Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.06.2010, Az.: 5 ME 78/10
Untersagung der Ausübung steuerberatender Tätigkeit eines in den Ruhestand versetzten ehemaligen Finanzbeamten betreffend die Tätigkeit seines Zuständigkeitsbereichs seiner früheren Dienststelle; Einstweiliger Rechtsschutz gegen ein Beschäftigungsverbot eines verwitweten Finanzbeamten betreffend die Weiterführung des Lohnsteuerhilfevereins seines verstorbenen Ehegattens
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.06.2010
- Aktenzeichen
- 5 ME 78/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 24066
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0611.5ME78.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 41 S. 3 BeamtStG
- § 79 S. 1 NBG
- § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO
- Art. 3 Abs. 1 GG
- Art. 12 Abs. 1 GG
Fundstellen
- DVBl 2010, 992
- DÖD 2010, 250-251
- DÖV 2011, 40
- NVwZ-RR 2010, 731
- NWB 2010, 3690
- NWB direkt 2010, 1183
- NdsVBl 2010, 332-333
- ZBR 2011, 51-52
Amtlicher Leitsatz
Zum besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung einer Verfügung, mit der einer ehemaligen Finanzbeamtin untersagt worden ist, nach der Versetzung in den Ruhestand insoweit steuerberatend tätig zu werden, als sich die Tätigkeit auf den Zuständigkeitsbereich ihrer früheren Dienststelle bezieht.
Gründe
Mit Verfügung vom 22. Dezember 2009 hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin, die mit Ablauf des 30. September 2009 auf ihren Antrag gemäß § 37 Abs. 2 NBG in den Ruhestand versetzt worden ist, die Ausübung steuerberatender Tätigkeiten insoweit untersagt, als sie sich auf den Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes C. beziehen, in dem die Antragstellerin bis zu ihrer Versetzung in den Ruhestand tätig war. Das Beschäftigungsverbot ist auf den 30. September 2014 befristet worden.
Mit Verfügung vom 8. Februar 2010 hat die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Verfügung vom 22. Dezember 2009 angeordnet.
Die Antragstellerin hat am 12. Februar 2010 bei dem Verwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und am 13. Januar 2010 Klage erhoben (6 A 236/10). Über die Klage hat das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden.
Mit Beschluss vom 3. März 2010 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Unrecht entsprochen.
Der Senat teilt allerdings die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass sich bei der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage noch nicht verlässlich beurteilen lässt, ob die auf § 41 BeamtStG i.V.m. § 79 NBG gestützte Untersagungsverfügung vom 22. Dezember 2009 rechtmäßig ist. Ferner folgt der Senat dem Verwaltungsgericht in der Annahme, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtmäßig (Frage der vorherigen Anhörung) und in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet worden ist. Zur Begründung nimmt der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die diesbezüglichen Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss Bezug (BA S. 5, 2. Abs. - S. 9, 2. Abs.), denen er sich anschließt.
Da sich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache mithin nicht abschließend beurteilen lassen, ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Diese Interessenabwägung geht entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht zulasten der Antragsgegnerin, sondern vielmehr zulasten der Antragstellerin aus.
Das Verwaltungsgericht hat ausschlaggebend darauf abgestellt, die Vollziehung der Untersagungsverfügung vom 22. Dezember 2009 habe voraussichtlich zur Konsequenz, dass der Lohnsteuerhilfeverein, den die Antragstellerin nach dem Tod ihres Ehemannes weiterführen wolle, wahrscheinlich nicht mehr fortgeführt werden könne. Der eingetretene Schaden wäre im Falle des Obsiegens der Antragstellerin in der Hauptsache voraussichtlich nur schwer zu beheben. Der Verein verfüge über eine Vielzahl von Mandanten, die ggf. nicht mehr beraten werden könnten und sich deshalb voraussichtlich um einen adäquaten Ersatz bemühen müssten. Falls die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren obsiege, müsse sie den Verein wahrscheinlich neu aufbauen und strukturieren. Ihrem Interesse, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache für den Verein tätig sein zu können, komme deshalb ein erhebliches Gewicht zu. Demgegenüber müsse das Interesse der Antragsgegnerin zurückstehen (vgl. BA S. 9 f.).
Die vorstehend wiedergegebenen Erwägungen des Verwaltungsgerichts rechtfertigen es nicht, dem Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage den Vorrang einzuräumen. Insoweit ist von maßgeblicher Bedeutung, dass§ 41 BeamtStG, ebenso wie § 77 a NBG a.F., § 69 a BBG a.F. und § 20 a SG, der Prävention eines Missbrauchs dienstlicher Tätigkeit, dienstlicher Kenntnisse und dienstlicher Kontakte dient. Die Vorschriften sollen die Integrität des öffentlichen Dienstes schützen und damit letztlich die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes wahren (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.12.1996 - 2 C 37.95 -, BVerwGE 102, 326; Urteil vom 6.12.1989 - 6 C 52.87 -, BVerwGE 84, 194). Diesem Gesetzeszweck kommt eine so überragende Bedeutung zu, dass das öffentliche Interesse an der Vermeidung eines solchen Anscheins bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen stets überwiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 6.12.1989, a.a.O.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.2.2009 - OVG 6 S 16.08 -, [...]; OVG Münster, Beschluss vom 8.2.1991 - 1 B 3117/90 -, RiA 1992, 47 = [...]).
Der dargestellte Gesetzeszweck begründet auch vorliegend das besondere öffentliche Interesse an der sofort eintretenden Wirkung der Untersagungsverfügung vom 22. Dezember 2009 und setzt sich gegenüber dem privaten Interesse der Antragstellerin durch, bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache für den Lohnsteuerhilfeverein tätig werden zu können. Ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung hätte die Antragstellerin als Adressatin der Untersagungsverfügung vom 22. Dezember 2009, deren Wirkungsdauer gemäß § 41 Satz 3 BeamtStG i.V.m. § 79 Satz 1 NBG auf den 30. September 2014 begrenzt ist, es ohne Rücksicht auf die Rechtmäßigkeit der Verfügung in der Hand, durch die bloße Ausschöpfung aller Rechtsschutzmöglichkeiten deren Wirkung weitgehend leerlaufen zu lassen. Der von der Antragsgegnerin befürchtete Ansehensverlust für den öffentlichen Dienst würde eintreten können, ohne dass diese Wirkung durch eine Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung vom 22. Dezember 2009 im Klageverfahren rückgängig gemacht werden könnte (vgl. in diesem Sinne auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13.2.2009, a.a.O.; OVG Münster, Beschluss vom 8.2.1991, a.a.O.).
Gegenüber dem daraus folgenden bedeutsamen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung vom 22. Dezember 2009 muss das Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage zurücktreten.
Der Senat vermag die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der Lohnsteuerhilfeverein könne im Falle der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung vom 22. Dezember 2009 voraussichtlich nicht fortgeführt werden, nicht zu teilen. Die Antragstellerin hat selbst eingeräumt, dass immerhin ca. ein Drittel ihres Mandantenstammes außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Finanzamtes C. wohne. Ihr verbleibt deshalb, wie die Antragsgegnerin zu Recht eingewandt hat, ein ausreichend großes Betätigungsfeld. Warum diese Beschränkung dazu führen wird, dass der Lohnsteuerhilfeverein nicht fortgeführt werden kann, hat die Antragstellerin nicht substantiiert dargelegt.
Das Vorbringen der Antragstellerin, sie falle zwar nicht "in einen Arbeitslosengeld II-Bezug", sei jedoch auf die Einnahmen aus der Tätigkeit für den Lohnsteuerhilfeverein angewiesen, kann der Senat nicht nachvollziehen. Die Antragstellerin erhält immerhin Versorgungsbezüge nach der Besoldungsgruppe A 11 BBesO. Sie war nicht gezwungen, sich in den Ruhestand versetzen zu lassen, sondern hat dies selbst beantragt. Es ist auch weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass die 61 Jahre alte Antragstellerin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage gewesen ist, weiterhin als Finanzbeamtin tätig zu sein. Falls gesundheitliche Gründe einer Tätigkeit als Finanzbeamtin entgegenstehen würden, könnte die Antragstellerin vermutlich auch die geplante zeitaufwändige Tätigkeit für den Lohnsteuerhilfeverein nicht leisten.
Das Vorbringen der Antragstellerin, sie sei nie darauf hingewiesen worden, dass ihr aus der Tätigkeit im Personalrat im Hinblick auf die geplante Tätigkeit im Lohnsteuerhilfeverein Nachteile erwachsen könnten, ist unerheblich. Die Antragsgegnerin war unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet, der Antragstellerin vor dem Beginn der Tätigkeit im Personalrat im Jahr 1988 im Hinblick auf eine seinerzeit noch überhaupt nicht abzusehende Tätigkeit für den Lohnsteuerhilfeverein rechtliche Hinweise zu erteilen. Die Antragstellerin muss sich abgesehen davon entgegenhalten lassen, dass sie es versäumt hat, sich von sich aus rechtzeitig vor der Stellung des Antrags auf Versetzung in den Ruhestand an ihren Dienstherrn zu wenden, um vorab zu klären, ob der Aufnahme der geplanten Tätigkeit für den Lohnsteuerhilfeverein rechtliche Hindernisse entgegenstehen. Stattdessen hat sie zeitgleich unter dem 5. August 2009 zum 1. Oktober 2009 ihre Versetzung in den Ruhestand beantragt und die Aufnahme der Tätigkeit im Lohnsteuerhilfeverein ab dem 1. Oktober 2009 angezeigt.
Mit ihrem Einwand, die früher zuständig gewesene Stelle in Oldenburg habe in ähnlich gelagerten Fällen keine Untersagungsverfügungen erlassen, vermag die Antragstellerin nicht durchzudringen. Denn aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG kann nicht hergeleitet werden, dass eine Verwaltungsbehörde einen möglicherweise in der Vergangenheit begangenen Fehler wiederholt ("keine Gleichheit im Unrecht"; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 6.12.1989, a.a.O.).
Die Antragstellerin wird durch die angegriffene Maßnahme auch nicht in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Denn die Vorschriften des § 41 BeamtStG i.V.m. § 79 NBG sind ebenso wenig wie § 77 a NBG a.F.,§ 69 a BBG a.F. und § 20 a SG verfassungsrechtlich bedenklich (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.12.1996 und 6.12.1989, a.a.O.).
Es ist schließlich auch rechtlich unerheblich, dass die Antragstellerin, wie sie vorträgt, durch die von ihr geplante Tätigkeit nicht bereichert wird. Diesem Gesichtspunkt kommt - wie auch der Frage, ob ein Fehlverhalten des jeweiligen Beamten zu besorgen ist oder konkrete Zweifel an seiner persönlichen Integrität bestehen - im Rahmen des § 41 BeamtStG i.V.m. § 79 NBG keine rechtliche Bedeutung zu (vgl. zu § 20 a SG BVerwG, Urteil vom 12.12.1996, a.a.O.; vgl. zu § 69 a BBG a.F. Plog/Wiedow, BBG, § 69 a Rn 14).