Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.02.2024, Az.: 1 ME 134/23
Berücksichtigung von Erweiterungsabsichten eines landwirtschaftlichen Betriebs bei der Vorhabenzulassung, landwirtschaftliche Lärmimmissionen; Heranrückende Wohnbebauung im Außenbereich
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.02.2024
- Aktenzeichen
- 1 ME 134/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2024, 10564
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2024:0207.1ME134.23.00
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 35 Abs. 2 BauGB
- § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB
Fundstellen
- BauR 2024, 733-736
- DÖV 2024, 497
- KomVerw/B 2024, 316-322
- KomVerw/LSA 2024, 323-329
- KomVerw/MV 2024, 314-320
- KomVerw/S 2024, 313-318
- KomVerw/T 2024, 312-318
- NuR 2024, 285-287
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Es bleibt offen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen das Gebot der Rücksichtnahme aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB bei der Vorhabenzulassung die Berücksichtigung von Erweiterungsabsichten eines benachbarten Betriebs erfordert oder ob insoweit das Prioritätsprinzip gilt.
- 2.
Die Regelungen der TA Lärm können zur Beurteilung landwirtschaftlicher Immissionen nicht in direkter Anwendung, sondern nur orientierungshalber herangezogen werden. Insbesondere im Außenbereich können deshalb abhängig von den Umständen des Einzelfalls landwirtschaftstypische Immissionen zumutbar sein, selbst wenn sie Immissionsrichtwerte überschreiten.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 12. Kammer - vom 13. Oktober 2023 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für ein Wohnhaus im Außenbereich; er befürchtet Beschränkungen bei zukünftiger Tierhaltung auf dem eigenen Grundstück.
Der Antragsteller ist Eigentümer des im Aktivrubrum genannten Grundstücks im Gebiet der Antragsgegnerin. Das Grundstück ist ebenso wie das Grundstück der Beigeladenen Teil eines östlich der Kernstadt gelegenen Siedlungssplitters und mit einer gegenwärtig inaktiven landwirtschaftlichen Hofstelle bebaut. Die bis 1985 im Haupt- und anschließend bis 2018 im Nebenerwerb bewirtschaftete Hofstelle besteht im Wesentlichen aus einem zur Straße orientierten Wohnhaus und einem rückwärtigen Stall- und Scheunengebäude. Der Stalltrakt mit einer Grundfläche von etwa 120 qm war mit Bauschein vom 12. April 1962 zur Haltung von Schweinen und Kühen genehmigt; die genehmigte Tierhaltung wurde aber vor langem eingestellt. Nach Auskunft des Veterinäramtes des Landkreises Schaumburg wurden im Stall von 1998 bis 2001 noch einzelne Rinder (zuletzt 3 Tiere) gehalten; seitdem findet keine genehmigte Nutzung zur Tierhaltung mehr statt. Gegenüber dem Veterinäramt wurde die Aufgabe der Tierhaltung am 3. Januar 2004 erklärt. Soweit bis 2018 einzelne Hühner gehalten wurden, lag dafür keine Baugenehmigung vor. Die zur Hofstelle gehörigen landwirtschaftlichen Nutzflächen waren von 2018 bis Ende September 2023 vollständig verpachtet; seitdem hat der Antragsteller nach eigenen Angaben einen Teil der Flächen wieder in eigene Bewirtschaftung übernommen. Er beabsichtigt, Landwirtschaft im Nebenerwerb und insbesondere Hühnerhaltung im Umfang von etwa 200 Tieren zu betreiben.
Die Beigeladenen sind Eigentümer des westlich angrenzenden Nachbargrundstücks A-Straße , das ebenfalls mit einem straßenseitigen Wohnhaus bebaut ist. Für die von ihnen beabsichtigte Errichtung eines Zweifamilienhauses in zweiter Reihe erteilte ihnen die Antragsgegnerin unter dem 30. November 2022 die erforderliche Baugenehmigung. Dabei berief sie sich auf § 35 Abs. 2 BauGB. Der Abstand zu dem Stall auf dem Grundstück des Antragstellers beträgt etwa 9 m.
Der Antragsteller legte Widerspruch ein und stellte einen Antrag auf gerichtliche Anordnung von dessen aufschiebender Wirkung. Diesem Antrag hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 13. Oktober 2023 entsprochen. Der Vorhabenstandort liege im Außenbereich, sodass im Hinblick auf schädliche Umwelteinwirkungen das Gebot der Rücksichtnahme gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB zu berücksichtigen sei. An einen bestehenden emittierenden Betrieb heranrückende Wohnbebauung verletze dieses Gebot dann, wenn der Betrieb deshalb mit nachträglichen Auflagen rechnen müsse. Davon sei in Bezug auf die Geruchsemissionen der Hofstelle des Antragstellers auszugehen. Dort sei eine Hühnerhaltung zwar gegenwärtig nicht genehmigt. Rücksicht zu nehmen sei aber auch auf die entsprechenden hinreichend konkreten Erweiterungsabsichten, in Zukunft auf dem Hofgrundstück die Freilandhaltung von etwa 200 Hühnern aufnehmen zu wollen. Das Bauvorhaben der Beigeladenen werde dann voraussichtlich unzumutbaren Geruchs- und gegebenenfalls auch Staubbelastungen ausgesetzt sein. Ob Vergleichbares auch für den Fall der Wiederaufnahme der Schweine- und Kuhhaltung gelte, könne vor diesem Hintergrund offenbleiben. Unzumutbare Lärmimmissionen lägen hingegen nicht vor.
II.
Die nach Maßgabe des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu behandelnde Beschwerde der Antragsgegnerin und der Beigeladenen hat Erfolg.
1.
Einen Abwehranspruch gegen ein im Außenbereich unzulässiges Nachbarvorhaben hat der Inhaber eines im Außenbereich privilegierten Betriebes, wenn das in einzelnen Tatbestandsvarianten des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB enthaltene drittschützende Gebot der Rücksichtnahme verletzt ist. Gemessen hieran kann sich ein Landwirt, von dessen vorhandenem Betrieb Immissionen ausgehen, auf die Unzulässigkeit eines Vorhabens im Außenbereich, das dadurch schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt würde (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB), berufen. Heranrückende Wohnbebauung verletzt - insofern ist dem Verwaltungsgericht zuzustimmen - einem bestehenden emittierenden Betrieb gegenüber das Gebot der Rücksichtnahme dann, wenn ihr Hinzutreten die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen der Betrieb arbeiten muss, gegenüber der vorher gegebenen Lage verschlechtert. Das ist dann der Fall, wenn der Betrieb durch die hinzutretende Bebauung mit nachträglichen Auflagen rechnen muss (vgl. Senatsurt. v. 12.6.2018 - 1 LB 141/16 -, RdL 2018, 318 = juris Rn. 23). Maßgeblich ist mit anderen Worten, ob die neuen Nachbarn mit Erfolg Nachbarrechte für sich reklamieren könnten. Die bloße Besorgnis, die Nachbarn könnten sich ohne rechtlichen Grund gegen die bestehende landwirtschaftliche Nutzung wenden und die Lage des landwirtschaftlichen Betriebs faktisch erschweren, ist dagegen rechtlich unbeachtlich (vgl. Senatsbeschl. v. 12.9.2022 - 1 ME 48/22 -, BauR 2022, 1753 = juris Rn. 12).
2.
Zu Unrecht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind.
Dabei kann offenbleiben, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen bei der Vorhabenzulassung - anders als bei der Bauleitplanung, in deren Rahmen die hinreichend konkretisierte Absicht zur Erweiterung eines bestehenden Betriebs anerkanntermaßen einen abwägungserheblichen Belang darstellt - überhaupt auf Erweiterungsabsichten eines benachbarten Betriebs Rücksicht zu nehmen ist. Alternativ in Betracht kommt eine Geltung des Prioritätsprinzips, nach dem derjenige den Vorrang genießt, dessen Genehmigungsantrag früher gestellt bzw. zur Entscheidungsreife gelangt ist (vgl. Senatsurt. v. 10.2.2022 - 1 KN 11/20 -, BauR 2022, 1021 = juris Rn. 28 m.w.N.). Weder der Senat noch das Bundesverwaltungsgericht haben sich bislang dahingehend festgelegt, dass hinreichend konkretisierte Erweiterungsabsichten bei der Vorhabenzulassung stets zu berücksichtigen sind (ausdrücklich offengelassen von BVerwG, Beschl. v. 5.9.2000 - 4 B 56.00 -, BauR 2001, 83 = juris Rn. 7 f.; darauf bezugnehmend Senatsurt. v. 16.8.2018 - 1 LC 180/16 -, BauR 2019, 483 = BRS 86 Nr. 130 = juris Rn. 17; bejahend aber BayVGH, Beschl. v. 11.10.2022 - 15 ZB 22.867 -, juris Rn. 67 m.w.N. und Söfker, in: EZBK, BauGB, § 35 Rn. 89, Stand der Bearbeitung: Oktober 2019; ablehnend Dürr, in: Brügelmann, BauGB, § 35 Rn. 176, Stand der Bearbeitung: Juli 2020). Auch dieser Fall gibt keinen Anlass für eine solche Festlegung, weil die Anforderungen an hinreichend konkretisierte Erweiterungsabsichten bei der Vorhabenzulassung jedenfalls nicht geringer ausfallen können als bei der Bauleitplanung. Gemessen daran reicht der Grad der Konkretisierung der geplanten Hühnerhaltung - wie Antragsgegnerin und Beigeladene zu Recht einwenden - nicht aus.
Das Bedürfnis nach einer künftigen Betriebsausweitung kann im Rahmen der bauplanerischen Abwägungsentscheidung von Belang sein, wenn eine dahingehende Entwicklung bereits konkret ins Auge gefasst ist oder bei realistischer Betrachtung der vom Betriebsinhaber aufzuzeigenden betrieblichen Entwicklungsmöglichkeiten naheliegt. Eine Erweiterungsabsicht kann nicht losgelöst vom vorhandenen Baubestand und der bestehenden Betriebsgröße Beachtung verlangen. Das Interesse des Landwirts, sich alle Entwicklungsmöglichkeiten offen zu halten, reicht ebenso wenig aus wie unklare oder unverbindliche Absichtserklärungen. Erweiterungsinteressen sind zudem grundsätzlich nur berücksichtigungsfähig, soweit sie keine qualitative Neuordnung des Betriebs, sondern sich als Fortsetzung des bisherigen Betriebsschemas darstellen (vgl. zusammenfassend Senatsurt. v. 27.11.2019 - 1 KN 33/18 -, BauR 2020, 589 = BRS 87 Nr. 4 = juris Rn. 50 m.w.N.).
Gemessen daran sind die vom Verwaltungsgericht der Sache nach zutreffend wiedergegebenen Vorstellungen des Antragstellers aus mehreren Gründen nicht ausreichend, um eine Pflicht der Beigeladenen zur baurechtlichen Rücksichtnahme auf die angestrebte Hühnerhaltung zu begründen.
Erstens fehlt es bereits an einem bestehenden landwirtschaftlichen Betrieb auf der Hofstelle des Antragstellers, um dessen Erweiterung es gehen könnte. Tatsächlich findet dort seit etwa fünf Jahren keine landwirtschaftliche Tätigkeit mehr statt, sodass der Sache nach eine Neugründung - wenngleich unter Nutzung vorhandener Gebäude, Betriebsmittel und Flächen - erforderlich wäre. Von einer Fortsetzung des bestehenden Betriebsschemas eines in seinem Bestand geschützten aktiven Betriebs kann demzufolge keine Rede sein. Das gilt in gesteigertem Maße für die geplante Hühnerhaltung, mit der nicht nur gegenüber dem Zustand bei Erteilung der Baugenehmigung, sondern auch gegenüber dem Zustand bis 2018 eine Neuausrichtung des Betriebs verbunden wäre. Ein schutzwürdiger Bestand, aus dem sich eine Hühnerhaltung entwickeln könnte, fehlt.
Zweitens sind Ort, Art und Umfang der beabsichtigten Nutzung - anders als das Verwaltungsgericht meint - nicht in einer eine Pflicht zur Rücksichtnahme begründenden Weise klar. Vielmehr handelt es sich bei dem Vorbringen des Antragstellers lediglich um allgemein gehaltene vage Absichtserklärungen, die über das Bekunden, auf dem Hofgelände und im bestehenden Stall etwa 200 Hühner halten zu wollen, nicht hinausgehen. Undeutlich bleibt bereits, ob die Hühnerhaltung ein Hobby oder echte Landwirtschaft im Sinne von § 201 BauGB darstellen soll. Ein Betriebskonzept und eine Wirtschaftlichkeitsberechnung fehlen. Dies wäre aber mit Blick darauf, dass ein landwirtschaftlicher Betrieb gegenwärtig nicht vorhanden ist, sondern neu aufgebaut werden müsste, zwingend erforderlich, um Ernsthaftigkeit und Tragfähigkeit der Vorstellungen zu belegen. Insofern gilt, dass umso höhere Anforderungen an den erforderlichen Grad der Konkretisierung zu stellen sind, je weniger sich die Erweiterungsabsicht als organische Fortentwicklung eines bestehenden Betriebs darstellt. Ebenso weckt die vergleichsweise geringe Zahl der Tiere Zweifel, ob insofern tatsächlich Landwirtschaft mit der Absicht nachhaltiger Gewinnerzielung betrieben werden soll. Zur erforderlichen Konkretisierung fehlt ferner eine belastbare Planung der erforderlichen baulichen Veränderungen. Der bestehende Stall verfügt - der Senat nimmt insoweit gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts Bezug - über keine Genehmigung zur Hühnerhaltung, sondern bedürfte einer Neugenehmigung unter Einhaltung aktueller Tierschutzstandards. Eine Umbauplanung, anhand derer die Realitätsnähe und Tragfähigkeit des Vorhabens beurteilt werden könnte, fehlt.
3.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erweist sich auch nicht mit Blick auf die vormals genehmigte Haltung von Schweinen und Kühen in dem bestehenden Stallgebäude als richtig. Dabei kann offenbleiben, ob die geringe Tierzahl, die der Stall aufnehmen kann, überhaupt unzumutbare Geruchs- und Staubimmissionen auf dem Grundstück der Beigeladenen verursachen könnte. Denn die für den Stall erteilte Baugenehmigung ist - auch darin ist Antragsgegnerin und Beigeladenen Recht zu geben - mit der Aufgabe der Tierhaltung vor mehr als 20 Jahren erloschen. Die insofern maßgeblichen rechtlichen Grundsätze hat der Senat wie folgt zusammengefasst (Senatsurt. v. 7.10.2021 - 1 KN 17/20 -, UPR 2022, 112 = juris Rn. 47 ff.):
"Nach ständiger Rechtsprechung des Senats richtet sich die Geltungsdauer einer ausgenutzten Baugenehmigung mangels spezialgesetzlicher Vorschriften in der Niedersächsischen Bauordnung und aufgrund der fehlenden Übertragbarkeit des zu § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB entwickelten Zeitmodells nach § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V. mit § 43 Abs. 2 VwVfG (vgl. grundlegend Senatsbeschl. v. 3.1.2011 - 1 ME 209/10 -, BauR 2011, 1154 = BRS 78 Nr. 159 = juris Rn. 28 ff.). Insbesondere § 71 NBauO betrifft allein die Geltungsdauer der erteilten, aber (noch) nicht ausgenutzten Baugenehmigung. Auf Fallgestaltungen, in denen die genehmigte bauliche Anlage tatsächlich realisiert worden ist, findet die Vorschrift weder direkte noch analoge Anwendung.
Ist demzufolge auf die allgemeine Bestimmung des § 43 Abs. 2 VwVfG zurückzugreifen, bleibt die Baugenehmigung wie jeder andere Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder - diese Variante ist hier maßgeblich - auf andere Weise erledigt ist. Die Annahme einer Erledigung auf sonstige Weise ist allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen gerechtfertigt, da das Gesetz den Wirksamkeitsverlust des Verwaltungsakts bei den übrigen in § 43 Abs. 2 VwVfG genannten Varianten entweder - wie in den Fällen der Rücknahme, des Widerrufs oder der anderweitigen Aufhebung - an ein formalisiertes Handeln der Behörde oder - wie im Fall des Zeitablaufs - an einen eindeutig bestimmbaren Sachverhalt knüpft. Vor diesem Hintergrund ist bei der Annahme einer Erledigung auf sonstige Weise Zurückhaltung geboten. Anerkannte Fallgruppen sind insbesondere der Wegfall des Regelungsobjekts und der Verzicht des Berechtigten auf die sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Rechtsposition (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.5.2012 - 6 C 3.11 -, BVerwGE 143, 87 = juris Rn. 19). Eine Baugenehmigung erledigt sich nach diesen Maßgaben auf andere Weise, wenn die genehmigte Nutzung endgültig aufgegeben und nicht nur vorübergehend unterbrochen wird.
Besteht die bauliche Anlage - wie hier - in weiterhin nutzbarer Weise fort, ist von einer endgültigen Nutzungsaufgabe mit der Folge des Erlöschens der Baugenehmigung nur dann auszugehen, wenn sich der (tatsächliche) Verzicht auf die weitere Nutzung der baulichen Anlage zugleich als (rechtlicher) Verzicht auf die Baugenehmigung darstellt. Ob das der Fall ist, ist im Wege einer Gesamtbetrachtung aus der Sicht eines objektiven Dritten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. In dem Verhalten des Eigentümers muss sein dauerhafter und endgültiger Verzichtswille hinreichend eindeutig zum Ausdruck kommen (vgl. bereits Senatsbeschl. v. 3.1.2011 - 1 ME 209/10 -, BauR 2011, 1154 = BRS 78 Nr. 159 = juris Rn. 36 ff.; vergleichbar die Rspr. der übrigen Obergerichte, vgl. exemplarisch OVG NRW, Beschl. v. 18.4.2017 - 2 A 916/15 -, juris Rn. 12 ff.; VGH BW, Beschl. v. 22.7.2016 - 8 S 969/16 -, juris Rn. 13 ff.; OVG Berl-Bbg, Urt. v. 8.11.2018 - OVG 2 B 4.17 -, NVwZ-RR 2019, 355 [OVG Schleswig-Holstein 28.09.2018 - 1 KN 19/16] = juris Rn. 25 ff.; SächsOVG, Beschl. v. 28.10.2019 - 1 B 7/19 -, NVwZ-RR 2020, 469 [OLG Karlsruhe 19.09.2019 - 9 W 32/19] = juris Rn. 34 ff., alle m.w.N.).
In die Gesamtbetrachtung einzustellen sind zunächst alle nach außen getretenen Umstände, die Rückschlüsse auf den Willen des Eigentümers zulassen. Zu berücksichtigen sind beispielsweise der Zustand der baulichen Anlage und das gegebenenfalls erforderliche Maß notwendiger Investitionen vor einer Wiederaufnahme der Nutzung, die tatsächlichen, insbesondere wirtschaftlichen, und - über das öffentliche Baurecht hinaus - rechtlichen Rahmenbedingungen und Anforderungen einer erneuten Nutzung, die nach außen getretenen Gründe für die Beendigung der Nutzung, sonstige Veränderungen des Baugrundstücks und der darauf bestehenden baulichen Anlagen, etwaige vertragliche Bindungen, gegebenenfalls auch das Vorliegen eines langfristigen Nutzungskonzepts. Maßgeblich ist, wie ein objektiver Dritter die Umstände des Einzelfalls unter Beachtung der Verkehrsauffassung verstehen muss.
In die Betrachtung einzubeziehen ist neben diesen Umstandsmomenten zudem das Zeitmoment. Dieses hat aus sich heraus zwar keinen eindeutigen Erklärungswert (OVG NRW, Beschl. v. 18.4.2017 - 2 A 916/15 -, juris Rn. 16); dem öffentlichen Baurecht ist eine Verpflichtung zur Nutzung einer baulichen Anlage grundsätzlich fremd. Schon aufgrund des wirtschaftlichen Wertes ist ihre Nutzung indes die Regel, ein nutzungsloser Zustand die Ausnahme. Je länger eine bauliche Anlage ungenutzt bleibt, umso drängender stellt sich daher aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Dritten unter Beachtung der Verkehrsauffassung die Frage, ob noch von einer bloßen Nutzungsunterbrechung und nicht schon von einer endgültigen Nutzungsaufgabe auszugehen ist. Anders gewendet: Je länger keine Nutzung stattfindet, umso eher ist bei einem Hinzutreten weiterer Umstände die Annahme begründet, die Nutzung solle auch in Zukunft nicht wiederaufgenommen werden. Auch wenn das Zeitmoment allein grundsätzlich nicht dazu führen kann, dass eine Baugenehmigung erlischt, ist die nutzungslos verstrichene Zeitspanne unter diesen Prämissen aussagekräftig."
Die Anwendung dieser Grundsätze führt dazu, dass die Baugenehmigung vom 12. April 1962 durch Verzicht erledigt ist. Zwar besteht das Stallgebäude in grundsätzlich weiterhin nutzbarer Weise fort, wenngleich die Beigeladenen in Übereinstimmung mit den in der Akte befindlichen Lichtbildern vorgetragen haben, die zur Tierhaltung erforderlichen Einbauten seien entfernt und der Stall sei in einen Lagerraum umgenutzt worden. Jedenfalls seit dem Jahr 2002 findet nach Aktenlage keine genehmigte Tierhaltung mehr statt. Die insofern verstrichene Zeit ist ein sehr starkes Indiz für eine endgültige Nutzungsaufgabe. Bei einer derart langen Zeitspanne rechnet die Verkehrsauffassung jedenfalls bei gewerblich/landwirtschaftlich genutzten Bauten grundsätzlich nicht mehr mit einer Wiederaufnahme der Nutzung, weil sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einer Nutzung während einer derart langen nutzungslosen Zeit typischerweise grundlegend verändert haben.
Soweit der Antragsteller ohne nähere Substantiierung einwendet, tatsächlich sei in dem Stallgebäude auch nach 2002 Großvieh gehalten worden, die vom Kreisveterinäramt übermittelten Zahlen träfen nicht zu, haben die umfangreichen Ermittlungen der Antragsgegnerin dies nicht bestätigen können. Die Landwirtschaftskammer konnte zu Tierbeständen keine Auskunft erteilen. Das Kreisveterinäramt konnte dagegen konkrete Zahlen zur Tierhaltung nennen, die ein Ende der Großviehhaltung bis Jahresende 2001 und eine förmliche Aufgabe im Januar 2004 zeigen. Angesichts der Tatsache, dass für die Folgejahre ab 2013 detaillierte Zahlen zur Haltung einzelner Hühner vorliegen, besteht kein Anlass, an der Richtigkeit der vom Kreisveterinäramt übermittelten Zahlen zu zweifeln. Es wäre nunmehr Sache des Antragstellers, seine gegenteilige, weder zeitlich noch zahlenmäßig näher konkretisierte Behauptung im Einzelnen zu belegen. Das fehlt.
Hinzu kommen in diesem Fall die Umstände der Nutzungsaufgabe, die für den Strukturwandel in der Landwirtschaft weg von kleinbäuerlichen Betrieben mit Ackerbau und Viehzucht typisch sind. Nachdem die Eltern des Antragstellers, die den Betrieb bis 1985 im Vollerwerb geführt hatten, gestorben waren, wurde dieser zunächst als Nebenerwerbsbetrieb weitergeführt. Dabei wurde die arbeitsintensive, aber in der allein möglichen Größenordnung kaum wirtschaftliche Tierhaltung zunächst reduziert und bis 2002 gänzlich aufgegeben. Angesichts dieser Umstände geht ein objektiver Dritter davon aus, dass die mit geringem wirtschaftlichem Ertrag und (unverhältnismäßig) hohem Arbeitseinsatz verbundene landwirtschaftliche Nutzung, die einmal eingestellt ist, auf Dauer nicht wiederaufgenommen wird. Dabei bedarf es auch in diesem Fall keiner Entscheidung, nach Ablauf welcher Zeitspanne in diesem Fall eine endgültige Nutzungsaufgabe vorliegt. Nach mehr als 20 Jahren ist unter den vorgenannten Umständen eine mögliche Karenzzeit jedenfalls weit und offenkundig überschritten.
Auch der vom Antragsteller geäußerte Wunsch, auf der Hofstelle einige Großvieheinheiten zu halten, könnte damit nicht auf einem genehmigten Bestand aufbauen. Eine dahingehende Pflicht zur Rücksichtnahme trifft die Beigeladenen nicht.
4.
Unzumutbaren Lärmimmissionen setzt sich das Vorhaben der Beigeladenen im Fall einer Wiederaufnahme des landwirtschaftlichen Betriebs, der - bei Verzicht auf eine (mehr als geringfügige) Tierhaltung - von fortbestehenden Genehmigungen gedeckt sein dürfte, nicht aus; den entsprechenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts folgt der Senat. Aus der im Baugenehmigungsverfahren vorgelegten schalltechnische Untersuchung vom 27. Oktober 2022 ergibt sich, dass die nach Nr. 1 c) TA Lärm ohnehin nicht in direkter Anwendung, sondern nur orientierungshalber heranzuziehenden Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 TA Lärm für gemischt genutzte Gebiete von 60 dB(A) tags/45 dB(A) nachts eingehalten werden. Dabei beruht die Untersuchung auf konservativen Annahmen (Fahrweg des Traktors entlang der Westgrenze, 3,5 stündiger Dauerbetrieb des Traktors auf dem Betriebsgrundstück); ihre Plausibilität wird auch von der vom Antragsteller vorgelegten Untersuchung vom 14. Februar 2023 nicht in Frage gestellt. Lediglich dann, wenn in der Nachtzeit mit einem Anhänger gearbeitet wird, können einzelne kurzfristige Geräuschspitzen den Immissionsrichtwert überschreiten. Eine solche nach Lage der Dinge ohnehin allenfalls sehr selten - etwa während der Erntezeit - vorkommende Überschreitung begründet mit Blick auf Nr. 1 c) TA Lärm keine unzumutbare Lärmimmission, sondern ist im Außenbereich als landwirtschaftstypische Immission hinzunehmen.
5.
Unzutreffend ist die Annahme des Antragstellers, das Vorhaben der Beigeladenen sei rücksichtslos, weil es den rückwärtigen Ruhebereich seines eigenen Grundstücks beeinträchtige. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist die Erwartung, der straßenabgewandte Bereich bleibe auf Dauer von emittierenden Nutzungen verschont, in gemischt genutzten Gebieten nicht berechtigt (vgl. Senatsbeschl. v. 18.7.2014 - 1 LA 168/13 -, BRS 82 Nr. 182 = juris Rn. 19; v. 19.1.2021 - 1 ME 161/20 -, BauR 2021, 804 juris Rn. 10). Das gilt entsprechend im Außenbereich, dessen Schutzanspruch einem gemischt genutzten Gebiet entspricht.
6.
Dass die Baugenehmigung schließlich objektiv rechtswidrig sein dürfte, weil das Vorhaben der Beigeladenen wenigstens den öffentlichen Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB beeinträchtigt, führt schließlich ebenfalls nicht zum Erfolg des Aussetzungsantrags. Der Antragsteller hat lediglich einen Anspruch auf Einhaltung derjenigen Rechtsnormen, die (auch) seinem Schutz zu dienen bestimmt sind; § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB zählt dazu ebensowenig wie der möglicherweise ebenfalls berührte § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Einen allgemeinen Anspruch, dass der Außenbereich lediglich in rechtmäßiger Weise genutzt wird, hat auch ein privilegierter Nutzer nicht.
7.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG; der Senat schließt sich den Ausführungen des Verwaltungsgerichts an.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).