Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.06.2010, Az.: 11 LA 169/09

Anspruch auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels im Falle falscher Angaben eines kurdischen Antragstellers zu seiner Identität und Staatsangehörigkeit; Ausstellung eines Reiseausweises als Passersatz für einen Ausländer im Falle der Verweigerung der Ausstellung eines türkischen Passes durch das türkische Generalkonsulat; Bestimmung der türkischen Staatsangehörigkeit nach dem für das türkische Staatsangehörigkeitsrecht maßgeblichen Abstammungsprinzip unabhängig vom Ort der Geburt und vom Aufenthaltsort kraft Geburt

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.06.2010
Aktenzeichen
11 LA 169/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 24069
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0616.11LA169.09.0A

Redaktioneller Leitsatz

Die Verlängerung eines Aufenthaltstitels kommt nicht in Betracht, wenn diesem Begehren § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG deshalb entgegensteht, weil der betreffende Ausländer eine andere als die angegebene staatsangehörige Identität besitzt und er aufgrund dieser in der Lage wäre, einen entsprechenden Pass zu erlangen.

Gründe

1

I.

Die Kläger erhielt nach erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens als 1961 geborener, kurdischer Volkszugehöriger namens B. aus dem Libanon Aufenthaltstitel, die bis zum Juni 2004 gültig waren. Den Antrag auf Verlängerung lehnte der Beklagte mit dem hier streitigen Bescheid vom 15. August 2007 ab. Zur Begründung berief er sich darauf, dass der Kläger nach neueren Erkenntnissen tatsächlich A. heiße und unter diesem Namen mit dem Geburtsjahr 1964 im türkischen Personenstandsregister erfasst sei; die türkischen Behörden seien auch bereit, dem Kläger als Herrn A. ein Passersatzpapier auszustellen. Zugleich wurde der Kläger deshalb ausgewiesen, ihm die Abschiebung in die Türkei angedroht sowie sein Antrag auf Ausstellung eines Reiseausweises abgelehnt.

2

Das Verwaltungsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis stehe u.a. entgegen, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 4 AufenthG nicht gegeben seien und hiervon auch nicht nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen werde könne. So sei der Kläger nicht im Besitz des erforderlichen Passes, könne einen solchen als türkischer Staatsangehöriger aber auf Antrag erhalten. Die Ausweisung des Klägers sei vom Beklagten ermessensfehlerfrei auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II, die Leistungen der Sozialhilfe i.S.d. § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG darstellten, sowie nach § 55 Abs. 2 Nr. 1a) AufenthG auch auf die unverändert falschen Angaben des Klägers zu seiner Identität und Staatsangehörigkeit gestützt worden. Im Übrigen wurde auf die Begründung des angefochtenen Bescheides verwiesen. Zur Ablehnung des - als "Streitgegenstand" und als Klageantrag im Tatbestand des Urteils jeweils aufgeführten - Antrags auf Ausstellung eines Reiseausweises finden sich im Urteil und im angefochtenen Bescheid keine weiteren Ausführungen.

3

II.

Der gegen dieses Urteil gerichtete Zulassungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.

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a)

Der Zulassungsantrag bleibt erfolglos, soweit er sich gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis richtet. Denn jedenfalls hinsichtlich der selbständig tragenden Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG erfülle und hiervon auch nicht nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG abgesehen werden könne, ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen kein Grund zur Zulassung der Berufung.

5

Der Kläger ist unter den zuvor genannten Personalien im türkischen Personenstandsregister erfasst. Auf Antrag des Beklagten hat das türkische Generalkonsulat in Hannover mit Schreiben vom 22. Februar 2007 bestätigt, dass es sich bei dem Kläger, seiner Ehefrau und ihren (älteren) Kindern um türkische Staatsangehörige mit dem Familiennamen A. handelt, sowie weiterhin an Hand des eingesandten Passfotos die Identität des Klägers mit Herrn A. bestätigt. Die Ausstellung der beantragten Passersatzpapiere wurde in Aussicht gestellt. Nach Art. 36 Abs. 2 a) und c) des aktuellen türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes (vgl. Senatsbeschl. v. 18.3.2010 - 11 ME 30/10 -, AuAS 2010, 116 ff., m.w.N.) gilt der Kläger somit bis zum Beweis des Gegenteils als türkischer Staatsangehöriger. Die Ausstellung eines Passes auf eigenen Antrag könnte ihm nach dem Passgesetz Nr. 5682 nur noch beim Vorliegen eines der folgenden Gründe verweigert werden (vgl. Schweizer Bundesamt für Migration, Türkei - Ausweise und Ausreise, 16. August 2005; Serafettin Kaya v. 10.7.2004):

6

Auf Veranlassung eines Gerichts bei Anhängigkeit eines Verfahrens, auf Veranlassung des Steueramtes bei hohen Steuerschulden, auf Veranlassung des Innenministeriums bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder bei einer Suche wegen nicht geleistetem Militärdienst.

7

Auf einen dieser Ausnahmegründe beruft sich der Kläger im Zulassungsverfahren aber selbst nicht. Soweit er stattdessen darauf verweist, dass er im Libanon gelebt habe und in der Türkei keinen Amtswalter persönlich kenne, folgen daraus angesichts der vorherigen Erklärung des türkischen Generalkonsulats und der zitierten Auskünfte weder rechtlich noch tatsächlich Zweifel daran, dass dem Kläger auf einen erforderlichen und zumutbaren vollständigen eigenen Antrag auch ein türkischer Pass ausgestellt wird. Dass er sich hierum vergeblich bemüht hätte, behauptet er selbst nicht. Nach §§ 5,6 AufenthV darf dem Kläger deshalb auch kein Reiseausweis für Ausländer als Passersatz ausgestellt werden. Bei dieser Sachlage ist schließlich auch kein Grund gegeben, um nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Erfüllung der Passpflicht abzusehen. Dies macht der Kläger im Zulassungsverfahren auch selbst nicht geltend.

8

Ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die auf die Verlängerung des Aufenthaltstitels gerichtete Verpflichtungsklage abzuweisen, bestehen also schon deshalb nicht, weil diesem Begehren jedenfalls § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG entgegensteht. Ob - wie vom Verwaltungsgericht angenommen und vom Kläger bestritten - weitere allgemeine Erteilungsvoraussetzungen oder auch die besonderen Voraussetzungen für die Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (§§ 25 Abs. 4 oder 5, 104a AufenthG) fehlen, kann deshalb im Zulassungsverfahren offen bleiben. Die insoweit, d.h. bezüglich der Verneinung der Voraussetzungen des§ 25 Abs. 4 Satz 2 und des Abs. 5 AufenthG, vom Kläger ergänzend geltend gemachten Zulassungsgründe des§ 124 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 VwGO liegen ebenfalls nicht vor, da sich das entsprechende Zulassungsvorbringen auf nicht tragende Erwägungen des angegriffenen Urteils bezieht. Gleiches gilt für eine insoweit vermeintlich zu Unrecht erfolgte Berücksichtigung verspäteter Ermessenserwägungen.

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b)

Das Vorbringen des Klägers im Zulassungsverfahren führt auch nicht zur Zulassung der Berufung, soweit der Kläger sich gegen seine Ausweisung wendet.

10

Diese Ausweisung ist vom Beklagten vorrangig auf die Annahme gestützt worden, dass der Kläger über seine Identität und seine türkische Staatsangehörigkeit getäuscht und dadurch den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 1a) AufenthG erfüllt habe. Dass der Kläger bei einer bewussten Täuschung über seine wahre Identität diesen Ausweisungstatbestand erfüllt, stellt auch er nicht in Abrede. Er meint aber, dass bislang weder seine Identität als türkischer Staatsangehöriger mit den o. a. Personalien feststehe, noch gar der erforderliche Nachweis geführt sei, dass er seinen türkischen Namen bewusst verheimlicht habe. Hinsichtlich beider Annahmen bestehen die vorgetragenen ernstlichen Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht.

11

Aus den zuvor angeführten Gründen bestehen für den Senat zunächst keine Zweifel an der Annahme, dass es sich bei dem Kläger um einen türkischen Staatsangehörigen mit dem Familiennamen A. handelt. Auch der vom Kläger umfangreich zitierte Reisebericht von Rechtsanwalt Freckmann vom April 2001 spricht gerade nicht gegen, sondern für die Annahme einer solchen türkischen Staatsangehörigkeit des Klägers als sog. Mahalmi-Kurde aus der Türkei. Denn auch in dem Bericht wird nicht in Abrede gestellt, dass der betroffene Personenkreis nach dem für das türkische Staatsangehörigkeitsrecht maßgeblichen Abstammungsprinzip unabhängig vom Ort der Geburt und vom Aufenthaltsort grundsätzlich über einen türkischen Elternteil kraft Geburt die türkische Staatsangehörigkeit erworben hat. Soweit es nach dem Bericht in Einzelfällen zu falschen Eintragungen, d.h. solchen, in denen nicht nur Vornamen und Geburtsdaten, sondern auch die Staatsangehörigkeit kraft Abstammung unzutreffend erfasst ist, im türkischen Personenstandsregister gekommen sein soll, kann ein solcher Fall hier ausgeschlossen werden. Denn nicht nur der Kläger, seine Ehefrau, ihre Eheschließung sowie ihre vier ältesten Kinder sind dort im Register erfasst, sondern in einem gesonderten Stammblatt auch die bereits 1937 bzw. 1939 geborenen Eltern des Klägers und seine zahlreichen Geschwister. Gleiches gilt für die Herkunftsfamilie seiner Ehefrau. Anhaltspunkte dafür, dass alle diese Eintragungen falsch und bei der auf Nachfrage des Beklagten erfolgten Überprüfung durch die türkischen Behörden unentdeckt geblieben sind, bestehen nicht und werden vom Kläger auch nicht konkret benannt. Wie bereits in den Parallelverfahren der Kinder des Klägers dargelegt worden ist, kann allein aus der Fehlerhaftigkeit von Eintragungen einzelner Geburtsjahre nicht auf die Fehlerhaftigkeit der Eintragungen im Übrigen geschlossen werden. Zudem ist durch das eingeholte DNA-Gutachten auch erwiesen, dass der Kläger der Bruder der in dem türkischen Registerauszug erfassten C. ist. Die in dem DNA-Gutachten im Übrigen eingeräumten und durch fehlende weitere Blutproben nachvollziehbar erklärten Unstimmigkeiten hinsichtlich des genauen Grades der Verwandtschaft zwischen dem Kläger und seiner Schwester einerseits und seiner Ehefrau andererseits sind insoweit unerheblich; sie stellen die Abstammung des Klägers nicht in Frage. Der Kläger übergeht im Zulassungsverfahren außerdem den zutreffenden Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die nicht durch Zufall zu erklärende Ähnlichkeit der Vornamen aller betroffener Familienmitglieder (vgl. Senatsbeschl. v. 8.3.2010 - 11 PA 242/09 -, m.w.N.) und die Tatsache, dass kein Grund dafür ersichtlich ist, warum der türkische Staat den Kläger und seine Angehörigen als kurdische Volkszugehörige zu Unrecht als türkische Staatsangehörige behandeln sollte.

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Handelt es sich bei dem Kläger somit um den türkischen Staatsangehörigen A., so steht damit noch nicht automatisch fest, dass dies dem Kläger auch bewusst gewesen ist, er also - wie für die Erfüllung des § 55 Abs. 2 Nr. 1a) AufenthG erforderlich - bewusst falsche Angaben gemacht hat. Dies ergibt sich aber aus folgenden Überlegungen (vgl. zum Folgenden den o. a. Senatsbeschl. v. 8.3.2010):

Dem Senat "ist aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt, dass aus dem Landkreis Savur, Provinz Mardin (und hier insb. aus dem Dorf Ückavack, aber auch aus anderen Dörfern wie z.B. Yenilmez oder Ömerli), in der Vergangenheit vornehmlich im Zeitraum von 1985 bis 1990 viele Großfamilien arabisch-kurdischer Volkszugehörigkeit, die sich zwischenzeitlich teilweise im Libanon niedergelassen hatten, in das Bundesgebiet einreisten, um mit der Behauptung, staatenlose Kurden aus dem Libanon zu sein, ein Aufenthaltsrecht zu erlangen. Eine (zwangsweise) Rückkehr in den Libanon war damals nicht möglich, weil die dortigen Behörden die Ausstellung von Heimreisedokumenten mit der Begründung verweigerten, dass die Betroffenen keine libanesischen Staatsangehörigen seien. Ein Großteil dieser Personen stellte in Deutschland (teilweise auch unter Alias-Namen) Asylanträge, die fast ausnahmslos abgelehnt wurden. Aufgrund eines seinerzeit bestehenden Abschiebestopps wurde der Aufenthalt zunächst geduldet, bis dann gemäß der Niedersächsischen Bleiberechtsregelung vom 18. Oktober 1990 Aufenthaltserlaubnisse erteilt wurden, die später als Aufenthaltsbefugnisse fort galten. Später erhielten die zuständigen Ausländerbehörden Hinweise, dass es sich überwiegend nicht um staatenlose Kurden, sondern um solche mit türkischer Staatsangehörigkeit handelte. Diese Umstände deuten auf eine geplante Aktion der genannten Personengruppe mit dem Ziel hin, durch Verschweigen der türkischen Herkunft in Deutschland dauerhaft zu bleiben (vgl. z.B. Urt. d. Sen. v. 26.2.2009 - 11 LB 170/08 -, v. 29.1.2009 - 11 LB 136/07 -, v. 16.12.2008 - 11 LB 135/07 -, v. 20.5.2003 - 11 LB 35/03 - sowie Beschlüsse u.a. v. 10.6.2008 - 11 LA 368/07 -, v. 13.3.2008 - 11 ME 481/07 -, v. 14.8.2007 - 11 ME 292/07 -, v. 12.6.2007 - 11 LA 109/07 -, v. 21.5.2007 - 11 ME 126/07 -, v. 15.11.2006 - 11 LA 215/06 -, v. 1.2.2006 - 11 ME 27/06 -, v. 27.4.2005 - 11 ME 47/05 -, v. 19.11.2004 - 11 ME 268/04 -, v. 15.9.2004 - 11 ME 181/04 -, v. 16.12.2003 - 11 ME 362/03 -, v. 14.3.1997 - 11 M 333/97 - jeweils zu dem Ort Ückavack sowie Urteil v. 27.9.2007 - 11 LB 108/07 - zu Yenilmez sowie Beschl. v. 15.9.2008 - 11 LA 244/03 -, v. 14.3.1997 - 11 M 891/97 - zu Ömerli)." Vorliegend tritt hinzu, dass der Kläger zu seiner vermeintlichen Abstammung aus dem Libanon bereits 1997 Dokumente vorlegt hat, die sich als gefälscht erwiesen haben. Als B. ist der Kläger im Libanon nicht erfasst. Dem Kläger mussten also - selbst wenn er bis dahin nicht positiv von seiner türkischen Abstammung Kenntnis hatte - spätestens zu diesem Zeitpunkt erhebliche Zweifel an der Richtigkeit seiner bislang vorgebrachten libanesischen Herkunft kommen. Wenn er bei dieser Ausgangslage sowie den beginnend ab dem Jahr 2002 auch in der Großfamilie des Klägers erfolgenden Hinweisen und Nachweisen auf eine türkische Abstammung durch verschiedene, jeweils örtlich zuständige Ausländerbehörden selbst auf ausdrücklichen Vorhalt des Beklagten sowohl im Dezember 2005 als auch nach Belehrung gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nochmals im Mai 2007 eine solche eigene Abstammung von türkischen Eltern kategorisch leugnet, so kann darin jedenfalls zu diesem späten Zeitpunkt nur eine vorsätzliche Falschangabe zwecks Verlängerung des Aufenthaltstitels i.S.d. § 55 Abs. 2 Nr. 1a) AufenthG gesehen werden (vgl. zu einem ähnlichen Fall auch Senatsurt. v. 29.1.2009 - 11 LB 136/07 -, [...]).

13

Es bestehen also keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 1a) AufenthG verwirklicht hat. Dass die Ausweisung nur Bestand haben kann, wenn zusätzlich auch der - von ihm bezweifelte - Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG gegeben ist, lässt sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen und drängt sich auch dem Senat nicht auf. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides und der Aufhebung der ursprünglich auch hinsichtlich der Kinder des Klägers verfügten Ausweisungen ergibt sich vielmehr, dass die Ausweisung vorrangig und selbstständig tragend auf die Täuschungshandlungen des Klägers gestützt worden ist. Es kann deshalb offen bleiben, ob es sich auch bei Leistungen nach dem SGB II um "Sozialhilfe" i.S.d. § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG handelt oder insoweit ein (unbenannter) sonstiger Ausweisungstatbestand i.S.d. § 55 AufenthG gegeben ist.

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Dass sich die Ausführungen unter Ziffer IV des Zulassungsantrages zur Unzulässigkeit der Berücksichtigung "erstmaliger Ermessenserwägungen im laufenden Verfahren" auf die vom Kläger bestrittene Rechtmäßigkeit der nach§ 55 AufenthG im Wege des Ermessens erfolgten Ausweisung beziehen sollen, wird nicht deutlich und drängt sich auch dem Senat nicht auf. Denn der Beklagte hat in seinem Ausgangsbescheid das ihm zustehende Ermessen erkannt und ausgeübt; hierauf und nicht auf nachgeschobene Erwägungen hat offenbar auch das Verwaltungsgericht tragend abgestellt; außerdem ist auch nicht zu erkennen, dass der - insoweit allenfalls in Betracht kommende - Schriftsatz des Beklagten vom 4. Dezember 2007 neue, erhebliche Gesichtspunkte für die Ermessensausweisung des Klägers enthält. Inwieweit die ursprünglichen Ermessenserwägungen unzureichend oder falsch gewesen sein sollen, ergibt sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht.

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Besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG sind schon nicht hinreichend dargelegt worden und bestehen auch in der Sache nicht. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, sind die allgemeinen Verhältnisse der sog. Mahalmi-Kurden inzwischen hinreichend geklärt. Gleiches gilt nach den vom Beklagten eingeholten Auskünften für die Abstammung des Klägers.

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c)

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen auch nicht, soweit das Verwaltungsgericht im Ergebnis die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung nach § 59 AufenthG bejaht hat. Denn es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dem Erlass einer Abschiebungsandrohung das Vorliegen weder von Abschiebungsverboten noch von Duldungsgründen, auf die sich der Kläger hier beruft, entgegenstehen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 6.1.2005 - 18 B 2801/04 -, DÖV 2005, 430 f., m.w.N.; Senatsbeschl. v. 19.5.2010 - 11 ME 133/10 -).

17

d)

Schließlich bleibt der Zulassungsantrag auch erfolglos, soweit er sich gegen die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Reiseausweises richtet. Weder bestehen insoweit ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung noch greift die Verfahrensrüge nach§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO durch. Zwar fehlt im Urteil eine ausdrückliche Begründung, soweit auch die Klage auf Ausstellung eines Reiseausweises abgewiesen worden ist. Allerdings hatte das Verwaltungsgericht bereits zuvor im Zusammenhang mit der Abweisung des Begehrens auf Verlängerung des Aufenthaltstitels ausgeführt, dass der Kläger einen türkischen Pass erhalten kann. Nach § 5 Abs. 1 AufenthV darf dem Kläger deshalb offenkundig kein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden. Erst recht kommt die ursprünglich, d.h. dem Wortlaut der Klageschrift nach, begehrte Ausstellung eines Reiseausweises für Flüchtlinge nicht in Betracht. Denn dafür müsste der Kläger nach § 1 Abs. 3 AufenthV im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines Flüchtlings innehaben; das ist offensichtlich nicht der Fall. Ob damit das Urteil auch insoweit noch hinreichend begründet worden ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9.11.2009 - 7 B 10/09 -, NVwZ 2010, 186 ff.) oder verfahrensfehlerhaft bleibt, kann aber letztlich offen bleiben. Denn jedenfalls kann das Urteil auf einem solchen Begründungsmangel nicht beruhen, wie dies § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO für die Zulassung der Berufung voraussetzt. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung zum absoluten Revisionsgrund des § 138 Nr. 6 VwGO (vgl. BVerwG, a.a.O., m.w.N.). Selbst wenn man diese Rechtsprechung auf die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung überträgt, folgt daraus nicht, dass jeder Begründungsmangel des Urteils stets zur Begründetheit des dagegen gerichteten Rechtsmittels führt. Bei einem partiellen Fehler - wie hier hinsichtlich eines Teils des Streitgegenstandes - kommt eine Berufungszulassung vielmehr dann nicht in Frage, wenn der Mangel die Richtigkeit des Ergebnisses offensichtlich nicht in Frage stellt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 124, Rn. 13; Nds. OVG, Beschl. v. 5.9.2007 - 7 A 42/07 -, NVwZ-RR 2008, 142 f., jeweils m.w.N.). So liegt es hier aus den vorgenannten Gründen.