Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.06.2010, Az.: 11 ME 568/09
Befähigung des niedersächsischen Innenministeriums als Glücksspielaufsichtsbehörde zur Bekämpfung illegalen Glücksspiels zur Durchsetzung von Untersagungsverfügungen im Wege unmittelbaren Zwanges auch durch Versiegelungen von Wettbüros
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 01.06.2010
- Aktenzeichen
- 11 ME 568/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 23853
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0601.11ME568.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 26 Nr. 1 Nds. SOG
- § 29 Abs. 1 Nds. SOG
- § 9 Abs. 1 S. 1 GlüStV
- § 22 NGlüSpG
- § 23 Abs. 1 S. 1 NGlüSpG
Fundstellen
- DVBl 2010, 909-911
- DÖV 2010, 699
- NdsVBl 2010, 298-299
- NordÖR 2010, 308-309
- ZfWG 2010, 295
Amtlicher Leitsatz
Das Nds. Innenministerium kann als Glücksspielaufsichtsbehörde zur Bekämpfung illegalen Glücksspiels Untersagungsverfügungen im Wege unmittelbaren Zwanges auch durch Versiegelungen von Wettbüros durchsetzen. Auf § 26 Nr. 1 Nds. SOG kann eine solche Versiegelung hingegen nur vorübergehend als Eilmaßnahme gestützt werden.
Gründe
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
Der Antragsgegner stellte bei örtlichen Kontrollen am 22. und 28. Oktober 2009 fest, dass die Antragstellerin in zwei von ihr betriebenen Betriebsstätten in B. Sportwetten der Firma "C. " vermittelte; die Firma "C. " ist nicht im Besitz einer Erlaubnis nach § 4 NGlüSpG. Der Antragsgegner versiegelte deshalb gestützt auf § 26 Nr. 1 Nds. SOG sofort vollziehbar verschiedene von der Antragstellerin für die Vermittlung der Sportwetten genutzte Geräte sowie die Eingangstür einer ihrer beiden Betriebsstätten.
Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung der am 9. November 2009 erhobenen Klage gegen die am 22. und 28. Oktober 2009 erfolgten Sicherstellungen wiederhergestellt und zur Begründung ausgeführt, dass der Antragsgegner zwar grundsätzlich auch zur Sicherstellung nach § 26 Nr. 1 Nds. SOG befugt sei, es vorliegend zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt der Kammer aber an der erforderlichen "gegenwärtigen Gefahr" i.S.d. § 2 Nr. 1b Nds. SOG fehle. Denn die Antragstellerin habe erklärt, die unerlaubte Vermittlungstätigkeit aktuell einzustellen. Zur Fortdauer der Sicherstellung müsse deshalb eine Wiederaufnahme der umstrittenen Tätigkeit mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in allernächster Zeit" erfolgen. Hierfür lägen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor.
Um dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Rechnung zu tragen, hat der Antragsgegner die Versiegelung aufgehoben.
Soweit die Antragstellerin darin eine Erledigung der Sicherstellung sieht, kann ihr nicht gefolgt werden. Erledigt ist ein Verwaltungsakt - wie hier die Sicherstellung (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 2.7.2009 - 11 LC 4/08 -, NdsVBl 2009, 283 ff.; NdsRpfl 2009, 363 ff.; NordÖR 2009, 403 ff.; NVwZ-RR 2009, 954 ff.) -, wenn von ihm keine Rechtswirkungen mehr ausgehen (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.9.2008 - 7 C 5/08 -, NVwZ 2009, 55 f., m.w.N.). Das ist vorliegend - auch für das vorläufige Rechtsschutzverfahren - hinsichtlich der Sicherstellungen vom 22. und 28. Oktober 2009 nicht der Fall. Die dabei ursprünglich versiegelten Gegenstände sind weiterhin vorhanden und können tatsächlich problemlos erneut versiegelt werden. Auch rechtlich ist dies nach §§ 26 ff. Nds. SOG nicht ausgeschlossen. Dazu kann offen bleiben, ob ein Gegenstand, der von der Behörde in Vollzug des§ 29 Abs. 1 Nds. SOG, d.h. wegen Wegfall der Voraussetzungen für die Sicherstellung, herausgegeben worden ist, nachfolgend gestützt auf die ursprüngliche Verfügung nochmals sichergestellt werden kann oder ob eine Sicherstellung nur jeweils einmal möglich ist - wie offenbar die Antragstellerin geltend machen will; eine solche Fallgestaltung ist vorliegend jedenfalls nicht gegeben. Denn der Antragsgegner hat die sichergestellten Gegenstände nicht wegen Wegfalls der Voraussetzungen durch "Entsiegelung" i.S.d. § 29 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG herausgegeben, sondern allein, um dem verwaltungsgerichtlichen Beschluss nachzukommen. Einem solchen prozessualen Verhalten kommt nicht die gleiche Wirkung wie einer Herausgabe nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG zu; es lässt vielmehr das Recht der Behörde unberührt, gegen den Beschluss Beschwerde einzulegen und im Obsiegensfalle die betroffenen Gegenstände erneut zu versiegeln. Schließlich erledigt sich eine Sicherstellung nach§ 26 Nr. 1 Nds. SOG grundsätzlich auch nicht allein durch Zeitablauf.
Die demnach zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist allerdings in der Sache unbegründet, da jedenfalls heute eine erneute Versiegelung nicht mehr auf § 26 Nr. 1 Nds. SOG gestützt werden kann. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 GlüStV, § 22 NGlüSpG (vgl. zum Vorrang gegenüber§ 15 Abs. 2 GewO: BVerwG, Urt. v. 21.6.2006 - 6 C 19/06 -, BVerwGE 126, 149 ff.) hat der Antragsgegner, dem nach § 23 Abs. 1 Satz 1 NGlüSpG in Niedersachsen die Glücksspielaufsicht obliegt, u.a. die Aufgabe, darauf hinzuwirken, dass unerlaubtes Glücksspiel unterbleibt. Zu diesem Zweck kann er nach § 9 Abs. 1 Satz 2 GlüStV im Einzelfall die erforderlichen Anordnungen erlassen, und zwar gemäß Satz 3 dieser Bestimmung insbesondere (vgl. dazu, dass die Aufzählung nur beispielhaft und nicht abschließend ist: Nds. LT- Drs. 15/4090, S. 70) auch die Vermittlung unerlaubter Glücksspiele untersagen. Eine solche Untersagungsverfügung ist nach § 9 Abs. 2 GlüStV sofort vollziehbar und wird nach Maßgabe des Landesrechts mit den darin vorgesehenen allgemeinen Zwangsmitteln, in Niedersachsen also gemäß § 70 NVwVG, §§ 64 ff. Nds. SOG vollstreckt. Wird - wie hier wegen eines Verstoßes gegen den GlüStV und das NGlüSpG, d.h. wegen der Vermittlung von in Niedersachsen nicht zugelassenen Sportwetten - die Ausübung der betroffenen gewerblichen Tätigkeit untersagt, so schließt die Befugnis, eine solche Verfügung mit unmittelbarem Zwang nach § 69 Nds. SOG durchzusetzen, grundsätzlich auch das Recht ein, Gegenstände oder Räume, die zum Zweck der unerlaubten Gewerbeausübung genutzt werden, sicherzustellen bzw. zu versiegeln (vgl. auch Nds. MI, Nds. LT-Drs. 16/1803, S. 2). Dies ist im allgemeinen Gewerbe- (vgl. § 35 Abs. 5 GewO a.F. sowie dazu Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO, Loseblatt, 55. Ergänzungslieferung, Stand August 2009, § 35 GewO, Rn. 171 f.; Tettinger/Wank, GewO, 7. Aufl., § 35, Rn. 191 f., jeweils m.w.N.) und Handwerksrecht (vgl. zu § 16 Abs. 9 HwO Schmitz, in: Schwannecke (Hrsg.), HwO, Loseblatt, Stand III/10, § 16, Rn. 42) anerkannt; für das Glücksspielrecht gilt nichts anderes (vgl. nur VG Bremen, Beschl. v. 29.4.2010 - 5 V 386/10 -, [...]). Dass solche Gegenstände oder Räume ggf. auch anderweitig und dann zu legalen Zwecken genutzt werden können, steht der Sicherstellung bzw. Versiegelung insbesondere bei einem beharrlichen Verstoß weder grundsätzlich entgegen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 9.5.2005 - 8 ME 52/05 -, GewArch 2005, 381 f., m.w.N.) noch ist eine solche Maßnahme unverhältnismäßig (§ 69 Abs. 6 Nds. SOG), da eine lediglich zwangsgeldbewehrte Untersagungsverfügung im Sportwettenbereich nach den gerichtsbekannten Vollzugserfahrungen in Niedersachen (vgl. Nds- LT- Drs. 16/1803, S. 3) und anderen Bundesländern (vgl. etwa VG Bremen, Beschl. v. 29.12.2009 - 5 V 1886/09 -, sowie VG München, Urt. v. 31.7.2008 - M 22 K 08.1806 -, jeweils [...]) häufig wenig erfolgversprechend ist (OVG Berlin- Brandenburg, Beschl. v. 8.5. 2009 - 1 S 70/08 -, [...]). Es ist dann vielmehr Aufgabe des jeweils Betroffenen, für eine "Freigabe" darzulegen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 9.5.2005, a.a.O.), dass die bisherige, rechtswidrige Nutzung tatsächlich aufgegeben worden ist und keine Wiederholungsgefahr (vgl. dazu etwa Senatsbeschl. v. 25.11.2009 - 11 ME 376/09 -, Aktenzeichen des PB der Antragstellerin: D., Aktenzeichen des Antragsgegners: E., sowie VG München, Beschl. v. 7.10.2008 - M 22 E 08.4772 -, [...]) mehr besteht. Dazu eignen sich etwa die vom Antragsgegner genannten Gesichtspunkte, nämlich die Abmeldung des untersagten Gewerbes, die dauerhafte Abgabe der zur Vermittlung genutzten Geräte, die Kündigung der Geschäftsbeziehungen zu dem Veranstalter des unerlaubten Glücksspiels sowie die Einstellung jeglicher Werbung hierfür.
Steht dem Antragsgegner die umstrittene Befugnis zur Versiegelung von Räumen und Gegenständen, die der Vermittlung von in Niedersachsen nicht zugelassenem Glücksspiel dienen, somit zwar zu, so ist dabei aber doch grundsätzlich das o. a. normale Verfahren einzuhalten, also eine Untersagungsverfügung zu erlassen und ggf. mit Zwangsmitteln durchzusetzen. Die genannten speziellen Bestimmungen des Glücksspielrechts schließen insoweit nach der Subsidiaritätsklausel des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG einen Rückgriff auf die Sicherstellung nach § 26 Nds. SOG regelmäßig aus. Raum für eine ergänzende Anwendung dieser Bestimmung verbleibt gemäߧ 3 Abs. 1 Satz 3 Nds. SOG ("soweit") allenfalls in den Fällen, in denen eine Verfügung nach dem spezielleren Glücksspielrecht nicht rechtzeitig getroffen werden kann, weil etwa der Verantwortliche (noch) nicht feststeht oder eine - hier vorliegend anlässlich der Betriebsbesichtigungen festgestellte - unerlaubte und nach § 25 NGlüSpG auch strafbare Vermittlungstätigkeit sofort wirksam zu unterbinden ist. Auch in diesen Sonderfällen kann die auf das Polizeirecht (§ 26 Nds. SOG) gestützte Sicherstellung als "Sofortmaßnahme" aber nur zeitlich befristet, nämlich nur so lange aufrechterhalten werden, bis der Erlass einer "normalen" Grundverfügung nach dem Glücksspielrecht möglich ist. Eine "parallele" Eingriffsmöglichkeit sowohl nach dem Nds. SOG als auch nach dem Glücksspielrecht besteht hingegen schon nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG nicht; sie würde zudem unnötige Abgrenzungsprobleme aufwerfen, da die Voraussetzungen beider Eingriffsmöglichkeiten nicht vollkommen deckungsgleich sind - so setzt etwa die Anwendung unmittelbaren Zwanges anders als die Sicherstellung nach § 26 Nr. 1 Nds. SOG keine "gegenwärtige Gefahr" voraus.
Gemessen an diesen Vorgaben kann eine erneute Versiegelung heute nur noch in Vollzug der inzwischen vom Antragsgegner erlassenen Untersagungsverfügung vom 29. Oktober 2010 ergehen. Darin ist der Antragstellerin sogar ausdrücklich "die Anwendung unmittelbaren Zwanges gegen Sachen in Form der Schließung der Betriebs- und Geschäftsräume" angedroht worden. Auf die hier umstrittenen Sicherstellungsverfügungen vom 22. und 28. Oktober 2009 nach § 26 Nr. 1 Nds. SOG kann eine solche Versiegelung hingegen nicht mehr gestützt werden, so dass das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der fristgerechten Klage gegen die letztgenannten, hier allein streitigen Verfügungen im Ergebnis zu Recht wiederhergestellt hat.