Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.06.2010, Az.: 8 ME 125/10
Genehmigungserfordernis für die Errichtung von Grabplatten und baulichen Anlagen auf einer Grabstätte nach den Gestaltungsvorschriften einer Friedhofssatzung; Gestaltungsfreiheit eines Friedhofsbenutzers in den Grenzen einer Friedhofssatzung zwecks Gewährleistung einer ungehinderten Leichenverwesung innerhalb der Ruhezeiten
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 09.06.2010
- Aktenzeichen
- 8 ME 125/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 24064
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0609.8ME125.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 20 Abs. 1 Friedhofssatzung vom 29. Juni 2000
- § 20 Abs. 2 Friedhofssatzung vom 29. Juni 2000
- § 20 Abs. 7 S. 1 Friedhofssatzung vom 29. Juni 2000
- § 27 Abs. 3 Friedhofssatzung vom 29. Juni 2000
- § 30 Abs. 1 S. 1 Friedhofssatzung vom 29. Juni 2000
- Art. 2 Abs. 1 GG
Fundstellen
- JuS 2010, 7
- NVwZ 2010, 6 (Pressemitteilung)
- NdsVBl 2010, 300-302
Redaktioneller Leitsatz
Eine Grabmalgestaltungsvorschrift in einer Friedhofssatzung, nach der die vollflächige Abdeckung einer Grabstätte verboten ist, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Sie dient dem allgemeinen Friedhofszweck der Gewährleistung einer ungehinderten Leichenverwesung innerhalb der Ruhezeiten.
Gründe
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden verwaltungsgerichtlichen Beschluss ist unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 8. Februar/24. März 2010, mit der dem Antragsteller unter Fristsetzung und unter nachfolgenden Anordnungen der sofortigen Vollziehung vom 20. April 2010 die Beseitigung der steinernen Grabplatten auf der Grabstätte seiner verstorbenen Ehefrau (Wahlgrab bevorzugte Lage Nr. ... der Reihe ... im Feld ... des Friedhofs D. /C.) aufgegeben und die Ersatzvornahme angedroht worden ist, abgelehnt. Die von dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren angeführten und vom Senat nach§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfenden Gründe rechtfertigen keine Änderung der angefochtenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Die gerichtliche Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO setzt eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Diese Abwägung fällt in der Regel zu Lasten des Antragstellers aus, wenn bereits im Aussetzungsverfahren bei summarischer Prüfung zu erkennen ist, dass sein Rechtsbehelf offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.5.2004 - 2 BvR 821/04 -, NJW 2004, 2297; Beschl. v. 11.2.1982 - 2 BvR 77/82 -, NJW 1982, 241; BVerwG, Beschl. v. 9.9.1996 - 11 VR 31.95 -; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., Rn. 964). Dagegen überwiegt das Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs in aller Regel, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich begründet erweist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.10.1995 - 1 VR 1.95 -). Bleibt der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache bei der in dem Aussetzungsverfahren nur möglichen summarischen Prüfung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 11.9.1998 - 11 VR 6.98 -) jedoch offen, kommt es auf eine reine Abwägung der widerstreitenden Interessen an (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.4.1974 - IV C 21.74 -, DVBl. 1974, 566).
Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen, unter denen die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederherzustellen ist, nicht erfüllt, weil sich die vom Verwaltungsgericht zu Recht als Verwaltungsakt angesehene Beseitigungsverfügung vom 8. Februar/24. März 2010, deren sofortige Vollziehung die Antragsgegnerin am 20. April 2010 formell ordnungsgemäß angeordnet und gemäß den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet hat, bei summarischer Prüfung der vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren erhobenen Einwände als offensichtlich rechtmäßig erweist.
Rechtsgrundlage der Beseitigungsverfügung vom 8. Februar/24. März 2010 ist § 30 Abs. 1 Satz 1 der Friedhofssatzung - FS - der Antragsgegnerin vom 29. Juni 2000 (Amtsblatt Bezirksregierung Weser-Ems Nr. 28 v. 14.7.2000, S. 617) in der Fassung vom 5. Dezember 2007 (Amtsblatt Landkreis Aurich/Stadt C. Nr. 46 v. 14.12.2007, S. 172). Danach hat der Verfügungsberechtigte im Sinne des § 27 Abs. 3 FS, hier der Antragsteller, auf schriftliche Aufforderung der Antragsgegnerin die Grabstätte innerhalb einer festzusetzenden angemessenen Frist in Ordnung zu bringen, wenn diese nicht ordnungsgemäß hergerichtet oder gepflegt ist. Diese Bestimmung gestattet es der Antragsgegnerin, die Beseitigung von Grabmalen anzuordnen, die im Widerspruch zu den Gestaltungsvorschriften der FS errichtet worden sind.
Die hier streitgegenständliche Grabstätte (Wahlgrab bevorzugte Lage Nr. ... der Reihe ... im Feld ... des Friedhofs D. /C.) steht im Widerspruch zu den Gestaltungsvorschriften der FS. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass das Anbringen von Grabplatten auf der Grabstätte formell und materiell rechtswidrig ist.
Aus § 20 Abs. 1 FS ergibt sich ein Genehmigungserfordernis für die Errichtung von Grabmalen und baulichen Anlagen. Die danach erforderliche Genehmigung ist dem Antragsteller für die hier streitgegenständlichen Grabplatten nicht erteilt worden. Der Antragsteller hat Anfang November 2009 zwar eine Genehmigung zur Aufstellung eines Gedenkzeichens beantragt, die am 12. November 2009 auch erteilt worden ist. Der Antrag und damit auch die Genehmigung beziehen sich ausweislich ihres Wortlauts und der beigefügten Skizze aber nur auf ein Denkzeichen einschließlich Sockel und eine Einfassung. Von einer vollflächigen Abdeckung durch eine Grabplatte ist nicht die Rede.
Der Antragsteller hat nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich auch keinen Anspruch auf Genehmigung einer vollflächigen Abdeckung der Grabstätte. Diese erweist sich folglich auch als materiell rechtswidrig. Denn die erstrebte Grabgestaltung widerspricht den Gestaltungsvorschriften der FS, an deren Wirksamkeit keine offensichtlichen Zweifel bestehen (vgl. zum Prüfungsmaßstab betreffend die Wirksamkeit satzungsrechtlicher Reglungen in Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes: Senatsbeschl. v. 11.5.2007 - 8 ME 30/07 - m.w.N.).
Nach § 20 Abs. 7 Satz 1 FS sind für Erdgrabstätten auf dem Friedhof D. keine Abdeckungen erlaubt.
Der hiermit verbundene Eingriff in das Recht des Antragstellers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG, das den Wunsch naher Angehöriger eines Verstorbenen umfasst, des Toten nach eigenen Vorstellungen zu gedenken und hierzu auch Grabmale nach eigener Gestaltung zu errichten (vgl. grundlegend BVerwG, Urt. v. 8.11.1963 - VII C 148.60 - BVerwGE 17, 119, 120 f.), ist gerechtfertigt.
Denn die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Gestaltungsfreiheit der Friedhofsbenutzer findet ihre Grenze unter anderem in der verfassungsmäßigen Ordnung. Hierzu gehören auch Regelungen in einer Friedhofssatzung betreffend die Gestaltung von Grabmalen, die der Verwirklichung allgemeiner Friedhofszwecke dienen. Zu diesen allgemeinen Friedhofszwecken zählen unter anderem die geordnete und würdige Bestattung der Toten, ein ungestörtes Totengedenken sowie die Gewährleistung einer ungehinderten Leichenverwesung innerhalb der Ruhezeiten (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.5.2004 - 3 C 26/03 -, BVerwGE 121, 17, 19 f.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 11.4.1997 - 19 A 1211/96 -, NVwZ 1998, 869 ; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 13.12.1993 - 1 S 428/93 -, NVwZ 1994, 793, 794 [VGH Bayern 28.03.1994 - 7 CE 93/2403]; Bayerischer VGH, Urt. v. 30.7.1990 - 7 B 90.136 - NVwZ-RR 1991, 250, 251 f. jeweils m.w.N.).
Dass die Regelung in § 20 Abs. 7 FS hier der Erreichung des letztgenannten allgemeinen Friedhofszweckes dient, hat die Antragsgegnerin durch die gutachterliche Stellungnahme des Sachverständigen E. vom 22. April 2010 hinreichend glaubhaft gemacht. Hiernach führt die Verwendung von Grabplatten für eine Sarg-Erdgrabstätte in dem untersuchten Bereich des Friedhofs D. zu einer deutlichen Verlängerung der Verwesungsdauer, da sich aufgrund der besonderen Bodenverhältnisse und der durch die Grabplatte verringerten Sauerstoffzufuhr der Verwesungsprozess verzögert. Zudem erhöht sich durch eine verringerte Sauerstoffzufuhr das Risiko der sogenannten Wachsleichenbildung. Die für Fälle einer vollflächigen Abdeckung prognostizierte Verwesungsdauer von mehr als 40 Jahren überschreitet die in der FS jedenfalls nicht unvertretbar kurz festgelegte Ruhefrist von 30 Jahren deutlich. Hiergegen im erstinstanzlichen Verfahren vom Antragsteller erhobene Einwände begründen keine Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen in der gutachterlichen Stellungnahme. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO), denen der Antragsteller mit seinem Beschwerdevorbringen nicht entgegen getreten ist. Das Verbot der vollflächigen Abdeckung einer Grabstätte in § 20 Abs. 7 FS dient daher der Gewährleistung einer ungehinderten Leichenverwesung innerhalb der Ruhezeiten.
Ob das Verbot nach § 20 Abs. 7 FS zugleich erforderlich ist, eine würdige Bestattung der Toten zu gewährleisten, was der Antragsteller mit seiner Beschwerde unter Wiedergabe von Teilen des Urteils des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes vom 21. November 1988 - 11 UE 218/84 - offenbar in Frage stellen will, kann der Senat daher hier dahinstehen lassen. Denn es genügt, dass eine Grabmalgestaltungsvorschrift der Verwirklichung eines der genannten allgemeinen Friedhofszwecke dient.
Auch auf den vom Antragsteller erhobenen Einwand, der Friedhof D. sei ein "Monopolfriedhof" und die Antragstellerin daher gehalten, auch gestaltungsfreie Friedhofsflächen vorzuhalten, kommt es entscheidungserheblich nicht mehr an.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 20.11.2007 - 7 BN 5.07 -, [...] Rn. 7 f.; Urt. v. 13.5.2004 - 3 C 26/03 -, BVerwGE 121, 17, 20) und des Senats (Beschl. v. 11.5.2007 - 8 ME 30/07 -; Beschl. v. 26.4.2005 - 8 LA 296/04 -, NdsVBl. 2005, 221, 222) können auch strengere Gestaltungsanforderungen, als sie zur Erreichung des allgemeinen Friedhofszwecks erforderlich sind, mit dem Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit derart zu vereinbaren sein, dass auf Teilen desselben Friedhofs eine gestaltungsfreie Friedhofsfläche vorgesehen ist oder eine entsprechende Fläche in zumutbarer Entfernung auf einem anderen Friedhof im selben Gebiet zur Verfügung steht. Wie ausgeführt beinhaltet § 20 Abs. 7 Satz 1 FS aber eine Grabmalgestaltungsvorschrift, die gerade auf die Verwirklichung eines allgemeinen Friedhofszwecks gerichtet ist, und stellt daher keine "strengere Gestaltungsvorschrift" im Sinne der genannten Rechtsprechung dar, die die besonderen Rechtfertigungsvoraussetzungen erfüllen müsste. Obwohl es damit nicht mehr entscheidungserheblich darauf ankommt, ob auf dem Friedhof D. oder auf nahe gelegenen anderen Friedhöfen gestaltungsfreie Flächen vorhanden sind, weist der Senat darauf hin, dass der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren weder hinreichend dargetan noch glaubhaft gemacht hat, dass er die von der Antragsgegnerin bezeichneten Möglichkeiten, auf anderen Friedhöfen im Stadtgebiet eine Genehmigung für die vollflächige Abdeckung einer Grabstätte zu erlangen (vgl. Schriftsatz vom 13.4.2010, dort S. 6), auch nur ansatzweise in Betracht gezogen hat. Es ist daher nicht ersichtlich, dass es dem Antragsteller von vorneherein unmöglich wäre, auf einem Friedhof im Stadtgebiet eine Grabmalgestaltung nach seinen ästhetischen Vorstellungen zu realisieren.
Ist die vollflächige Abdeckung einer Grabstätte auf dem Friedhof D. schon wegen Verstoßes gegen die wirksame Grabmalgestaltungsvorschrift in § 20 Abs. 7 FS materiell rechtswidrig, kann der Senat auch dahinstehen lassen, ob ein Verstoß gegen das in § 20 Abs. 2 FS enthaltene Gebot, das Grabmal den Denkmälern der Nachbargräber anzupassen, vorliegt und diese Bestimmung wirksam ist.
Schließlich stehen dem sich aus der voraussichtlichen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Beseitigungsverfügung ergebenden Vollzugsinteresse auch keine ausnahmsweise überwiegenden Interessen des Antragstellers an der Aussetzung des Vollzuges entgegen. Der Antragsteller hat die Grabplatte ungenehmigt aufstellen lassen. Die Antragsgegnerin hat glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller bewusst im Widerspruch zu den geltenden friedhofsrechtlichen Bestimmungen über die Grabmalgestaltung handelte. Es ist ihm zudem möglich, die Grabplatte ohne Substanzbeschädigung von der Grabstätte zu entfernen und bis zu einer endgültigen Klärung der Rechtslage in einem eventuellen Hauptsacheverfahren anderweitig aufbewahren zu lassen. Dass ihm dies unzumutbar wäre, macht der Antragsteller selbst nicht geltend.