Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.06.2010, Az.: 12 OA 336/09

Halbierung eines anhand des Streitwertkatalogs bemessenen Interesses an der Aufhebung einer Fahrtenbuchauflage aufgrund der Durchführung lediglich eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.06.2010
Aktenzeichen
12 OA 336/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 23832
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:0609.12OA336.09.0A

Redaktioneller Leitsatz

Im Hinblick auf die Festsetzung des Streitwerts bei einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Fahrtenbuchauflage kann regelmäßig nicht angenommen werden, dass wegen einer Vorwegnahme der Hauptsache eine Halbierung nicht in Betracht komme.

Gründe

1

Die Beschwerde, mit der eine Heraufsetzung des von dem Verwaltungsgericht auf 2.400,- EUR festgesetzten Streitwertes auf einen Betrag von 4.800,- EUR begehrt wird, hat keinen Erfolg.

2

Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert gemäß § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 (richtig: 2) Nr. 2 GKG i.V.m. "Ziffern 1.10, 46.13" (gemeint ist wohl Nr. 1. 5, 46.13) des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327) festgesetzt. Es hat dabei das Interesse des Antragstellers an der Aufhebung der Fahrtenbuchauflage mit 400,- EUR pro Monat bemessen (vgl. Nr. 46.13 des Streitwertkatalogs) und den sich ergebenden Betrag (400,- EUR x 12 Monate = 4.800,- EUR), da es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelte, halbiert (vgl. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs). Dieses entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senates und ist nicht zu beanstanden. Soweit die Beschwerdeführer meinen, wegen einer Vorwegnahme der Hauptsache komme eine Halbierung nicht in Betracht, und insoweit auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg vom 9.2.2009 (- 10 S 3350/08 -, NZV 2009, 413) hinweisen, folgt der Senat dem ebenso wenig wie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, der in neuerer Zeit eine Halbierung selbst bei einer 6-monatigen Fahrtenbuchauflage vorgenommen hat (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 1.7.2009 - 11 CS 09.1177 -, [...]).

3

Der Senat legt in ständiger Rechtsprechung seiner Streitwertbemessung die Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus dem Jahr 2004 (NVwZ 2004, 1327) zugrunde. Dieser von einer Kommission im Auftrag der Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts und der Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe erarbeitete Katalog verfolgt insbesondere das Ziel, zu einer Vereinheitlichung und Vorhersehbarkeit der Streitwertfestsetzung beizutragen (Vorbemerkung Nr. 3 des Streitwertkatalogs, a.a.O.). Dem Interesse an einer möglichst individuellen, den Gegebenheiten des Einzelfalles gerecht werdenden Bestimmung des Streitwertes wird dabei geringeres Gewicht als dem Gedanken der Einheitlichkeit und Vorhersehbarkeit beigemessen und etwa das Interesse eines Klägers, von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, pauschalierend als mit 400,- EUR je Monat zutreffend bewertet angesehen (vgl. Nr. 46.13 des Katalogs). Die vom Verwaltungsgericht und vom Senat für Eilverfahren in ständiger Rechtsprechung vorgenommene Halbierung des im Hauptsacheverfahren zugrunde zulegenden Streitwertes ist durch Nr. 1.5 Satz 1 des Katalogs für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ausdrücklich als Regelfall vorgesehen. Zwar kann nach Nr. 1.5 Satz 2 des Katalogs in Eilverfahren, wenn die Entscheidung in der Sache ganz oder zum Teil vorweggenommen wird, der Streitwert bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahrens anzunehmenden Wertes angehoben werden. Dies hält der Senat bei der auch insoweit angezeigten generalisierenden Betrachtung in Fällen der vorliegenden Art jedoch nicht für sachgerecht (so schon Beschl. d. Sen. v. 9. Dezember 2004 - 12 ME 490/04 -).

4

Wenn - wie im vorliegenden Fall - die Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer von "12 Monaten ab Zustelldatum bzw. Vollziehbarkeit dieser Verfügung" angeordnet wird, spricht schon einiges dafür, dass jedenfalls bei einer dem Begehren des Rechtsschutzsuchenden stattgebenden Eilentscheidung die Entscheidung in der Sache nicht vorweggenommen wird. Die Regelung dürfte so zu verstehen sein, dass, wenn nach der Zustellung der Verfügung ein Gericht im Eilverfahren die aufschiebende Wirkung wiederherstellt und damit die "Vollziehbarkeit der Verfügung" entfällt, dies zu einer Unterbrechung des genannten Zeitraums führen soll. Sofern in der Hauptsache die Klage abgewiesen wird, hätte der Kläger die "noch fehlenden" Monate nachzuholen mit der Folge, dass eine Erledigung durch Zeitablauf gerade nicht eintreten würde. Darüber hinaus ist nach den Erfahrungen des Senates keineswegs ausgemacht, dass in Fällen der vorliegenden Art nicht binnen 12 Monaten bzw. - wenn man den zwischen Zustellung der Verfügung und Einlegung der Klage i. d. R. verstrichenen Monatszeitraum berücksichtigt - 11 Monaten nach Erhebung der Klage über diese entschieden wird. Gerade wenn gegen die Fahrtenbuchauflage ein Eilverfahren geführt worden ist, entspricht es häufig der Praxis der Verwaltungsgerichte, nach rechtskräftiger Beendigung des Eilverfahrens, auch zeitnah im Hauptsacheverfahren zu entscheiden. Zudem verständigen sich nach Kenntnis des Senates in einigen Fällen die Beteiligen darauf, dass die Zeit, für die das Fahrtenbuch geführt werden muss, erst nach Abschluss des Eilverfahrens beginnen soll oder warten einige Verkehrsbehörden - jedenfalls faktisch - den Ausgang eines gerichtlichen Eilverfahrens ab, bevor sie den Bescheid vollziehen. Da somit eine Entscheidung auch in der Hauptsache vor Ablauf des verfügten Zeitraums in vielen Fällen durchaus realistisch ist und die Beurteilung, ob die Eilentscheidung im Einzelfall die Entscheidung in der Sache vorwegnimmt, häufig konkrete, den Einzelfall betreffende Ermittlungen (etwa zu den Verfahrenslaufzeiten bei dem konkret zur Entscheidung berufenen Gericht, der Verwaltungspraxis des jeweiligen Antragsgegners o. ä.) erfordern würde, die durch die Pauschalierungen und Typisierungen im Streitwertkatalog gerade entbehrlich werden sollten, hält der Senat an seiner Praxis fest, nicht (im Einzelfall) Nr. 1.5 Satz 2 des Kataloges anzuwenden, sondern die Fälle der vorliegenden Art dem Regelfall des Satzes 1 (Halbierung des Hauptsachewerts) zuzuordnen.