Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.11.2011, Az.: 8 LA 54/11

Anforderungen an die Genehmigung von Grababdeckungen auf einem Friedhof; Berücksichtigung bodenkundlicher Anforderungen bei Neuanlagen und Erweiterungen von Friedhöfen; Berührung des Rechts auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit durch die Versagung einer bestimmten Grababdeckung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.11.2011
Aktenzeichen
8 LA 54/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 30355
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2011:1117.8LA54.11.0A

Fundstelle

  • FStNds 2012, 101-102

Redaktioneller Leitsatz

Auch strengere Gestaltungsanforderungen - hier ein Verbot vollständiger Grababdeckungen -, als sie zur Erreichung des allgemeinen Friedhofszwecks erforderlich sind, können mit dem Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit zu vereinbaren sein, wenn auf Teilen desselben Friedhofs eine gestaltungsfreie Friedhofsfläche vorgesehen ist oder eine entsprechende Fläche in zumutbarer Entfernung auf einem anderen Friedhof im selben Gebiet zur Verfügung steht.

Gründe

1

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses seine Klage auf Verpflichtung der Beklagten, ihm für das Wahlgrab bevorzugte Lage Nr. 93 a-b der Reihe 39 im Feld G des Friedhofs B. in C. eine vollständige Grababdeckung mit zwei Steinplatten (Indisch-black, poliert) zu genehmigen, abgewiesen hat, bleibt ohne Erfolg.

2

Der Kläger hat seinen Zulassungsantrag auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) und des Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (2.) gestützt. Diese Zulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt worden und liegen im Übrigen nicht vor.

3

1.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten (vgl. Senatsbeschl. v. 11.2.2011 - 8 LA 259/10 -, [...] Rn. 3). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543). Hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf mehrere selbstständig tragende Gründe gestützt, kann ein Berufungszulassungsantrag daher nur dann Erfolg haben, wenn für jedes der die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts selbstständig tragenden Begründungselemente ein Zulassungsgrund dargelegt worden ist und vorliegt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 1.2.1990 - 7 OB 19.90 -, Buchholz 310§ 153 VwGO Nr. 22).

4

Der Kläger wendet gegen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils ein, das Verwaltungsgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass bei Neuanlagen und Erweiterungen von Friedhöfen bodenkundliche Anforderungen zu berücksichtigen seien, die die Beklagte schuldete. Ziel der notwendigen Untersuchung müsse in jedem Fall die Beantwortung der Fragen sein: Reicht die Durchlüftung des Bodens bis hin zur Grabsohle für eine genügend rasche Verwesung aus ? Gewährleistet die Wasserdurchlässigkeit unterhalb der Grabsohle den ungehinderten Abfluss von versickerndem Niederschlags- bzw. Gießwasser ? Befindet sich unterhalb der Grabsohle ein ausreichend mächtiger Bereich, der durch seine Materialeigenschaft als Filterschicht dienen kann ? Sind Auflockerungs- und Filterzone auch bei Grundwasserhöchststand unter Einbezug des geschlossenen Kapillarraums frei von Grundwasser ? Sind Auflockerungs- und Filterzone frei von ständigem oder zeitweisem Stau- und/oder Hangwassereinfluss ? Das Verwaltungsgericht habe auch nicht berücksichtigt, dass im Land Niedersachsen eigene Hygienerichtlinien fehlen, dieses sich vielmehr an den Richtlinien des Landes Nordrhein-Westfalen orientiere. Da der Friedhofsträger durch Zurverfügungstellung geeigneter Flächen für eine rasche und vollständige Verwesung innerhalb der Ruhezeiten Sorge zu tragen habe, müsse er gegebenenfalls die Mindestruhezeit erhöhen oder von der Nutzung als Friedhof absehen. Schließlich bestreite der Kläger weiterhin, dass ihm auf einem anderen Friedhof im Stadtgebiet eine Vollabdeckung der Grabstätte gestattet worden wäre.

5

Diese Einwände begründen nach dem eingangs dargestellten Maßstab keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.

6

Das Verwaltungsgericht hat den Eingriff in das Recht des Klägers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG durch das seinem Klagebegehren entgegenstehende Verbot einer vollständigen Grababdeckung in § 20 Abs. 7 Satz 1 der Friedhofssatzung - FS - der Beklagten vom 29. Juni 2000 (Amtsblatt Bezirksregierung Weser-Ems Nr. 28 v. 14.7.2000, S. 617) in der Fassung vom 5. Dezember 2007 (Amtsblatt Landkreis Aurich/Stadt Emden Nr. 46 v. 14.12.2007, S. 172) für verfassungsrechtlich gerechtfertigt gehalten. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht selbständig tragend darauf abgestellt, dass dieses Verbot zum einen die ungehinderte Leichenverwesung innerhalb der satzungsmäßigen Ruhezeiten gewährleisten solle und daher der Verwirklichung eines allgemeinen Friedhofszwecks als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung diene. Unabhängig davon könne der Kläger zum anderen seine Gestaltungswünsche auf anderen Friedhofsflächen in zumutbarer Entfernung realisieren.

7

Letztgenannte, die erstinstanzliche Entscheidung selbständig tragende Begründung ist nach dem Zulassungsvorbringen des Klägers keinen ernstlichen Richtigkeitszweifeln ausgesetzt.

8

Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 20.11.2007 -7 BN 5.07 -, [...] Rn. 7 f.; Urt. v. 13.5.2004 - 3 C 26.03 -, BVerwGE 121, 17, 20) und des Senats (Beschl. v. 9.6.2010 - 8 ME 125/10 -, NdsVBl. 2010, 300, 301 m.w.N.) zutreffend davon ausgegangen, dass auch strengere Gestaltungsanforderungen, als sie zur Erreichung des allgemeinen Friedhofszwecks erforderlich sind, mit dem Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit derart zu vereinbaren sein können, dass auf Teilen desselben Friedhofs eine gestaltungsfreie Friedhofsfläche vorgesehen ist oder eine entsprechende Fläche in zumutbarer Entfernung auf einem anderen Friedhof im selben Gebiet zur Verfügung steht. Dieser rechtliche Ansatz ist vom Kläger mit seinem Zulassungsantrag nicht angegriffen worden.

9

Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung (Urt. v. 23.2.2011, Umdruck S. 10 f.) zudem eingehend dargelegt, dass auf den städtischen Friedhöfen in den Stadtteilen D. und E. Grababdeckungen mit Platten oder anderen undurchlässigen Materialien bis zu einem Anteil von 75% der Fläche zulässig seien und sich darüber hinaus diverse konfessionelle Friedhöfe in verschiedenen Ortsteilen F. mit entsprechenden Gestaltungsmöglichkeiten fänden, die jedenfalls auf Ausnahmegenehmigung hin großflächige Abdeckungen ermöglichten. Bei einzelnen konkret benannten konfessionellen Friedhöfen gebe es bereits vollständige Grababdeckungen, auf die sich der Kläger im Genehmigungsverfahren hätte berufen können. Die Dienststelle C. des evangelisch-lutherischen Kirchenamtes G. habe im Schreiben vom 28. September 2010 eingeräumt, dass sie auf den Friedhöfen an der H. in C. und im Vorort I. die Genehmigung einer Vollabdeckung - trotz grundsätzlich strengerer Gestaltungsvorstellungen und -empfehlungen - nicht werde versagen können, falls sich ein Nutzungsberechtigter darauf berufen würde. Mit dieser eingehenden Begründung des Verwaltungsgerichts hat sich der Kläger in seinem Zulassungsantrag nicht auseinandergesetzt. Er hat sich lediglich darauf beschränkt, das Vorhandensein gestaltungsfreier Flächen in zumutbarer Entfernung pauschal zu bestreiten. Dieses Bestreiten genügt zur Darlegung ernstlicher Richtigkeitszweifel nicht. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zwar auch dann anzunehmen, wenn erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage gestellt werden, dass der Ausgang des Berufungsverfahrens als ungewiss erscheint (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, NdsVBl. 2000, 244, 245). Bezieht sich, wie hier, das diesbezügliche Vorbringen aber auf die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhaltswürdigung, kommt eine Zulassung der Berufung nicht schon dann in Betracht, wenn der erkennende Senat die vom Verwaltungsgericht nach zutreffenden Maßstäben gewürdigte Sachlage nach einer eigenen Beweisaufnahme möglicherweise anders beurteilen könnte als das Verwaltungsgericht selbst. Denn sonst wäre die Berufung gegen Urteile, die auf Grund einer Beweisaufnahme ergangen sind, regelmäßig nach§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, was mit Sinn und Zweck der Zulassungsbeschränkung nicht vereinbar wäre (vgl.Sächsisches OVG, Beschl. v. 8.1.2010 - 3 B 197/07 -, [...] Rn. 2; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 18.1.2001 - 4 L 2401/00 -, [...] Rn. 4). Eine Sachverhalts- oder Beweiswürdigung kann deshalb nur mit Erfolg angegriffen werden bei Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, von Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder wenn sie offensichtlich sachwidrig und damit willkürlich ist (vgl. Senatsbeschl. v. 16.11.2010 - 8 LA 224/10 -, veröffentlicht in der Rechtsprechungsdatenbank der niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit unter www.dbovg.niedersachsen.de; Bayerischer VGH, Beschl. v. 29.7.2009 - 11 ZB 07.1043 -, [...] Rn. 9). Derartige Fehler in der Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts sind dem klägerischen Zulassungsvorbringen nicht zu entnehmen; sie sind auch nicht offensichtlich.

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Ist damit ein die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis selbständig tragender Grund keinen ernstlichen Richtigkeitszweifeln ausgesetzt, kommt eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hier nicht in Betracht, ohne das es noch darauf ankommen würde, ob das Verwaltungsgericht auch zutreffend angenommen hat, das Verbot nach § 20 Abs. 7 Satz 1 FS sei zur Gewährleistung einer ungehinderten Leichenverwesung innerhalb der satzungsmäßigen Ruhezeiten notwendig und diene der Verwirklichung eines allgemeinen Friedhofszwecks als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung. Der Senat weist daher nur kurz darauf hin, dass das klägerische Zulassungsvorbringen nicht geeignet ist, ernstliche Richtigkeitszweifel an der tatsächlichen Feststellung des Verwaltungsgerichts zu begründen, das Verbot von Vollabdeckungen nach § 20 Abs. 7 Satz 1 FS sei zur Gewährleistung der ungehinderten Leichenverwesung innerhalb der satzungsmäßigen Ruhezeiten notwendig. Das Verwaltungsgericht hat sich eingehend mit der Frage befasst, ob das satzungsmäßige Verbot vollständiger Grababdeckungen zur Gewährleistung einer ungehinderten Leichenverwesung innerhalb der Mindestruhezeit notwendig ist. Hierzu hat das Verwaltungsgericht die von der Beklagten eingeholte "Gutachterliche Stellungnahme zur Verwendung von Grababdeckungen auf dem Friedhof B. in C. " vom April 2010 ausgewertet, sich mit den getroffenen Feststellungen unter Berücksichtigung der hiergegen vom Kläger erhobenen Einwände umfassend auseinandergesetzt (Urt. v. 23.2.2011, Umdruck, S. 6 bis 9) und verbleibende Fragen durch Vernehmung des Gutachters Dr. Albrecht als sachverständigem Zeugen in der mündlichen Verhandlung geklärt (Prot. v. 23.2.2011, Umdruck, S. 2 bis 5). Mit diesen eingehenden, nachvollziehbaren und in der Sache nicht zu beanstandenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts hat sich der Kläger in seinem Zulassungsantrag nicht ansatzweise auseinandergesetzt. Der bloße Hinweis auf hiervon losgelöste und rein theoretische Fragen zu bodenkundlichen Anforderungen bei der Neuanlage oder Erweiterung eines Friedhofs und das Fehlen von dernordrhein-westfälischen Hygiene-Richtlinie für die Anlage und Erweiterung von Begräbnisplätzen ähnlichen Verwaltungsvorschriften in Niedersachsen sind daher von vorneherein nicht geeignet und nicht ausreichend, die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigende ernstliche Richtigkeitszweifel darzulegen.

11

2.

Die Berufung kann auch nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zugelassen werden.

12

Der Kläger macht eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend. Indem das Verwaltungsgericht das von der Beklagten eingeholte Parteigutachten in das gerichtliche Verfahren eingeführt habe, sei dem Rechtsstreit eine unvorhergesehene Wendung gegeben worden. Das Verwaltungsgericht habe den Antrag des Klägers auf Einholung eines weiteren Gutachtens eines unabhängigen, vom Gericht zu bestellenden Sachverständigen zur Verwendung von Grababdeckungen auf dem Friedhof B. in C. und zur Verwesungsdauer in einem Erdgrab mit Abdeckung einer Grabplatte, und zwar in der Ausprägung, wie sie von dem Kläger gewählt worden ist, zweigeteilt und mit Löchern versehen, zu Unrecht abgelehnt. Denn das vorliegende Parteigutachten sei keine ordnungsgemäße Expertise zu bodenkundlichen Anforderungen. Der Gutachter verkenne, dass bei in das Erdreich eindringendem Oberflächenwasser zwischen einem gesättigten und einem ungesättigten Transport unterschieden werden müsse. Er lasse physikalische Gegebenheiten bezüglich des Bodenwassers, insbesondere das Vorhandensein von Haft-, Adsorptions- oder Kapillarwasser außer Acht und gelange so zu willkürlichen Ergebnissen.

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Ungeachtet der Frage, ob sich aus diesem Vorbringen Verfahrensmängel in Form der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, der unzureichenden Sachaufklärung oder der ungerechtfertigen Ablehnung eines Beweisantrages ergeben, rechtfertigen derartige Verfahrensmängel hier nicht die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO. Denn solche Mängel bezögen sich allein auf die tatsächliche Feststellung des Verwaltungsgerichts, das Verbot von Vollabdeckungen nach § 20 Abs. 7 Satz 1 FS sei zur Gewährleistung der ungehinderten Leichenverwesung innerhalb der satzungsmäßigen Ruhezeiten notwendig. Diese Feststellung ist, wie ausgeführt, für das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung aber nicht erheblich. Denn das Verwaltungsgericht hat die Entscheidung zutreffend selbständig tragend damit begründet, dass der Kläger seine Gestaltungswünsche auf anderen Friedhofsflächen in zumutbarer Entfernung realisieren könne und der Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG durch das seinem Klagebegehren entgegenstehende Verbot einer vollständigen Grababdeckung nach § 20 Abs. 7 Satz 1 FS schon deshalb gerechtfertigt sei. Damit ist ausgeschlossen, dass die angefochtene Entscheidung, wie von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO a. E. gefordert, auf den vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängeln beruhen kann.