Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 03.06.2010, Az.: 5 LB 110/10
Widerruf einer Klagerücknahmeerklärung bei Erforderlichkeit der Einwilligung des Klagegegners zur Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 03.06.2010
- Aktenzeichen
- 5 LB 110/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 24053
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:0603.5LB110.10.0A
Rechtsgrundlage
- § 92 Abs. 1 S. 2 VwGO
Fundstellen
- NJW 2010, 3530
- NVwZ-RR 2010, 862-863
Amtlicher Leitsatz
Eine Klagerücknahmeerklärung ist grundsätzlich nicht widerruflich, auch dann nicht, wenn zur Wirksamkeit der Rücknahmeerklärung noch die Einwilligung des Klagegegners erforderlich ist.
Gründe
Das Verfahren ist aufgrund der Rücknahmeerklärung des Klägers und der Einwilligung der Beklagten (§ 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO) einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 11. Mai 2010 erklärt, er nehme die Klage zurück. Diese Klagerücknahme ist wirksam. Der Kläger hat seine Rücknahmeerklärung nicht wirksam mit Schriftsatz vom 19. Mai 2010 widerrufen. Er hat in diesem Schriftsatz mitgeteilt, dass irrtümlich in dem Schriftsatz vom 11. Mai 2010 eine falsche Erklärung abgegeben worden sei. Die Grundsätze des materiellen Rechts über die Anfechtung wegen Irrtums oder anderer Willensmängel sind aber auf die Prozesshandlungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar. Eine Ausnahme besteht nur insoweit, als ein Widerruf einer Rücknahmeerklärung für zulässig gehalten wird, wenn ein Wiederaufnahmegrund gegeben ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.01.1981 - BVerwG 6 C 70.80 -, Buchholz 310 § 92 VwGO Nr. 5). Für das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen gemäß § 153 VwGO i.V.m. §§ 579, 580 ZPO sind hier keine Anhaltspunkte erkennbar. Überdies wird ein Widerruf ausnahmsweise als zulässig angesehen, wenn die Rücknahmeerklärung für das Gericht und für den Rechtsmittelgegner sogleich als Versehen offenbar gewesen und deshalb nach Treu und Glauben als unwirksam zu behandeln ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.12.1996 - BVerwG 8 C 33.95 -, [...]). Der Kläger hat in seinem Schriftsatz vom 19. Mai 2010 aber nicht dargelegt, dass die Rücknahmeerklärung vom 11. Mai 20010 bei dem Gericht und der Beklagten den Eindruck eines offenbaren Versehens hätte vermitteln können. Es sind in dem Schriftsatz vom 11. Mai 2010 auch keine Umstände erkennbar, aus denen das Gericht oder die Beklagte auf ein offenbares Versehen des Klägers hätten schließen können.
Der Widerruf der Rücknahmeerklärung ist nicht deshalb wirksam, weil im Zeitpunkt des Eingangs des Widerrufs beim Gericht eine Einwilligungserklärung des Beklagten gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO noch nicht vorgelegen hat. Denn die Rücknahmeerklärung beendet als Prozesshandlung das mit dem Klageantrag eingeleitete Verfahren unmittelbar. Das Gericht hat lediglich deklaratorisch durch förmlichen Beschluss die kraft Gesetzes eingetretenen Wirkungen nochmals ausdrücklich festzustellen (vgl. § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Wenn dem einstellenden Beschluss nur deklaratorische Bedeutung beizumessen ist, dann heißt dies zugleich, dass das Verfahren nicht erst durch den gerichtlichen Beschluss, sondern bereits durch die vorgenommene Prozesshandlung beendet wird. Das Verfahren ist daher in dem Zeitpunkt beendet, in dem die Erklärung der Rücknahme wirksam abgegeben worden ist. Ist - wie hier - die Einwilligung der Beklagten zur Wirksamkeit der Rücknahme erforderlich, dann kann zwar die Erklärung der Rücknahme für sich allein die verfahrensbeendende Wirkung noch nicht auslösen. Die mit der Rücknahmeerklärung verbundene Wirkung der Verfahrensbeendigung tritt erst ein, wenn die Einwilligung ihrerseits wirksam erklärt wird. Dies hat allerdings nicht eine Verschiebung des maßgebenden Zeitpunkts zur Folge. Vielmehr wirkt die Einwilligungserklärung auf den Zeitpunkt, in dem die Rücknahme wirksam erklärt wurde, zurück (so BVerwG, Beschl. v. 01.10.1990 - BVerwG 4 NB 17/90 -, [...]; Urt. v. 21.03.1967 - BVerwG 8 C 73.66 - BVerwGE 26, 297 [BVerwG 21.03.1967 - BVerwG VIII C 73.66] und [...]). Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Einwilligung gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO allein dem Schutz des Beklagten dient, der den Rückzug des Klägers aus dem Verfahren verhindern können soll, nachdem durch Antragstellung verhandelt worden ist (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, Stand: November 2009, § 92 Rn. 25). Nach der Rücknahmeerklärung steht die weitere Rechtsverfolgung deshalb nicht mehr in der Disposition des Klägers. Demnach ist ein nachträglicher Widerruf auch nicht bis zu Einwilligung des Gegners möglich (so auch Schoch u.a., a.a.O., § 92 Rn. 23; Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 92 Rn. 10; vgl. auch Kopp/ Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 92 Rn. 11; anders bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen BVerwG, Urt. v. 15.11.1991 - BVerwG 4 C 27.90 -, DVBl. 1992, 777; OVG Bremen, Beschl. v. 06.12.2002 - 1 A 363/02 -, NordÖR 2003, 115 ).