Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.08.2018, Az.: 1 LC 180/16

Geruch; Schicksalsgemeinschaft; Schweinehaltung; heranrückende Wohnbebauung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
16.08.2018
Aktenzeichen
1 LC 180/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74273
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 10.11.2016 - AZ: 2 A 445/14

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die aus einer Schicksalsgemeinschaft emittierender Landwirte folgende Pflicht, je nach Lage der Dinge Geruchsstundenhäufigkeiten bis zu 50% und sogar darüber hinzunehmen, wirkt gegenüber demjenigen, der auf der vormaligen Hofstelle neu baut, jedenfalls dann nach, wenn die Zulässigkeit seines Vorhabens gerade vom früheren Vorhandensein des emittierenden Betriebes auf dem Baugrundstück abgehangen hat.

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 10. November 2016 wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzung eines ehemaligen Bauernhauses zum allgemeinen Wohnen. Er fürchtet Betriebsbeschränkungen aufgrund der von seinen benachbarten Ställen auf das Vorhaben einwirkenden Geruchsbelästigungen.

Der Kläger ist Eigentümer einer Hofstelle im Außenbereich der Gemeinde G., bestehend aus einem Gebäudekomplex mit Wohnhaus, Güllebehälter und Ställen für 334 Sauen-, 21 Jungsauen-, 1040 Mastschweine- und 1344 Ferkelaufzuchtplätzen auf dem Flurstück 20, Flur 26, Gemarkung G., sowie einem weiteren Schweinemaststall mit 840 Plätzen auf dem ca. 70 m weiter westlich gelegenen Flurstück 17/1. Für seine Anlagen hat er Bau- bzw. immissionsschutzrechtliche Genehmigungen. Zwischen den Flurstücken 20 und 17/1 liegt das Vorhabengrundstück Flurstück 17/4. Dieses war ursprünglich mit einer aus Wohn- und Nebengebäuden bestehenden Hofstelle bebaut und diente bis 1993/94 einem landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb. Jedenfalls bei seiner Genehmigung 1970 gehörte auch der nun im Eigentum des Klägers stehende Stall auf dem Flurstück 17/1 zu diesem Betrieb. Nach unbestrittener Einschätzung des Beklagten ist das Vorhabengrundstück Geruchsimmissionen in einer Häufigkeit von mehr als 50% der Jahresgeruchsstunden ausgesetzt. Nach einem Brand 1994, bei dem ein Wirtschaftsgebäude vollständig zerstört und das Wohnhaus beschädigt wurde – in welchem Umfang, ist strittig –, gab der damalige Eigentümer die Landwirtschaft auf und das Wohngebäude stand leer. 2005 setzte ein späterer Eigentümer das Wohnhaus instand; die Beigeladenen erwarben es und bezogen es 2006. Von anfänglichen Bemühungen, gegen diese Wohnnutzung einzuschreiten, nahm der Beklagte später wieder Abstand. Am 11.7.2014 beantragten die Beigeladenen die Erteilung einer Baugenehmigung zur Nutzungsänderung des Wohngebäudes vom landwirtschaftlichen hin zum allgemeinen Wohnen. Am 19.8.2014 gaben sie auf Vorschlag des Beklagten folgende Erklärung zur Eintragung in das Baulastenverzeichnis ab:

„Als Eigentümer des [Vorhabengrundstücks] übernehmen wir als Baulast, auch gegenüber unseren Rechtsnachfolgern die Verpflichtung, aus landwirtschaftlicher Tätigkeit herrührende Gerüche, die von benachbarten landwirtschaftlichen Betrieben auf unser Grundstück einwirken, hinzunehmen und dauerhaft zu dulden und weder gegenüber den benachbarten land-wirtschaftlichen Betrieben noch gegenüber dem Landkreis B. Forderungen zu erheben, die auf eine Minderung der Geruchswahrnehmungshäufigkeit oder Regressansprüche gerichtet sind.“

Am 19.8.2014 erteilte der Beklagte den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung. Den Widerspruch des Klägers wies er mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2014 zurück.

Der darauf vom Kläger mit dem Antrag,

die den Beigeladenen erteilte Genehmigung vom 19.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.10.2014 aufzuheben,

erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 10.11.2016 stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Vorhaben sei auf die Klage eines Nachbarn hin zwar nur daraufhin gerichtlich überprüfbar, ob es diesen schützende öffentlich-rechtliche Normen verletze. Das sei hier aber der Fall; das Vorhaben verstoße gegen das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme, das unter anderem in dem Erfordernis seinen Niederschlag gefunden habe, dass Vorhaben im Außenbereich wegen Beeinträchtigung öffentlicher Belange unzulässig seien, wenn sie schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt seien (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB). Danach könnten sich Landwirte gegen die Zulassung von Vorhaben in ihrer Nachbarschaft zur Wehr setzen, wenn letztere Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen durch ihren Betrieb ausgesetzt seien. Für die Beurteilung, welche Beeinträchtigungen den Vorhabenträgern zumutbar seien, sei eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen, die hier zu Lasten der Beigeladenen ausfalle. Die zu erwartende Geruchsbelastung von über 50% der Jahresgeruchsstunden sei für ein Wohnhaus im Außenbereich nach der GIRL nicht zumutbar. Zwar seien im Einzelfall nach der Rechtsprechung des Senats für landwirtschaftliche Wohnnutzungen im Außenbereich derart hohe Werte hinzunehmen, und dies könne auch nachwirkend für diejenigen gelten, die ein ursprünglich land-wirtschaftsbezogenes Wohnhaus zum allgemeinen Wohnen nutzten. Hier sei aber die Zumutbarkeitsgrenze angesichts des geringen Abstandes zwischen dem Wohnhaus der Beigeladenen und dem nächstgelegenen Stall des Klägers und der hohen Immissionsbelastung überschritten. Die Duldungsbaulast ändere daran nichts. Nach der Senatsrechtsprechung (Urt. v. 10.11.2009 – 1 LB 45/08 -, juris) seien Baulasten für sich genommen kein geeignetes Instrument, um unzumutbare Immissionen erträglich zu machen. Anderes könne allenfalls gelten, wenn die Baulast sicherstelle, dass alle zukünftigen Nutzungskonflikte ausgeschlossen seien. Daran fehle es schon deshalb, weil die Baulast nur die Eigentümer, nicht aber etwa Mieter des belasteten Grundstücks zur Duldung verpflichte. Vorliegend wäre der Verzicht der Beigeladenen auf ihre Abwehrrechte mit Blick auf die Erheblichkeit der Beeinträchtigungen zudem unwirksam. Zwar wirkten Gerüche zunächst „nur“ belästigend, bei dem hier vorliegenden Ausmaß sei eine Gesundheitsgefährdung jedoch nicht ausgeschlossen. Zweifelhaft sei auch die hinreichende Bestimmtheit der Baulast, da unklar sei, ob sie nur für Belästigungen oder auch für Gesundheitsbeeinträchtigungen gelten solle.

Gegen das Urteil hat der Beklagte fristgemäß die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und wie folgt begründet: Die Geruchsbelastung auf dem Beigeladenengrundstück sei zumutbar. Die Beigeladenen treffe eine aus der ehemaligen landwirtschaftlichen Schicksalsgemeinschaft nachwirkende Pflicht zur Hinnahme auch von 50% der Jahresstunden überschreitenden Geruchsbelastungen. In der Nachbarschaft des Grundstücks sei keine weitere allgemeine Wohnnutzung vorhanden, die nachwirkende Duldungspflichten ausschließe. Die Nähe des Wohnhauses zum Stall beeinflusse entgegen dem Verwaltungsgericht deren Umfang nicht. Eine Obergrenze für die hinzunehmenden Geruchsfrachten sehe die Senatsrechtsprechung nicht vor. Vorliegend sei zu berücksichtigen, dass die Beigeladenen bei Erteilung der Baugenehmigung Kenntnis von der erheblichen Geruchsbelastung gehabt und diesbezüglich sogar eine Duldungsbaulast hätten bestellen lassen. Selbst wenn die Geruchsbelastung den Beigeladenen nicht zumutbar wäre, schlösse die Baulast Nutzungskonflikte und damit einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme aus. Die Baulast sei wirksam. Gesundheitsgefährdungen gingen selbst von Geruchsbelästigungen in einem Umfang von mehr als 50% der Jahresgeruchsstunden nicht aus; dies ergebe sich etwa aus einer Publikation des Bayerischen Landesamtes für Umwelt, während das Verwaltungsgericht seine gegenteilige Behauptung nicht belege. Ob durch die Baulast alle künftigen Nutzungskonflikte ausgeschlossen würden, sei unerheblich. § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB ziele nur auf bodenrechtliche Spannungen ab; Immissionskonflikte zwischen einem Emittenten und Mietern solle die Vorschrift nicht verhindern. Unabhängig davon hätten schuldrechtlich am Grundstück Berechtigte keine Abwehransprüche gegenüber dem Kläger. Die Baulast könne auch Dritten gegenüber durchgesetzt werden. Zudem gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beigeladenen ihr Grundstück vermieten wollten. Schließlich könnte sich ein Anspruch z.B. etwaiger Mieter oder Pächter auf Einschreiten gegen Geruchsbelästigungen, wenn überhaupt, nur aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG oder §§ 22, 24 BImSchG ergeben. Im Rahmen des dabei auszuübenden behördlichen Ermessens überwiege das wirtschaftliche Interesse des Klägers das Schutzinteresse der Mieter/Pächter, da Gesundheitsgefahren nicht drohten und die Mieter/Pächter bewusst in eine immissionsbelastete Umgebung gezogen seien. Die Baulasterklärung sei hinreichend bestimmt. Sie sei dahingehend auszulegen, dass es für die hinzunehmenden Geruchsbelästigungen keine Obergrenze gebe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 10. November 2016 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er macht geltend, mit der Genehmigung ermögliche der Beklagte ein städtebaulich grundsätzlich unerwünschtes Heranrücken einer Wohnbebauung an einen landwirtschaftlich-tierhaltenden Betrieb. Die Baulasterklärung löse den damit entstehenden Nutzungskonflikt nicht. Der Verzicht auf Abwehransprüche sei gerade bei Anlagen nach dem BImSchG problematisch. Namentlich könne der Verzicht auf Abwehransprüche von Kindern nicht ohne familiengerichtliche Genehmigung wirksam erklärt werden. Es gehe auch nicht nur um Gerüche, sondern auch um Feinstaub, Bioaerosole und Keime. Eine Lösung von Immissionskonflikten durch Baulast werde von keinem benachbarten Landkreis in Erwägung gezogen. In der mündlichen Verhandlung hat er ergänzend bezweifelt, dass die Beigeladenen überhaupt Rücksichtnahmepflichten aus einer nachwirkenden „landwirtschaftlichen Schicksalsgemeinschaft“ träfen, da die Herrichtung ihres Wohnhauses einem Neubau gleichgekommen sei.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt und sich nicht am Berufungsverfahren beteiligt. Am 15.2.2017 haben sie eine neue Baulasterklärung abgegeben, die am selben Tag in das Baulastenverzeichnis des Beklagten eingetragen wurde. Die Baulast enthält die Angabe des genehmigten Tierbestandes auf den Grundstücken des Klägers, die Erklärung, erheblich belästigende Gerüche aus der Landwirtschaft im „heute“ genehmigten Umfang hinzunehmen und die Verpflichtung, auch Mieter/Pächter und Rechtsnachfolger an den Inhalt der Baulast zu binden. Hinsichtlich des genauen Inhalts wird auf Bl. 190 ff. der Gerichtsakte verwiesen. Die Beigeladenen sind nicht mehr in dem strittigen Wohnhaus mit Wohnsitz gemeldet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist begründet. Die Baugenehmigung in der Gestalt des Widerspruchsbescheides verletzt den Kläger nicht, wie dies nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO für einen Klageerfolg erforderlich wäre, in eigenen subjektiv-öffentlichen Rechten.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der erkennende Senat folgt, hat der Inhaber eines im Außenbereich privilegierten Betriebes einen Abwehranspruch gegen ein im Außenbereich unzulässiges Nachbarvorhaben, wenn das in einzelnen Tatbestandsvarianten des § 35 Abs. 3 BauGB enthaltene drittschützende Gebot der Rücksichtnahme verletzt ist; gemessen hieran kann sich ein Landwirt, von dessen vorhandenem Betrieb Immissionen ausgehen, auf die Unzulässigkeit eines Vorhabens im Außenbereich, das dadurch schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt würde (§ 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB), berufen (BVerwG, Urt. v. 25.2.1977 – 4 C 22.75 -, BVerwGE 52, 122; v. 10.12.1982 – 4 C 28.81 -, DVBl. 1983, 349). Maßgeblich sind dabei neben gegenwärtigen Immissionen auch solche, die von bestimmten Betriebserweiterungen zu erwarten sind. Berücksichtigungsfähig sind insoweit jedoch allenfalls solche Erweiterungsvorstellungen, die auch in einer Bauleitplanung abwägungsbeachtlich wären. Dies ist das Bedürfnis nach einer künftigen Betriebsausweitung im Rahmen einer normalen Betriebsentwicklung, nicht jedoch eine unklare und unverbindliche Absichtserklärung hinsichtlich der Entwicklung eines landwirtschaftlichen Betriebes; erst recht braucht bei der Zulassung eines Vorhabens im Außenbereich nicht schon auf vage Erweiterungsinteressen eines Landwirts Rücksicht genommen zu werden (BVerwG, Beschl. v. 5.9.2000 – 4 B 56.00 -, NVwZ-RR 2001, 82 = BauR 2001, 83 = ZfBR 2001, 68 = juris Rn. 7).

Gemessen hieran ist das Vorhaben keinen schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt. Dabei kann die gutachterlich nicht untersuchte, aber auf der unbestrittenen Einschätzung der insoweit sachkundigen Mitarbeiter der Beklagten beruhende und mit Blick auf die Nähe des Klägerbetriebs plausible Annahme als zutreffend unterstellt werden, dass das Vorhabengrundstück Geruchsstundenhäufigkeiten von mehr als 50% der Jahresstunden ausgesetzt ist, zu denen der Kläger relevant, wenn nicht gar fast ausschließlich, beiträgt.

Die Pflicht, Geruchsbelästigungen hinzunehmen, erhöht sich nach der Senatsrechtsprechung (Urt. v. 26.11.2014 – 1 LB 146/13 -, BauR 2015, 464 = NordÖR 2015, 123 = juris Rn. 37 ff.) immer dann, wenn das in Rede stehende Wohnhaus selbst der Landwirtschaft dient. In diesem Fall besteht eine Schicksalsgemeinschaft der emittierenden landwirtschaftlichen Betriebe, die es verbietet, die auf die reine Wohnnutzung bezogenen Immissionsrichtwerte der GIRL (Geruchsimmissionsrichtlinie v. 29.2.2008/10.9.2008, Gem. RdErl. v. 23.7.2009, Nds. MBl. 2009, 794) uneingeschränkt zur Anwendung zu bringen (vgl. Senat, Urt. v. 25.7.2002 - 1 LB 980/01 -, juris Rn. 16 = NVwZ-RR 2003, 24). Zumutbar sind abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls, insbesondere der eigenen Emissionssituation, vielmehr Werte von 50 % und sogar darüber hinaus (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 18.3.2002 - 7 B 315/02 -, juris Rn. 12 = NVwZ 2002, 1390 = BRS 65 Nr. 87; Beschl. v. 16.3.2009 - 10 A 259/08 -, juris Rn. 25; ähnlich die Auslegungshinweise LAI zur GIRL vom 29.2.2008 / 10.9.2008 - Vorgehen im landwirtschaftlichen Bereich „Betrachtung benachbarter Tierhaltungsanlagen“).

Diese Grundsätze gelten - wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (vgl. Senat, Urt. V. 25.7.2002 – 1 LB 980/01 -, NVwZ 2003, 24 = RdL 2002, 313; Urt. v. 26.11.2014 – 1 LB 164/13 -, RdL 2015, 41 = BauR 2015, 464 = BRS 82 Nr. 103; Beschl. v. 6.3.2013 - 1 ME 205/12 -, juris Rn. 41 = BauR 2014, 1263; Beschl. v. 9.4.2014 - 1 LA 60/13 -, juris Rn. 16 = RdL 2014, 208) - auch dann, wenn auf einem Grundstück im Außenbereich die Landwirtschaft aufgegeben wurde und ein Übergang vom privilegierten zum allgemeinen Wohnen erfolgt ist. In einem solchen Fall des Ausscheidens aus der Schicksalsgemeinschaft der Landwirte ist das vormalig landwirtschaftlich genutzte Grundstück im Außenbereich weiterhin mit einer nachwirkenden Pflicht zur besonderen Rücksichtnahme auf benachbarte landwirtschaftliche Betriebe belastet. Für diese nachwirkende Pflicht zur Rücksichtnahme besteht keine feste zeitliche Grenze. Ihr zeitlicher Umfang hängt von der weiteren Entwicklung der näheren Umgebung ab und kann viele Jahrzehnte andauern (beispielsweise mindestens 34 Jahre im Fall OVG NRW, Beschl. v. 16.3.2009, a. a. O.). Solange die nähere Umgebung weiterhin von landwirtschaftlicher Nutzung geprägt wird und die Schicksalsgemeinschaft der Landwirte oder auch nur ein die Umgebung aufgrund seiner Größe und/oder Emissionen in besonderer Weise prägender Betrieb fortbesteht, bleibt auch die besondere Rücksichtnahmepflicht bestehen. In einem solchen Fall stellt sich die aus der Landwirtschaft hervorgegangene Wohnnutzung weiterhin als Fremdkörper mit entsprechend geringerem Schutzanspruch dar. Gewinnt hingegen die allgemeine Wohnnutzung bzw. eine sonstige schutzbedürftige Nutzung in der näheren Umgebung gegenüber der landwirtschaftlichen Nutzung die Überhand und ist eine maßgebliche Prägung durch die Landwirtschaft demzufolge nicht mehr festzustellen, können vormals landwirtschaftlich genutzte Grundstücke den im Außenbereich üblichen Schutzanspruch von 20 bis 25 % der Jahresstunden (vgl. Auslegungshinweise zu Nr. 3.1 GIRL) geltend machen.

Die von der Senatsrechtsprechung eröffnete maximale Toleranzgrenze von mehr als 50% der Jahresgeruchsstunden ist dabei keineswegs die Regel, sondern eher auf besondere Fallkonstellationen beschränkt. Hier liegt allerdings eine solche Fallkonstellation vor. Das vom Verwaltungsgericht gegen diese Auffassung angeführte Argument, die Zumutbarkeitsgrenze sei hier angesichts des geringen Abstandes (ca. 90 m) zwischen dem Wohnhaus der Beigeladenen und dem nächstgelegenen Stall des Klägers überschritten, überzeugt den Senat nicht. Die Nähe zwischen Wohnhaus und Ställen ist die Ursache der hohen Geruchsbelastungen, jedoch kein davon unabhängiger, erschwerender Faktor. Zu berücksichtigen ist demgegenüber zunächst, dass die Massentierhaltung im Landkreis B. allgemein sehr verbreitet und daher in höherem Maße „ortsüblich“ ist als in vielen anderen Regionen. Wesentlich höheres Gewicht hat die konkrete Entwicklung der Schicksalsgemeinschaft zwischen dem Betrieb des Klägers und dem Betrieb, aus dem das Vorhaben der Beigeladenen hervorgegangen ist. Beide haben bis zur Aufgabe des ersteren unmittelbar nebeneinander gewirtschaftet und Tierhaltung betrieben, und zur örtlichen Geruchsbelastung zwar nicht identisch, wohl aber zu vergleichbaren Teilen beigetragen. Das Stallgebäude westlich des Vorhabengrundstücks, das der Kläger zur Haltung beinahe seines halben Mastschweinebestandes nutzt, wurde ausweislich der Bauakte (BA 001 Bl. 1 ff.) bereits 1970 als Mastschweinestall gerade für den Betrieb der Rechtsvorgänger der Beigeladenen errichtet und – nach einer (ebenfalls genehmigten) Zwischennutzung als Hähnchenmaststall eines dritten Betriebs – erst ca. 2010 vom Kläger übernommen. Die ursprünglichen Tierplatzzahlen finden sich in der Bauakte nicht, doch da das Gebäude bereits 1970 die heutigen Dimensionen aufwies, ist nicht von einer erheblich geringeren Belegungsquote als heute auszugehen. Letztendlich würden sich die Beigeladenen, wollten sie Schutzansprüche gegenüber den von diesem Stall ausgehenden Gerüchen geltend machen, also gerade gegen die Fortsetzung derjenigen Nutzung wenden, der sie indirekt ihre eigene Wohnmöglichkeit im Außenbereich verdanken.

Die Duldungspflichten des ehemaligen landwirtschaftlichen Betriebes gegenüber dem Vorhaben der Beigeladenen sind nach den oben dargestellten Senatsmaßstäben nicht erloschen. Dass die Umgebung des Vorhabens noch hinreichend landwirtschaftlich geprägt ist, ist aus dem Luftbild ersichtlich und zwischen den Beteiligten unstrittig. Entgegen der Auffassung des Klägers würde sich an der nachwirkenden Duldungspflicht der Beigeladenen auch dann nichts ändern, wenn ihr Wohnhaus bei dem Brand 1994 in einem Umfang beschädigt worden wäre, der die Baumaßnahmen 2005 als faktischen Neubau erscheinen ließe. Einiges spricht dafür, die besondere Duldungspflicht aus nachwirkender landwirtschaftlicher Schicksalsgemeinschaft überhaupt grundstücksbezogen zu verstehen, also auch dem Nutzer zuzumuten ist, der nach Aufgabe der Landwirtschaft sein ehemaliges Bauernhaus zugunsten eines Ersatzbaus beseitigt oder der auf dem Grundstück seiner ehemaligen Hofstelle weitere Wohneinheiten schafft. Jedenfalls aber muss dies dann gelten, wenn die Genehmigung für den Nachfolgebau - wie hier - auf der Grundlage des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB erteilt wurde; denn wer (unabhängig davon, ob zu Recht oder zu Unrecht) in Gestalt erleichterter Genehmigungsvoraussetzungen davon profitiert, in der „Nachfolge“ eines landwirtschaftlichen Gebäudes zu bauen, muss sich auch dessen Nachteile zurechnen lassen.

An der Zumutbarkeit der gegenwärtigen Geruchssituation würde sich selbst dann nichts ändern, wenn man der Rechtsprechung des 12. Senats des Nds. Oberverwaltungsgerichts (Urt. v. 26.4.2018 – 12 LA 83/17 -, juris Rn. 53) folgte, nach der höhere Geruchsfrachten als 25 % auch von Landwirten bzw. landwirtschaftlichen Nachfolgenutzungen nur dann hinzunehmen seien, wenn sie bereits bisher konkret in der Umgebung vorhanden waren, während die nachwirkende landwirtschaftliche Schicksalsgemeinschaft nicht dazu verpflichte, eine weitere Erhöhung der Geruchsbelastung zu dulden. Denn der Kläger hat keine konkreten Absichten dargelegt, seinen Betrieb in absehbarer Zeit mit der Folge möglicherweise höherer Geruchsemissionen zu erweitern. Ob ihn die Baugenehmigung daran hindert, langfristig heute noch nicht konkretisierbare Erweiterungspläne zu verfolgen, ist nach den eingangs benannten Maßstäben des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB unbeachtlich.

Angesichts dessen ist die Frage, inwieweit die von den Beigeladenen erklärte, in das Baulastenverzeichnis eingetragene Baulast geeignet ist, die Zumutbarkeit von Geruchsimmissionen zu beeinflussen und so ein andernfalls nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB unzulässiges Vorhaben zulässig zu machen, nicht entscheidungserheblich.

Offenbleiben kann ferner, ob sich eine Duldungspflicht nicht – unabhängig vom Nachwirken einer landwirtschaftlichen Schicksalsgemeinschaft – aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.6.2017 – 4 C 3.16 –, BVerwGE 159, 187 = juris Rn. 13, ergibt. Danach sind bei der Bestimmung der Zumutbarkeit von Belästigungen etwaige Vorbelastungen schutzmindernd zu berücksichtigen, die eine schutzbedürftige Nutzung an einem Standort vorfindet, der durch eine schon vorhandene emittierende Nutzung vorgeprägt ist - vorausgesetzt, diese wird rechtmäßig ausgeübt, genügt insbesondere ihren immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten, und die Grenze zur Gesundheitsgefährdung wird nicht überschritten.

Eine vorhabenbedingte Gesundheitsbeeinträchtigung ist mit Blick auf die Geruchsbelastungen nicht ersichtlich. Seine gegenteilige Vermutung hat das Verwaltungsgericht nicht näher belegt. Der Beklagte hat substantiiert und plausibel dargelegt, dass eine unmittelbar krankmachende Wirkung von Gerüchen nicht nachgewiesen sei. Dies gilt zumindest für Tiergerüche, die – wie Gerüche aus der hier in Rede stehenden Schweinehaltung – nicht ekelerregend sind. Hiervon geht auch der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung aus (vgl. nur Senatsurt. v. 9.6.2015 – 1 LC 25/14 –, ZfBR 2015, 594 = RdL 2015, 241 = juris Rn. 37).

Die erstmals im Berufungsverfahren und auch dort nur sehr vage angesprochene Frage, ob das Vorhabengrundstück einer die Gesundheitsgefährdungsgrenze überschreitenden Feinstaub-, Bioaerosol- oder Keimbelastung ausgesetzt ist, ist ebenfalls zu verneinen. Hinreichendes über die gesundheitsbeeinträchtigende Wirkung von außerhalb des Stallgebäudes verbreiteten Bioaerosolen ist nach wie vor nicht bekannt. In den Bereich der Gefahrenabwehr fällt der Schutz vor ihnen daher nicht (BVerwG, Urt. v. 19.4.2012 – 4 CN 3.11 -, BVerwGE 143, 24 = DVBl. 2012, 912 = juris Rn. 21; w. Nachw. im Beschl. v. 20.11.2014 – 7 B 27.14 –, NVwZ-RR 2015, 94 = NuR 2015, 119 = juris Rn. 16; Senatsbeschl. v. 10.5.2016 – 1 MN 180/15, 1 MN 199/15 –, BauR 2016, 1726 = BRS 84 Nr. 19 = juris Rn. 65). Ob das Entstehen einer nicht landwirtschaftlichen Wohnnutzung im Umfeld seines Betriebes den Kläger dazu zwingen kann, unter Vorsorgegesichtspunkten (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG) Maßnahmen zur Begrenzung von Bioaerosolemissionen zu ergreifen, muss hier nicht entschieden werden. Da § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB auf das Hervorrufen von bzw. die Exposition gegenüber schädlichen Umwelteinwirkungen i.S.d. § 3 Abs. 1 BImSchG abstellt, ist die Vorschrift nicht verletzt, wenn das zu genehmigende Vorhaben lediglich Vorsorgepflichten auslöst (OVG Münster, Urt. v. 15.12.2011 – 2 A 2645/08 –, DVBl. 2012, 634 = juris Rn. 73, 96 ff., 101).

Konkrete Anhaltspunkte für eine unzumutbare oder gar gesundheitsgefährdende Staubbelastung des Beigeladenengrundstücks sind ebenfalls weder vorgetragen noch für den Senat ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, weil ihnen als notwendig Beigeladenen das Verfahren aufgezwungen wurde.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.