Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.10.1997, Az.: 5 Sa 2066/96

Kündigung eines Betriebsrates aus Witterungsgründen im Betonbaugewerbe; Lohnzahlungsanspruch des Arbeitnehmers bei Kündigung aus Witterungsgründen

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
13.10.1997
Aktenzeichen
5 Sa 2066/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 14073
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1997:1013.5SA2066.96.0A

Verfahrensgegenstand

Feststellung und Forderung

In dem Rechtsstreit
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht und
der ehrenamtlichen Richter ...
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 1997
fürRecht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 30. September 1996 - 1 Ca 189/96 - geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger ist seit dem 03. August 1992 bei der Beklagten als Betonbauer zu einem monatlichen Bruttoentgelt von ca. 4.500,00 DM beschäftigt. Er gehört dem aus fünf Mitgliedern bestehenden Betriebsrat an. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Rahmentarifvertrag (RTV) für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Beton- und Fertigteilindustrie und dem Betonsteinhandwerk (Betonsteingewerbe) Nordwestdeutschland vom 14. September 1993 Anwendung, in dessen§ 6 es u. a. heißt:

"Kann die Arbeit infolge von Witterungseinflüssen nicht fortgesetzt werden, ist eine Kündigung mit eintägiger Frist beiderseits möglich. Dieses gilt auch für befristete Arbeitsverhältnisse.

Die Wiedereinstellung des infolge Witterungseinflüssen oder gemäß Ziffer 1 Ausgeschiedenen muß erfolgen, sobald dessen Wiederbeschäftigung möglich ist. Der Arbeitnehmer hat hierauf einen Rechtsanspruch, wenn er sich unverzüglich nach Wiederaufnahme der Arbeit meldet. Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer von der Wiederaufnahme der Arbeit in Kenntnis zu setzen. Das Arbeitsverhältnis gilt in diesen Fällen als nicht unterbrochen."

2

Mit Schreiben vom 02. Januar 1996 (Fotokopie Bl. 14 d.A.) teilte die Beklagte dem Kläger folgendes mit:

3

Wie Sie wissen, ist aufgrund der zur Zeit herrschenden Witterungsverhältnisse eine Produktion unmöglich.

4

Wir mußten daher alle Kollegen, die nicht mit Reparaturarbeiten und der Herstellung von GFK-Rohren beschäftigt sind, nach § 6 Abs. 3 des Rahmentarifvertrages aus Witterungsgründen entlassen mit der Zusage der Wiedereinstellung.

5

Selbstverständlich muß von diesen Kollegen zunächst der Resturlaub aus 1995 genommen werden.

6

Da Ihnen aus 1995 kein Urlaub mehr zusteht, Sie andererseits der Auffassung sind, daß Sie als Betriebsrat nicht gekündigt werden können - auch nicht aus Witterungsgründen - müssen wir Sie auffordern, zunächst unbezahlten Urlaub zu nehmen.

7

Wie Sie wissen, kann die von Ihnen ausgeführte Tätigkeit zur Zeit nicht ausgeführt werden. Eine andere Arbeit können wir Ihnen nicht zuweisen.

8

Nach § 6 Abs. 3 des Rahmentarifvertrages können die ausgefallenen Arbeitsstunden innerhalb von 12 Werktagen nachgeholt werden. Wir sichern Ihnen jedoch zu, daß wir damit einverstanden sind, wenn Sie diese ausgefallenen Arbeitsstunden während des gesamten Jahres 1996 nachholen.

9

Im übrigen möchten wir nicht unerwähnt lassen, daß wir kein Verständnis dafür haben, daß der Betriebsrat Ihrer "Witterungsentlassung" nicht zustimmt. Wir halten dieses eindeutig für eine Begünstigung gegenüber anderen Arbeitnehmern. Dazu hat das Bundesarbeitsgericht 1994 entschieden, daß ein Betriebsrat gegenüber anderen Arbeitnehmern nicht begünstigt werden darf.

10

Nachdem die witterungsbedingten Gründe für die Einstellung der Produktion weggefallen waren, wurde der Kläger wieder beschäftigt.

11

Der Kläger verlangt für die Zeit der witterungsbedingten Produktionseinstellung Lohn in der unstreitigen Höhe von 9.045,15 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den Nettobetrag ab 01. April 1996.

12

Die Beklagte meint, der Kläger könne aufgrund seines Betriebsmandats nicht besser gestellt werden als andere Arbeitnehmer.

13

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 9.045,15 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit dem 01. April 1996 zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits hat das Arbeitsgericht der Beklagten auferlegt und den Streitwert auf 9.045,15 DM festgesetzt.

14

Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der der Höhe nach unstreitige Lohnanspruch des Klägers beruht auf § 611 Abs. 1 BGB.

15

Der auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien anwendbare RTV rechtfertige die dem Kläger gegenüber getroffene Maßnahme (unbezahlter Urlaub) nicht. § 6 Abs. 1 Ziff. 3 RTV lasse es lediglich zu, durch Witterungseinflüsse ausgefallene Arbeitsstunden innerhalb der folgenden 12 Werktage nachzuholen. Der Kläger sei nicht verpflichtet gewesen, das Angebot der Beklagten anzunehmen, die ausgefallenen Stunden während des gesamten Jahres 1996 nachzuholen. Dies sei angesichts des Ausfalls von Arbeitsstunden über einen Zeitraum von mehr als 2 Monaten auch unrealistisch. Daß die Beklagte die in§ 3 Abs. 1 Ziff. 3 RTV vorgesehene Kündigung mit eintägiger Frist wegen fehlender Zustimmung des Betriebsrats zu einer solchen Kündigung nicht ausgesprochen habe, gehe nicht zu Lasten des Klägers, sondern falle in den Risikobereich der Beklagten.

16

Gegen dieses Urteil, das ihr am 21. Oktober 1996 zugestellt worden ist, hat die Beklagte mit einem am 18. November 1996 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten Berufung eingelegt, die sie mit einem am 12. Dezember 1996 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten begründet hat.

17

Die Beklagte meint, ein Vergütungsanspruch des Klägers ergebe sich weder aus § 611 BGB, wie das Arbeitsgericht meine, noch aus § 615 BGB. Voraussetzung für die Erhaltung des Vergütungsanspruches sei die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit der Dienstleistung. Der Kläger habe seine Arbeitsleistung i. S. von § 294 BGB auch nicht tatsächlich anbieten können, denn die bloße Leistungsbereitschaft sei nicht ausreichend.

18

Bei der hier vorliegenden Unmöglichkeit - da aufgrund der Witterungsverhältnisse die Produktion von Betonfertigteilen, wie sie die Beklagte herstellt, nicht möglich gewesen sei, finde§ 615 BGB keine Anwendung, sondern es seien die§§ 323-325 BGB anzuwenden.

19

Dieses führe im vorliegenden Fall zur Anwendung des§ 323 Abs. 1 BGB mit der Folge, daß der Kläger seinen Zahlungsanspruch verliere.

20

Die hier unstreitig eingetretene Unmöglichkeit der Produktion führe auch unter Betrachtung des Aspektes des Betriebsrisikos nicht zu einem anderen Ergebnis.

21

Die Betriebsrisikolehre kenne zwar das Unternehmer- und Lohnrisiko, das grundsätzlich der Arbeitgeber trage, der damit auch zur Zahlung der Vergütung verpflichtet bleibe, ohne eine Dienstleistung erhalten zu haben. Allerdings müsse diese Betriebsrisikolehre in diesem besonderen Fall auch unter dem Aspekt betrachtet werden, daß die Beklagte das ihr tarifrechtlich zustehende Recht gerade in einer wie im vorliegenden Fall grundsätzlich gegebenen Möglichkeit einer witterungsbedingten Kündigung, wie sie der Tarifvertrag in § 6 Abs. 1 Ziff. 3 RTV vorsehe, nicht habe durchsetzen können.

22

In einem Zustimmungsverfahren nach § 103 BetrVG sei die Zustimmung verweigert worden. Der Versuch der Ersetzung dieser Zustimmung mittels arbeitsgerichtlicher Hilfe wäre sinnlos gewesen. Erschwerend komme hinzu, daß der Kläger im Gegensatz zu seinen Kollegen trotz des Wissenmüssens einer witterungsbedingten Arbeitsunterbrechung sich keine Resturlaubsansprüche vorbehalten, das Angebot der Beklagten, ausgefallene Stunden ausdrücklich nachzuholen, ausgeschlagen habe und auch nicht bereit gewesen sei, zumindest teilweise bereits Urlaub für das laufende Kalenderjahr in Anspruch zu nehmen.

23

Vielmehr habe der Kläger unter Berufung auf sein Ehrenamt als Betriebsrat sich eine Rechtsposition - hier rechtsmißbräuchlich - zu eigen gemacht.

24

Nach §§ 75 ff. BetrVG seien alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit zu behandeln. Sowohl von den Betriebspartnern als auch von den Arbeitnehmern untereinander werde Rücksichtnahme auf die berechtigten menschlichen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen verlangt.

25

Aus § 37 BetrVG werde zudem der Grundsatz hergeleitet, daß Betriebsratsmitglieder aus ihrem Amt keinerlei unmittelbare oder mittelbare Vorteile ziehen sollen.

26

Grundsätzlich habe das Betriebsratsmitglied wie jeder andere Arbeitnehmer auch die ihm aus seinem Arbeitsverhältnis obliegenden Pflichten zu erfüllen. Mit anderen Worten heiße dies auch, ein vertraglich bestehendes Recht (des Arbeitgebers) - wie hier die witterungsbedingte Entlassungsmöglichkeit - gegen sich gelten zu lassen, ohne von vornherein unter dem Aspekt der Offensichtlichkeit es an der Zustimmungsverweigerung (i. S. von § 103 BetrVG) scheitern zu lassen, und in dem weiteren Bewußtsein, daß eine mögliche arbeitsgerichtliche Hilfe dem Zweck der in § 6 Abs. 1 Ziff. 3 RTV kollektivvertraglich vorgesehenen besonderen Bestimmung für einen Fall des Betriebsrisikos entgegenstehen würde.

27

Nicht außer Acht gelassen werden dürfe hierbei auch der Aspekt, daß die Beklagte nicht zuletzt in ausführlichen Gesprächen auch mit dem Kläger darauf hingewiesen habe, daß selbst in der Phase der witterungsbedingten Arbeitsunmöglichkeit der Betriebsrat seinen ihm nach dem Betriebsverfassungsgesetz obliegenden Pflichten hätte nachkommen können.

28

Zur Darstellung aller weiteren Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf die Berufungsbegründung der Beklagten vom 11. Dezember 1996 (Bl. 46 bis 49 d.A.) Bezug genommen.

29

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 30. September 1996 zu ändern und die Klage abzuweisen.

30

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

31

Er verteidigt das angefochtene Urteil als der Rechtslage entsprechend.

32

Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der Betriebsrisikolehre trage der Arbeitgeber in der Regel das Betriebsrisiko aus wirtschaftlichen Gründen mit der Folge, daß er trotz nicht erfolgter Arbeitsleistung des Arbeitnehmers die Vergütung fortzuzahlen habe. Da der Kläger unstreitig ausdrücklich seine Arbeitskraft gegenüber der Beklagten weiterhin angeboten habe und der Arbeitgeber nach den Grundsätzen des Betriebsrisikos grundsätzlich auch bei witterungsbedingten Arbeitsausfällen das Betriebsrisiko trage, sei die Beklagte zur Zahlung des unstreitigen Betrages von DM 9.045,15 brutto nebst Zinsen verpflichtet.

33

An dieser Feststellung könne auch der Vortrag der Beklagten nichts ändern, der Kläger berufe sich unberechtigter weise auf sein Betriebsratsmandat.

34

Wenn die Beklagte der Auffassung sei, daß wegen eines witterungsbedingten Arbeitsausfalles eine außerordentliche Kündigung möglich gewesen wäre, hätte sie, so meint der Kläger, nach dem ablehnenden Beschluß des Betriebsrates ohne weiteres ein Zustimmungsersetzungsverfahren beim Arbeitsgericht einleiten können. Einen solchen Antrag habe die Beklagte unstreitig jedoch nicht gestellt.

35

Der Kläger sei auch nicht verpflichtet gewesen, wie die Beklagte meine. Urlaub anzusparen für etwaige witterungsbedingte Arbeitsausfälle. Ein solches Ansparen von Urlaubstagen zu dem von der Beklagten genannten Zweck sei nicht nur abwegig, sondern widerspreche auch dem Urlaubszweck, nämlich den Urlaub zur Erholung des Arbeitnehmers zu nutzen und nicht etwaige produktionsbedingte Ausfalltage zu überbrücken.

36

Da das Arbeitsgericht schließlich auch zutreffend darauf hingewiesen hat, daß der Kläger aufgrund des längeren Arbeitsausfalls nicht in der Lage gewesen sei, diesen Arbeitsausfall, wie im RTV vorgesehen, innerhalb von 12 Werktagen nachholen konnte, sei die Beklagte für den streitbefangenen Zeitraum zur Vergütungsfortzahlung in der unstreitigen Höhe verpflichtet.

37

Weiteres Vorbringen des Klägers ist in seinem Schriftsatz vom 13. Oktober 1997 (Bl. 76 bis 79 d.A.) enthalten. Darauf wird Bezug genommen.

Gründe

38

Die aufgrund der Höhe des Wertes des Beschwerdegegenstandes statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist damit zulässig.

39

Die Berufung ist auch begründet.

40

Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit der Parteien unzutreffend entschieden. Dem Kläger steht ein Vergütungsanspruch aus dem allein in Betracht kommenden § 615 BGB nicht zu. Der Vergütungsanspruch ist gemäß § 323 Abs. 1 BGB entfallen. Die Arbeitsleistung ist aufgrund eines Umstandes, der weder vom Arbeitgeber noch vom Arbeitnehmer zu vertreten ist, unmöglich. Damit besteht auch kein Anspruch auf die Gegenleistung. Indem die Tarifvertragsparteien in § 6 I 3 RTV die Möglichkeit einer Kündigung mit eintägiger Frist geschaffen haben, haben sie als die beteiligten Kreise anerkannt und festgeschrieben, daß die Regelnüber die Tragung des Betriebsrisikos dann, wenn die Arbeit infolge von Witterungseinflüsen nicht fortgesetzt werden kann, keine Anwendung finden sollen.

41

Es ist kein Grund ersichtlich, der es rechtfertigen könnte, Betriebsratsmitglieder von der Anwendbarkeit des § 323 Abs. 1 BGB auszunehmen. Insofern gilt nichts anderes als z. B. in dem Fall, in dem in einem Betrieb Kurzarbeit eingeführt wird. Würden Betriebsratsmitglieder, wie es der Kläger verlangt, weiter ihren vollen Lohn beziehen, so würden sie gegenüber ihren Kollegen wegen ihrer Tätigkeit begünstigt werden. Das würde gegen den Grundgedanken des § 78 BetrVG verstoßen, der auch bei gerichtlichen Entscheidungen zu beachten ist (vergl. BAG, Urt. v. 09.03.1997 - 7 AZR 581/92 unter II 4.b.aa.).

42

Zu Unrecht glaubt der Kläger, die Beklagte auf die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses verweisen zu können. Die Tarifvertragsparteien haben für den Fall eines witterungsbedingten Produktionsausfalls in§ 6 I 3 unter der Überschrift "Arbeitsausfall" eine "Kündigung mit eintägiger Frist beiderseits" vorgesehen. Bei dieser Kündigung, mit der im Gegensatz zu den in § 19 RTV geregelten Fällen lediglich eine Suspendierung der gegenseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag erreicht werden soll, handelt es sich um ein Instrument, das eine außerordentliche Kündigung ausschließt. Der Umstand, daß dieses Instrument gegenüber Betriebsratsmitgliedern wegen des diesen zustehenden besonderen Kündigungsschutzes (§ 15 Abs. 1 KSchG) untauglich ist,ändert nichts daran, daß die allgemeinen Vorschriften über die Folgen von Leistungsstörungen auch auf die Arbeitsverträge von Betriebsratsmitgliedern anzuwenden sind.

43

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91.

44

Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen worden.