vor, unbestritten habe es den Terminus "Dienstort" nicht richtig verwendet und statt dessen "Beschäftigungsort" gewählt. Diese unrichtige Terminologie habe es jedoch konsequent durchgehalten, denn sowohl in der Versetzungsverfügung vom 05. Dezember 1988 als auch in der Verfügung vom 07. Januar 1993 sei mitgeteilt worden, daß der Dienstort ... bleibe. Zum Beschäftigungsort äußere sich nur die Versetzungsverfügung nicht aber die Abordnungsverfügung. Eine rechtliche Auskunft, auf welche der Kläger im Zusammenhang mit der Gewährung von Trennungsgeld bzw. mit dem Bestehen oder Nichtbestehen von Trennungsgeldansprüchen hätte vertrauen können, sei in der Verfügung vom 07. Januar 1993 nicht enthalten. Der diesbezügliche Vortrag des Klägers, er habe auf die sachliche Richtigkeit der Abordnungsverfügung vertraut, sei nicht nachvollziehbar. Im Hinblick auf den Wechsel des Beschäftigungsortes und die Konsequenzen für den Anspruch auf Trennungsgeld gemäß der Verfügung vom 05. Dezember 1988 enthalte die Verfügung vom 07. Januar 1993 keine diesbezüglichen Angaben. Tatsächlich sei der Kläger in der Verfügung vom 07. Januar 1993 nicht über das Bestehen oder Nichtbestehen von Trennungsgeldansprüchen belehrt worden. Im Hinblick auf die Verfügung vom 07. Januar 1993, in welcher vom Beschäftigungsort überhaupt nicht die Rede sei, mache sich der Kläger aber keine Gedanken über die Konsequenzen der Abordnung für die Lage des Beschäftigungsortes, obwohl ihm klar gewesen sein müsse, daß dieser sich ändere. Da eine Aussage über den Beschäftigungsort nicht getroffen worden sei und der Kläger somit auch nicht unrichtig belehrt worden sei, hätte für ihn Veranlassung zur Nachfrage bzw. Nachprüfung der Konsequenzen bestanden. Eine Leistungsverweigerung wegen Fristversäumnis sei keine unzulässige Rechtsausübung. Das geltende Recht und damit auch die Ausschluß trist müßten als allgemein bekannt angesehen werden. Zweifel könnten durch Rückfrage bei der Dienststelle geklärt werden. Rechtliche Fehleinschätzungen des Bediensteten seien eigenes Risiko. Der Bedienstete könne sich nicht darauf berufen, die Ausschlußfrist nicht gekannt zu haben.
Das beklagte Land beantragt,
das erstinstanzliche Urteil vom 28. August 1996 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 28. August 1996 kostenpflichtig zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 23. Dezember 1996 (Bl. 84 bis 86 d. A.).
Wegen des weiteren Parteivorbringens 2. Instanz wird auf den Inhalt der vor dem Berufungsgericht gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 09. September 1997 (Bl. 97, 98 d. A.) verwiesen.
Gründe
Die nach der Beschwer statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) form- sowie fristgerechte eingelegte und begründete Berufung (§§ 66 ArbGG 518, 519 ZPO) ist begründet. Sie führt zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und zur Klageabweisung. Der entstandene Anspruch des Klägers auf Zahlung des Trennungsgeldes ist verfallen, denn der Kläger hat seinen Anspruch nicht innerhalb der einjährigen Ausschlußfrist des § 9 Abs. 1 TGV schriftlich geltend gemacht.
Zutreffend ist das Arbeitsgericht zunächst davon ausgegangen, daß dem Kläger anläßlich seiner Abordnung ab 18. Januar 1993 Trennungsgeld zusteht und dieser seinen Anspruch nicht rechtzeitig im Sinne von § 9 Abs. 1 TGV schriftlich geltend gemacht hat. Zwecks Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe (Seite 3 unten und Seite 5 des angefochtenen Urteils gleich Blatt 68, 68 Rückseite d. A.) Bezug genommen (§ 543 Abs. 1 ZPO). Die Kammer geht auch davon aus, daß im Gegensatz etwa zu tariflichen Ausschlußfristen der Anspruch auf Gewährung des Trennungsgeldes bei Versäumung der Frist des § 9 TGV insgesamt erlischt und dem Kläger daher weder für die Zeit die weniger als 1 Jahr zurückliegt noch für die Zukunft aus Anlaß der selben dienstlichen Maßnahme (hier: der Abordnung) Trennungsgeld gewährt werden darf (vgl. Meyer/Fricke, Reisekosten, § 9 TGV RdNr.: 17).
Das Berufungsgericht teilt jedoch nicht die Auffassung, daß das beklagte Land sich treuwidrig verhält, indem es sich auf die Ausschlußfrist des § 9 Abs. 1 TGV beruft. Es trifft zwar zu, daß die Berücksichtigung einer tariflichen oder sonstigen Ausschlußklausel in Ausnahmefällen wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unterbleiben kann. In einem solchen Fall bleibt dann der Anspruch trotz Fristablaufs erhalten. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die tariflichen Ausschlußfristen gerade den Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes grundsätzlich verpflichten, sich auf den Ablauf der Ausschlußfrist zu berufen. Bei der Frage, ob der Berufung auf die Ausschlußfrist der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen steht, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Eine solche ist nur gegeben, wenn der Schuldner in grober Weise gegen die Grundsätze von Treu und Glauben verstößt.
Die Berufung auf eine Ausschlußfrist stellt eine gem. §§ 242, 134 BGB unzulässige Rechtsausübung dann dar, wenn die zum Verfall des Anspruches führende Untätigkeit des Arbeitnehmers hinsichtlich dar erforderlichen schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs bzw. der Einhaltung der Frist durch ein Verhalten des Arbeitgebers veranlaßt worden ist.
Dieser muß also den Arbeitnehmer von der Geltendmachung des Anspruchs bzw. der Einhaltung der Ausschlußfrist abgehalten haben. Das wird dann angenommen, wenn der Arbeitgeber durch positives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen dem Arbeitnehmer die Geltendmachung des Anspruchs oder die Einhaltung der Frist erschwert oder unmöglich gemacht hat bzw. an objektiven Maßstaben gemessen den Eindruck erweckt hat, der Arbeitnehmer könne darauf vertrauen, daß der Anspruch auch ohne Wahrung einer Ausschlußfrist erfüllt werde. In solchen Fällen setzt sich der Arbeitgeber in Widerspruch zu seinem eigenen früheren Verhalten, wenn er zunächst den Arbeitnehmer zu Untätigkeit veranlaßt und dann, indem er den Verfall geltend macht, aus dieser Untätigkeit einen Vorteil für sich ableiten will (vgl. etwa BAG, Urteil vom 22. Januar 1997 - 10 AZR 459/96 - mit weiteren Nachweisen).
Eine derartige Fallgestaltung liegt aber entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht vor.
Das beklagte Land hat den Kläger nicht daran gehindert, seinen Anspruch auf Trennungsgeld geltend zu machen. Zwar ist die Angabe in der Abordnungsverfügung vom 7. Januar 1993, wonach sich der Dienstort nicht ändert falsch, dadurch war es dem Kläger aber nicht verwehrt, Trennungsgeld geltend zu machen, denn eine unrichtige dienstliche Auskunft über Trennungsgeld wurde damit allenfalls unabsichtlich und mittelbar gegeben, weil die Frage des Trennungsgeldes in der Abordnungsverfügung gar nicht behandelt worden ist. Gerade im Zusammenhang mit der früheren Versetzungsverfügung vom 05. Dezember 1988 welche - unrichtig - in Bezug auf Trennungsgeld den Begriff Beschäftigungsort verwendet, ist durch die falsche Auskunft über den Dienstort dem Kläger nicht der Eindruck vermittelt worden, er bekomme kein Trennungsgeld anläßlich der Abordnung. Vielmehr hätte er sich angesichts des Schweigens der Verfügung vom 07. Januar 1993 über den Beschäftigungsort fragen bzw. informieren müssen, welchen Einfluß die Abordnung auf den "Beschäftigungsort" im Sinne der Verfügung vom 05. Dezember 1988 haben werde. Wenn der Kläger - wie geschehen - dies unterließ und sich nicht mit den rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Trennungsgeld auseinandersetzte, muß er auch das Risiko der nicht rechtzeitigen Geltendmachung seines Anspruchs auf Trennungsgeld tragen. Von einem Arbeitnehmer muß nämlich verlangt werden, daß er sich hinsichtlich der Rechtslage über die Berechtigung vermeintlicher Ansprüche selbst informiert. Eine Unkenntnis über die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen eines tariflichen Anspruchs bzw. dessen Verfall aufgrund von Ausschlußfristen sind rechtlich unbeachtlich (vgl. BAG, Urteil vom 22. Januar 1997 - 10 AZR 459/96 - mit weiteren Nachweisen).
Dem Kläger hätte es anläßlich seiner Abordnung jederzeit freigestanden, Ansprüche auf Trennungsgeld schriftlich geltend zu machen, wenn er meinte, ihm stehe eine derartige Leistung zu. Eine etwaige Unkenntnis von den Vorschriften der TGV kann nicht dazu führen anzunehmen, das beklagte Land habe den Kläger davon abgehalten, seine Rechte fristgemäß geltend zu machen. Es sind keine Umstände ersichtlich, daß es dem Kläger nicht möglich gewesen wäre, sich zur Wahrung seiner Rechte prinzipiell die erforderlichen Kenntnisse über Trennungsgeld zu verschaffen.
Nach alledem kann das arbeitsgerichtliche Urteil keinen Bestand haben und die Klage war mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abzuweisen.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Streitwertbeschluss:
Streitwert: unverändert.