Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.06.2010, Az.: 9 LB 182/08
Voraussetzungen für das Bestehen einer Beitragspflicht eines Hinterliegergundstücks bei einer Eigentümerverschiedenheit zwischen dem Anliegergrundstück und dem Hinterliegergrundstück; Annahme einer hinreichend rechtlichen Sicherung der Zuwegung bei Miteigentum am Vorderliegergrundstück und Beinhaltung der Benutzung des gemeinschaftlichen Wegs für Zwecke des Verkehrs; Rechtliche Sicherung der Zuwegung durch eine Vereinigungsbaulast
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.06.2010
- Aktenzeichen
- 9 LB 182/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 24049
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0611.9LB182.08.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BVerwG - 22.09.2010 - AZ: BVerwG 9 B 67.10
Rechtsgrundlagen
- § 741 BGB
- § 749 Abs. 1 BGB
- § 1008 BGB
- § 6 Abs. 1 NKAG
- § 5 Abs. 2 S. 2 NBauO
Fundstellen
- FStNds 2010, 562-566
- NJW-Spezial 2010, 524
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Bei einer Eigentümerverschiedenheit zwischen dem Anlieger- und dem Hinterliegergrundstück besteht für das Hinterliegergundstück eine Beitragspflicht dann, wenn es über das Vorderliegergrundstück tatsächlich in der für seine bestimmungsgemäße Nutzung erforderlichen Weise erreichbar ist und diese Möglichkeit der Inanspruchnahme der Straße über das Vorderliegergrundstück rechtlich gesichert ist.
- 2.
Eine hinreichende rechtliche Sicherung der Zuwegung ist auch dann anzunehmen, wenn Miteigentum am Vorderliegergrundstück besteht und das Miteigentumsrecht die Benutzung des gemeinschaftlichen Wegs für Zwecke des Verkehrs beinhaltet.
- 3.
Unter bestimmten Umständen kann auch eine Vereinigungsbaulast eine rechtliche Sicherung der Zuwegung begründen.
Gründe
Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Straßenausbaubeitrag für die Straße D.. Er ist Eigentümer des in der Gemarkung E. gelegenen 357 m² großen Grundstücks F. -Straße 2, Flurstück G. der Flur H.. Das Grundstück grenzt unmittelbar an die F. -Straße und ist bebaut mit einem Wohn- und Geschäftshaus. Im Hinblick auf die darin befindlichen vier Wohnungen wurde Sonder- und Miteigentum begründet. Am 22. April 1997 erwarb die Mutter des Klägers, Frau I., Sondereigentum an der Wohnung Nr. 3 des betreffenden Aufteilungsplans und Miteigentum an dem Grundstück. Frau I. verstarb am ... und wurde von dem Kläger beerbt.
Das Grundstück F. -Straße 2 ist Hinterliegergrundstück zur ausgebauten Straße D.. Zwischen ihm und dieser Straße liegt zunächst das im Eigentum des K. stehende Flurstück L.. Dieses Flurstück ist in der Abteilung II des Grundbuchs mit einer Grunddienstbarkeit (Wege- und Leitungsrecht) für den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks F. -Straße 2 belastet. Zwischen dem Flurstück L. und der Straße D. befindet sich weiter das 201 m² große Wegeflurstück M., das zu 1/2 im Eigentum der Frau N. und jeweils zu 1/4 im Eigentum des Klägers sowie des K. steht. Das Grundstück F. -Straße 2 ist zusammen mit den Flurstücken O., L., M. und P. mit einer Vereinigungsbaulast im Baulastenverzeichnis des Grundbuchs eingetragen. Die Pkw-Einstellplätze, die für das Wohn- und Geschäftshaus notwendig sind, wurden auf dem Wegeflurstück M. errichtet. Anhand der im erstinstanzlichen Verfahren überreichten Lichtbilder ist zu erkennen, dass von der Straße D. über das Wegeflurstück M. und das Flurstück L. bis an die Grenze des Grundstücks F. -Straße 2 herangefahren und das aufstehende Gebäude von dort durch eine Tür betreten werden kann.
Durch Bescheid vom 6. Oktober 2004 zog die Beklagte den Kläger zu einem Straßenausbaubeitrag in Höhe von insgesamt 2.510,28 EUR heran. Die Beklagte ging dabei davon aus, dass die nach dem Aufteilungsplan begründeten Wohnungs- und Teileigentumsanteile insgesamt dem Kläger zustünden und auf die einzelnen Wohnungen folgende Anteile entfielen: Wohnung Nr. 1 585,12 EUR, Wohnung Nr. 2 364,62 EUR, Wohnung Nr. 3 547,44 EUR, Wohnung Nr. 4 1.013,10 EUR. Durch Bescheid selben Datums setzte die Beklagte gegenüber Frau N. für das Wegeflurstück M. einen Straßenausbaubeitrag in Höhe von 1.130,68 EUR fest.
Der Kläger legte sowohl gegen den an ihn gerichteten Bescheid als auch gegen den an Frau N. ergangenen Bescheid Widerspruch ein. Durch Widerspruchsbescheid vom 14. September 2005, dem Kläger am 20. September 2005 zugestellt, hob die Beklagte ihren Beitragsbescheid auf, soweit er die Wohnung Nr. 3 betraf. Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, es lägen die Beitragstatbestände der Erneuerung bzw. der Verbesserung vor. Das Grundstück F. -Straße 2 unterliege der Beitragspflicht. Es bestehe eine dauerhaft rechtlich gesicherte Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Einrichtung. Dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht im Jahre 2002 das Eigentum an dem Grundstück F. -Straße 2 mehreren Personen zugestanden habe, sei unschädlich. Es genüge, wenn - wie hier der Kläger - einer der Eigentümer des Hinterliegergrundstücks über eine auf Dauer gesicherte Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Straße verfüge. Da im Zeitpunkt der Bescheiderteilung am 6. Oktober 2004 Frau I. hinsichtlich ihres Miteigentumsanteils beitragspflichtig gewesen sei, werde der Bescheid insoweit aufgehoben und neu erlassen. Hinsichtlich des an Frau N. gerichteten Straßenausbaubeitragsbescheids fehle dem Kläger die Widerspruchsbefugnis. Mit Kostenbescheid vom 14. September 2005 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger die Kosten für die Entscheidung über den Widerspruch auf 133,30 EUR fest. Mit weiterem Bescheid vom 14. September 2005 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger für die Wohnung Nr. 3 einen Straßenausbaubeitrag in Höhe von 547,44 EUR fest.
Der Kläger hat am 20. Oktober 2005 mit der Begründung Klage erhoben, das Grundstück F. -Straße 2 sei nicht beitragspflichtig. Es erhalte keinen beitragsrelevanten Vorteil. Es fehle an einer dauerhaften Möglichkeit zur Inanspruchnahme der Straße D.. Diese setze eine Eigentümeridentität zwischen Anlieger- und Hinterliegergrundstück voraus. Das Wegeflurstück M. stehe im Miteigentum von drei Personen. Diese Miteigentümer könnten jederzeit mehrheitlich eine andere Nutzung herbeiführen oder eine Aufhebung der Eigentümergemeinschaft verlangen. Des Weiteren sei zu bedenken: Auf dem Grundstück F. -Straße 2 befänden sich vier Eigentumswohnungen. Die Bildung von Wohnungseigentum sei erfolgt, um die einzelnen Wohnungen in dem Gebäude veräußern zu können. Es sei nicht auf Dauer angelegt, dass sich das Wohnungseigentum an den Eigentumswohnungen und der Miteigentumsanteil am Wegeflurstück M. in der Hand eines Eigentümers befänden. Etwaige andere Eigentümer hätten keinen gesicherten Anspruch darauf, das Wegeflurstück M. nutzen oder betreten zu dürfen. Das zwischen dem anliegenden Wegeflurstück M. und dem Grundstück F. -Straße 2 liegende weitere Flurstück des K., L., sei zwar mit einem Wegerecht belastet, der Eigentümer des Flurstücks L. könne allerdings durch Baumaßnahmen zum Nachbarflurstück Q. die tatsächliche Zugangsmöglichkeit unterbinden. Das Wegerecht beziehe sich auf den jeweils unbebauten Grundstücksteil. Der Bebauungsplan sehe für das Flurstück L. eine Grenzbebauung vor, so dass die Bebauung bis zum Nachbarflurstück Q. erweitert werden könne. Der Umstand, dass eine Baulast übernommen worden sei, führe zu keiner anderen Beurteilung. Das Wegeflurstück M. unterliege nicht der Beitragspflicht, es sei wegen seines Zuschnitts nicht bebaubar. Da die Beitragspflicht als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhe, habe er - der Kläger - ein rechtlich geschütztes Interesse daran, dass die diesbezügliche Beitragsfestsetzung nicht bestandskräftig werde.
Der Kläger hat beantragt,
die Bescheide über Straßenausbaubeiträge für die Wohnungseigentumsanteile Nr. 1, 2, 3 und 4 des Aufteilungsplans des Grundstücks F. -Straße 2 - Flurstück G. der Flur H. der Gemarkung R. - vom 6. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 14. September 2005 und des Bescheids vom 14. September 2005 sowie den Straßenausbaubeitragsbescheid bezüglich des Flurstücks M. vom 6. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. September 2005 sowie den Kostenbescheid vom 14. September 2005 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat zur Begründung vorgetragen, der Kläger verfüge über eine tatsächliche und rechtlich auf Dauer gesicherte Inanspruchnahmemöglichkeit der Straße D.. Da es auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht ankomme, spiele keine Rolle, ob der Kläger beabsichtige, seine Grundstücks- bzw. Wohneigentumsanteile an dem Grundstück F. -Straße 2 zu veräußern und ob Veränderungen hinsichtlich des Flurstücks des K., L., oder des Wegeflurstücks M. eintreten könnten.
Mit Urteil vom 18. Juli 2006, dem Kläger am 2. August 2006 zugestellt, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, soweit sich der Kläger gegen den an Frau N. adressierten Bescheid bezüglich der Festsetzung eines Straßenausbaubeitrags für das Wegeflurstück M. wende, sei seine Klage unzulässig. Seine gesamtschuldnerische Haftung für den Straßenausbaubeitrag vermittele ihm nicht die Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO. Die an den Kläger gerichteten Bescheide seien rechtmäßig. Der Beitragspflicht des Grundstücks F. -Straße 2 stehe nicht entgegen, dass es sich hierbei um ein Hinterliegergrundstück handele. Von diesem Grundstück aus bestehe eine vorteilsrelevante, nicht nur vorübergehende Inanspruchnahmemöglichkeit der Straße D.. Es existiere eine tatsächlich genutzte Zuwegung über die Flurstücke M., O. und L.. Infolge des Miteigentums am Wegeflurstück M. sei die Anfahrtmöglichkeit zur Straße D. auch rechtlich ausreichend gesichert. Dass die Miteigentümer nicht ausdrücklich die Aufhebung der Gemeinschaft ausgeschlossen hätten, ändere nichts. Die Miteigentümergemeinschaft existiere seit langer Zeit. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass sie in Zukunft aufgehoben werden solle. Aufgrund des langen und schmalen Zuschnitts des Wegeflurstücks M. sei nur eine Nutzung als Zufahrt sinnvoll. Ein Verkauf dieses Flurstücks scheide vernünftigerweise aus. Infolge der zugunsten der jeweiligen Eigentümer des Grundstücks F. -Straße 2 bestellten Wege- und Leitungsrechte an dem Flurstück L. bestehe auch eine rechtlich gesicherte Zugangsmöglichkeit über dieses weitere trennende Flurstück. Soweit der Kläger auf die Möglichkeit einer Grenzbebauung verweise, stehe es ihm offen, diese zivilrechtlich abzuwenden.
Der Kläger hat die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts beantragt, soweit dieses die Straßenausbaubeitragsbescheide für die Wohnungseigentumsanteile Nr. 1-4 betrifft. Mit Beschluss vom 12. März 2008 (9 LA 302/06) hat der Senat die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen. Fraglich sei, ob die Zugänglichkeit des Grundstücks von der ausgebauten Straße aus durch das Miteigentum an dem Wegeflurstück hinreichend rechtlich gesichert sei. Nach§§ 1008, 741, 749 Abs. 1 BGB könne jeder Miteigentümer jederzeit die Aufhebung der Gemeinschaft (nach Bruchteilen) verlangen. Ob in der Regel gefordert werden müsse, dass die Miteigentümer ihre Rechte aus § 749 Abs. 1 BGB für die Zeit des Bestehens einer auf die Zuwegung angewiesenen baulichen Anlage ausschließen und diesen Ausschluss im Grundbuch eintragen lassen, werde im Berufungsverfahren zu klären sein.
Zur Begründung seiner Berufung ergänzt und vertieft der Kläger sein Vorbringen aus dem Klageverfahren. Er trägt weiter vor, für die Annahme einer dauerhaften Möglichkeit zur Inanspruchnahme einer Einrichtung sei maßgeblich, ob der jeweilige Wohnungseigentümer des Hinterliegergrundstücks dauerhaft rechtlich gesichert Zugang über das Anliegergrundstück nehmen könne. Daran fehle es. Die jeweiligen Wohnungseigentümer des Grundstücks F. -Straße 2 hätten kein dinglich gesichertes Wegerecht am Wegeflurstück M.. Dass er zu einem Viertel Miteigentümer des Wegeflurstücks M. sei, ändere nichts. Ein Verzicht auf die Aufhebung der Eigentümergemeinschaft sei nicht vereinbart worden. Dass eine Vereinigungsbaulast existiere, rechtfertige keine andere Beurteilung.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und den Bescheid über die Heranziehung zu einem Straßenausbaubeitrag für die Wohnungseigentumsanteile Nrn. 1, 2 und 4 des Aufteilungsplans des Grundstücks F. -Straße 2 vom 6. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 14. September 2005 sowie den Bescheid vom 14. September 2005 über die Heranziehung zu einem Straßenausbaubeitrag für den Wohnungseigentumsanteil Nr. 3 des Aufteilungsplans aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt in Ergänzung ihres bisherigen Vorbringens aus, beim Erwerb der Flächen der heutigen Flurstücke G. und L. sei eine vertragliche Gestaltung gewählt worden, die jedem Hinterlieger die Zufahrt über die Straße D. ermögliche und eine dauerhafte rechtliche Sicherung gewährleiste. Es komme nicht darauf an, ob die Miteigentümer des Wegeflurstücks M. auf das Recht auf Aufhebung der Gemeinschaft verzichtet hätten. Einer allenfalls theoretisch denkbaren Geltendmachung des Aufhebungsanspruchs der Miteigentümer stehe der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage zu Recht abgewiesen. Seine Heranziehung zu einem Straßenausbaubeitrag für die Wohnungseigentumsanteile Nr. 1, 2 und 4 des Aufteilungsplans des Grundstücks F. -Straße 2 durch Bescheid vom 6. Oktober 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 14. September 2005 einerseits und zu einem Straßenausbaubeitrag für den Wohnungseigentumsanteil Nr. 3 des Aufteilungsplans durch Bescheid vom 14. September 2005 andererseits ist rechtmäßig (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage ist § 6 NKAG i.V.m. der Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten vom 6. Juni 2002. Gemäß § 6 Abs. 1 NKAG können die Gemeinden zur Deckung ihres Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser öffentlichen Einrichtungen besondere wirtschaftliche Vorteile bietet, soweit nicht privatrechtliche Entgelte erhoben werden. Die Voraussetzungen der Vorschrift und der entsprechenden Straßenausbaubeitragssatzung liegen hier vor. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass das Grundstück F. -Straße 2 der Beitragspflicht unterliegt.
Eine vorteilsrelevante Inanspruchnahmemöglichkeit im Sinne des § 6 Abs. 1 NKAG liegt vor, wenn von dem jeweiligen Grundstück aus die Möglichkeit zur Inanspruchnahme der ausgebauten Straße besteht und die Straße (evtl. auch die Verbindung zu ihr) dem Eigentümer die bestimmungsgemäße Nutzung seines Grundstücks ermöglicht. Bei einem Wohngrundstück setzt die bestimmungsgemäße Nutzung voraus, dass das Grundstück von der Straße aus betreten werden kann, bei einem industriell, gewerblich oder landwirtschaftlich nutzbaren Grundstück muss mit (Nutz-)Fahrzeugen auf das Grundstück heraufgefahren werden können (Nds. OVG, Urteile vom 24.9.1986 - 9 A 153/83 - KStZ 1987, 115 und vom 23.3.2009 - 9 LC 320/07 -).
Für das Grundstück F. -Straße 2 ist eine vorteilsrelevante Inanspruchnahmemöglichkeit in diesem Sinne zu bejahen. Es handelt sich um ein Hinterliegergrundstück, das mit der Straße D. durch das im Eigentum des K. stehende Flurstück L. und das Wegeflurstück M., das zu 1/2 im Eigentum der Frau N. und jeweils zu 1/4 im Eigentum des Klägers sowie des K. steht, verbunden wird. Entgegen der Auffassung des Klägers ist für die Annahme eines beitragsrelevanten Vorteils in Fällen der vorliegenden Art nicht erforderlich, dass zwischen den Eigentümern des Anliegergrundstücks und den Eigentümern des Hinterliegergrundstücks Eigentümeridentität besteht (s. bereits Nds. OVG, Beschluss vom 13.6.2000 - 9 M 1349/00 - NdsVBl. 2001, 18, [...]). Bei - wie hier - Eigentümerverschiedenheit besteht für ein Hinterliegergrundstück eine Beitragspflicht dann, wenn es über das Vorderliegergrundstück tatsächlich in der für seine bestimmungsgemäße Nutzung erforderlichen Weise erreichbar ist und diese Möglichkeit der Inanspruchnahme der Straße über das Vorderliegergrundstück hinreichend rechtlich gesichert ist. In der Rechtsprechung des Senats ist anerkannt, dass eine hinreichende rechtliche Sicherung der Inanspruchnahmemöglichkeit der Straße zu bejahen ist, wenn zugunsten des Hinterliegergrundstücks ein durch Grunddienstbarkeit oder durch Baulast gesichertes Wegerecht besteht (Nds. OVG, Urteile vom 24.9.1986 - 9 A 153/83 - KStZ 1987, 115 und vom 23.3.2009 - 9 LC 320/07 -). Beide genannten Voraussetzungen sind hier gegeben.
Von der Straße D. ist das Grundstück F. -Straße 2 über das Wegeflurstück M. und das im Eigentum des K. stehende Flurstück L. tatsächlich in einer Weise erreichbar, die die bestimmungsgemäße Nutzung des Grundstücks ermöglicht. Wie dargelegt, besteht eine Zufahrt von der Straße D. über das Wegeflurstück M. und das Flurstück L. und kann bis an die Grenze des Grundstücks F. -Straße 2 herangefahren werden. Von dort aus kann das aufstehende Gebäude durch eine Tür betreten werden. Im Hinblick auf die bestimmungsgemäße Nutzung als Wohn- und Geschäftsgrundstück reicht dies aus.
Hinsichtlich der beschriebenen Zuwegung sind auch den Anforderungen des § 6 Abs. 1 NKAG genügende rechtliche Sicherungen vorhanden. An dem im Eigentum des K. stehenden Flurstück L. besteht zugunsten der jeweiligen Eigentümer des Grundstücks F. -Straße 2 ein Wegerecht, für das im Grundbuch eine Grunddienstbarkeit eingetragen ist. Dieses Wegerecht gewährleistet rechtlich die Erreichbarkeit des Grundstücks F. -Straße 2 über das Flurstück L..
Das Miteigentum, das der Kläger an dem Wegeflurstück M. hat, begründet insoweit eine hinreichende rechtliche Sicherung der Zuwegung. Dass Miteigentum als Sicherung ausreicht, ergibt sich aus einem Rückschluss aus § 5 NBauO, der die Anforderungen regelt, die an die Zugänglichkeit eines zu bebauenden Grundstücks gestellt werden. Nach dieser Vorschrift muss das Baugrundstück so an einer mit Kraftfahrzeugen befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegen oder einen solchen Zugang zu ihr haben, dass der von der baulichen Anlage ausgehende Zu- und Abgangsverkehr und der für den Brandschutz erforderliche Einsatz von Feuerlösch- und Rettungsgeräten jederzeit ordnungsgemäß und ungehindert möglich sind (Abs. 1). Ist das Baugrundstück nur über Flächen zugänglich, die nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind, so muss ihre Benutzung für diesen Zweck durch Baulast oder Miteigentum gesichert sein. Dies gilt auch, wenn der erforderliche Zugang zu einem Grundstück über ein anderes Grundstück führt, das mit ihm zusammen nach § 4 Abs. 1 Satz 2 NBauO ein Baugrundstück bildet (§ 5 Abs. 2 Satz 1 HS 1, Satz 2 NBauO). Sind die Erreichbarkeitsanforderungen erfüllt, von denen das soeben zitierte landesrechtliche Bauordnungsrecht die Bebaubarkeit des Grundstücks abhängig macht, ist auch eine vorteilsrelevante Inanspruchnahmemöglichkeit im Sinne des § 6 Abs. 1 NKAG zu bejahen (Grosse-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, 8. Aufl. 2006, § 4 Rdnr. 11, § 5 Rdn. 28 ff., 33; Rosenzweig/Freese, NKAG, Kommentar, Stand: Januar 2009, § 6 Rdn. 122). So liegt es hier.
Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 HS 1 NBauO sind gegeben. Die Flächen des Wegeflurstücks M. sind nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet. Ihre Benutzung für diesen Zweck ist allerdings durch Miteigentum gesichert. Dass die Benutzung nicht gewidmeter Flächen für Zwecke des Verkehrs gesichert ist, ist anzunehmen, wenn sich etwa durch die Bezeichnung 'Wegegrundstück' oder auf andere Weise erkennen lässt, dass das Miteigentumsrecht auch diese Art der Benutzung des gemeinschaftlichen Eigentums beinhaltet. Nicht zusätzlich erforderlich ist, dass die Miteigentümer ihre Rechte aus § 749 Abs. 1 BGB für die Zeit des Bestehens der Zuwegung ausschließen und diesen Ausschluss im Grundbuch eintragen lassen. Dies ergibt die Auslegung des § 5 Abs. 2 Satz 1 HS 1 NBauO unter Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers. Bereits in seinem Beschluss vom 28. Mai 1990 (9 M 11/90, KStZ 1991, 134) hatte der Senat hierzu ausgeführt:
"Der Gesetzgeber hat allein die rechtliche Sicherung durch Baulast oder Miteigentum für die Zugänglichkeit über private Flächen nicht ausreichen lassen, sondern verlangt, dass 'ihre Benutzung für diesen Zweck' gesichert ist. Für das Miteigentum, das als Sicherungsinstrument erst durch das 5. Änderungsgesetz zur NBauO vom 11.4.1986 (GVBl. S. 102) eingeführt worden ist, verdeutlicht die Begründung des Regierungsentwurfs (LT-Drs. 10/3480, S. 47) die Tragweite dieser Anforderung:
'Nicht in jedem Fall berechtigt Miteigentum an einem Grundstück zu einer Benutzung entsprechend § 5. Deshalb muss erkennbar sein, wie durch die Bezeichnung 'Wegegrundstück', dass das Miteigentumsrecht auch diese Art der Benutzung des gemeinschaftlichen Eigentums beinhaltet.'
Der Gesetzgeber hat das Miteigentum als Sicherungsinstrument ausreichen lassen, weil er von der Situation ausgegangen ist, dass die Eigentümer mehrerer durch ein gemeinsames Wegegrundstück erschlossener Grundstücke am Fortbestand der Wegeparzelle interessiert sind, so dass deren Zweckentfremdung wenig wahrscheinlich ist ...".
An dieser Auslegung des § 5 Abs. 2 Satz 1 HS 1 NBauO ist festzuhalten.
Das Miteigentumsrecht am Wegeflurstück M. beinhaltet die Benutzung des gemeinschaftlichen Eigentums für Zwecke des Verkehrs. Dies ergibt sich vorliegend bereits aus dem Zuschnitt des genannten Flurstücks. Von seiner Größe und Beschaffenheit her kann es auch nach dem Vorbringen des Klägers sinnvoller Weise nur als Weg und nicht anders genutzt werden. Hinzu kommt, dass die Miteigentümer die Benutzung der Fläche des heutigen Flurstücks M. als Weg und damit für Zwecke des Verkehrs durch Vereinbarung geregelt haben (vgl. § 745 Abs. 2 BGB). In dem zur Urkundenrolle des Notars U. Nr. 1085/94 beurkundeten Grundstückskaufvertrag vom 13. September 1994 vereinbarten der Kläger, K. und die Rechtsvorgänger von Frau N., dass die betreffende Fläche als Zuwegung dienen werde, sowohl durch Pkw als auch durch Lkw genutzt werden könne und dort Einstellplätze angelegt würden.
Entgegen der Auffassung des Klägers scheitert die Annahme einer Beitragspflicht seines Grundstücks nicht daran, dass die Möglichkeit zur Inanspruchnahme der Straße D. nicht dauerhaft rechtlich gesichert sei. Ist eine rechtliche Sicherung vorhanden, reicht es aus, wenn diese - wie hier - bei punktueller Betrachtung im maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht auf eine gewisse Dauerhaftigkeit angelegt ist. Nicht erforderlich ist hingegen die Gewährleistung, dass die vorhandene, auf eine Dauerhaftigkeit angelegte rechtliche Sicherung auch immer fortbestehen wird. Unschädlich ist daher, dass eine Miteigentumsgemeinschaft vielleicht später einmal aufgelöst wird, andere Sicherungsformen wie eine Baulast oder eine Grunddienstbarkeit aufgegeben werden können, eine Eigentümeridentität bei Anlieger- und Hinterliegergrundstück wegen Verkaufs des Anliegergrundstücks entfallen kann oder ein die bestimmungsgemäße Grundstücksnutzung festlegender Bebauungsplan aufgehoben werden kann. Der Beitragsanspruch beurteilt sich allein nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt seines Entstehens und setzt nicht zusätzlich voraus, dass diese Verhältnisse tatsächlich auf Dauer bestehen (Driehaus, KAG, Stand: März 2010, Kommentar, Band II, § 8 Rdn. 401e i.V.m. 401d). Für die Beitragspflicht des Klägers genügt es daher, dass er im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht aufgrund seines Miteigentumsanteils am Wegeflurstück M. rechtlich gesichert Zugang zu seinem Grundstück F. -Straße 2 nehmen konnte.
Unabhängig vom Miteigentumsanteil am Wegeflurstück M. ergibt sich die für die Annahme einer Beitragspflicht erforderliche rechtliche Sicherung der Zuwegung auch aus der für die Flurstücke O., G., L., M. und P. im Baulastenverzeichnis des Grundbuchs eingetragenen Vereinigungsbaulast. Wird - wie hier - eine Vereinigungsbaulast zur Anlegung von erforderlichen Stellplätzen auf einem angrenzenden Flurstück übernommen, beinhaltet dies zugleich das Recht, das betreffende Flurstück in der für die Nutzung der angelegten Stellplätze erforderlichen Weise in Anspruch zu nehmen (vgl. Eusani, ZfIR, 2006, 827, 829; Grosse-Suchsdorf / Lindorf / Schmaltz / Wiechert, 8. Aufl. 2006, § 4 Rdnr. 11, § 5 Rdn. 28). Dies gilt zumal dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Nutzung als Weg auch vertraglich abgesichert wird. Diese rechtliche Konstruktion gewährleistet, dass der Kläger oder auch ein sonstiger (Mit-) Eigentümer des Grundstücks F. -Straße 2, wie ehemals Frau I., mit einem Fahrzeug von der Straße D. über das Wegeflurstück M. zu einem Stellplatz gelangen und von dort aus Zugang nehmen kann. Da dadurch die bestimmungsgemäße Nutzung des Grundstücks F. -Straße 2 ermöglicht wird, genügt dies für die Annahme einer vorteilsrelevanten Inanspruchnahmemöglichkeit im Sinne des § 6 Abs. 1 NKAG. Dass nach dem nunmehr geltenden § 5 Abs. 2 Satz 2 NBauO die Erreichbarkeitsanforderungen nach dem landesrechtlichen Bauordnungsrecht nur erfüllt sind, wenn neben der Vereinigungsbaulast etwa auch eine Wegebaulast besteht (zum Hintergrund dieser Gesetzesänderung Prahl, BauR 2003, 1519), die hier nicht vorliegt, führt zu keiner anderen Beurteilung. Ein Grundstück erlangt nicht erst dann einen straßenausbaubeitragsrechtlich relevanten Vorteil, wenn es bebaubar ist.