Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.06.2010, Az.: 4 ME 122/10

Beachtung des Grundsatzes eines geringstmöglichen Eingriffs beim Erlass naturschutzrechtlicher Verfügungen; Vereinbarkeit einer vollständigen Untersagung des Einbaus von Fremdboden mit dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.06.2010
Aktenzeichen
4 ME 122/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 24044
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0616.4ME122.10.0A

Fundstellen

  • AUR 2010, 312-313
  • DVBl 2010, 1058
  • NVwZ-RR 2010, 799-800
  • NuR 2010, 577-579
  • altlasten spektrum 2010, 312

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs ist auch beim Erlass naturschutzrechtllicher Verfügungen zu beachten.

  2. 2.

    Zum Verstoß der vollständigen Untersagung des Einbaus von Fremdboden gegen den Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs.

Gründe

1

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts ist begründet, weil das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. Februar 2010 in der Fassung der Erklärung vom 15. März 2010 zu Unrecht abgelehnt hat.

2

Die gerichtliche Entscheidung über die Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO setzt eine Abwägung des Interesses des Antragstellers, von der Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur endgültigen Entscheidung über seine Rechtmäßigkeit verschont zu bleiben, gegen das öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung voraus. Diese Abwägung fällt in der Regel zu Lasten des Antragstellers aus, wenn bereits im Aussetzungsverfahren bei summarischer Prüfung zu erkennen ist, dass sein Rechtsbehelf offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.5.2004 - 2 BvR 821/04 -, NJW 2004 S. 2297; Beschl. v. 11.2.1982 - 2 BvR 77/82 -, NVwZ 1982 S. 241; BVerwG, Beschl. v. 9.9.1996 - 11 VR 31.95 -; Senatsbeschl. v. 23.10.2006 - 4 ME 208/06 -; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., Rdnr. 964). Dagegen überwiegt das Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs in aller Regel, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich begründet erweist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.10.1995 - 1 VR 1.95 -; Senatsbeschl. v. 23.10.2006 - 4 ME 208/06 -). Bleibt der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache bei der in dem Aussetzungsverfahren nur möglichen summarischen Prüfung (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 11.9.1998 - 11 VR 6.98 -) jedoch offen, kommt es auf eine reine Abwägung der widerstreitenden Interessen an (BVerwG, Beschl. v. 29.4.1974 - IV C 21.74 -, DVBl. 1974 S. 566; Senatsbeschl. v. 23.10.2006 - 4 ME 208/06 -).

3

Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen, unter denen die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wiederherzustellen bzw. anzuordnen ist, erfüllt, weil sich der Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. Februar 2010 in der Fassung der Erklärung vom 15. März 2010 bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist.

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Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin durch den Bescheid vom 25. Februar 2010, der nach der Erklärung vom 15. März 2010 bis zur Bestandskraft des Bescheides vom 22. August 2008 gilt, unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgeldes von 1.000,- EUR untersagt, in der Bodenabbaustelle auf den Flurstücken 16/1 der Flur 1 sowie 89, 90 und 91 der Flur 11 der Gemarkung D. Boden anzunehmen und einzubauen, der nicht in der Abbaustelle gewonnen worden ist. Als Rechtsgrundlage für diese Untersagungsverfügung kommt nach dem Außerkrafttreten des § 63 Satz 1 des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes nur § 2 Abs. 1 Satz 3 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Bundesnaturschutzgesetz vom 19. Februar 2010 - NAGBNatSchG - (Nds. GVBl. 2010, 104) in Betracht, der bestimmt, dass die Naturschutzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die im Einzelfall erforderlichen Maßnahmen trifft, um die Einhaltung des Bundesnaturschutzgesetzes, der auf der Grundlage des Bundesnaturschutzgesetzes erlassenen Vorschriften, des den Naturschutz und die Landschaftspflege betreffenden unmittelbar geltenden Rechts der Europäischen Gemeinschaft, des sonstigen Bundesrechts und des Landesrechts sicherzustellen. Die danach notwendigen Voraussetzungen für ein Einschreiten der Naturschutzbehörde sind bei summarischer Prüfung hier jedoch nicht erfüllt.

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Die Antragsgegnerin hat zur Begründung des Bescheides vom 25. Februar 2010 angeführt, dass sie den Einbau von Fremdboden durch den Bescheid vom 22. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2009 neu geregelt habe. Danach bestünden für die Fortsetzung der Verfüllung auf dem Flurstück 16/1 ab dem 1. Januar 2009 neue Annahme- und Einbaubedingungen. Um die Einhaltung der neuen Einlagerungskriterien durchsetzen zu können, habe sie unter dem 22. Juli 2008 die sofortige Vollziehung des Bescheides vom 22. April 2008 im besonderen öffentlichen Interesse angeordnet. Dennoch habe die Antragstellerin die Verfüllung der Grube nach dem 1. Januar 2009 unter Missachtung der neu gefassten Einlagerungskriterien fortgesetzt. Dies sei zwar in der Vergangenheit wegen des anhängigen Eilverfahrens mit behördlicher Duldung geschehen. Für die Zukunft könne dieses ungenehmigte Verhalten aber nicht länger hingenommen werden. Der Versuch, die Antragstellerin durch die Androhung eines Zwangsgeldes wenigstens zur Einhaltung der neu gefassten Verpflichtung zur lückenlosen Dokumentation zu bewegen, sei erfolglos geblieben. Es bleibe daher kein anderer Weg mehr, um die Einhaltung der Rechtsvorschriften sicherzustellen, als die weitere Annahme und den Einbau von Fremdboden bis auf weiteres zu untersagen.

6

Diese Begründung des angefochtenen Bescheides, auf die abzustellen ist, weil der Erlass der Untersagungsverfügung im behördlichen Ermessen steht, bietet keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Untersagung der Annahme und des Einbaus von Fremdboden im Hinblick auf den Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs, der nach § 2 Abs. 3 Satz 1 NAGBNatSchG i.V.m. § 4 Abs. 1 Nds. SOG auch im Naturschutzrecht beachtet werden muss, im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 3 NAGBNatSchG erforderlich ist.

7

Die Antragsgegnerin hat den Einbau von Fremdboden durch ihren Bescheid vom 22. April 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2009 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Wirkung vom 1. Januar 2009 reglementiert und dabei u.a. vorgeschrieben, an welcher Stelle und in welchem Umfang Fremdboden eingebaut werden darf, welche Anforderungen an den Fremdboden zu stellen sind, in welchem Umfang dieser kontrolliert und auf Belastung mit Schadstoffen hin zu untersuchen ist und wie Herkunft, Qualität und Menge dokumentiert werden müssen. Die Antragsgegnerin hat darüber hinaus für den Fall, dass die Annahme und der Einbau des Fremdbodens ab dem 20. April 2009 nicht entsprechend der Auflage II. 4.1 dokumentiert wird, durch Bescheid vom 9. April 2009 ein Zwangsgeld in Höhe von 50,- EUR je unvollständigem Herkunftsnachweis angedroht. Da die von der Antragstellerin gegen die o. a. Bescheide erhobenen Rechtsbehelfe nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und 3 VwGO keine aufschiebende Wirkung haben, hätte die Antragsgegnerin die o. g. Anordnungen nach § 70 Abs. 1 NVwVG i.V.m.§§ 64 ff. Nds. SOG mit Zwangsmitteln konsequent durchsetzen können. Der Antragsgegnerin wäre es insbesondere unbenommen gewesen, das in dem Bescheid vom 9. April 2009 angedrohte Zwangsgeld in jedem Fall des Zuwiderhandelns festzusetzen und im Bedarfsfall deutlich höhere Zwangsgelder anzudrohen und festzusetzen. Von diesen Möglichkeiten hat die Antragsgegnerin jedoch nicht konsequent Gebrauch gemacht, obwohl offensichtlich ist, dass diese Maßnahmen der Zwangsvollstreckung ein milderes Mittel als die vollständige Untersagung des Einbaus von Fremdboden gewesen wären. Es bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Durchsetzung der Anordnungen mit Zwangsmitteln zur Erreichung des Ziels, die Einhaltung der o. a. Anordnungen sicherzustellen, von vornherein nicht geeignet wäre. Die Antragsgegnerin hat zur Begründung ihres Bescheides vom 25. Februar 2010 zwar ausgeführt, dass ihr kein anderer Weg mehr bleibe, um die Einhaltung der Rechtsvorschriften sicherzustellen, da der Versuch, die Antragstellerin durch die Androhung eines Zwangsgeldes wenigstens zur Einhaltung der Verpflichtung zur lückenlosen Dokumentation zu bewegen, erfolglos geblieben sei. Diese Begründung ist aber nicht stichhaltig, da die Antragsgegnerin es sowohl unterlassen hat, das angedrohte Zwangsgeld vor Erlass des angefochtenen Bescheides konsequent in jedem Fall des Zuwiderhandelns gegen die Auflage II. 4.1 festzusetzen, als auch deutlich höhere Zwangsgelder, die im Fall eines wiederholten Verstoßes gegen die Auflage II. 4.1 angemessen wären, anzudrohen und festzusetzen; die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 7. Juni 2010 mitgeteilt, erst nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12. April 2010 eine erste Zwangsgeldfestsetzung vorgenommen zu haben. Im Übrigen ist der Begründung des angefochtenen Bescheides auch nicht zu entnehmen, gegen welche anderen den Einbau von Fremdboden betreffenden Anordnungen die Antragstellerin verstoßen haben soll und aus welchen konkreten Gründen die Durchsetzung dieser Anordnungen mit Zwangsmitteln nicht möglich oder nicht erfolgversprechend sein soll.

8

Schließlich lässt sich die Rechtmäßigkeit der vollständigen Untersagung des Einbaus von Fremdboden entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch nicht damit begründen, dass die Antragstellerin mittlerweile 30.000 m³ Fremdboden in die Grube eingebracht habe und täglich weiteren Fremdboden annehme, obwohl nach dem Bescheid vom 22. April 2008 nur 3.000 m³ Fremdboden zwischengelagert werden dürfen. Zum einen hat die Antragsgegnerin ihre Ermessensentscheidung, den Einbau von Fremdboden vollständig zu untersagen, ausweislich der Begründung ihres Bescheides vom 25. Februar 2010 nicht mit einem Verstoß gegen die Nebenbestimmung II. 1.4 des Bescheides vom 22. April 2008, die die Zwischenlagerung regelt, gestützt, so dass die behauptete Überschreitung der maximalen Zwischenlagermenge im vorliegenden Verfahren außer Acht bleiben muss. Zum anderen kann bei summarischer Prüfung auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin gegen die o. g. Nebenbestimmung verstoßen hat. Die Antragsgegnerin hat in ihrem Schriftsatz vom 25. März 2010 im erstinstanzlichen Verfahren zwar ausgeführt, die maximale Zwischenlagermenge von 3.000 m³ sei schon weit überschritten, und zur Begründung darauf hingewiesen, dass im Übergangsbereich der Flurstücke 98 und 16/1 nach den bei der Ortsbesichtigung am 9. Juni 2008 getroffenen Feststellungen ca. 30.000 m³ Fremdboden zur Verfüllung lagerten und die Lage und Größe der Halde seitdem nicht verändert worden sei. Die Nebenbestimmung II. 1.4 gilt aber erst seit dem 1. Januar 2009, so dass der vor diesem Zeitpunkt angelieferte Fremdboden nicht berücksichtigt werden kann. Daher kann aus dem Vortrag der Antragsgegnerin, dass am 9. Juni 2008 ca. 30.000 m³ Fremdboden lagerten und sich die Lage und Größe der Halde seitdem nicht verändert habe, nicht zwangsläufig geschlossen werden, dass ein Verstoß gegen die Nebenbestimmung II. 1.4 vorliegt. Im Übrigen gilt auch insoweit, dass bei einem etwaigen Verstoß gegen die Nebenbestimmung zunächst mit der Androhung und Festsetzung effektiver Zwangsmittel zu reagieren ist, bevor das vollständige Verbot des Einbaus von Fremdboden in Erwägung gezogen werden darf. Entsprechendes gilt in Bezug auf das von der Antragsgegnerin bei einer Kontrolle der Abbaustelle am 18. März 2010 festgestellte flächige Aufbringen von Boden auf der Grubensohle. Zum einen hat die Antragsgegnerin den Bescheid vom 25. Februar 2010 nicht konkret auf diesen Vorgang gestützt. Zum anderen ist nicht ohne weiteres ersichtlich, dass das Aufbringen von Boden auf der Grubensohle gegen die Nebenbestimmungen des Bescheides vom 22. April 2008 verstößt, da die Antragsgegnerin selbst eingeräumt hat, dass das Aufbringen von Boden auf der Grubensohle nach der Nebenbestimmung II.1.5 zur Sicherung der Böschung bis zur Erreichung der vorgeschriebenen Böschungsneidung zulässig ist. Schließlich wäre auch diese Nebenbestimmung im Falle eines Verstoßes zunächst mit Zwangsmitteln durchzusetzen, bevor der Einbau von Fremdboden als ultima ratio vollständig untersagt werden darf.

9

Erweist sich das vollständige Verbot der Annahme und des Einbaus von Boden demnach bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, gilt für die Zwangsgeldandrohung zu dessen Durchsetzung nichts anderes. Daher ist der erstinstanzliche Beschluss zu ändern und dem Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu entsprechen.